Zur falschen Zeit am falschen Ort – Reform des Investitionsrechts auf Abwegen
Eine Lösung auf der Suche nach dem Problem?
Eine im Umfang einzigartige wechselseitige Investitionstätigkeit prägt seit Jahrzehnten die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Sie hat sich über die Jahre als wesentlich problemloser erwiesen als der Handel, der mit dem Vorhaben einer transatlantischen Handels- und Investitionsinitiative (TTIP) in vieler Hinsicht erleichtert werden kann. Das kann man von dem Investitionskapitel in dem jetzt verhandelten Abkommen kaum sagen. Dass die in diesem Kapitel vorgesehenen Regeln zum Investitionsschutz die erfreuliche Investitionstätigkeit spürbar weiter fördern könnten oder müssten, behauptet kaum jemand. Wäre es anders, müsste man erstaunt fragen, warum die USA und die Europäischen Union bzw. ihre Mitgliedstaaten abgesehen von wenigen Sonderfällen in der Vergangenheit keine Investitionsschutzabkommen geschlossen haben, wie sie es mit vielen anderen Staaten taten. Es gibt auch keinen rechtssystematischen Grund, in ein Freihandelsabkommen Investitionsbedingungen aufzunehmen. Jedenfalls haben beide Seiten – bzw. auf der europäischen Seite die Mitgliedstaaten der EU vor Lissabon – Handel und Investitionen durchaus auch in anderen Formen verhandelt und vereinbart. Warum also nehmen sich die Beteiligten für ihr transatlantisches Abkommen einen so schweren Brocken vor, obwohl sich gerade dagegen die starke Kritik einer dem Vorhaben gegenüber im Übrigen vorsichtig aufgeschlossenen Öffentlichkeit richtet? In der Fachöffentlichkeit hat diese Frage bisher kaum eine Rolle gespielt. Dasselbe gilt für die jüngst abgehaltenen Konsultationen der Europäischen Kommission.
Eine europäische Reformagenda und ihre Möglichkeiten
Im Vordergrund stand vielmehr auch in den Konsultationen der Europäischen Kommission die Frage des Reformbedarfs des internationalen Investitionsrechts und die Sinnhaftigkeit der vielen diskutierten Einzelvorschläge. Die mit der jüngst begonnenen Konsultation erfreulicherweise offengelegten Texte – unter anderem aus dem schon weit fortgeschrittenen Entwurf eines europäisch-kanadischen Abkommens (CETA) – sind erwägenswert: klärende Definitionen zu den Tatbeständen der indirekten Enteignung und der fairen und gerechten Behandlung finden sich dort ebenso wie eine Betonung der nationalen Regulierungsautonomie und Regeln zur Transparenz der Schiedsverfahren und schließlich Vorkehrungen gegen eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Klagemöglichkeiten. In der Tat: die Dokumente der Kommission weisen den Weg zu einer Reform des internationalen Investitionsrechts, das in seiner Entwicklung in letzter Zeit zunehmend und zu Recht in die Kritik geraten ist.
Seit dem Vertrag von Lissabon ist die Europäische Union mit der entsprechenden Kompetenz ausgestattet, diese Reform auf internationaler Ebene wirkungsvoll voranzubringen: die Europäische Union kann ein eigenes reformiertes Modell des internationalen Investitionsrechts entwickeln und schrittweise bei der Ablösung der Altverträge der Mitgliedstaaten zur Geltung bringen. Da die meisten Reformvorschläge auf eine Besserstellung der Gaststaaten zielen, darf ein solches Vorgehen auf Zustimmung der potentiellen Vertragspartner zählen. Die Chancen, dass ein solcher Modellvertrag der EU innerhalb durchaus absehbarer Zeit prägende Bedeutung für das internationale Investitionsrecht entfalten würde, sind nicht schlecht.
Hier liegt also kaum ein Grund, das Investitionsrecht in reformatorischer Absicht gerade im TTIP vorzusehen. Zwar hört man gelegentlich, dass ein reformiertes Investitionskapitel auch im aktuellen Eigeninteresse der Europäischer Union oder einiger ihrer Mitgliedstaaten liegen könne, wenn es die Inanspruchnahme seitens amerikanischer Investoren wirksam einschränken könnte. Ob dafür überhaupt die Möglichkeit besteht, mag auf sich beruhen. Gäbe es hier Grund zu Befürchtungen, wäre es auch bei Würdigung der enormen amerikanischen Investitionstätigkeit nicht damit getan, eine Regelung mit den USA zu suchen, wie die beiden letzthin und auch hier breit diskutierten Einzelfälle deutlich machen.
Investitionsschutz als globaler Standard?
Warum also soll das Reformvorhaben ausgerechnet in einem europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen seine Premiere erleben, wo sein direkter Nutzen mehr als fraglich ist und mit Blick auf die weitergehenden amerikanischen Vorstellungen – etwa zu einem pre-establishment-Schutz – möglicherweise schwierige Kompromisse geschlossen werden müssen? Nach übereinstimmenden Erklärungen geht es weniger um das engere europäisch-amerikanische Wirtschaftsfeld, als vielmehr darum, einen globalen Standard zu setzen. Das TTIP hat mit seinem enormen ökonomischen und geopolitischen Gewicht das Potential zum game-changer in einem Geleitzug von Verhandlungen, die die USA und die EU mit zahlreichen weiteren Parteien führen und die am Ende sehr wohl die Landschaft der internationalen Wirtschaftsordnung tiefgreifend verändern wollen.
Erst beim zweiten Hinsehen wird deutlich, dass mit dem Begriff “Standard” hier die unterschiedslose und globale Geltung des Investitionsrechts gemeint ist. Darin liegt eine Tendenzwende. Die bisherige Vertragspraxis im internationalen Investitionsschutzrecht war zwar umfangreich, aber nicht wahllos. Was eingangs für die EU und ihre Mitgliedstaaten einerseits und die USA andererseits ausgeführt worden ist, lässt sich generalisieren: es gibt Investitionsschutzregeln zwischen Industriestaaten – aber sie sind eher besonderen Umständen oder Präferenzen geschuldet und kaum die Regel. Darauf hat die Bundesregierung zu Recht hingewiesen.
Das könnte auf sich beruhen, wenn man die Regeln des Investitionsrechts als inhaltsgleiche Minimalgarantien einer rechtsstaatlichen Wirtschaftsverfassung ansehen könnte, die in den Industrieländern übererfüllt werden und deswegen redundant sind.
Ja, das internationale Investitionsrecht ist aus der Warte der Industriestaaten wohl oft als eine Art Gütesiegel marktwirtschaftlicher Investitionsordnung propagiert worden. Dazu hat auch beigetragen, dass die Verträge regelmäßig spiegelbildlich angelegt sind und deswegen formal beide Seiten als Gast- und als Heimatstaaten von Investoren sehen und gleichen Verpflichtungen unterwerfen.
“Dulde und liquidiere?” Unzeitgemäße Erinnerung an den freiheitlichen Sinn des Eigentums und die europäischen Grundrechte
Trotzdem: das internationale Investitionsrecht kann kaum als global standardisierungsfähige Kernsubstanz eines rechtstaatlichen Investorenschutzes gelten, die in Fällen mangelnder rechtstaatlicher Garantien hilfreich ist und ansonsten ohne weitere Wirkung zurücktritt. Eher ist das Investitionsschutzrecht ein sinnvoller Behelf des internationalen Wirtschaftsrechts, der im Interesse an Wachstum und Entwicklung ausländische Investitionen um den Preis ermöglicht, dass die als nicht ausreichend vertrauenswürdig erachtete Rechtsordnung im Gaststaat mit ihrem Anwendungsanspruch weitgehend zugunsten einer internationalisierten Entschädigungsregelung mit eigenen Rechtsdurchsetzungsinstrumenten zurückgedrängt wird. Das dürfte in vielen Fällen geradezu zwingend sein, und das internationale Investitionsrecht hat hier seine Daseinsberechtigung.
Anders sieht es zwischen Partnern aus, die sich etwas auf ihre offene Wirtschaftsverfassung und ihre weitere Vervollkommnung zugute halten und ihre Wirtschaftsräume mit einem ambitionierten Abkommen weiter zusammenführen wollen, wie es erklärtermaßen Ziel des TTIP ist. Damit lässt sich schon schwer vereinbaren, dass das Investitionsrecht eine scharfe Positivdiskriminierung zugunsten ausländischer Unternehmen schafft und damit dem Prinzip der Wettbewerbsgleichheit entgegenläuft. Aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts fällt weiter auf, dass das Investitionsrecht zudem auf das Motto des “Dulde und liquidiere” hinausläuft, dem vor etwas mehr als dreißig Jahren das Bundesverfassungsgericht im seinem Nassauskiesungsbeschluss (BVerfGE 58, 300) von 1981 eine klare Absage erteilt hat: in einer entwickelten freiheitlichen Eigentumsordnung hat die Abwehr des beschränkenden staatlichen Eingriffs im Individual- und Gemeinschaftsinteresse Vorrang vor der Kompensation. Schließlich ist daran zu erinnern, dass das Gericht in seinem Beschluss auf die zentrale Bedeutung des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Sozialbindung und der Grenzziehung zur Enteignung hingewiesen hat. Die Anerkennung und Vertretung von Gemeinschaftsinteressen durch eine demokratisch verantwortete Ausgestaltung des Eigentums sowie eine klare Grenzziehung zur Enteignung sind seitdem ebenso wie der Grundsatz der primären Durchsetzung der Eigentumsfreiheitsinteressen durch die Gerichte zentrale Elemente des Wirtschaftsverfassungsrechts. Ihnen ist im europäischen Raum – durchaus auch im Interesse der Investoren – durch die Entwicklung eines entsprechenden menschenrechtlichen Schutzes in Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK und die Ausprägung eines Grundrechts durch die Rechtsprechung des EuGH und die Grundrechtecharta Rechnung getragen worden. Auf der Suche nach einem ambitionierten Regelungselement könnten sich die Verhandlungspartner des TTIP hier inspirieren lassen. Die wenigen Andeutungen, die die Kommission in dem Konsultationspapier zu Frage 7 zur Frage der Rolle nationaler Gerichte gemacht hat, dürften dem allerdings kaum gerecht werden.
Die Kopplung von Handel und Investitionsschutz als „Standard“?
Zusammengefasst: Warum sollte man ein verfassungs- und ordnungspolitisch problematisches Schutzinstrument wegen eines Reforminteresses, das anders ebenso gut oder sogar besser realisiert werden kann, ohne erkennbaren bilateralen wirtschaftlichen Nutzen durchsetzen? Mangels anderer Gründe liegt es nahe, den Sinn eines Investitionskapitels im TTIP in der beispielgebenden und „standardsetzenden“ Verknüpfung von Investitionsschutz und Handelspräferenzen zu vermuten. Das wäre eine neue Konditionalität in der Handelspolitik. Sie könnte darauf hinauslaufen, dass Handelspräferenzen nur noch unter der Bedingung angeboten werden, dass ein dem Investitionskapitel entsprechender Investitionsschutz vereinbart wird. Wäre dem so, wüsste man darüber gerne mehr.
Die Kunst des linkage
Das internationale Wirtschaftsrecht ist institutionell und substantiell sehr viel volatiler als andere Teilrechtsordnungen des Völkerrechts. Regelungsmaterien werden in verschiedenen institutionellen Kontexten und auf verschiedenen Ebenen vorangetrieben, parallelisiert, modifiziert, isoliert oder kombiniert. Dahinter stehen Machtkonstellationen, die oft ebenso flüchtig sind und in vielen Fällen kaum abschließend nachvollzogen werden können. Dies gilt besonders in Zeiten des Umbruchs, in denen intensive Verhandlungsprozesse geführt werden, die von außen kaum hinreichend erschlossen werden können. Aufmerksamkeit ist geboten, wenn Verknüpfungen zwischen Regelungsbereichen hergestellt und “Standardisierungen” angestrebt werden.
[…] Investoren in den TTIP-Staaten sicherlich nicht gesprochen werden (zur ökonomischen Interessenlage Stoll). Was nicht-westliche Staaten anbetrifft, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Diesen […]
[…] Ob dieser fundamentalen Kritik überrascht es nicht, dass das gegenwärtig sozialdemokratisch geführte Bundeswirtschaftsministerium sich nun an die Spitze eines europäischen Reformvorschlages stellt. So war in den letzten Tagen vielerorts zu vernehmen, der Bundeswirtschaftsminister prüfe die Neuverortung des TTIP-Investitionsschutzes auf der Ebene einer echten übernationalen Gerichtsbarkeit (siehe hier und hier). Dabei ist er sich in dieser Sache mittlerweile im Grundsatz auch mit seinen sozialdemokratischen Kollegen auf europäischer Ebene einig. Auch das Auswärtige Amt hält diesen Ansatz wohl für politisch gangbar. Schließlich könnte auf diesem Wege gleichsam neuer Schwung in den schon vor Jahren gescheiterten Versuch der Schaffung eines multilateralen Investitionsschutzrechts gebracht werden (hierzu Schill). Zwar geht es gegenwärtig noch „lediglich“ um die bilaterale Ebene zwischen der EU und den USA. Dennoch käme einem echten Investitionsschutzgerichtshof zwischen den beiden Wirtschaftsräumen wohl eine nicht zu unterschätzende faktische Sogwirkung zu (hierzu Stoll). […]