29 January 2010

Diskriminierungsverbot für Schwule und Lesben ins Grundgesetz

Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Xenophobie, konfessionelle und politische Intoleranz, Stigmatisierung von Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung – das sind alles Dinge, die wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr haben wollen. Wir haben historisch schreckliche Erfahrungen damit gemacht, dass es früher üblich war, die Gesellschaft entlang dieser Linien auseinander zu dividieren. Damit muss Schluss sein unter dem Grundgesetz.

Deswegen gibt es Art. 3 III GG: “Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.”

Da fehlt was

Fehlt da nicht was? In der Tat, da fehlt was. Die sexuelle Identität. Niemand darf benachteiligt oder bevorzugt werden, nur weil er oder sie auf Männer oder auf Frauen steht oder sich selbst als Mann oder als Frau identifiziert.

Der Ansicht sind auch SPD, Grüne und Linke, deren drei gleichlautende Anträge (warum drei verschiene und nicht ein gemeinsamer?) zur Änderung von Art. 3 III 1 GG der Bundestag heute in erster Lesung beraten hat. Jetzt ist das Thema mal in den Rechtsausschuss verwiesen worden und wird dort von Union und FDP in aller Stille beigesetzt werden.

Warum eigentlich? Was in aller Welt kann man dagegen haben, Lesben und Schwulen den gleichen Diskriminierungsschutz zukommen zu lassen wie, sagen wir, Ostfriesen und Zeugen Jehovas?

Schutzlücke?

Hören wir Marco Buschmann von der FDP-Fraktion: “Bei aller Sympathie”, sagt der junge Mann. Er könne beim besten Willen keine “Schutzlücke, die wir schließen müssen”, erkennen.

Da hat er insofern Recht, als die Juristen von Art. 3 III generell wenig Gebrauch machen (müssen). Die Fälle kriegt man auch über den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 I gelöst.

Trotzdem gibt es diese Aufzählung besonderer Diskriminierungsverbote in der Verfassung. Und zwar nicht ohne Grund: Hier wird nicht Rechtsphilosophie betrieben, wonach Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln sei, sondern hier werden historische Erfahrungen verarbeitet. Hier sagt uns die Verfassung: Mit diesen Differenzierungskriterien, mit denen so viel Unheil angerichtet worden ist, muss man ganz vorsichtig umgehen.

Das in auch Hinblick auf die sexuelle Orientierung zu sagen, dafür gibt es wahrhaftig Anlass und Gründe genug.

Da wir gerade von Diskriminierung sprechen

Die sexuelle Identität in den Katalog der verbotenen Diskriminierungsmerkmale nicht aufzunehmen, ist selbst eine Diskriminierung von Schwulen und Lesben.

An dieser Stelle sollten wir vielleicht auch an eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts erinnern, an seine Entscheidung zum § 175 StGB aus dem Jahr 1957: Das Urteil liest sich aus heutiger Sicht wie ein Kompendium homophober Vernageltheit. Typischerweise, so befand der Erste Senat darin unter Berufung auf allerlei obskure “Sachverständige”, um nur einen bizarren Satz unter vielen aus dem Urteil herauszugreifen,

liebt der typisch homosexuelle Mann den Jüngling und neigt dazu, ihn zu verführen (…); er sucht den 20- bis 27-jährigen “jünglinghaften” gleichwohl bereits reifen Mann…



SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Diskriminierungsverbot für Schwule und Lesben ins Grundgesetz, VerfBlog, 2010/1/29, https://verfassungsblog.de/590/, DOI: 10.17176/20181008-150127-0.

6 Comments

  1. Jens Fri 29 Jan 2010 at 19:24 - Reply

    “An dieser Stelle sollten wir vielleicht auch an eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts erinnern, an seine Entscheidung zum § 175 StGB aus dem Jahr 1957: Das Urteil liest sich aus heutiger Sicht wie ein Kompendium homophober Vernageltheit.”

    … und wird immer noch (vom Hohen Gericht selbst) zitiert, zum Beispiel in der Exhibitionismus-Entscheidung vor ein paar Jahren. Das sind die Momente, in denen man nachblättert, ob Artikel 20 Absatz 4 schon gestrichen wurde.

  2. egal Fri 29 Jan 2010 at 20:34 - Reply

    Vermutlich hat man Angst, dass man dann noch das Ausländer- bzw. Asylrecht umkrempeln müsste und nicht mehr wegen sexueller Diskriminierung abschieben könnte in den Iran oder sonstwo hin.

    Wieder mal so ein Punkt, wo sich die FDP nicht gerade als Bürgerrechtspartei auszeichnend und Rot-Grün hatte ja zudem “wichtigere” Dinge in den Regierungsjahren zu tun; das rächt sich nun.

  3. demokrat Sat 30 Jan 2010 at 11:25 - Reply

    Seit wann muss ein Staat wissen, welche “sexuelle Identität” ich habe. Das geht keinen Menschen was an. Und wenn jemand benachteiligt wird, haben wir ja noch das AGG
    SPD, Linke, Grüne wollen hier nur Wählerstimmen gewinnen.

    • Max Steinbeis Sat 30 Jan 2010 at 14:09 - Reply

      ???
      wer sagt denn, dass der Staat wissen muss, welche sexuelle Identität ich habe? Darum geht es doch überhaupt nicht. Auch nicht darum, ob es das AGG gibt. So gesehen gibt es die EMRK, die EU-Grundrechtecharta, Art. 3 I GG, you name it.
      Es geht darum, dass man, wenn man ins Grundgesetz schon besondere Diskriminierungsverbote reinschreibt, die sexuelle Identität nicht übergehen kann.

  4. egal Sat 30 Jan 2010 at 15:30 - Reply

    Klingt in dieser Deutlichkeit dann aber eher nach (deutschem?) Perfektionismus?

  5. chrri Sat 30 Jan 2010 at 18:06 - Reply

    Es geht um Diskriminierung durch den Staat. Diese wird durch das AGG NICHT verhindert! Das AGG schützt nur vor Diskriminierung durch Bürger (bzw. Firmen).

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