19 November 2025

Verteidigungsfähigkeit als Verfassungsauftrag

Wie das Grundgesetz auf einen Angriff vorbereitet ist – und wie nicht

Ich habe in diesem Sommer in Danzig zahlreiche Gespräche mit polnischen und baltischen Studierenden geführt. Dabei fiel immer wieder derselbe Ausruf: „last summer in peace!“ In der Nähe der russischen Grenze herrscht eine merkwürdige Stimmung zwischen Beklemmung und trotziger Ausgelassenheit – noch einmal das Leben genießen, bevor „es“ losgeht.

Auch in Deutschland besteht innerhalb bestimmter Kreise ein entsprechendes Problembewusstsein: So äußerte sich BND-Präsident Jäger jüngst vor dem parlamentarischen Kontrollgremium des Deutschen Bundestags:

„Unser Gegner kennt keine Ruhezeiten. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen in der Annahme, ein möglicher russischer Angriff käme frühestens 2029. Wir stehen schon heute im Feuer.“

Und selbst der Bundeskanzler möchte nun „schnellstmöglich verteidigungsfähig werden“.

Aber was passiert verfassungsrechtlich, wenn Deutschland angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht? Wenn Deutschland tatsächlich angegriffen wird, darf die Bundeswehr nach Art. 87a Abs. 1 GG das Land verteidigen. Um die Rechtslage an diesen Umstand anzupassen, sieht das Grundgesetz den sogenannten Spannungs- oder Verteidigungsfall vor.

Und eben jene Feststellung des Spannungsfalls nach Art. 80a GG erwägen schon heute einzelne Bundestagsabgeordnete. Momentan scheint die hierfür erforderliche Zweidrittelmehrheit in weiter Ferne. Allerdings könnten, wenn Deutschland wirklich mit Waffengewalt angegriffen wird, Bundestag und -rat verfassungsrechtlich zur Feststellung des Verteidigungsfalls verpflichtet sein.

Verteidigungsfall – hohe Hürden im Bundestag

Art. 115a Abs. 1 GG normiert neben den materiellen Tatbestandsvoraussetzungen, dass der Verteidigungsfall nur dann eintritt, wenn der Bundestag dies auf Antrag der Bundesregierung mit Zweidrittelmehrheit und Zustimmung des Bundesrats beschließt. Unabhängig davon, ob die eigentlichen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, nämlich ein Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt oder das Drohen eines solchen Angriffs, sind die politischen Mehrheiten dafür relativ unwahrscheinlich.

Die Linke spricht sich ausdrücklich gegen jede Form der „Kriegsertüchtigung“ aus. Auch die AfD fordert in jüngerer Zeit immer häufiger eine Partnerschaft mit Russland. Doch auch wenn die AfD einem Verteidigungsfall zustimmen würde, würde die selbst auferlegte „Brandmauer“ die übrigen Fraktionen im Bundestag daran hindern, für eine Feststellung des Verteidigungs- oder Spannungsfalles auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Auf meine Anfrage, ob sie im Falle eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik für den Verteidigungsfall stimmen würden, haben die Fraktionen von AfD und Linke nicht reagiert.

Zwar haben Teile der Politik inzwischen erkannt, dass die Bundesrepublik dringend verteidigungsfähig werden muss, verteidigungswillig ist sie allerdings noch lange nicht – jedenfalls die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag wehrt sich noch.

Aber bedarf es für den hypothetischen Fall, dass russische Panzer die Oder überqueren, Gleitbomben auf Dresdner Einkaufszentren niedergehen und deutsche Marineschiffe auf der Ostsee versenkt werden, überhaupt noch jener Zweidrittelmehrheit im Bundestag?

In der CDU bezweifelt man dies:

„Sollte der Bundestag jedoch wegen einer kurzfristigen Blockade oder beispielsweise wegen Desinformation einzelner Abgeordneter nicht entscheidungsfähig sein, hält das Grundgesetz in Artikel 115a Absatz 4 eine klare Regelung bereit: Wird Deutschland ohne vorherige Feststellung des Verteidigungsfalls von außen angegriffen, gelten die Regelungen des Verteidigungsfalls automatisch. In einem solchen Fall sind die verfassungsrechtlichen Schutzmechanismen also weiterhin gewährleistet – auch ohne explizite Zustimmung des Bundestags in diesem Moment.“

Verfassungsrechtlich haltbar ist diese Rechtsauffassung nicht. Besagter Art. 115a Abs. 4 GG hat explizit nur den Fall im Visier, dass „die zuständigen Bundesorgane außerstande“ sind, den Verteidigungsfall festzustellen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn das Reichstagsgebäude selbst in Schutt und Asche liegt und der nach Abs. 2 ersatzweise entscheidungsbefugte Gemeinsame Ausschuss in unterschiedlichen Atomschutzbunkern festsitzt.

Der Fall, dass der Bundestag zwar zusammentreten könnte, sich aber nicht mit der nötigen Mehrheit einigen kann, ist von Art. 115a Abs. 4 GG gerade nicht erfasst (Sachs/Robbers, 10. Aufl. 2024, GG Art. 115a Rn. 23; Dreier/Heun, 3. Aufl. 2018, GG Art. 115a Rn. 16).

Auch der Art. 115a Abs. 2 GG hilft hier nicht weiter: Nach diesem kann der Gemeinsame Ausschuss den Verteidigungsfall feststellen, wenn der Bundestag nicht beschlussfähig ist oder nicht unverzüglich zusammentreten kann, obwohl die Lage dies erfordert. Beschlussunfähigkeit meint hier aber nicht Beschlussunwilligkeit. Kann der Bundestag fristgerecht zusammentreten, findet aber nicht die erforderliche Mehrheit, greift Absatz 2 gerade nicht.

Spannungsfall – die Vorstufe zum Verteidigungsfall

Eine Vorstufe zum Verteidigungsfall ist der Spannungsfall nach Art. 80a Abs. 1 GG. Welche materiellen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ist gesetzlich nicht geregelt. Gemeinhin wird unter dem Spannungsfall eine außenpolitische Konfliktsituation verstanden, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Angriff auf das Bundesgebiet führen wird und daher eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft erfordert (Sachs/Mann, 10. Aufl. 2024, GG Art. 80a Rn. 2).

Allerdings ist ein Spannungsfall nicht erst dann gegeben, wenn feindliche Truppen unmittelbar vor der Grenze stehen. Schließlich sind bei einem drohenden Angriff bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Verteidigungsfalls erfüllt. Angesichts von Drohnen über Flughäfen und Militärstützpunkten, Cyberangriffen, Sabotageakten gegen Kriegsschiffe, elektromagnetischen Störangriffen und zerstörten Seekabeln ist es nicht unvertretbar, bereits jetzt den materiellen Tatbestand des Spannungsfalls für erfüllt zu halten. Eine zusätzliche verfassungsrechtliche Verankerung des hybriden Kriegszustands, wie von einigen gefordert (vgl. Gehringer/Steger, Deutschland im Ernstfall, 2025, S. 216), ist gerade nicht nötig: Angesichts der vom Gesetzgeber gewollten Offenheit des Begriffs lassen sich hybride Angriffe unproblematisch unter den materiellen Tatbestand des Art. 80a GG subsummieren.

Doch unabhängig von der „verschärften Bedrohungslage“, welche auch die Bundesregierung erkennt, setzt auch der Spannungsfall eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag voraus, die ohne die Stimmen von AfD oder Linken nicht zu bekommen ist.

Bündnisfall – ein möglicher Ausweg?

Einen Ausweg hält Art. 80a Abs. 3 GG bereit. Eben jene spezifischen einfachgesetzlichen Regelungen, die infolge eines Spannungsfalls einschlägig sind (siehe unten), können nämlich auch dann angewendet werden, wenn ein internationales Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung einen entsprechenden Beschluss fasst. Mit dieser Norm soll Deutschland auch ohne Zweidrittelmehrheit bündnisfähig bleiben.

Dem Wortlaut nach kann hier die Bundesregierung zusammen mit einem internationalen Organ allein entscheiden und ist nicht auf die Zustimmung des Bundestags angewiesen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Somalia-Entscheidung klargestellt: „Auch die Bündnisklausel des Art. 80a Abs. 3 GG gestattet keinen Streitkräfteeinsatz in alleiniger Kompetenz der Exekutive; die Vorschrift betrifft die nach Maßgabe des NATO-Alarmsystems ausgelöste ‚zivile Teilmobilmachung‘, nicht den Streitkräfteeinsatz im Bündnisfall.“

Mit dieser Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht den ungeschriebenen „wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt“ aus der Taufe gehoben. Danach muss im Bundestag zumindest eine einfache Mehrheit dem Einsatz der Bundeswehr zustimmen – eine im Vergleich zum Verteidigungs- oder Spannungsfall deutlich niedrigere Hürde.

NATO-Bündnisfall

Aber was genau versteht das Grundgesetz unter einem Beschluss eines „internationalen Organs im Rahmen eines Bündnisvertrages“? Gemeint ist hier in erster Linie ein Beschluss des NATO-Rats. Auch der NATO-Bündnisfall nach Art. 5 NATO-Vertrag ist kein Automatismus: Wird ein NATO-Staat angegriffen, muss dieser Angriff von allen NATO-Mitgliedern als solcher ausdrücklich anerkannt werden. Erst dann wird im Nordatlantikrat gemeinsam der Bündnisfall ausgerufen. Zwar gibt es im Nordatlantikrat keine verteidigungsunwilligen Fraktionen wie im Bundestag – eine einstimmige Entscheidung ist angesichts einiger unberechenbarer Mitgliedstaaten dennoch keineswegs ausgemacht.

EU-Beistandsfall

Die Bundesrepublik ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Mitglied in einem zweiten „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“: der Europäischen Union. Diese verfügt mit Art. 42 Abs. 7 EUV über eine eigene Beistandsklausel.

Anders als der NATO-Bündnisfall bedarf der EU-Beistandsfall keines Beschlusses, sondern tritt bei einem Angriff ipso jure ein. Auch die Reichweite des EU-Beistandsfalles geht normativ über den NATO-Bündnisfall hinaus: Während innerhalb der NATO nur irgendeine Unterstützung geschuldet wird, müssen EU-Mitglieder im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ein Mitglied „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung liefern“.

Der Automatismus des EU-Beistandsfalls steht in einem Spannungsverhältnis zum deutschen Grundgesetz: Zum einen verlangt Art. 80a Abs. 3 GG den Beschluss eines internationalen Organs. Zum anderen gehört der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt zu den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Lissabon-Entscheidung zementierten Integrationsfesten. Art. 42 Abs. 7 S. 2 EUV trägt dem Rechnung, indem er den Beistandsfall unter den Vorbehalt des „besonderen Charakters der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“ stellt, wozu auch der deutsche wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt gehört (Scheffel, Europäische Verteidigung, 2022, S. 143, Fn. 294).

Das von Art. 80a Abs. 3 GG gemeinte internationale Organ ist auf Unionsebene in Verteidigungsfragen der Rat der EU. Nach Art. 42 Abs. 4 EUV werden Beschlüsse zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dort einstimmig auf Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik oder auf Initiative eines Mitgliedstaats erlassen. Somit müssen auch hier alle Mitgliedsstaaten zustimmen, weswegen einzelne Mitgliedstaaten Beschlüsse durch ihr Veto blockieren könnten. Dies bekräftigt auch Art. 31 Abs. 1, 4 EUV. Um dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt zu genügen, müsste zum Einsatz der Bundeswehr zusätzlich der Bundestag (mit einfacher Mehrheit) entscheiden.

Rechtsfolgen des Bündnis- oder Spannungsfalls

Die prominenteste Folge der Feststellung eines Bündnis- oder Spannungsfalls ist die automatische Reaktivierung der Wehrpflicht. Auch das dysfunktionale „Kompetenz-Wirrwarr“ bei der Abwehr von Drohnen hätte ein Ende. Denn Art. 87a Abs. 3 GG erlaubt explizit den Einsatz der Bundeswehr im Inland zum Schutz ziviler Objekte. Zwar darf die Bundeswehr auch außerhalb des Spannungsfalls begrenzte Verteidigungsaufgaben wahrnehmen (vgl. BVerfGE 90, 286, 386). Allerdings verschafft erst der Bündnis- oder Spannungsfall der Bundeswehr die für eine umfassende Verteidigung nötigen personellen und materiellen Ressourcen, wie sie etwa der bewusst auch auf den zivilen Sektor setzende Operationsplan Deutschland vorsieht. Denn nur bestimmte Gesetze, die erst im Spannungsfall wirksam werden, wie z.B. das Arbeitssicherstellungsgesetz, erlauben es, Menschen in Arbeitsverhältnisse zu verpflichten – etwa in Krankenhäusern und der militärischen Forschung.

Des Weiteren erlaubt § 2 Abs. 3 VerkSiG im Spannungs- und Bündnisfall die „Sicherstellung von Verkehrsleistungen“. Dies gibt der Bundeswehr die Möglichkeit, mangels eigener Kapazitäten zwangsweise auf zivile Lastkraftwagen zuzugreifen. Das Wirtschaftssicherstellungsgesetz lässt tiefgreifende Eingriffe in das Wirtschaftsleben zu: Betriebe können gezwungen werden, bestimmte Güter, z.B. Drohnen, herzustellen, und Ressourcen können gezielt zugeteilt und priorisiert werden.

Zustimmungsfall – der kleine Spannungsfall

Nach Art. 80a Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG darf der Bundestag im sog. Zustimmungsfall mit einfacher Mehrheit einzelne Notstandsvorschriften sukzessive in Kraft setzen, nicht aber alle. Dadurch darf nämlich nicht die Zweidrittelmehrheit für den Spannungsfall umgangen werden. Ein Inkraftsetzen des Arbeitssicherstellungsgesetzes bedürfte gemäß Art. 80a Abs. 1 Var. 2, Art. 12a Abs. 5 S. 1, Abs. 6 S. 1 i.V.m. Abs. 3 GG ohnehin stets der Zweidrittelmehrheit. Auch das umfassende Recht der Bundeswehr zum Einsatz im Innern (Art. 87a Abs. 3 GG) greift erst im echten Spannungs- oder Verteidigungsfall.

Konventioneller Auslandseinsatz

Schließlich bestünde die Möglichkeit, dass der Bundestag mit einfacher Mehrheit einen Out-of-Area-Einsatz der Bundeswehr nach Art. 24 Abs. 2 GG beschließt. In dessen Rahmen dürfte die Bundeswehr zwar zum Kämpfen an die NATO-Ostflanke entsandt werden, wie schon zuvor nach Somalia, Afghanistan oder Mali. Sie dürfte aber weiterhin – jenseits von Amtshilfe und innerem Notstand – nur beschränkt im Inland eingesetzt werden (Art. 87a Abs. 3 GG). Auch die Notstandsregelungen zum Zivilschutz blieben inaktiv, ebenso die Wehrpflicht.

Kann die Bevölkerung die Verteidigung erzwingen?

Auch wenn die Bundesrepublik nun schrittweise technisch und personell verteidigungsfähig gemacht wird, ist zu befürchten, dass ihre Verfassungsorgane nicht im Umfang der erforderlichen Zweidrittelmehrheit verteidigungswillig sind.

Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer: Die Bedrohung deutscher Grundrechte durch nichtdeutsche staatliche Stellen ist das Lehrbuchbeispiel für die Schutzpflicht-Dimension der Grundrechte. Bei einem Angriff auf das Bundesgebiet sind vielfältige Grundrechte betroffen, nicht zuletzt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die „Verfassungsidentität“ der Bundesrepublik zu einem über Art. 38 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG für jedermann einklagbaren Institut erhoben.

Wir Bürger haben nicht nur ein Recht darauf, einen Bundestag zu wählen, sondern auch darauf, dass dieser über ein signifikantes Maß an Entscheidungsfülle verfügt. Diese Entscheidungsfülle dürfte jedoch nicht nur gefährdet sein, wenn der Bund Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen überträgt, sondern auch, wenn andere Staaten Deutschland besetzen und Bundestag und Bundesregierung faktisch zu entmachten versuchen.

Da die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des Verteidigungsfalles im Grundgesetz explizit ausbuchstabiert sind, ist dann zu diskutieren, ob die Bürger im Wege der Verfassungsbeschwerde den Bundestag und Bundesrat bei deren evidentem Vorliegen zur Feststellung des Verteidigungsfalles verpflichten können. Dies ginge ggf. auch im Wege des einstweiligen Verfahrens.

Sofern die materiellen Voraussetzungen des Art. 115a Abs. 1 GG vorliegen, sind die adressierten Verfassungsorgane an das Untermaßverbot gebunden (Sachs/Robbers, 10. Aufl. 2024, GG Art. 115a Rn. 10). Daraus folgt jedoch nicht in jedem Fall eine Pflicht zur Feststellung des Verteidigungsfalls.

Wenn i.S.d. Art. 115a Abs. 1 GG das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht, dürfen die zur Feststellung des Verteidigungsfalls berufenen Verfassungsorgane daher nicht gänzlich untätig bleiben. Zwar obliegt dem Bundesverfassungsgericht aus Gewaltenteilungsgründen eine gewisse Zurückhaltung bei der Frage, ob die zuständigen Organe den Verteidigungsfall feststellen. Wird jedoch durch einen Angriff von außen die Souveränität und Verfassungsidentität der Bundesrepublik grundlegend in Frage gestellt, so wird die grundgesetzliche Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Hüter eben jener Verfassungsidentität aktiviert.

Eine solche grundlegende Infragestellung der Verfassungsidentität ist aber nicht schon bei vereinzelten Drohnen und Sabotageakten gegeben. Für diese hybride „Vorfeldsituation“ sieht das Grundgesetz den Spannungsfall vor. Dessen materielle Tatbestandsvoraussetzungen legt das Grundgesetz bewusst nicht fest, um der Legislative eine weitestgehende Einschätzungsprärogative zu überlassen. Angesichts dieser weiten Einschätzungsprärogative als Ausdruck des Gewaltenteilungsgrundsatzes erscheint es schwer vorstellbar, den Bundestag zur Feststellung des Spannungsfalls verfassungsgerichtlich zu verpflichten.


SUGGESTED CITATION  von Rochow, Moritz: Verteidigungsfähigkeit als Verfassungsauftrag: Wie das Grundgesetz auf einen Angriff vorbereitet ist – und wie nicht, VerfBlog, 2025/11/19, https://verfassungsblog.de/wehrverfassung-verteidigungsfall/, DOI: 10.17176/20251120-142125-0.

9 Comments

  1. Sebastian Thu 20 Nov 2025 at 15:18 - Reply

    Und wie stellt sich der Autor das Verfahren vor, sollte Deutschland sagen wir um 00:30 angegriffen werden? Sollte bis zum nächsten Morgen gewartet werden, bis der BT zusammengekommen ist, um den Verteidigungsfall zu erklären? Oder mehrere Stunden warten bis ausreichend Abgeordnete sich eingefunden haben? Oder sollte vielleicht doch Nachts, um sagen wir 00:45, der Verteidigungsfall erklärt werden, da die Notwendigkeit auf der Hand liegt? Wie wertet der Autor die “Unverzüglichkeit” in Art. 115a GG? Sollte in einem Verteidigungsfall wirklich noch mehrere Stunden gewartet werden, um den Verteidigungsfall zu erklären, oder sollte dies nicht unverzüglich erfolgen? Denn wir reden nicht über Unverzüglichkeit im Rahmen von juristischen Verfahren, bei denen Ergebnisse letztlich revidiert werden können nachträglich, sondern über Handlungen die Tatsachen schaffen, welche nicht (so einfach) revidiert werden können.

    • Moritz von Rochow Tue 25 Nov 2025 at 20:38 - Reply

      Lieber Sebastian,
      es sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: Der Verteidigungsfall kann bereits festgestellt werden, wenn ein Angriff unmittelbar droht. Vergleichen wir den aktuellen Krieg in der Ukraine (https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/russland-ukraine-invasion-krieg-chronik). Bereits im November 2021 hatte Russland mehr als 100.000 Truppen im Grenzgebiet zusammengezogen: Zwischen dem Drohen des Angriffs und dem tatsächlichen Angriff sind mehr als drei Monate vergangen – genug Zeit um jedes Parlament zusammenzurufen.
      In dem unwahrscheinlichen Fall, dass ein Angriff ohne Vorwarnung und dahingehende Geheimdiensterkenntnisse erfolgt, sieht Art. 115a Abs. 2 GG eine Feststellung durch den “Gemeinsamen Ausschuss” vor. Nach § 6 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses haben dessen Mitglieder und die Stellvertreter sicherzustellen, dass sie jederzeit durch den Präsidenten des Bundestages erreichbar sind und auch an kurzfristig einberufenen Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses teilnehmen können. Dann kommt es auf den Bundestagspräsidenten an: Dieser soll nach § 9 GemAusGO mitteilen, dass einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen oder dass dieser nicht beschlussfähig ist. Der Gemeinsame Ausschuss bestätigt diese Feststellung sodann mit Zweidrittelmehrheit nach Art. 115e GG. Erst dann kann er anstelle des Bundestags den Verteidigungsfall feststellen. Dies bedeutet indes nicht, dass die Bundeswehr so lange warten muss, bis sie verteidigen darf. Dies sieht Art. 87a GG nicht vor. Vielmehr ist Verteidigung unabhängig vom Verteidigungsfall rechtlich zulässig. Ob die Bundeswehr ohne Verteidigungsfall langfristig über die nötigen personellen und materiellen Ressourcen verfügt, um das Land effektiv verteidigen zu können, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die im “Operationsplan Deutschland” (https://www.bundeswehr.de/de/organisation/operatives-fuehrungskommando-der-bundeswehr/auftrag-und-aufgaben/operationsplan-deutschland) festgelegten Verteidigungsstrategien setzen jedenfalls jene Ressourcen voraus, die der Bundeswehr erst mit der Feststellung von Verteidigungs- oder Spannungsfall zur Verfügung stehen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Was geschieht, wenn der Gemeinsame Ausschuss zusammenkommt, die für die o.g. Beschlüsse nötige Zweidrittelmehrheit aber nicht zustandekommt? Die Fiktionsregelung des Abs. 4 greift erst, wenn der Gemeinsame Ausschuss “außerstande ist, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen.” Sie greift aber nicht, wenn der Gemeinsame Ausschuss zwar beschlussfähig aber beschlussunwillig ist.

      Ihre Frage nach der “Unverzüglichkeit in Art. 115a GG” verstehe ich nicht. In dem Grundgesetzartikel ist das Wort “unverzüglich” nicht erwähnt. Idealerweise sollte der Verteidigungsfall so schnell wie möglich festgestellt werden, um der Bundeswehr die zur Verteidigung nötigen Kapazitäten zu verschaffen. Dies ist aber nach wohl herrschender – aber nicht unumstrittener – Auffassung nicht Voraussetzung dafür, dass die Bundeswehr Verteidigungsmaßnahmen ergreifen kann.

  2. Hans-Jochen Luhmann Fri 21 Nov 2025 at 21:25 - Reply

    Ich kann Ihre Aussage “Art. 115a Abs. 1 GG normiert …, dass der Verteidigungsfall nur dann eintritt, wenn der Bundestag dies auf Antrag der Bundesregierung mit Zweidrittelmehrheit und Zustimmung des Bundesrats beschließt.” Das “nur” findet sich nicht in der angeführten Textstelle des GG.
    Abs. 4 ebd. formuliert eindeutig, unter welchen Bedingungen der Verteidigungsminister eingetreten ist, ohne dass ein Verfassungsorgan das beschlossen hat.
    Ihre Behauptung, besagter Absatz habe “explizit nur den Fall im Visier, dass „die zuständigen Bundesorgane außerstande“ sind, den Verteidigungsfall festzustellen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn das Reichstagsgebäude selbst in Schutt und Asche liegt und der nach Abs. 2 ersatzweise entscheidungsbefugte Gemeinsame Ausschuss in unterschiedlichen Atomschutzbunkern festsitzt. ” stimmt schon textlich nicht. Sie ist auch eher eine Karikatur der Gegebenheiten eines Krieges, der nach den Doktrinen beider Seiten präventiv mit Salven von Fernwirkwaffen auszutragen begonnen wird. In einem solchen Fall, das sagt Art. 4, muss mit dem Zurückschießen” nicht abgewartet werden, bis die von Ihnen angeführten Verfassungsorgane zusammengetreten sind.

    • Tim Tue 25 Nov 2025 at 08:03 - Reply

      Zusätzlich zu den bereits aufgezeigten Punkten scheint der Beitrag auch davon auszugehen, dass die Ausübung des Verteidigungsauftrags insgesamt von einer vorherigen Bundestagsbefassung abhängt. Das regelt die Verfassung mE anders. Zustimmungs- Spannungs- und verfassungsrechtlicher Bündnisfall dienen der Freischaltung der Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze zur Bedarfsdeckung. Der V-Fall stellt zusätzlich noch die Staatsorganisation um. Lediglich die Heranziehung der Streitkräfte “im Amt der Polizei” im Sinne des Art. 87a Abs. 3 GG bedarf der Feststellung des Spannungs- oder V-Falls, nicht aber die Verteidigung gegen staatsexterne Angriffe militärischer Dimension. Die Gesetzesbegründung zu Art. 87a GG legt dies in bemerkenswerter Klarheit dar.

      • Moritz von Rochow Tue 25 Nov 2025 at 21:11 - Reply

        Lieber Tim,
        es tut mir Leid, dass das in meinem Beitrag aufgrund der Kürzung offenbar etwas untergegangen ist: Ich hatte u.a. geschrieben:

        “Wenn Deutschland tatsächlich angegriffen wird, darf die Bundeswehr nach Art. 87a Abs. 1 GG das Land verteidigen. Um die Rechtslage an diesen Umstand anzupassen, sieht das Grundgesetz den sogenannten Spannungs- oder Verteidigungsfall vor.”

        Hierdurch sollte zum Ausdruck kommen, dass nach Art. 87a das rechtliche Dürfen nicht vom Verteidigungsfall abhängig ist, das tatsächlicher Können hingegen schon. Später wird dies noch deutlicher:

        “Zwar darf die Bundeswehr auch außerhalb des Spannungsfalls begrenzte Verteidigungsaufgaben wahrnehmen (vgl. BVerfGE 90, 286, 386). Allerdings verschafft erst der Bündnis- oder Spannungsfall der Bundeswehr die für eine umfassende Verteidigung nötigen personellen und materiellen Ressourcen, wie sie etwa der bewusst auch auf den zivilen Sektor setzende Operationsplan Deutschland vorsieht. ”

        Der Verweis auf die Tätigkeit im Innern “im Amt der Polizei” i.S.d. Art. 87a Abs. 3 GG ist juristisch korrekt. Hier ergibt sich aber die tatsächliche Problematik, dass das Grundgesetz nicht auf “hybride Kriegsführung” vorbereitet war und diesbezüglich in den Streitkräften erhebliche Unsicherheit besteht: Mit welchem Sicherheitsgrad muss z.B. feststehen, dass es sich bei einer Drohne um ein militärisches Flugobjekt und nicht um ein Hobby-Objekt handelt, für welches die Polizei zuständig wäre? Wie ist mit Saboteuren und Agenten umzugehen? Wer hat welche Eingriffsbefugnisse gegenüber Schiffen der Schattenflotte? (vgl. zu letzterem Problem meinen Beitrag https://verfassungsblog.de/piraterie-ostsee-volkerrecht/). Die im Spannungs- und Verteidigungsfall geltenden “umfassenden” Befugnisse der Bundeswehr zum Einsatz im Innern setzen dem “Kompetenz-Wirrwarr” ein Ende und schaffen auf der operativen Ebene Klarheit.

        Viele Grüße und vielen Dank für den klarstellenden Kommentar, dem ich zumindest aus juristischer Sicht nicht widerspreche.

    • Moritz von Rochow Tue 25 Nov 2025 at 20:53 - Reply

      Sehr geehrter Herr Luhmann,
      auf Absatz 4 bin ich in meinem Text eingegangen. Inwiefern hier ein “Verteidigungsminister” eintreten soll, verstehe ich nicht. Und doch stimmt die von mir getroffene Feststellung. Und meines Erachtens gibt es auch in der gesamten Kommentarliteratur niemanden der das anders sieht: Die Fiktion des Verteidigungsfalles nach Abs. 4 greift erst, wenn die “zuständigen Bundesorgane außerstande sind, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen.” Außerstande meint “unfähig”, nicht unwillig. Ich gestehe Ihnen allerdings zu dass meine Situationsbeschreibung des Bundestags in Schutt und Asche und des Festsitzens in Atomschutzbunkern der literarischen Ausschmückung diente, um den Artikel plastisch und laienverständlich zu machen. Es sind darüber hinaus natürlich zahlreiche weitere Szenarien denkbar, in denen der Bundestag oder der Gemeinsame Ausschuss “außerstande” sind, z.B. Zusammenbruch aller Telekommunikationskanäle. Sie haben insofern Recht, dass mit dem “Zurückschießen”, wie Sie es nennen, nicht gewartet werden muss, bis die Verfassungsorgane zusammengetreten sind. Dies habe ich aber auch deutlich geschrieben: “Zwar darf die Bundeswehr auch außerhalb des Spannungsfalls begrenzte Verteidigungsaufgaben wahrnehmen (vgl. BVerfGE 90, 286, 386). Allerdings verschafft erst der Bündnis- oder Spannungsfall der Bundeswehr die für eine umfassende Verteidigung nötigen personellen und materiellen Ressourcen, wie sie etwa der bewusst auch auf den zivilen Sektor setzende Operationsplan Deutschland vorsieht.” Dies gilt selbstverständlich auch für den Verteidigungsfall, dessen Rechtsfolgen gegenüber dem Spannungsfall ein “mehr” darstellen. Dass die Bundeswehr auch ohne Verteidigungsfall gegen Bedrohungen von außen verteidigen darf, ergibt sich allerdings nicht – wie Sie offenbar meinen – aus Art. 115a Abs. 4 GG, sondern aus Art. 87a Abs. 1, Abs. 2 GG

  3. Mittelwert Sat 22 Nov 2025 at 14:03 - Reply

    Die im Artikel – und offenbar auch im juristischem Schrifttum – vertretene Auffassung zum Anwendungsbereich vom Art. 115a Abs. 4 GG erscheint mir ebenfalls eher realitätsfern. Auch ohne eine Feststellung des Verteidigungsfalles ist zwar die Bundeswehr zur Landesverteidigung befugt, eine möglichst effektive Verteidigung könnte dann aber behindert sein.

    Ob ein Angriff “unmittelbar droht” (oder der Spannungsfall vorliegt), ist sicherlich eine Frage der (politischen) Einschätzung, die eine Entscheidung der Volksvertretung erfordert. Dass im Falle eines tatsächlich stattfindenden Angriffs auf das Bundesgebiet ggf. auch eine Minderheit des Bundestages – wegen der verlangten zwei Drittel der Stimmen – eine Feststellung des Verteidigungsfalles blockieren könnte, sodass zur Durchsetzung einer möglichen Handlungspflicht des Bundestages eine Verfassungsbeschwerde erforderlich wäre, halte ich dagegen nicht für plausibel.
    (Ein Organstreitverfahren bliebe bei einer beharrlichen Sperrminorität wohl wirkungslos. Wenn “ein sofortiges Handeln” im Sinne von Art. 115a Abs. 2 GG nötig ist, wäre eventuell noch denkbar, dass die Regierungsfraktionen mit erforderlicher Unterstützung der Grünen – da wohl die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses anwesend bleiben müssten – gezielt eine fehlende Beschlussfähigkeit im Sinne der GO-BT herbeiführen könnten, um die Entscheidung auf den Gemeinsamen Ausschuss zu verlagern …)

    Bei der Verteidigung gegen einen gegenwärtigen Angriff dürfte vielmehr regelmäßig davon auszugehen sein, dass im Sinne des Art. 115a Abs. 4 GG die “zuständigen Bundesorgane” – Bundestags und Bundesrat oder eventuell der gemeinsame Ausschuss – außerstande sind, den Verteidigungsfall “sofort” (!) festzustellen. Auch wenn beispielsweise die Gesetzgebung gelegentlich vergleichsweise schnell ablaufen kann, ist das parlamentarische Verfahren prinzipiell für Entscheidungen mit einem sofortigen Handlungsbedarf (ich würde da an so etwas wie eine Rufbereitschaft denken, die es etwa in Behörden teils gibt) nicht ausgelegt. Im Zweifel wird sich das Außerstandesein einfach daraus ergeben, dass eine Feststellung des Verteidigungsfalls nicht “sofort” beschlossen wird.

    Wenn gegen einen stattfindenden Angriff auf das Bundesgebiet eine umfassende Verteidigung notwendig werden sollte, würde daher der Bundespräsident schnellstmöglich den Eintritt des Verteidigungsfalles verkünden.
    (Dagegen dürfte, wer das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 115a GG bezweifelt, dann natürlich verfassungsgerichtliche Rechtsmittel ergreifen. Auch ein von einer Minderheitsfraktion eingeleitetes Organstreitverfahren könnte in diesem Fall einen effektiven Rechtsschutz bieten, da eine Feststellung über die Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit dieser Verkündung des Bundespräsidenten genügen würde.)

    • Moritz von Rochow Tue 25 Nov 2025 at 21:36 - Reply

      Vielen Dank für den Kommentar und Ihre sehr anregenden Gedanken!

      Für realitäts- bzw. praxisfern halte ich die Regelung des Art. 115a Abs. 4 GG auch. Dessen Auslegung wird aber m.E. in der gesamten Kommentarliteratur einhellig so gesehen, wie in diesem Beitrag skizziert und entspricht so wohl auch dem Willen des Verfassungsgebers.

      Das gezielte Herbeiführen der Beschlussunfähigkeit ist ein interessantes Szenario. Die Frage ist, ob diese gewollte Übertragung auf den gemeinsamen Ausschuss etwas nützt, da nach Art. 115a Abs. 2 GG und Art. 115e Abs. 1 GG dort ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. In der derzeitigen politischen Konstellation ist diese im GA aber wahrscheinlicher als im BT, da der Gemeinsame Ausschuss aus 32 Bundestagsmitgliedern und 16 Bundesratsmitgliedern besteht, sodass sich trotz gebotener Spiegelbildlichkeit der Bundestagsmitglieder etwas andere Mehrheitsverhältnisse ergeben.

      Die von Ihnen erwogene Rufbereitschaft gibt es. So heißt es in § 6 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschuss: “Die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses und die Stellvertreter haben sicherzustellen, daß sie jederzeit durch den Präsidenten des Bundestages erreichbar sind und auch an kurzfristig einberufenen Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses teilnehmen können.”

      Diese existierende Rufbereitschaft setzt Ihrer weiten Auslegung des “sofort” in Abs. 4 m.E. enge Grenzen, denn aufgrund von § 6 GemAusGO kann der GA üblicherweise sofort zusammentreten. Nach § 12 GemAusGO ist der GA im Übrigen bereits beschlussfähig, wenn “mehr als die Hälfte der Mitglieder oder der Stellvertreter anwesend ist.”

      Als Ausprägung des auch im Notstand geltenden Demokratieprinzips und aufgrund der Erfahrungen mit einem starken Reichspräsidenten ist Ihre Brücke über das “sofort” m.E. vom Verfassungsgeber nicht gewollt. Dahinter steht die Frage, ob der demokratisch gewählte Souverän nicht das Recht haben soll, sich gegen den Verteidigungsfall mit all seinen grundrechtsintensiven Konsequenzen zu entscheiden? In der Literatur ist diese Frage äußerst umstritten. Meine Auffassung dazu ergibt sich aus dem Beitrag. Viele Grüße und nochmals vielen Dank für die interessanten Gedanken.

  4. Peter Camenzind Tue 25 Nov 2025 at 20:25 - Reply

    Die Zulässigkeit von Verteidigung kann sich eventuell mit nach Völkerrecht richten. Eine andere Frage kann die innerstaatlicher bürokratischer Kompetenzen und Verfahren sein. Bei einer (vielleicht völkerrechtlich) zulässigen Verteidigung muss eventuell erstmal dennoch eine Person im Sinne von einer anzunehmenden Drittchutzwirkung unzulässig rechtswidrig in eigenen Rechten verletzt sein. Sonst kann eventuell grundsätzlich zulässige Landesverteidigung vorrangig vor bürokratischen Verfahren scheinen. Bei einer (völkerrechtlich) zulässigen Landesvererteidung kann die strikte Einhaltung innerstaatlicher bürokratische Verfahren ohne klare Verletzung von Einzelnen in ihren subjektiven Rechten unter Umständen eher nachrangig und unwesentlich scheinen? Wenn das Land zulässig verteidigt wurde, kann vielleicht leichter darüber hinweggesehen werden, falls dafür das zunächst grundsätzlich vorgesehene bürokratische Verfahren nicht genau eingehalten wurde. Dies vielleicht zumindest solange dadurch keine subjektiven Rechte von Einzelnen klar verletzt sind?

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