Gelegenheit macht Diebe: Von V-Männern, Strafrechtsdogmatik und dem Recht auf ein faires Verfahren
Darf die Polizei mich aktiv dazu bringen, ein Verbrechen zu begehen, nur damit sie mich hinterher deswegen verhaften kann? Das darf sie natürlich nicht, alles andere wäre ein Fußtritt in die Magengrube des Rechtsstaats. Die Strafjustiz darf sich die Kriminalität, zu deren Bekämpfung sie da ist, nicht selbst bauen. Nicht nur um meinet- und meiner Grundrechte willen. Sondern weil sie sonst in einen Wirbelkreislauf aus Ursache und Wirkung geriete, in dem sie sich selbst völlig ad absurdum führen würde. Darin sind sich im Prinzip alle einig, vom EGMR über das Bundesverfassungsgericht bis zum letzten Provinzlandgericht. Aber was passiert, wenn sie es trotzdem tut? Hier hört die Einigkeit ganz schnell auf, wie ein heute verkündeter Kammerbeschluss aus Karlsruhe zeigt, der, wenn mich nicht alles täuscht, die ohnehin nicht geringe Sorgenlast, die derzeit auf den Schultern des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs ruht, noch um einiges vermehren dürfte.
Kleines Großmaul, großer Gangster
In dem vom BVerfG entschiedenen Fall ging es um etwas, das Freunde des amerikanischen Kinos als “Sting Operation” kennen. Die Polizei wollte einen Mann als Drogenhändler überführen und konstruierte zu diesem Zweck mit großer Akribie eine Gelegenheit zum ganz großen Coup: Ein korrupter Zollbeamter in Bremerhaven wurde erfunden, eine so genannte “Vertrauensperson” der Polizei aus dem Berliner Drogen-, Waffen- und Falschgeldmilieu in die Umgebung des Verdächtigen geschleust, der ihm die Lücke im Bremerhavener Zoll als Gelegenheit für das Geschäft seines Lebens schmackhaft machen sollte. Dieser war zwar verlockt und geschmeichelt, besaß aber weder Geld noch Kontakte für transatlantischen Drogenschmuggel. Er war offenbar doch nur ein ziemlich kleines Licht, jedenfalls anfänglich. Der V-Mann ließ indessen nicht locker und bearbeitete den Verdächtigen über eineinhalb Jahre mit allen Mitteln, bis es diesem schließlich gelang, mit den richtigen Leuten ins Geschäft zu kommen. Ein Container aus Südamerika mit 100 kg Kokain landete in Bremerhaven und wurden in einem (von der Polizei gestellten) Kleintransporter in eine (von der Polizei besorgte) Wohnung geschafft, wo die Falle schließlich zuschnappte.
(Zur Lektüre des Sachverhalts empfehle ich das BGH-Urteil; das noch allerhand Details mehr enthält als der BVerfG-Beschluss; es dreht einem den Magen um…)
Kurz zusammengefasst: die Polizei hatte einen großen Haufen Zeit und Geld in irgendein kleines Berliner Großmaul investiert und ihn mit aller erdenklichen Mühe und Hartnäckigkeit so lange zu einem großen Gangster aufgepumpt, bis tatsächlich 100 kg Kokain ihren Weg nach Deutschland fanden. Und auf dem Weg dorthin wurde der kriminelle V-Mann mit Tausenden von Euro entlohnt, die er bestimmt dazu benutzt hat, Geburtstagsgeschenke für seine Nichten und Neffen zu kaufen und seine Einkommensteuer brav zu bezahlen. Gratuliere! Was für ein Ermittlungserfolg. Jetzt kann ich ruhig und sicher schlafen.
Dem Landgericht Berlin entging die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens nicht. Eine “rechtsstaatswidrige Tatprovokation” sei das gewesen, und ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK. Das hinderte das Landgericht aber nicht, den Verdächtigen wegen Drogenschmuggels und -handels schuldig zu sprechen, wenngleich es die Strafe auf vergleichsweise milde vier Jahre und fünf Monate beschränkte.
Das entspricht der Linie, die das deutsche Strafrecht generell in solchen Fällen einschlägt: Ein solcher Verstoß ist kein Verfahrenshindernis, sondern nur ein Strafmilderungsgrund. Untechnisch ausgedrückt: Wen der Staat kriminell macht, den darf er sehr wohl bestrafen, nur halt nicht so hart.
Dogmatisch orthodox
Was sagt das BVerfG dazu? Erstens, dass das alles gar nicht schwierig und daher von einer Kammer zu entscheiden ist. Und zweitens: das ist okay so.
Dem Mann wurde Unrecht zugefügt, das erkennt auch die Karlsruher Kammer an, und zwar nicht zu knapp. So krass sei dieser Fall von rechtsstaatswidriger Tatprovokation, so sehr habe nicht zuletzt auch die Staatsanwaltschaft als “Herrin des Ermittlungsverfahrens” versagt, dass es “nicht fernliegend” gewesen sei, das Verfahren gleich ganz einzustellen, anstatt nur die Strafe zu mildern.
Das sei allerdings nicht bei jedem Fall von Tatprovokation so. Es müsse sich schon um einen “Extremfall” handeln. Schließlich wurde ein, wenngleich provoziertes, Verbrechen begangen, und wenn das ungesühnt bleibt, ist das für den Rechtsstaat auch nicht gut. Daher werde die Tatprovokation erst dann zu einem Verfahrenshindernis, wenn der provozierte Täter entweder zuvor vollkommen unbescholten war, also tatsächlich erst durch den Staat zum Kriminellen gemacht worden war. Oder wenn die Tat nicht nur provoziert, sondern tatsächlich von der Polizei komplett geplant worden sei und der Täter diesen Plan nur umgesetzt habe wie eine Puppe an der Schnur der Ermittler. Das sei hier aber beides nicht der Fall gewesen: Es habe einen Anfangsverdacht für Ermittlungen gegeben, und der Täter habe im Verlauf der Tat erhebliche kriminelle Energie bewiesen. Daher sei es allen Rechtsstaatsverstößen der Ermittler zum Trotz “verfassungsrechtlich vertretbar” gewesen, ihn zu verurteilen.
Das ist strafprozessrechtlich alles vollkommen orthodox: Unser Strafprozessrecht zeichnet sich bekanntlich durch einen sehr sparsamen Umgang mit Beweisverwertungsverboten aus. Wenn die Ermittler tun, was sie nicht tun dürfen, dann werden sie böse angeschaut. Aber was sie mit krummen Methoden an Erkenntnissen zutage gefördert haben, das kann im Prozess gewöhnlich munter gegen den Angeklagten verwertet werden, fair trial be damned. Dass damit die Strafverfolger verlockt werden könnten, es mit den strafprozessualen Grenzen nicht so genau zu nehmen, ist gottlob ja von vornherein nicht zu befürchten: Unsere Staatsanwaltschaften sind schließlich als “objektivste Behörden der Welt” ausschließlich an der Wahrheit interessiert und nicht an der Verurteilungsquote. Wir sind hier doch nicht in Amerika!
“Ein anderer dogmatischer Ansatz”
Diese Orthodoxie verteidigt die 2. Kammer des Zweiten Senats mit ihrem Senior Member Herbert Landau vor allem auch deshalb mit großem Eifer, weil jüngst in Straßburg ein Urteil gegen Deutschland ergangen ist, das sie massiv in Frage stellt.
Nach den Maßstäben des EGMR ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, wenn die Polizei den Täter aktiv beeinflusst hat, eine Tat zu begehen, die er sonst nicht begangen hätte. Im Fall Furcht v. Deutschland stellte der Gerichtshof im letzten Oktober ausdrücklich fest, dass dieser Verstoß nicht dadurch aus der Welt geschafft wird, dass er bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt wird.
For the trial to be fair (…). , all evidence obtained as a result of police incitement must be excluded or a procedure with similar consequences must apply (…). In view of this case-law, it must be concluded that any measure short of excluding such evidence at trial or leading to similar consequences must also be considered as insufficient to afford adequate redress for a breach of Article 6 § 1.
Kann schon sein, sagt die Karlsruher Kammer. Der EGMR verfolge halt einen anderen “dogmatischen Ansatz” als die deutsche Strafjustiz. Aber dem müsse man nicht unbedingt folgen, solange das Ergebnis stimmt. Landgericht und BGH hätten sich ausführlich mit der Rechtsprechung aus Straßburg auseinander gesetzt (nicht mit Furcht v. Deutschland allerdings, das war noch nicht ergangen) und einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK ausdrücklich festgestellt. Außerdem habe das Landgericht die Beweislage ohnehin in einer Weise bewertet, die Rücksicht auf ihr zweifelhaftes Zustandekommen erkennen lasse. Insgesamt habe die Strafjustiz damit die Vorgaben aus Straßburg
möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem eingefügt, ohne dass ihr Vorgehen nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung nicht mehr vertretbar erscheint.
Anders sehe es höchstens aus, wenn – wie in Furcht v. Deutschland – die Verurteilung sich auf eine Beweislage stützt, die im Wesentlichen aus Aussagen der Tatprovokateure besteht. Dann, so die Kammer, werden die Strafgerichte insoweit ein Verwertungsverbot “zu erwägen haben”. Das war aber hier nicht der Fall, weil der Angeklagte gestanden hatte und das Landgericht im Zweifel ihm glaubte und nicht den Angaben des V-Manns, soweit sich beide widersprachen.
Ob das dem EGMR reichen wird?
Mir scheint, dass es gerade in diesem Fall außer dem Schutz der reinen strafrechtsdogmatischen Lehre keinen wirklich guten Grund gibt, dieses Verfahren mit einem Urteil gleich welcher Höhe zu beenden. Es geht um 100 kg Kokain, das deutschen Boden nur betreten hat, um anschließend mit großem Tamtam beschlagnahmt werden zu können. Es geht um einen Berliner Eckensteher, den die Polizei geradezu gewaltsam am Hosenbund auf das Drogengangster-Podest gehievt hat, nur um sich hinterher eines entsprechend großen Fangs rühmen zu können. Wäre der Genugtuungs- und Präventionsanspruch des Strafrechts wirklich beschädigt, vom Opferschutz ganz zu schweigen, wenn man sagen würde: Freunde, mit diesem Fall schicken wir euch nach Hause, und schämt euch!
Beim NPD-Verbotsverfahren damals war das Bundesverfassungsgericht ein mächtiger Schrecken in die Glieder gefahren, als es merkte, in welchen Sumpf man geraten kann, wenn man vor lauter V-Leuten nicht mehr weiß, wer Räuber ist und wer Gendarm. Von diesem Schrecken ist in der heutigen Kammerentscheidung nicht mehr allzu viel zu spüren. Vielleicht hilft Karlsruhe da demnächst ein weiteres Urteil aus Straßburg auf die Sprünge.
@Max: Das Bild ist aus dem Bundestag?
Max, ich stimme Dir weitgehend zu. Aber fairerweise muss man doch erwähnen, dass die Kammer am Ende des Beschlusses (leider nicht in der Pressemitteilung enthalten), die Fachgerichte aufruft, die EGMR-Lösung zu prüfen:
“Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden die Strafgerichte es gleichwohl zukünftig zu erwägen haben, in vergleichbaren Fällen ausdrücklich ein Verwertungsverbot bezüglich der unmittelbar durch die rechtsstaatswidrige Tatprovoka-tion gewonnenen Beweise, also insbesondere bezüglich der unmittelbar in die rechtsstaatswidrige Tatprovokation verstrickten Tatzeugen, auszusprechen.”
Ich sah darin sogar die eigentliche Neuigkeit der Entscheidung:
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2015%2F02%2F12%2Fa0110&cHash=6a3f6d93027ab5c2d9ef0e39f67228c9
Eine Bestrafung für allein die Drogeneinfuhr auf polizieliche Mitveranlassung als solche erscheint m.E. sehr problematisch.
Allerdings wird die Polizei u.U. den weiteren Absatz nicht mitveranlasst, befördert usw. haben. Insoweit hätte die Polizei eher nur die Gelegenheit dazu mit befördert, aber darüber hinaus zu solchen Taten als solchen kaum etwas aktiv mit beigetragen.
Soweit die Absatzbeförderung etwa als Verbrechensverabredung o.ä. ebenfalls für sich schon strafbar sein können sollte, könnte hier schon eine eventuell abgemilderte Bestrafung als noch eher möglich erscheinen.
Es schiene ja nämlich andererseits auch nicht ganz so, dass hier der derart zu Drogendelikten Provozierte auf jeden Fall eine vollkommen blütenweiße Weste vorzuweisen hätte.
@Christian: Das hab ich ja erwähnt, im drittletzten Absatz. Das Zeugnis des V-Manns, der sich mit der Kriminell-Machung des Verurteilten die Taschen voll gemacht hat, ist kein zulässiges Beweismittel (oder das sei zumindest “zu erwägen”). Gut, das ist schon mal was. Aber ich kann, wie gesagt, immer noch keinen Grund erkennen, warum man in so einem Fall die Anklage überhaupt noch mit einem Urteil adelt, anstatt die Staatsanwaltschaft einfach nach Hause zu schicken…
@Max: Stimmt. Beides.
“Aber ich kann, wie gesagt, immer noch keinen Grund erkennen, warum man in so einem Fall die Anklage überhaupt noch mit einem Urteil adelt, anstatt die Staatsanwaltschaft einfach nach Hause zu schicken…”
Vielleicht aus dem ganz einfachen Grund, dass der Täter – von der Polizei (mit-) veranlasst hin oder her – 100kg Kokain mit Verkaufsabsicht importiert hat? Wir reden hier ja nicht über irgendeinen kleinen Handtaschenraub.
Dass das Vorgehen der Polizei rechtsstaatswirdrig ist, brauchen wir nicht diskutieren. Nichtsdestotrotz hat sich der Täter höchst kriminell – nach vorherigem eigenen Entschluss – verhalten.
Daher anders gefragt: Warum soll der Rechtsstaat ihm das durchgehen lassen?
[…] In der Realität stellt es hingegen ein erhebliches Problem dar, wenn Polizeibeamte Straftaten provozieren, denn mit welcher Legitimation kann der Staat jemanden verurteilen, der eine Straftat auf staatliche Veranlassung begangen hat? Der Staat hat durch seine Beamten aktiv dazu beigetragen, dass es überhaupt zu einer Tat kam. Als fair wird man ein solches Verfahren nicht bezeichnen können. Es kann nicht sein, dass die Strafjustiz sich ihre Fälle selbst schafft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah dies genauso und urteilte, dass eine Verurteilung einer Tat, die auf Veranlassung eines agent provocateur begangen wurde, gegen Art. 6 § 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt (EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2011 – 21218/09; zuletzt EGMR, Urteil vom 23.10.2014 – 54648/09). Der EGMR ist der Auffassung, dass vor Gericht kein Beweis genutzt werden darf, der durch Anstiftung von Polizisten erlangt wurde. Die nunmehr ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der eine Verurteilung trotz eines krassen Falls rechtsstaatswidriger Tatprovokation verfassungsrechtlich möglich sein soll, ist in diesem Zusammenhang überaus fragwürdig. Max Steinbeis kommentiert im Verfassungsblog treffend: […]
Vielleicht sollte der BVerG-Beschluss unter einem anderen Gesichtspunkt beurteilt werden. Denn das eigentliche Problem scheint mir im vom BVerfG entschiedenen Fall in der Verwertung der Geständnisse zu liegen. Denn es spricht doch einiges dafür, dass in einem ähnlich gelagertem neuen Fall die provozierten Täter kaum Geständnisse ablegen dürften, wenn sie wissen, dass das Tatgericht die provozierenden Tatzeugen und die von ihnen gefertigen Beweismittel (Videos o.ä.) nur zur Untermauerung von Geständnissen verwerten würde. Es stellt sich also die Frage, ob vor Abgabe der Geständnisse qualifiziert darüber hätte belehrt werden müssen, dass die provozierten Beweismittel nur zur Untermauerung der Geständnisse herangezogen werden. Das Gebot einer qualifizierten Belehrung hätte aber mit einer zulässigen Verfahrensrüge gerügt werden müssen. Ausweislich des BGH-Urteils waren Verfahrensrügen indes nicht zulässig erhoben worden, so dass wohl zu Recht weder das BGH-Urteil noch der BVerfG-Beschluss Feststellungen zur Verwertbarkeit der Geständnisse enthalten mussten.
Der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts ist eine Nichtannahmeentscheidung. Daher gilt folgendes:
– die Entscheidung hat keine Bindungsiwrkung gem. § 31 Abs. 1
– die Entscheidung hat keine Gesetzeskraft gem. § 31 Abs. 2
– die Entscheidung steht einer Entscheidung des Senats nicht gleich gem. § 93c Abs. 1
– man nennt solche Nichtannahmeentscheidungen deswegen auch “Nichtentscheidungen”.
Das sollte man vielleicht mal ausdrücklich sagen, damit hier Inhalt und Tragweite der Begründung nicht überschätzt werde.
Das Recht auf ein faires wird hauptsächlich von der emrk beeinflusst
http://de.pluspedia.org/wiki/Recht_auf_ein_faires_Verfahren