12 November 2025

Wenn Demokratie blockiert wird

Verhinderungsblockaden gegen Veranstaltungen politischer Parteien

Ende 2025 steht in Gießen ein weiterer politischer Showdown bevor: die Gründungsveranstaltung der neuen AfD-Jugendorganisation. Schon im Vorfeld mobilisiert das Netzwerk „Widersetzen“ massiv zu Blockaden, um die Veranstaltung zu verhindern.

Dieser jüngste Fall steht nicht für sich. Verhinderungsblockaden gegen Parteiveranstaltungen sind längst Teil einer neuen Protestpraxis geworden. Was als lauter, demokratisch legitimer Widerspruch begann, zielt zunehmend auf die Verhinderung politischer Betätigung. Wie weit darf ziviler Ungehorsam gehen, bevor er selbst die demokratischen Spielregeln bricht? Und können Verhinderungsblockaden überhaupt noch den Aktionsformen des zivilen Ungehorsams zugeordnet werden? Denn die Betätigungsfreiheit politischer Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG gehört zum tragenden Gefüge der Demokratie. Verhinderungsblockaden, die Parteiveranstaltungen unmöglich machen, überschreiten deshalb die Grenze legitimen Protests, indem sie den demokratischen Prozess untergraben – eine rechtliche und politische Gratwanderung, die dieser Beitrag ausführlich beleuchtet.

Die neuere Entwicklung und Hintergründe zu Gießen

Um die aktuelle Debatte um Verhinderungsblockaden gegen politische Parteien besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf die jüngere Praxis. Inzwischen gehören gezielte Blockadeaktionen zum festen Repertoire politischer Auseinandersetzungen.

So versuchten protestierende Landwirte im Jahr 2024 mehrfach, Veranstaltungen der Grünen zu verhindern. Der politische Aschermittwoch der Partei am 14. Februar 2024 in Biberach musste abgesagt werden, da die Polizei vor Ort die Lage nicht mehr kontrollieren konnte. Traktoren, Sandsäcke und Pflastersteine blockierten Zufahrten zur Veranstaltungshalle; eine teils gewalttätige Menschenmenge griff anfahrende Fahrzeuge und Polizisten an. Die Absage erfolgte in Absprache mit den Sicherheitsbehörden, nachdem die Situation eskaliert war.

 Auch die AfD sieht sich zunehmend mit solchen Blockadeaktionen konfrontiert, etwa bei ihren Parteitagen in Essen und Riesa. In Essen versuchten am 29. Juni 2024 Tausende Demonstranten, die Zufahrten zur Grugahalle in Essen zu blockieren. Dabei kam es teilweise auch zu Übergriffen auf die Polizei. Mehrere Delegierte gelangten nur unter massivem Polizeischutz in die Halle, ein Delegierter musste aus einer ihn bedrängenden Menschenmenge befreit werden. Beim Bundesparteitag am 14. Januar 2025 in Riesa wiederholte sich das Szenario: blockierte Zufahrten, gewaltsame Auseinandersetzungen, ein Großeinsatz der Polizei.

Eine zentrale Rolle bei der Organisation solcher Aktionen spielt das bundesweit aktive „Netzwerk Widersetzen“, das gezielt zur Blockade von AfD-Veranstaltungen aufruft. Auf seiner Website dokumentiert es „Teilerfolge“ wie die Verzögerung früherer Parteitage in Essen und Riesa.

An diese Praxis knüpft nun die Mobilisierung gegen die geplante Gründungsveranstaltung der neuen AfD-Jugendorganisation in Gießen an. Ende November 2025 will die AfD dort ihre Jugendorganisation gründen. Da die Messehalle privat betrieben wird, entfällt der sonst häufige Streit über kommunale Hallennutzungen – die Auseinandersetzung konzentriert sich damit auf den Zugang selbst: Das Netzwerk Widersetzen mobilisiert für eine „erfolgreiche Verhinderung“ auch dieser Veranstaltung. In Aufrufen und Pressekonferenzen kündigt das Netzwerk an, die Zufahrten zur Messehalle zu blockieren. Eine Sprecherin erklärte: „Die einzigen, die wir durchlassen, sind Feuerwehr und Rettungswagen.“ Die Aktion soll gewaltfrei bleiben; zugleich erklärt man Solidarität mit autonomen Gruppen, die – so die Sprecherin – „ihr Ding machen“. Die Polizei bereitet sich in Gießen auf einen der größten Polizeieinsätze der vergangenen Jahre vor. Unterstützung kommt aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei.

Rechtsfragen zu Verhinderungsblockaden

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) befasste sich 2024 mit einer Protestveranstaltung gegen den AfD-Parteitag am 30. Mai 2016 auf dem Gelände der Messe Stuttgart. Mehrere Hundert teils vermummte Personen, größtenteils in schwarzen oder weißen Einmalanzügen, besetzten einen Kreisverkehr in der Nähe der Messe, errichteten Barrikaden, zündeten Pyrotechnik und bewegten sich anschließend auf das Messegelände zu, bis sie von der Polizei eingekesselt wurden.

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hatte die Protestaktion als „Verhinderungsblockade“ eingestuft, die nicht dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Das BVerwG widersprach und bejahte den Schutz der Gegenveranstaltung als Versammlung nach Art. 8 Abs. 1 GG. Eine Veranstaltung mit sowohl meinungsbildenden als auch nichtkommunikativen Elementen im Zusammenhang mit dem Versuch, eine andere Veranstaltung zu verhindern, verliere ihren Versammlungscharakter nur dann, wenn das kommunikative Anliegen offensichtlich bloßer Vorwand sei (Rn. 50). Im konkreten Fall hatten die Teilnehmenden Transparente hochgehalten und Sprechchöre skandiert, wodurch ein politisches Anliegen erkennbar zum Ausdruck kam. Das Gericht verwies insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (Rn. 45 ff.).

Mit dieser Entscheidung hat das BVerwG die bislang bestehenden Unsicherheiten über den Umgang mit Protestaktionen „gemischter“ Zielrichtung in Rechtsprechung und Literatur weitgehend beseitigt. Aus dem jetzt auch vom BVerwG unterstrichenen weiten Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG folgt, dass bei Verhinderungsblockaden vor dem Einsatz polizeilicher Maßnahmen eine versammlungsrechtliche Auflösungsverfügung nach § 15 Abs. 3 VersG (bzw. nach den landesgesetzlichen Regelungen der Bundesländer mit eigenen Versammlungsgesetzen) ergehen muss.

Dafür spricht, dass bei dynamisch verlaufenden Protesten mit vielen Teilnehmenden nicht pauschal von einer Verhinderungsabsicht ausgegangen werden kann. Erst durch eine ausdrückliche Auflösungsverfügung seitens der Polizei wird für alle Beteiligten einer Sitzblockade im Umfeld einer Veranstaltungshalle deutlich erkennbar, dass ab diesem Zeitpunkt die bislang geschützte Demonstration nun als unzulässige Verhinderungsblockade gilt. Damit wird der Polizeirechtsfestigkeit des Versammlungsrechts und der Rechtssicherheit in der gebotenen Weise Rechnung getragen.

Die Notwendigkeit einer Auflösungsverfügung besteht – entgegen der Auffassung des BVerwG (Rn. 56 ff.) – nicht nur bei Verhinderungsblockaden mit kommunikativem Anliegen, sondern auch bei unfriedlich verlaufenden Versammlungen (Rusteberg, Enders/Schwier, NVwZ 2024, 548 (552)).

Verhinderungsblockaden im demokratischen Rechtsstaat

Verhinderungsblockaden, die sich gegen Veranstaltungen zugelassener politischer Parteien richten, beeinträchtigen die den politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 GG gewährleistete Betätigungsfreiheit. Als wesentlicher Bestandteil der demokratischen Ordnung müssen sie ihre Veranstaltungen – insbesondere solche zur innerparteilichen Willensbildung – selbstbestimmt durchführen können. Wenn eine Partei eine Veranstaltung absagen muss, weil die Polizei die Lage mit den vorhandenen Kräften nicht mehr unter Kontrolle bekommt, wie beim politischen Aschermittwoch der Grünen am 14. Februar 2024 in Biberach, ist das ein für den demokratischen Rechtsstaat untragbarer Zustand.

Die Rechtslage stellt sich bezogen auf Veranstaltungen der AfD nicht anders dar. Auch ihr steht – als nicht verbotene Partei – das Recht auf ungehinderte Durchführung von Parteiveranstaltungen zu, so umstritten die Partei in der gesellschaftlichen Debatte auch sein mag. Protestkundgebungen oder kurzzeitige, rein demonstrative Blockadeaktionen sind nach Art. 8 Abs. 1 GG zulässig. Nicht mehr geschützt sind jedoch Versuche, durch eine Art politischer Selbsthilfe ein faktisches Betätigungsverbot gegen die AfD durchzusetzen, mit der Begründung, der Staat gehe nicht entschieden genug gegen eine verfassungsfeindliche Partei vor.

Verhinderungsblockaden gegen Veranstaltungen politischer Parteien unterscheiden sich grundlegend von sonstigen (Sitz-)Blockaden. Sie zielen unmittelbar auf die Verhinderung politischer Betätigung und haben damit eine andere Stoßrichtung als etwa Straßenblockaden im Kontext von Klimaprotesten. Bei diesen steht regelmäßig der Appell an die Politik im Vordergrund – ein symbolischer Eingriff in den Verkehr, um Aufmerksamkeit für politische Ziele zu erzeugen (Herbers). Bereits bei Aktionen der „Klimakleber“ wurden allerdings die Probleme deutlich, wenn mit weiteren Mitteln versucht wird, die Politik zu bestimmten Maßnahmen zu zwingen (Bönnemann; Pfahl-Traughber).

Vor diesem Hintergrund ist die Debatte um die Grenzen zivilen Ungehorsams im demokratischen Rechtsstaat (Habermas, in Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1983, S. 29 ff.) neu entflammt (Bönnemann; Pfahl-Traughber; Akbarian; Moini). Verhinderungsblockaden gegen politische Parteien fallen jedoch schon grundsätzlich nicht unter den Begriff des zivilen Ungehorsams. Ziviler Ungehorsam formuliert normative Appelle und fordert die Korrektur wahrgenommener Missstände – nicht die Verhinderung der politischen Betätigung anderer. Die Blockierung von Zufahrten zu einem Parteitag einer politischen Partei kann deshalb, entgegen dem Verständnis des Netzwerks Widersetzen und anderer Stimmen, nicht als ziviler Ungehorsam gerechtfertigt werden (Kohlstruck).

Ergänzend ist anzumerken, dass sich auch die AfD Baden-Württemberg nach dem abgesagten Parteitag der Grünen in Biberach nur von den Gewalttaten distanzierte und das Geschehen im Übrigen als „Resultat gelebter Demokratie“ rechtfertigte.

Störungsverbot

Aus Art. 8 Abs. 1 GG folgt das Gebot, Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung einer Versammlung zu verhindern. Die Versammlungsfreiheit gewährleistet das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo, und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll (BVerfGE 128, 226 Rn. 75). Die Versammlungsfreiheit muss nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber unzulässigen Beeinträchtigungen durch Dritte geschützt werden. Auch nach § 7 Abs. 1 des 2023 in Kraft getretenen Versammlungsfreiheitsgesetzes (HVersFG) des Landes Hessen, dem für die AfD-Veranstaltung Ende November 2025 in Gießen Bedeutung zukommt, ist es verboten, eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.

Das Störungsverbot bedarf einer verfassungskonformen Auslegung. Gegenveranstaltungen und auch lautstarker Protest bleiben zulässig; unzulässig wird der Protest erst, wenn er faktisch auf die Verhinderung einer anderen Versammlung zielt (Deiseroth/Kutscha, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth (Hrsg.), Versammlungsrecht, 2. A. 2020, Art. 8 Rn. 220 ff.). Geht eine Sitzblockade nach objektiver Lagebeurteilung über den Rahmen einer kurzzeitigen, demonstrativen Aktion hinaus und entwickelt sie sich zu einer Verhinderungsblockade, ist ein polizeiliches Einschreiten geboten. In diesem Fall reduziert sich das Einschreitungsermessen der Polizei auf Null; lediglich hinsichtlich des Zeitpunkts des Eingreifens und der einzusetzenden Mittel verbleibt ein Auswahlermessen (Enders, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, 2. A. 2022, § 2 Rn. 20; Brinsa, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 21 Rn. 23).

Strafrecht und Ordnungswidrigkeiten

Verhinderungsblockaden können sowohl den Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) als auch spezielle versammlungsrechtliche Strafnormen erfüllen. Nach § 21 VersG macht sich strafbar, wer in der Absicht, eine Versammlung zu verhindern oder zu vereiteln, grobe Störungen verursacht – was bei Verhinderungsblockaden regelmäßig der Fall ist (Enders, in: Dürig-Friedl/Enders (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 21, Rn. 5; Brinsa, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 21, Rn. 13). Entsprechendes gilt für § 25 Abs. 1 Nr. 1 des hessischen VersFG, der erhebliche Störungen einer Versammlung unter Strafe stellt.

Ein einfaches Störverhalten kann dagegen eine noch versammlungsadäquate Handlung darstellen, oder als bloße Ordnungswidrigkeit nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 HVersFG geahndet werden. Auch wer einer vollziehbaren Auflösungsverfügung nicht unverzüglich Folge leistet, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG, § 26 Abs. 1 Nr. 13 HVersFG).

In der Praxis kommt es bei Verhinderungsblockaden eher selten zu einer strafrechtlichen Verfolgung nach den speziellen versammlungsrechtlichen Strafbestimmungen. In diesen Fällen wird vorrangig auf § 240 StGB abgestellt (Groscurth, in: Peters/Janz (Hrsg.), Handbuch Versammlungsrecht, 2. A. 2021, G Rn. 57; zu einzelnen Anwendungsfällen z.B. OLG Karlsruhe 2020,1) VerfGH Sachsen 2015). Während bei Klimaprotesten eine restriktive Anwendung der Vorschrift geboten ist (Hong, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 15 120 ff.), kann die gezielte Verhinderung politischer Veranstaltungen zwecks unmittelbarer Durchsetzung eigener Forderungen als Nötigung im Sinne des § 240 StGB gewertet werden (BVerfG, Beschl. v. 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90). Solche Blockaden sind in der Regel als verwerflich, § 240 Abs. 2 StGB, einzustufen; im Einzelfall kann bei nur kurzer Dauer auch ein bloßer Bagatellverstoß vorliegen (Renzikowski, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 240, Rn. 70, 72).

Fazit

Verhinderungsblockaden, die Parteiveranstaltungen unmöglich machen, greifen in die durch Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Betätigungsfreiheit politischer Parteien ein – einem zentralen Bestandteil der demokratischen Ordnung. Sie sind daher keine legitime Form des Protests. Auch als Akt zivilen Ungehorsams lassen sie sich nicht rechtfertigen. Die gezielte Einschränkung der politischen Betätigung von Gegnern gehört nicht zu den moralisch begründbaren Regelverletzungen im Sinne dieses Konzepts. Gerade in Zeiten wachsender Anfeindungen gegen den liberal-demokratischen Rechtsstaat ist entscheidend, dass seine Spielregeln – einschließlich der Freiheit politischer Betätigung – konsequent gewahrt werden.

Redaktionelle Notiz: Die erläuternde Fußnote wurde nachträglich eingefügt, da der Beitrag einen Tag vor der einschlägigen Entscheidung des BVerfG (1 BvR 2428/20) erschienen ist.

References

References
1 Das BVerfG hat mit Beschl. v. 1. Oktober 2025 – 1 BvR 2428/20, veröffentlicht am 13. November 2025, eingehend zur Frage von Verhinderungsblockaden Stellung genommen, insbesondere auch zu strafrechtlichen Sanktionen. In dem Verfahren ging es um eine Verfassungsbeschwerde gegen eine amtsgerichtliche Verurteilung nach § 21 VersG zu einer Geldstrafe und die Entscheidung des OLG Karlsruhe, das die Revision für unbegründet verworfen hatte. Der Beschwerdeführer hatte mit weiteren Teilnehmern einer Sitzblockade versucht, die planmäßige Durchführung eines Aufzugs einer Vereinigung zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ zu vereiteln, und wurde nach Auflösung der Versammlung von Polizeikräften an den Straßenrand gedrängt. Das BVerfG bekräftigt, dass auch bei einer Gegendemonstration, die auf die Störung einer anderen Versammlung gerichtet ist, der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist, wenn die Gegendemonstration kommunikative Elemente etwa in Form von Sprechchören oder Plakaten aufweist. Das BVerfG stellt aber zugleich fest, dass § 21 VersG einschließlich der darin enthaltenen Sanktionsnorm verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, und hat die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Der einstimmig ergangenen Entscheidung des BVerfG kommt große Bedeutung zu, da das BVerfG damit die Unzulässigkeit von Verhinderungsblockaden gegen anderen Versammlungen bestätigt und Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 21 VersG entgegentritt.

SUGGESTED CITATION  Hecker, Wolfgang: Wenn Demokratie blockiert wird: Verhinderungsblockaden gegen Veranstaltungen politischer Parteien, VerfBlog, 2025/11/12, https://verfassungsblog.de/wenn-demokratie-blockiert-wird/, DOI: 10.17176/20251113-142133-0.

6 Comments

  1. Beichel-Benedetti Thu 13 Nov 2025 at 17:23 - Reply

    Gerade entschieden, hat nur fünf Jahre gebraucht. – 1 BvR 2428/20 –

    Diese Zeit haben die Verwaltungsgerichte in den regelmäßig als Eilverfahren aufploppenden Streitfällen nicht. Grund genug eine gewisse Zurückhaltung des BVerfG in solchen Fällen anzumahnen.

  2. Victor Loxen Thu 13 Nov 2025 at 17:56 - Reply

    Sehr geehrter Herr Hecker,

    abgesehen von Fragen der politischen Klugheit, die man hinsichtlich der Blockaden sicherlich stellen kann, scheinen mir zwei konkrete Punkte zweifelhaft:

    1. Wie können Grundrechtsträger, die ihrerseits grundsätzlich nicht an Grundrechte gebunden sind, in die Betätigungsfreiheit politischer Parteien “eingreifen”? Das scheint mir eine Angelegenheit des einfachen Rechts zu sein, innerhalb dessen (§ 240 Abs. 2 StGB) Art. 21 Abs. 1 GG allenfalls mittelbar eine Rolle spielen könnte.

    2. Der “zivile Ungehorsam” ist kein juridischer Rechtfertigungsgrund und will es auch nicht sein. Er bricht das Recht bewusst zwecks ethischem Appell. Weshalb es dann kein appellfähiger Missstand sein kann, dass der AfD just ihre Betätigungsfreiheit aufgrund eines ausbleibenden Verbots noch zusteht, ist mir nicht einsichtig.

    Mit freundlichen Grüßen
    Victor Loxen

    • Wolfgang Hecker Wed 26 Nov 2025 at 17:03 - Reply

      Sehr geehrter Herr Loxen,

      1) Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung vom 13.11.2025 bestätigt, dass Verhinderungsblockaden unzulässig sind, und auch strafbar sein können. Staatliche Eingriffe in Form polizeilichen Vorgehens gegen Teilnehmer einer Verhinderungsblockade sind nach dieser Entscheidung grundrechtlich gerechtfertigt. Das BVerfG betont im Rahmen der Grundrechtsabwägung, dass das Recht, seine Meinung kundzutun nicht zu einem Mittel werden darf, andere Menschen mit anderen Überzeugungen „an der Wahrnehmung desselben Rechts zu hindern, und der Gesetzgeber die Versammlungsfreiheit auch mit strafrechtlichen Sanktionen wie § 21 VersG schützen darf (Rn. 177 ff.). Geschützt wird die Versammlungsfreiheit anderer nach Art. 8 Abs. 1 GG und speziell auch die Betätigungsfreiheit politischer Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 GG.

      2) In der gesellschaftlichen Debatte wird es von vielen Stimmen für problematisch erachtet, dass gegen die AfD bislang kein Verbotsverfahren eingeleitet wurde, und der AfD aus diesem Grund die Freiheit zur parteipolitischen Betätigung nicht verwehrt werden kann. Deshalb wird die Forderung nach einem Verbot der AfD erhoben, auch in Protestkundgebungen. Der Beitrag stellt nicht in Frage, dass sich dabei um ein appellfähiges Thema handelt, das auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams aufgegriffen werden kann, macht aber darauf aufmerksam, dass Verhinderungsblockaden deutlich über einen bloßen demonstrativen Appell an die Politik hinausgehen. Verhinderungsblockaden liegt die Intension zu Grunde, eine Versammlung anderer zu behindern oder zu vereiteln. Der AfD soll auf diese Weise auch ohne ein Verbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 4 GG das Recht zur politischen Betätigung im Wege der Selbstvornahme genommen werden. Ein derartiger Versuch der unmittelbaren Durchsetzung eigener Vorstellungen geht über einen demonstrativen Appell im Sinne des zivilen Ungehorsam hinaus. Dadurch unterscheiden sich Verhinderungsblockaden von mit einem begrenzten Rechtsbruch verbundenen Appellen wie etwa im Zusammenhang mit Forderungen nach mehr Klimaschutz. Die Infragestellung der Versammlungsfreiheit für alle ist in der demokratischen Rechtsordnung des Grundgesetzes rechtlich unzulässig, stellt aber auch keinen legitimen Protest nach einem liberalen Verständnis zivilen Ungehorsams dar. Die im Beitrag behandelten Fälle von Verhinderungsblockaden machen zudem deutlich, dass es bei dieser Frage nicht nur um die AfD, sondern um eine Grundsatzfrage der Freiheit politischer Betätigung in der Demokratie geht.

      Mit freundlichen Grüßen

      Wolfgang Hecker

  3. Peter Camenzind Tue 25 Nov 2025 at 18:30 - Reply

    im Artikel heißt es wohl, Versammlungen sollen nach der Rechtsprechung grundsätzlich als Demonstration geschützt sein, wenn die Meinungsäußerung nicht bloßer Vorwand ist,oder so ähnlich. Danach kann eine solche Versammlung unter Umständen nur bedingt verboten und strafbar sein, wenn diese grundsätzlich als Demonstration geschützt und zulässig und daher wohl eventuell grundsätzlich gerechtfertigt sein kann?

    • Wolfgang Hecker Fri 28 Nov 2025 at 09:41 - Reply

      Die spezielle verfassungsrechtliche Bearbeitung derartiger Fälle kann Missverständnisse auslösen. Die Zuordnung von Verhinderungsblockaden zum Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG beim Vorliegen kommunikativer Elemente bedeutet nur, dass staatliche Eingriffe überhaupt am Maßstab des Art. 8 Abs. 1 GG zu messen sind, beinhaltet aber keine Aussage über die Zulässigkeit einer Verhinderungsblockade. Dies entscheidet sich erst bei der weiteren Prüfung der Rechtfertigung eines staatlichen Eingriffs. Auch das BVerfG kommt in der neuen Entscheidung zu dem Ergebnis, dass das Recht, seine Meinung gemeinschaftlich anderen öffentlich kundzutun, nicht zu einem Mittel werden darf, „andere an der Wahrnehmung desselben Rechts zu hindern“. Das BVerfG erachtet es deshalb auch als zulässig, dass eine Verhinderungsblockade (wie in dem konkreten Fall der Entscheidung) strafrechtlich nach § 21 VersG verfolgt wird. Von der Strafrechtsbestimmung des § 21 VersG gehe zwar eine „durchaus gravierende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit“ für eine störenden Gegenversammlung aus, die aber bei der Gesamtabwägung hinter der Versammlungsfreiheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der gestörten Versammlung zurücktreten müsse (Rn. 174 ff., 179).
      Fazit: Verhinderungsblockaden sind nach der Entscheidung des BVerfG niemals rechtlich zulässig, ein polizeiliches Einschreiten ist gerechtfertigt (und sogar geboten), und Verhinderungsblockaden können auch strafrechtlich verfolgt werden.

      • Peter Camenzind Mon 1 Dec 2025 at 21:12 - Reply

        Die Abgrenzung kann eventuell mitunter noch etwas schwierig sein. Wie ist es, wenn bei einer zunächst grundsätzlich zulässigen Gegendemonstration vielleicht die Sicherheit der Versammlung nicht mehr genügend gewährleistet werden kann und eine Versammlung daher aufgelöst wird, oder ähnliches?

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