Zutritt verboten
Zu einem hausrechtlichen Zutrittsverbot für Verfassungsfeinde im Deutschen Bundestag
Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks beschäftigen die AfD-Bundestagsfraktion und ihre Abgeordneten über 100 Mitarbeitende, die sich in Organisationen engagieren, deren Zielsetzungen und Betätigungen die Ämter für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich einstufen. Die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas plädierte bereits für strengere Regelungen zum Schutz des Deutschen Bundestages. „Extremisten gleich welcher Couleur, die aktiv und gezielt auf die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinarbeiteten, dürften nicht im Bundestag ein- und ausgehen.“ Gleichzeitig warnte sie vor „schlecht vorbereiteten Schnellschüssen.“
Das Hausrecht im Bundestag dient zwar nicht dem Verfassungsschutz, sondern der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Bereits jetzt kann aber eine verfassungsfeindliche Gesinnung im Rahmen einer individuellen Gesamtwürdigung zu einer Versagung des Zutrittsrechts führen. Gehen Verfassungsfeindlichkeit, Gewaltaffinität und Verschwörungstheorien zunehmend Hand in Hand, ist die Verfassungsfeindlichkeit ein immer gewichtigeres Indiz, um auf parlamentsbeeinträchtigende Verhaltensweisen zu schließen.
Ordnungs-, Haus- und Polizeigewalt der Bundestagspräsidentin
Über den Zutritt zu den Räumlichkeiten des Deutschen Bundestages entscheidet die Bundestagspräsidentin. Dies ist Ausfluss des Hausrechts, das Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG in ihre Hände legt. Gemeinsam mit der Polizeigewalt in Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG schirmt das Hausrecht den parlamentarischen Ablauf vor Eingriffen der Exekutive, der Judikative und Dritter ab.1)Es sichert die Parlamentsautonomie gewissermaßen „nach außen“. Die aus der Geschäftsordnungsautonomie des Deutschen Bundestages (Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG) abgeleitete Ordnungsgewalt schützt dagegen speziell den ordnungsgemäßen Sitzungsablauf vor Gefährdungen „von innen“.2)
Auf der Grundlage ihres Hausrechts hat die Bundestagspräsidentin die Hausordnung des Deutschen Bundestages erlassen. Die Hausordnung reguliert den Zutritt zu den Gebäuden des Deutschen Bundestages und normiert den zulässigen Umfang ihrer Nutzung. Die Mitarbeitenden von Abgeordneten und Fraktionen benötigen für den Zutritt zu den nicht für die Öffentlichkeit zugänglichen Gebäuden des Deutschen Bundestages einen Bundestagsausweis (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 2 Abs. 2 Nr. 3 b, c). Die Ausstellung dieses Ausweises setzt mittlerweile eine Zuverlässigkeitsprüfung voraus (§ 2 Abs. 6a). Wenn „begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit der antragstellenden Person bestehen“, kann der Antrag auf Ausstellung des Bundestagsausweises abgelehnt (§ 2 Abs. 6a S. 5) oder ein bereits erteilter Bundestagsausweis eingezogen werden (§ 2 Abs. 6b S. 2).
Parlamentsspezifische Zuverlässigkeit
Das für die Verweigerung oder den Verlust der Zutrittsberechtigung maßgebliche Zuverlässigkeitskriterium muss freilich im Lichte des parlamentarischen Hausrechts ausgelegt werden. Eine allgemeine rechtsgebietsübergreifende Zuverlässigkeit existiert nicht. Immerhin betrifft das Kriterium der Zuverlässigkeit die zu prognostizierende individuelle Bereitschaft und Fähigkeit, die mit einer konkreten Rechtsstellung verbundenen Pflichten zu befolgen. Rechtlich relevant ist daher stets nur eine – auf die konkrete Rechtsstellung bezogene – Zuverlässigkeit. Wer für einen konkreten Betrieb gewerberechtlich zuverlässig ist, muss also selbstverständlich nicht waffenrechtlich zuverlässig sein.
Das für den Zutritt zum Deutschen Bundestag relevante Zuverlässigkeitskriterium dient dazu, „Gefahren für die Sicherheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie aller im Deutschen Bundestag Anwesenden abzuwehren und die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Gremien aufrechtzuerhalten“ (§ 2 Abs. 6a). Das Zutrittsrecht schützt also Personen und den parlamentarischen Dienstbetrieb. Auf die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages zielt auch das Hausrecht der Bundestagspräsidentin (Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG), auf dessen Basis sie die Hausordnung erlassen hat. An diesem Ziel hat sich auch die Auslegung und Anwendung der Hausordnung zu orientieren.3)
Was gefährdet den parlamentarischen Arbeitsalltag?
Entsprechend der präventiven Funktion der Versagung des Zutrittsrechts genügen vergangene Ordnungsverstöße einer Person oder strafbares Unrecht für sich genommen noch nicht, um eine mangelnde Zuverlässigkeit zu begründen.4)Entscheidend ist vielmehr, dass diese oder andere Tatsachen nach einer Gesamtwürdigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Mitarbeitende parlamentarische Arbeitsabläufe künftig stört. Etwa, indem er Parlamentarier oder ihre Mitarbeitenden bedrängt, sensible Informationen über parlamentarische Prozesse preisgibt oder unzuverlässigen Personen Zutritt zu den Liegenschaften des Deutschen Bundestages verschafft. Der Einzug der AfD in den Bundestag hat erschreckenderweise vor Augen geführt, dass diese Szenarien keineswegs aus der Luft gegriffen sind (siehe nur hier, hier und hier).
Bewegt sich die jeweilige Person im Umfeld gewaltaffiner oder reichsbürgerlicher Milieus oder lässt für entsprechende Zielsetzungen Sympathien erkennen, liegen geeignete Anhaltspunkte vor, die die individuelle Prognose künftiger parlamentsstörender Verhaltensweisen stützen. Wer das staatliche Gewaltmonopol ablehnt, die Existenz der Rechtsordnung leugnet oder Umsturzfantasien hegt, erzeugt berechtigte Zweifel daran, auf die „Arbeit im Haus Rücksicht zu nehmen“, wie es § 4 Abs. 1 S. 2 der Hausordnung des Bundestages vorschreibt. Im Lichte der zu schützenden Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages sind hier nicht zu hohe Anforderungen anzulegen. Sind aber ausreichende Tatsachen vorhanden, die begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit hervorrufen (§ 2 Abs. 6a), bewahrt im Übrigen auch das freie Mandat (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) der Abgeordneten nicht davor, dass ihren Mitarbeitenden der Zutritt zum Deutschen Bundestag verwehrt wird. Das freie Mandat vermittelt kein Recht, den parlamentarischen Betrieb zu gefährden.
Schutz der Funktionsfähigkeit des Bundestages, nicht der Verfassung
Das Hausrecht zielt auf die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages und nicht auf den Schutz der Verfassung. Daher begründet die verfassungsfeindliche Gesinnung eines Mitarbeitenden die Versagung des Zugangs zu den Räumlichkeiten des Bundestages – für sich genommen – noch nicht. Wer in Schnellroda einen ethnischen Volksbegriff propagiert, verletzt zwar etwaige beamtenrechtliche Verfassungstreuepflichten und darf aus gutem Grund (selbst wenn dies unter dem Deckmantel einer parteipolitischen Betätigung erfolgt) nicht mit der Wahrnehmung von hoheitlichen Eingriffsbefugnissen (insbesondere im sicherheitsrelevanten Bereich) betraut werden. Seine Präsenz in den Gebäuden des Deutschen Bundestages im Rahmen eines privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses mit Fraktionen und Abgeordneten stört den parlamentarischen Dienstbetrieb hingegen nicht. Das schließt es freilich nicht aus, dass die Verfassungsfeindlichkeit eines Mitarbeitenden parlamentsbeeinträchtigende Verhaltensweisen erwarten lässt, der parlamentarische Betrieb also dennoch gefährdet ist.
Für die mit der Zuverlässigkeitsentscheidung betraute Bundestagspräsidentin und Bundestagsverwaltung ist das keine leichte Aufgabe: Sie werden individuell zu prüfen haben, ob die betreffende Person den parlamentarischen Dienstbetrieb zu stören droht. Die Verfassungsfeindlichkeit ist hierfür kein Automatismus, aber ein gewichtiger Anhaltspunkt.
Verdichten sich jedoch entsprechende Erkenntnisse, dass eine Verfassungsfeindlichkeit typischerweise parlamentsstörendes Verhalten nach sich zieht, gewinnt die Verfassungsfeindlichkeit für die Zuverlässigkeitsbeurteilung zunehmend an Bedeutung. In dem Fall dürfte wohl auch eine geänderte Hausordnung den Zutritt zu den Räumlichkeiten des Deutschen Bundestages allein aufgrund der Verfassungsfeindlichkeit versagen. Selbst dann, wenn im konkreten Einzelfall keine weitergehenden Anhaltspunkte für parlamentsgefährdende Verhaltensweisen vorliegen.
References
↑1 | Blum, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 21, Rn. 24. |
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↑2 | Brocker, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 57. Edition (Stand: 15.01.2024), Art. 40, Rn. 40, 44. |
↑3 | Siehe auch VG Berlin, Urteil vom 18. 6. 2001 – 27 A 344/00 = NJW 2002, 1063 (1065). |
↑4 | VG Berlin, Urteil vom 18. 6. 2001 – 27 A 344/00 = NJW 2002, 1063 (1065). |