Zementierte Privilegien
Schützt die Wissenschaftsfreiheit die hergebrachten Grundsätze der Ordinarienuniversität?
Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem Beschluss vom 25. Juni 2025 entschieden, dass die Pflicht zur Abgabe einer Anschlusszusage bei promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verstößt, weil das Land keine Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht habe. Zur Frage der Verteilung der Kompetenzen, die auf der Ebene der Rechtfertigung geprüft wird, kann das Gericht aber nur kommen, wenn es begründet, warum eine staatliche Hochschule in dieser Konstellation überhaupt Grundrechtsträgerin ist und worin der Eingriff in ihre Rechte liegt. Die Begründung des Senats zu diesen beiden Punkten ist extrem dürftig und zementiert im Ergebnis die Personalstruktur der Ordinarienuniversität.
Die Wissenschaftsfreiheit als Recht einer staatlichen Hochschule
Die Wissenschaftsfreiheit ist wie alle Grundrechte zunächst einmal ein Recht natürlicher Personen, d.h. der einzelnen Forschenden und Lehrenden. Damit sich eine staatliche, durch Gesetz gegründete Einrichtung auf sie berufen kann, müssen zwei Hürden überwunden werden. Zum einen muss das Grundrecht überhaupt auf Personengesamtheiten angewendet werden können. Dafür bietet Art. 19 Abs. 3 GG die wenig hilfreiche Formel an, dass die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Sie wird in der Rechtsprechung sehr großzügig ausgelegt, so dass inzwischen die meisten Grundrechte davon erfasst werden.
Dass die moderne wissenschaftliche Forschung in aller Regel nur in Kollektiven durchgeführt werden kann, weil sie große Ressourcen braucht und viele Fragestellungen nur in Teams bewältigt werden können, ist selbstverständlich. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Lehre, die fast ausschließlich im Rahmen von Hochschulen erfolgt und ohne deren Organisationsleistung gar nicht möglich wäre. Deshalb ist es an sich unstrittig, dass sich Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG berufen können.
Nicht ganz so einfach ist aber der zweite Schritt, die Begründung der Grundrechtsberechtigung einer staatlichen Hochschule. Diese sind in Berlin nach § 2 Abs. 1 S. 1 BerlHG Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen, wie auch in vielen anderen Bundesländern. Zu den staatlichen Angelegenheiten gehört nach § 2 Abs. 3 S. 1 BerlHG u.a. die Personalverwaltung. Auch dies ist eine Regelung, die in der Tradition der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden Doppelnatur der Universitäten steht und sich ebenfalls in anderen Ländern findet (z.B. § 47 S. 2 Nr. 1 NHG).
Es müsste nun also nachgewiesen werden, dass der staatliche Gesetzgeber nicht das Recht hat, ein Teilelement der bisherigen Personalstruktur der staatlichen Hochschulen zu verändern, weil er damit in die Rechte der von ihm selbst geschaffenen Einrichtung eingreift. Der Senat verzichtet jedoch im Rahmen der Beschwerdebefugnis vollständig auf eine eigene Begründung, sondern verweist allein darauf, dass die Antragstellerin die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte hinreichend substantiiert habe und verweist dabei insbesondere auf die Förderung des Nachwuchses und den Erhalt des wissenschaftlichen Exzellenzstatus (Rn. 15).
Später (Rn. 21) belegt der Senat seine Auffassung, dass sich Hochschulen gegen staatliche Maßnahmen wenden können, die ihren Freiraum in den die Forschung und Lehre unmittelbar berührenden Angelegenheiten beeinträchtigen. Der Senat führt hierfür zwei Entscheidungen an, die aber andere Konstellationen betrafen, nämlich im grundlegenden Hochschulurteil von 1973 eine Verfassungsbeschwerde von Professoren und im zweiten Fall von 2016 eine Vorlage im Rahmen eines Streits zwischen einer privaten Hochschule und einer Akkreditierungsagentur. Der Beschluss nennt zwar auch den soweit ersichtlich einzigen Fall, in dem eine Verfassungsbeschwerde einer staatlichen Universität für zulässig angesehen wurde (BVerfGE 15, 256), dort ging es aber um eine Einzelentscheidung eines Ministeriums im Rahmen eines Berufungsverfahrens, nicht um eine gesetzliche Regelung. Auch die für die Wissenschaftsrelevanz von Entscheidungen über wissenschaftliche Mitarbeiter genannten Entscheidungen betrafen durchgehend andere prozessuale Konstellationen.
Zur Begründung, warum die gesetzliche Pflicht, allen zur Qualifizierung befristet eingestellten promovierten wissenschaftlichen Mitarbeitern eine auf eine Dauerbeschäftigung gerichtete Anschlusszusage zu erteilen, in die Wissenschaftsfreiheit eingreift, verweist der Beschluss nur knapp darauf, dass sie den Hochschulen die Möglichkeit nimmt, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob und welche promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sie nach erfolgreichem Abschluss der Qualifikationsphase weiter beschäftigen (Rn. 22). Dies verkürze die Freiheit der Hochschulen zur Auswahl des wissenschaftlichen Personals.
Die Schutzrichtung der kollektiven Wissenschaftsfreiheit
Im Ergebnis verbietet das Bundesverfassungsgericht den Landesgesetzgebern, die Entfristung von promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen zum Regelfall zu machen. Damit wird die herkömmliche Personalstruktur der Ordinarienuniversität zementiert, die nur für Professor*innen eine Dauerstellung vorsieht, während alle anderen Kategorien des wissenschaftlichen Personals in der Unsicherheit befristeter Stellen gehalten werden. Das Gericht übernimmt ohne weiteres die despektierliche Bezeichnung als „Nachwuchs“, eine Bezeichnung, die wissenschaftliches Personal mit Kindern gleichsetzt, und suggeriert damit, dass für alle diese Gruppen die Qualifikation nur im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses von den Professor*innen erfolgen kann.
In Wirklichkeit geht es aber natürlich um die Dienstleistungen, die von ihnen erwartet werden. Dies benennt die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch durchaus offen, wenn sie anführt, dass der (durch die Zunahme unbefristeter Stellen) befürchtete Mangel an Qualifikationsstellen auch ein Hindernis im Wettbewerb um Professoren bedeute, die regelmäßig ihr wissenschaftliches Personal „mitbringen“ oder selbst aussuchen wollten (Rn. 6). Welchen Einfluss der Exzellenzstatus auf die Freiheit der Wissenschaft haben könnte, bleibt gänzlich im Dunkeln. Dabei handelt es sich um einen befristeten Wettbewerb um zusätzliche staatliche Mittel, im dem der Erfolg der antragstellenden Universität keineswegs garantiert ist.
Damit wird einmal mehr deutlich, dass in Deutschland die Wissenschaftsfreiheit allein aus der Perspektive der Professor*innen betrachtet wird. Obwohl an sich anerkannt ist, dass sich alle wissenschaftlich Tätigen auf Art. 5 Abs. 3 GG berufen können, wird nur dieser Personalkategorie das maßgebliche Bestimmungsrecht in den Hochschulgremien zugewiesen und nunmehr auch das Weisungsrecht gegenüber den Mitarbeiter*innen in den Schutzgehalt der Wissenschaftsfreiheit einbezogen (zu den Schwierigkeiten der grundrechtlichen Konstruktion Groß, in Broemel/Kuhlmann/Pilniok [Hrsg.], Forschung als Handlungs- und Kommunikationszusammenhang, 2023, S. 41 ff.). Allein die Gefahr, dass sich das für Dienstleistungen zur Verfügung stehende Personal verringert, reicht schon aus, um einen Eingriff in die kollektive Wissenschaftsfreiheit zu begründen. In Wirklichkeit geht also gar nicht um ein Recht der Hochschule insgesamt, sondern um die Verteidigung eines professoralen Privilegs.
Man fragt sich nur, wie die Universitäten im angelsächsischen Raum und in vielen anderen Ländern international erfolgreiche Lehre und Forschung durchführen können, obwohl sie eine ganz andere Personalstruktur haben. Dort ist regelmäßig der erfolgreiche Abschluss der Promotion der entscheidende Schritt zur wissenschaftlichen Selbstständigkeit und zu einer Dauerstelle, z.B. als Lecturer oder Assistenzprofessor*in. Das schließt eine weitere Karriere zu einer (vollen) Professur keineswegs aus, macht sie aber nicht zur Voraussetzung für eine permanente Beschäftigung im Hochschulsystem. Hier rächt sich, dass das Bundesverfassungsgericht auch in neuerer Zeit sehr eklektisch mit rechtsvergleichenden Erkenntnissen umgeht. Man hätte sonst erkennen können, dass sich freie Wissenschaft auch anders organisieren lässt.