Bundesverfassungsgericht kippt BKA-Gesetz: Ein Pyrrhus-Sieg der Freiheitsrechte?
Mittels des BKA-Gesetzes wurden 2009 dem Bundeskriminalamt (BKA) verschiedene Befugnisse zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus eingeräumt, darunter der Einsatz von Rasterung, von verdeckten Ermittlern, zur akustischen und optischen Überwachung von Wohnungen und zur Telekommunikationsüberwachung. Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr diese Regelungen einer intensiven Prüfung unterzogen. Im Ergebnis handelt es sich um eine weitere „Ja-aber”-Entscheidung des Verfassungsgerichts im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung: Das vom Gesetzgeber gewählte Instrument wird als grundsätzlich als mit der Verfassung vereinbar angesehen, allerdings nicht bzw. nicht vollständig in der konkreten Ausgestaltung. Der Gesetzgeber darf sich also bestätigt fühlen, auf dem richtigen Weg zu sein; eine strikte Grenzziehung gegenüber den Begehrlichkeiten des Staates auf Informationen über seine Bürger gibt es nicht.
Die Entscheidung dürfte, wie es das Verfassungsgericht auch selbst sieht, durchaus als zentral einzustufen sein, werden doch einige Vorgaben bis hin zu Rechtsprechungsänderungen für die Durchführung von heimlichen Überwachungsmaßnahmen, die Übermittlung von Daten zu anderen Zwecken an andere in- und (erstmalig) ausländische Behörden konkretisiert und verändert.
Die Liste der Mängel, die das BVerfG auflistet, ist lang; im Kern werden die Nicht-Beachtung von besonderen Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich der Unverletzlichkeit der Wohnung, des Telekommunikationsgeheimnisses, der informationellen Selbstbestimmung sowie des Grundrechts auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wie fehlende Bestimmtheit und fehlende flankierende Maßnahmen gerügt. Insbesondere
a) setzen wirksame Befugnisse den Schutz gewichtiger Rechtsgüter und eine hinreichend konkrete Gefährdung voraus;
b) dürfen nicht-verantwortliche Dritte aus dem Umfeld der Zielperson nicht gezielt in ihrem Wohnraum überwacht werden,
c) müssen wirksame Befugnisse ausreichend Transparenz gewährleisten, insbesondere die Betroffenen nach der Durchführung der Maßnahme informieren
d) ist individueller Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle vonnöten einschließlich einer effektiven Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit, indem turnusmäßige Pflichtkontrollen, eine umfassende Protokollierungspflicht, auf deren Basis eine inhaltliche Überprüfung möglich ist, sowie Berichtspflichten bestehen müssen.
e) sind die Löschungspflichten nicht ausreichend geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hält hier den Zweckbindungsgrundsatz noch einmal hoch, indem es mit einiger Schärfe verlangt, dass eine allgemeine Löschungspflicht für Daten nach Zweckerfüllung vorhanden sein muss, die ihrerseits nachvollziehbar ausgestaltet sein muss.
Daneben gibt es eine Reihe von Punkten, die näherer Betrachtung wert sind.
1. Dies betrifft die Berufsgeheimnisträger, die nunmehr weit(er) geschützt werden: Rechtsanwälte sind nunmehr nicht nur im Bereich der Strafverteidigung erfasst, weil die Eingriffe ja auch jenseits der Strafverfolgung erfolgten. Dies bedeutet auch, dass überall dort, wo der Staat undifferenziert vorgeht, etwa bei der flächendeckenden Speicherung der Daten von Berufsgeheimnisträgern im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung, ein gleichfalls breiter Schutz zu gewähren und der Begriff des Berufsgeheimnisträgers weit zu verstehen ist. Umfang des Schutzes und Umfang der Aufgabe sind damit korreliert.
2. Neue Aussagen finden sich zum Zweckbindungsgebot, das das BVerfG nunmehr dem europäischen Verständnis von „Vereinbarkeit“ anpasst, wie es in der DS-RL und der DS-GVO zum Ausdruck kommt. Dieses soll stärker differenziert ausgestaltet sein. Diese Differenzierung bezieht zwei Elemente ein, zum einen das Ausmaß der Zweckveränderung und zum anderen die Herkunft der Daten und führt zu unterschiedlichen Anforderungen an die Tatsachengrundlage.
Weiterverwendung soll möglich sein, solange die erhebungsberechtigte Behörde die Daten im selben Aufgabenkreis zum Schutz derselben Rechtsgüter und zur Verfolgung oder Verhütung derselben Straftaten nutzt, wie es die jeweilige Datenerhebungsvorschrift erlaubt. Dann genügt auch die Nutzung als bloßer Spurenansatz.
Das zweite Element der Differenzierung unterscheidet nach der Herkunft und Beschaffungsmethode der Daten. Deshalb sollen Daten aus Wohnraumüberwachungen oder aus einem Zugriff auf informationstechnische Systeme nicht von einer Zweckänderung erfasst sein können, die lediglich dem Spurenansatz folgt.
Einen solchen Vorgang der Weiterverwendung von Daten zu anderen Zwecken soll nunmehr keine echte Zweckänderung mehr sein können, sondern vielmehr als „weitere Nutzung“ tituliert werden. Demgegenüber sind alle andere Weiterverwendungen Zweckänderungen.
Bei Zweckänderungen soll der – zu begrüßende – Maßstab der Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung sein, wobei der Teufel einmal mehr im Detail steckt. Denn allzu belastbar ist die Aussage nicht. Eine solche weitere Nutzung soll nämlich deutlich geringeren Anforderungen gegenüber der ersten Datenerhebung ausgesetzt sein: Eine konkretisierte Gefahrenlage ist nicht erneut zu verlangen; erforderlich, aber auch ausreichend ist das Vorliegen eines konkreten Ermittlungsansatzes. Was genau darunter zu fassen sein soll, darf – auch wenn es sich um den Rückgriff auf staatsanwaltschaftliche Terminologie handelt – zumindest als offen bezeichnet werden. Hier hätte man sich doch angesichts der Bedeutung dieser Aussagen eine Präzisierung gewünscht, zumal die Differenzierung und die „behutsame“ Einschränkung der bisherigen Rechtsprechung nach eigener Aussage des Gerichts erhebliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Zweckbindung insgesamt, also nicht nur im gefahrenabwehr- oder strafverfolgungsrechtlichen Bereich, hat.
3. Bemerkenswert sind zudem die Ausführungen zur Übermittlung von Daten; das Bundesverfassungsgericht befasst sich also vollumfänglich mit dem Informationszyklus. Auch hier erfolgt eine Differenzierung, nämlich hinsichtlich des Empfängers im nationalen oder im außereuropäischen Bereich.
Bezüglich der nationalen Behörden ist die Kritik an der handwerklichen Leistung des Gesetzes eindrücklich, etwa wenn vorgeworfen wird, der Gesetzgeber habe noch nicht einmal die Schranke des Art. 13 Abs. 3 und 4 GG richtig beachtet. Die Übermittlungsbefugnisse des BKAG hält das Gericht ersichtlich für viel zu weitreichend, gerade auch in Bezug auf die Nachrichtendienste. Hatte man allerdings gehofft, die Ausgestaltung des Trennungsgebots würde präzisiert, insbesondere, inwieweit Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und nachrichtendienstliche Aufgaben abzugrenzen sind, wird man enttäuscht; dazu gibt es keine belastbare Aussage. Allenfalls lässt sich entnehmen, dass man offenbar die Verschränkung von Aufgaben und Befugnissen für durchaus vereinbar halten mag.
4. Mit den Überlegungen zur Datenübermittlung ins außereuropäische Ausland schließt das Bundesverfassungsgericht an die Rechtsprechung des EuGH zu Safe Harbor an, zeigt sich aber übermittlungsfreundlicher: Anders als der EuGH sieht das Gericht in der fehlenden Geltung grundrechtlicher Standards im Ausland keinen Grund, der einer Übermittlung ins Ausland entgegen stehe. Natürlich ist es prinzipiell richtig, dass die Ausrichtung des Grundgesetzes auf die internationale Zusammenarbeit die Achtung fremder Rechtsordnungen und -anschauungen einschließt. Allerdings darf man trotzdem die eigene Rechtsordnung und die eigenen Rechtsanschauungen schützen, auch die Daten der eigenen Bürger vor dem Zugriff Dritter. Der titulierte Mindeststandard, die außereuropäische Nutzung der Daten dürfe nicht zu Verletzungen von Menschenrechten oder elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen führen, ist in jedem Fall fragwürdig und wird nicht dadurch besser, dass der Staat keinesfalls seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen dürfe. Von dem angeblich erforderlichen Standard – analog zum europäischen – eines angemessenen materiellen datenschutzrechtlichen Niveaus ist dann konsequent bei der nachfolgenden Zusammenfassung auch nicht mehr die Rede. Daher ist auch die aus dem Innenministerium verlautete Kritik gerade zu den Beschränkungen des Datenverkehrs mit außereuropäischen Behörden, eher als Reflex denn als berechtigt einzuordnen: Echte Begrenzungen lassen sich jedenfalls wohl kaum entnehmen.
5. Neuland betritt das Bundesverfassungsgericht schließlich, wenn es um die Ausgestaltung erforderlicher besonderer Schutzregelungen des weiterhin strikt geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung geht: Hierzu schlägt das Bundesverfassungsgericht eine gänzlich neue Konstruktion vor. Nämlich soll vor der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das BKA eine unabhängige Stelle alle Daten sichten, außer bei Gefahr im Verzug. Interessanterweise erhält damit eine institutionelle interne Verfahrenssicherung neuen Aufschwung, während sich auf europäischer Ebene in der Datenschutzgrundverordnung der betriebliche Datenschutzbeauftragte, der gleichfalls in diese Kategorie fällt (wenngleich im ex-ante-Bereich) nicht durchsetzen konnte. Dieses Modell könnte durchaus Schule machen, wenngleich die konkrete Umsetzung eher schwierig sein dürfte, etwa gerade bei typischen auf die Digitalisierung abstellenden Maßnahmen wie Rasterung.
6. Eher in Nebensätzen verpackten ist der gesteigerte Schutz nichtverantwortlicher Dritter aus dem Umfeld der Zielperson, der sich allerdings nur auf die Wohnraumüberwachung bezieht. Demnach ist das Umfeld jedenfalls dann besonders schützenswert, wenn es sich anderenfalls um einen besonders schweren Eingriff in die Privatsphäre handelt. Damit wird dem Begriff der Privatsphäre ein neuer verfassungsrechtlicher Gehalt gewährt und schließt das Gericht womöglich an die aus dem US-amerikanischen Raum stammenden Vorstellungen zum Schutz von privacy an – etwas, das bisher durch die Konstruktion des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Persönlichkeitsrechts glücklicherweise im nationalen Recht (und spätestens seit der Entscheidungen zu Google Spain, Safe Harbor und zur Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie auch in der EU) differenzierter gesehen werden konnte. Als Verstärkung indes mag es durchaus der richtige Weg sein, zumal der Begriff sowohl in der EMRK als auch in der GR-Charta präsent ist.
Was lässt sich jenseits der konkreten Feststellungen aus dem Urteil folgern?
Von besonderer Bedeutung für die Zukunft dürfte eine eher im Nebensatzen gefallene Aussage sein zur Kurzformel „Freiheit versus Sicherheit“. Demnach stehen die Sicherheit des Staates und die Sicherheit der Bevölkerung mit anderen hochwertigen Verfassungsgütern „im gleichen Rang“; dies dürfte weiterer Sicherheitsgesetzgebung zu Lasten von Individualrechten erhebliche Rückendeckung geben und die Bedeutung der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte abwerten gegenüber der Schutzdimension.
Schließlich sind einmal mehr die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Kontext der Ausgestaltung des Verhältnisses zum EU-Recht zu betrachten. Der EuGH hat sich – gerade im Bereich des Datenschutzrechts – in den vergangenen zwei Jahren als ein gewichtiges und um Paukenschläge nicht banges Gericht etabliert. Diverse Äußerungen der jetzt vorgelegten Entscheidung kann man dahingehend lesen, dass das Bundesverfassungsgericht wieder Terrain wettmachen will und sich nunmehr auch inhaltlich noch einmal positioniert. Das gilt insbesondere für die Aussagen zur Übermittlung an Drittstaaten, denen man – bei aller Einschränkung, weil es vorliegend um besondere Befugnisse und den öffentlichen Bereich geht – entnehmen kann, dass man die restriktiven Maßgaben des EuGH in der Entscheidung zu Safe Harbor eher nicht teilt; dies kann man aber auch einer Reihe weiterer Überlegungen, etwa zur Zweckänderung, entnehmen, wo ersichtlich an die europäischen Grundlagen angeknüpft wird. Hat die Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl vom 15.12.2015 durchaus bereits eine gewisse Neigung zur Konfrontation erkennen lassen, indem man erstmalig die Identitätskontrolle aktiviert hat, setzt sich dies jetzt fort, allerdings mit einer anderen Stoßrichtung: In der Entscheidung vom Dezember war das deutsche Verfassungsrecht noch als unüberwindlich verstanden worden; nunmehr wird der deutsche Grundrechtsstandard gegenüber dem europäischen als geringer interpretiert und somit indirekt das zu scharfe Vorgehen des EuGH kritisiert. Ob der richtige Weg dann allerdings ist, dessen Maßstäbe in dieser eklatanten Weise zu unterlaufen, darf zumindest fraglich sein – und trägt zum Gewicht deutscher Verfassungsgerichtsentscheidungen im europäischen und internationalen Kontext wohl kaum bei.
Was bleibt als Fazit?
In Zeiten vermeintlicher oder tatsächlicher Sicherheitsbedrohung (wer kann das schon unterscheiden?) ist die Gefahr für die Freiheitsrechte am größten. Grundrechte sind dann schnell nur noch „schön“, ein ästhetischer Luxus, aus der Sicht derer, die sich um die Sicherheit verdient machen. Umso wichtiger ist es, dass in Krisenzeiten Instanzen existieren, die dies hinterfragen und den vermeintlichen Luxus wieder zu der Grundlage eines freiheitlichen Rechtsstaats machen, der er eigentlich ist. Freiheit des Handelns, Denkens und Entscheidens wird immer angegriffen werden, und deshalb darf sie sich selbst nicht aufgeben im Bemühen darum, diese Angriffe abzuwehren. Sicherheit und Freiheit können durchaus nebeneinander bestehen und müssen es. Das Bundesverfassungsgericht hätte eine Gelegenheit gehabt, dies deutlich zu machen und der Politik ihre Grenzen aufzuzeigen. Dass dazu keine Mehrheit im Gericht zu finden war, machen die beiden Sondervoten deutlich. Dies ist mehr als bedauerlich, gerade in diesen Zeiten.
Gleichwohl hat die Freiheit Unterstützung bekommen. Wieder einmal muss der Gesetzgeber Nachbesserung im Bereich der Sicherheitsgesetze leisten; wieder einmal ist deutlich geworden, dass sie von vorneherein geäußerten Bedenken die Politik etwas nachdenklicher machen sollten. Und damit wird in spätestens zwei Jahren wieder einmal die Frage zu stellen sein, ob denn die neue Fassung nunmehr den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Das hat auch wesentlich damit zu tun, dass die Politik trotz deutlicher Ansagen aus Karlsruhe – wie auch jetzt bereits angekündigt – immer wieder aufs Neue versucht, die verfassungsrechtlichen Grenzen auszuloten und bis zum letzten auszureizen. Das Verfassungsgericht wird damit immer häufiger dazu aufgerufen, den Gesetzgeber engmaschig zu überprüfen. Daher ist dringend erforderlich, dass die Verfassungsrichter sich dieser Aufgabe nicht entziehen und immer wieder aufs Neue bereit sind, auch überarbeitete Gesetze erneut zu prüfen – auch wenn es zu einer Vielzahl unerfreulicher Entscheidungen 2.0 führen wird.
Was vor allem aber bleibt, ist der Inhalt, und da ist es wohl dann doch, wie schon bei der Vorratsdatenspeicherung, ein Pyrrhus-Sieg: Datenschutz, Privatsphäre und Freiheit haben konkret gewonnen, aber generell verloren.
Liebe Frau Spiecker genannt Döhmann, haben Sie vielen Dank für Ihre schöne Analyse.
Mir macht in der Tat auch die Passage zum “gleichen Rang” der Sicherheit des Staates mit “anderen hochwertigen Verfassungsgütern” etwas Kopfschmerzen. Was genau soll uns das nun sagen? Dass es doch so etwas wie ein ‘Grundrecht auf Sicherheit’ gibt? Wenn nein: Was genau sind diese “hochwertigen Güter”? Gerade in einem so wichtigen Punkt hätte ich gerne weniger Nebulöses vom Gericht gehört.
Weniger Nebulös ist hier Schluckebier in seinem Sondervotum, wenn er dem Gesetzgeber bescheinigt, das (vermeintliche) Spannungsverhältnis zwischen den Grundrechten und der Schutzverpflichtung des Staates adäquat “zum Ausgleich gebracht” zu haben. Alleine: Einen solchen Ausgleich dürfte es aus liberal-konstitutioneller Sicht eigentlich gar nicht geben (da es ein ‘Grundrecht auf Sicherheit’ nicht gibt, das man zum Ausgleich bringen könnte)…
Ein “Einfallstor” für Abwägung könnte doch sein, wenn durch drohende Straftaten Leib (körperl. Unversehrtheit)/Leben von Menschen bedroht sind (Art. 2 Abs. 2 GG). Denn der Staat hat ja die Grundrechte nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG).
Insofern halte ich es rechtlich schon für gangbar, eine Notwendigkeit und ggf. Geeignetheit zu bejahen und erst bei der Angemessenheit dann sehr kritisch auf die Eingriffe in Privatsphäre/Intimsphäre/informationelle Selbstbestimmung zu schauen. (Rechts)politisch würde ich dann im Ergebnis eher noch deutlich weniger an Überwachung “stehen lassen” wollen.
@ Hannah
Das kann man schon so sehen. Nur: Schützt der Staat die Grundrechte, indem er sie einschränkt? Die Abwägung inklusive Angemessenheitsprüfung würde mir mehr einleuchten, wenn Sicherheits”rechte” und Freiheitsrechte auf der gleichen logischen oder verfassungsrechtlichen Ebene angesiedelt wären. Das sind sie aber, finde ich, nicht.
Meine Logik ist die:
Person A hat das Recht auf Privatheit (z.B. informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG, Unverletzlichkeit der Wohnung, Fernmeldegeheimnis). Eine andere Person B hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG).
Der Staat darf (ggf. sogar muss) da eine Abwägung vornehmen, wo dies in Konflikt gerät. Wenn also der Staat (Gesetzgeber) sich (Polizei) bestimmte Überwachungsbefugnisse einräumen will, um Straftaten gegen das Leben/die körperliche Unversehrtheit zu verhindern, dann greift er ggf. in die Rechte von A ein, um die von B zu schützen.
Das ist *prinzipiell* möglich, weil B ja nicht weniger wichtige Rechte hat als A. Aber natürlich nicht beliebig, daher die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Fall eines solchen Rechtekonflikts gibt es dabei den Grundsatz der “praktischen Konkordanz”.
Es braucht also auch kein ominöses “Grundrecht auf Sicherheit”, um Eingriffe ggf. zu legitimieren. Es kann reichen, wenn der Staat Grundrechte schützen will und dies nicht ohne Eingriff in die Grundrechte anderer geht. Ohne diese Möglichkeit könnte man sehr viele Gesetze streichen, schon allein das StGB (greift auf jeden Fall mal mindestens in die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein, nur eben meist gerechtfertigt).