Mit „Bayern zuerst“ in den Bundestag? – Gedankenspiele zur Sonderrolle der CSU in der Bundespolitik
Die Bundestagswahl steht vor der Tür, aber statt steigender Spannung greift gähnende Langeweile um sich: Die jüngsten Umfragen sehen die Union bis zu 17 Prozentpunkte vor der SPD, das Rennen scheint längst entschieden, der Sieger ausgemacht. Wäre es anders, würde der Abstand, wie nach dem amtlichen Endergebnis der letzten Bundestagswahl unter zehn Prozentpunkten liegen? Würde dann vielleicht doch noch Spannung aufkommen? Wären die Wahlberechtigten ggf. motivierter, zur Wahl zu gehen? Würden sie gar eine andere Wahlentscheidung treffen?
Um den Effekt zu testen, müsste man weder die Uhren zurückdrehen noch auf ein Wiedererstarken der SPD warten. Es genügte schon, würden die zahlreichen Institute, die zur Zeit mit Umfragen zur Bundestagswahl von sich reden machen, die Werte für CDU und CSU getrennt ausweisen. Stattdessen aber wird für die Umfrageergebnisse von CDU und CSU ein gemeinsamer Wert angegeben, gerne auch unter dem Label „Union“, so fällt nicht einmal auf, dass sich dahinter zwei Parteien verbergen. Und wer könnte es den Demoskopen verübeln? Die Wogen, die die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik geschlagen haben, sind lange geglättet und die Fraktionsgemeinschaft, die Horst Seehofer 2016 noch so kühn infrage gestellt hatte, erscheint längst wieder als ausgemachte Sache (sie besteht seit 1949 mit einer gerade mal 24 Tage weilenden Unterbrechung). Entsprechend mutete es eher kurios an, dass die CSU beim TV-Fünfkampf der kleineren Parteien in der vorvergangenen Woche vertreten war. Man sah sich gar bemüßigt zu erklären: „Fünfkampf heißt das Format, weil auch die CSU als eigenständige Partei eingeladen ist“.
Dass diese Selbstverständlichkeit einer Klarstellung bedurfte, erklärt sich aus der Sonderrolle der CSU in der Bundesrepublik: Sie ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die nur in einem einzigen Bundesland wählbar und deren erklärtes Ziel es ist, in erster Linie Politik für eben dieses Bundesland zu machen (lediglich 1957 trat die CSU auch im Saarland mit einer eigenen Landesliste an, dort sogar neben der CDU). Mit diesem Versprechen gelingt es der CSU regelmäßig, in Bayern Rekordergebnisse zu erzielen, zumal die CDU den Alleinvertretungsanspruch der „Schwesterpartei“ anerkennt und auf einen eigenen Landesverband im Freistaat verzichtet, ja jüngst erst die Gründung eines solchen gerichtlich untersagen ließ. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, bringt die CSU doch verlässlich ein gewichtiges Stimmpaket in die unionale Ehe ein und trägt damit ganz entscheidend zu deren Regierungsfähigkeit bei.
Verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Wahlmöglichkeit der CDU auch in Bayern?
Nicht allen aber behagt diese Sonderrolle der CSU. So störten sich einige bayerische Landsmänner und -frauen daran, dass sie bei der bevorstehenden Bundestagswahl nicht die CDU wählen können, doch immerhin die Partei der Kanzlerin. Sie wandten sich deshalb an den Bundeswahlleiter und erhoben, nachdem sie dort abgewiesen worden waren, Klage vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Die fehlende Möglichkeit, bei Bundestagswahlen die CDU zu wählen, verletze sie in ihrem Recht auf freie und gleiche Wahl, da sie ihr Wahlrecht nicht in gleichem Umfang ausüben könnten wie jene Staatsbürger, die außerhalb Bayerns wahlberechtigt seien. Aufgabe des Wahlleiters sei es, jede Beeinträchtigung des Wahlrechts durch Parteien zu verhindern. Er müsse daher tätig werden und die Möglichkeit schaffen, die CDU auch in Bayern zu wählen. Dies sei in erster Linie durch eine Verpflichtung der CDU zu erreichen, auch in Bayern mit einer Landesliste zur Wahl anzutreten (auf die alternative Forderung nach der Einführung von Bundeslisten gehe ich im Folgenden nicht ein).
Dass die Kläger mit ihrem Anliegen im Ergebnis nicht durchdringen konnten (das VG Wiesbaden lehnte die Klage als jedenfalls unbegründet ab, das Bundesverfassungsgericht hat die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen), vermochte kaum zu überraschen. Zum einen war schon die Zulässigkeit des Rechtswegs fraglich, da nach der gesetzlichen Konzeption gerichtlicher Rechtsschutz in Wahlsachen grundsätzlich erst nach der Wahl zu erlangen ist, nämlich im Wege der Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Wahlprüfungsbeschluss des Bundestages (Art. 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG). Eine Ausnahme bildet insofern das Verfahren gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses, einen Wahlvorschlag mangels Parteieigenschaft des Wahlvorschlagträgers nicht zur Wahl zuzulassen (§ 18 Abs. 4a BWahlG). Es wurde 2012 geschaffen, nachdem u. a. die OSZE Kritik am bestehenden Rechtsschutzdefizit geübt hatte.
Jedenfalls aber musste der Versuch, die CDU zur Kandidatur auch in Bayern zu verpflichten, am verfassungsrechtlichen Status der Freiheit der Parteien scheitern. Zwar ist den Parteien nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG die Aufgabe zugewiesen, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, wozu zweifelsohne und insbesondere die Beteiligung an Parlamentswahlen zählt. Daraus folgt jedoch keine Pflicht, bei der Bundestagswahl anzutreten, geschweige denn mit eigenen Landeslisten in allen 16 Bundesländern. Wie eine Partei ihre verfassungsrechtliche Aufgabe wahrnimmt, ist vielmehr ihr selbst überlassen und Ausdruck der ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG). Insofern befremdet an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts allenfalls, dass das Gericht ausschließlich auf das „Selbstorganisationsrecht der Partei als Verein“ abgestellt hat.
Eine Verpflichtung der CDU, auch in Bayern anzutreten, scheidet folglich aus. Möglicherweise ließe sich aber gleichsam der umgekehrte Weg beschreiten. Die Frage, ob eine erklärte „Bayern-Partei“ zur Bundestagswahl zugelassen werden muss, erscheint jedenfalls berechtigt.
Änderung des Bundeswahlgesetzes: Bindung des Wahlvorschlagsrechts an die Ernsthaftigkeit der bundespolitischen Zielsetzung
Gem. § 18 Abs. 1 BWahlG können Wahlvorschläge zur Bundestagswahl von Parteien und Wahlberechtigten als Gruppe (i.V.m. § 20 BWahlG) eingereicht werden, wobei einzig Parteien das Recht haben, mit Landeslisten anzutreten (§ 27 Abs. 1 BWahlG). Dieses Listenprivileg wird insbesondere damit gerechtfertigt, dass politische Parteien „ihrem Wesen und ihrer Struktur nach in erster Linie am Staatsganzen“ orientiert seien, während Wählergruppen sich eher auf ein begrenztes Gebiet und die Verfolgung von Sonderinteressen beschränkten. Im Hinblick auf die Parteien wird weiter zwischen parlamentarisch etablierten und nicht etablierten Parteien differenziert. War eine Partei seit der letzten Wahl im Bundestag oder in einem Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten, ist sie ohne Weiteres wahlvorschlagsberechtigt. Andernfalls hängt ihre Zulassung zur Wahl davon ab, ob der Bundeswahlausschuss auf eine entsprechende Beteiligungsanzeige hin die Parteieigenschaft feststellt (§ 18 Abs. 2 BWahlG). Für die Rechtsstellung als Partei kommt es nach der verfassungskonkretisierenden Legaldefinition des § 2 Abs. 1 PartG wiederum auf den ernsthaften Wille an, bei der Vertretung des Volkes im Bundestag oder einem Landtag mitzuwirken. Dabei mag ein Argument für die Ernsthaftigkeit dieses Anliegens sein, dass eine Vereinigung in mehreren Bundesländern Landesverbände unterhält, zwingend erforderlich ist dies aber nicht. Demnach ist es für die Wahlvorschlagsberechtigung zur Bundestagswahl de lege lata hinreichend, dass eine Partei lediglich in einem einzigen Bundesland vertreten ist und dort zur Wahl antritt.
Fraglich ist jedoch, ob dies verfassungsrechtlich zwingend ist, oder ob nicht jedenfalls das Recht, mit Listenvorschlägen zur Bundestagswahl anzutreten, zusätzlich von der Ernsthaftigkeit der bundespolitischen Ausrichtung abhängig gemacht werden könnte. Auf diese Weise würde der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich beim Bundestag um das unitarische Verfassungsorgan des Bundes handelt, und zugleich der Charakter der Wahl als Integrationsvorgang gestärkt, indem sichergestellt würde, dass sich die Vorschlagsträger tatsächlich am Staatsganzen orientieren.
Auch dies begegnet mit Blick auf Art. 21 GG jedoch Bedenken, gehört die Beteiligung an Wahlen in der Parteiendemokratie des Grundgesetzes doch nachgerade zum Kern der Mitwirkungsaufgabe, die den politischen Parteien verfassungsrechtlich zugewiesen ist. Andererseits verlangt die Wahrnehmung dieser Aufgabe nicht zwingend, dass jeder Partei auch die Mitwirkung an jeder Wahl zu gestatten ist. Gleiches gilt mit Blick auf die Parteienfreiheit: Zwar schützt sie die Parteien darin, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Mitwirkungsrolle wahrnehmen. Auch kann es durchaus Ausdruck des spezifischen Tendenzcharakters einer Partei sein, sich für regionale Interessen auch auf Bundesebene stark zu machen. Gleichzeitig besteht jedoch auch ein verfassungsrechtlich legitimes Interesse daran, den Charakter der Wahl als Integrationsvorgang zu sichern und die politische Willens- und Mehrheitsbildung auf Bundesebene vor solchen Akteuren und Interessen zu schützen, die in erster Linie regional und spezialzweckorientiert agieren.
Indes steht mit der 5%-Klausel (§ 6 Abs. 3 S. 1 BWahlG) bereits ein scharfes und effektives Instrument gegen das Aufkommen von Sonderinteressen und die dadurch drohende Zersplitterung der parlamentarischen Willensbildung zur Verfügung. Diese Hürde hat die CSU seit 1949 ausnahmslos genommen. Dies mag ohne ihre Sonderrolle nicht zu erklären sein. Dennoch erscheint es fragwürdig, einer Partei, die eine derart nennenswerte Wählergruppe zu mobilisieren vermag, die bundespolitische Bedeutung abzusprechen. Zudem würde die Nichtzulassung zur Bundestagswahl im Vergleich zur 5%-Klausel ungleich schärfer wirken, da sie nicht erst den Wahlerfolg, sondern schon die Wahlbeteiligung versagen würde. Die Einführung eines zusätzlichen Kriteriums, das auf die Ernsthaftigkeit der bundespolitischen Ausrichtung zielt, drohte damit zugleich, v. a. neuen Akteuren den Einstieg in den bundespolitischen Willensbildungswettbewerb zu erschweren, zumal wenn man bedenkt, dass parlamentarisch nicht etablierte Parteien für das Einreichen einer Landesliste Unterschriften von bis zu 2000 im jeweiligen Bundesland Wahlberechtigten beibringen müssen (§ 27 Abs. 1 BWahlG).
Schließlich birgt die Verschärfung der Zulassungsvoraussetzung für die Bundestagswahl die Gefahr eines weiteren Machtzuwachses beim Bundeswahlausschuss. Dessen Rolle begegnet bereits jetzt erheblichen Bedenken. Dies ist zum einen seiner Zusammensetzung geschuldet: Neben dem Bundeswahlleiter und zwei Richterinnen des Bundesverwaltungsgerichts gehören ihm acht Besitzerinnen an, die auf Vorschlag der Parteien berufen werden (§ 9 Abs. 2 BWahlG). Es handelt sich folglich, wie die OSZE festgestellt hat, um eine Art „Peer Review“, in dem die etablierten Parteien über die Zulassung ihrer Wettbewerber entscheiden. Zum anderen kommt dem Bundeswahlausschuss schon jetzt eine erhebliche Machtfülle zu, was insbesondere dem unbestimmten Maßstab geschuldet ist, der ihm zur Feststellung der Parteieigenschaft zur Verfügung steht. Diesen dadurch zu vergrößern, dass mit der „Ernsthaftigkeit der bundespolitischen Zielsetzung“ ein weiteres vages Zulassungskriterium geschaffen wird, erscheint wenig ratsam. Erforderlich wäre vielmehr, dem Bundeswahlausschuss ein gesetzgeberisch konkretisiertes Kriterium an die Hand zu geben. So ließe sich das Verfahren im Hinblick auf das neue Zulassungskriterium etwa dahingehend formalisieren, dass die Ernsthaftigkeit der bundespolitischen Ausrichtung bei der Kandidatur in wenigstens zwei Bundesländern vermutet würde, wobei zuzugestehen ist, dass jede Grenzziehung sich dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen muss.
Im Übrigen sei angemerkt, dass ein solches Kriterium selbst dann, wenn die CSU sich gegen eine Landesliste in einem weiteren Bundesland entscheiden sollte, nichts daran ändern würde, dass sie auch weiterhin personalstark im Bundestag vertreten wäre, gewinnt die CSU doch regelmäßig alle bayerischen Direktmandate.
Änderung der Geschäftsordnung: Zustimmungsvorbehalt des Bundestages für den Zusammenschluss von Abgeordneten unterschiedlicher Parteien
Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sieht in § 10 Abs. 1 die Möglichkeit vor, dass Abgeordnete sich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenschließen. Dies gilt ohne Weiteres jedenfalls für Abgeordnete derselben Partei oder solcher Parteien, „die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen“ (§ 10 Abs. 1 S. 1 GOBT). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bedarf es für die Fraktionsbildung der Zustimmung des Bundestages (§ 10 Abs. 1 S. 2 GOBT). Der freiwillige Zusammenschluss von Mitgliedern des Bundestages ist dabei Ausdruck des freien Mandats der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Denn die Vereinigung mit anderen, in der unterschiedliche Interessen und Kenntnisse gebündelt, integriert und koordiniert werden, ermöglicht es den Abgeordneten erst, ihr Mandat effektiv wahrzunehmen. Damit ist die Bildung von Fraktionen auch für die Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt von erheblicher Bedeutung, das Bundesverfassungsgericht spricht gar von „notwendigen Einrichtungen des Verfassungslebens“. Dass die Größe einer Fraktion dabei keine triviale Frage ist, erklärt sich schon daraus, dass sich sowohl der Stellenanteil einer Fraktion als auch die Redezeit der Abgeordneten nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bemisst (§§ 12, 28 Abs. 1 GOBT).
Mit Blick auf das freie Mandat ist eine automatische Fraktionsbildung aus Abgeordneten der gleichen Partei ebenso ausgeschlossen wie ein genereller Zustimmungsvorbehalt des Bundestages (und auch die gängige Praxis von CDU und CSU, eine von den Vorsitzenden geschlossene Vereinbarung durch die Abgeordneten ohne Aussprache lediglich ratifizieren zu lassen, begegnet vor diesem Hintergrund erheblichen Bedenken). Etwas Anderes gilt jedoch für die Fraktionsbildung von Abgeordneten unterschiedlicher Parteien, da hier die Gefahr besteht, dass die Fraktion mangels politischer Homogenität nicht handlungsfähig ist. Verfassungsrechtlich wäre es daher durchaus zulässig, die Bildung einer Fraktion aus Abgeordneten unterschiedlicher Parteien stets von der Zustimmung des Plenums abhängig zu machen. Dies ist von der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages gem. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG gedeckt und war bis zur Parlamentsreform 1969 geltendes Recht.
Die Zustimmung zu einem solchen Zusammenschluss darf zwar mit Blick auf die Assoziationsfreiheit der Abgeordneten nicht allein deshalb versagt werden, weil die betroffenen Abgeordneten unterschiedlichen Parteien angehören. Ebensowenig aber vermag es zu überzeugen, einzig aus dem Umstand, dass CDU und CSU in keinem Bundesland miteinander in Wettbewerb stehen, eine Zustimmungspflicht abzuleiten. Dieses Spannungsfeld zeigt, dass die Frage der politischen Homogenität im Einzelfall schwierig zu beantworten und unterschiedlichen Auffassungen und Wertungen zugänglich ist. Die Änderung der Geschäftsordnung im Sinne einer Zustimmungspflicht für den Zusammenschluss von Abgeordneten unterschiedlicher Parteien bürge somit jedenfalls die Chance, ebendiesen Wertungen in der Öffentlichkeit einer Plenardebatte Ausdruck zu verleihen.
Die Antwort auf die Frage, wie mit der bundespolitischen Sonderrolle der CSU und der Zweckgemeinschaft der Unionsparteien umzugehen ist, ist folglich eher im Kleinen denn im Großen zu suchen: Statt sich auf das ungewisse Abenteuer einzulassen, die Voraussetzungen für das Listenvorschlagsrecht zur Bundestagswahl im Sinne eines unitarischen Kriteriums zu verschärfen, sollte die Geschäftsordnung des Bundestages dahingehend geändert werden, dass die Fraktionsbildung von Abgeordneten unterschiedlicher Parteien stets unter Zustimmungsvorbehalt gestellt wird. Dies hat der Bundestag in Wahrnehmung seiner Geschäftsordnungsautonomie ohne Weiteres in der Hand.
Ehrlich gesagt wundert es mich etwas, dass das sog. “Schwesternabkommen” zwischen CDU und CSU uns Parteienrechtler so beschäftigt. Letztlich handelt es sich bei diesem um eine Erscheiungsform einer informalen Absprache, die eben mit juristischem Handwerkszeug schwierig in Griff zu bekommen ist, und dies wohl auch gar nicht verlangt. So frage ich mich, warum es gerade diese letztlich rein taktische Absprache sein soll, welche eine Zustimmungsvorbehalt zur Fraktionsgründung auslösen soll. Wegen der Assoziationsfreiheit der Abgeordneten sollte ein solcher Vorbehalt ohnehin nur zurückhaltend gefordert werden und wenn, dann nur zur Abwehr drohender Funktionsdefizite des Bundestages. Diese sehe ich im Fall von CDU/CSU einfach nicht. Die Bayernzentrierung der CSU mag anstößig wirken, ist aber – wie Sie auch schreiben – von der Parteienfreiheit erfasst und damit kein verfassungsrechtliches Problem. Nur der Wähler hat es in der Hand dies ggü. CDU und CSU zu sanktionieren. Das Parteien- bzw. Parlamentsrecht hingegen hat nicht die Aufgabe, da als inhaltliches Korrektiv zu wirken, zumal – zumindest von außen gesehen – an der notwendigen politischen Homogenität der entsprechenden Abgeordneten wohl kaum zu zweifeln ist.
@Sven Jürgensen:
Zunächst einmal vermag ich nicht zu erkennen, dass das Schwesternabkommen zwischen CDU und CSU die Parteienrechtler übermäßig beschäftigen würde.
Und dies ist meiner Meinung nach auch gar nicht zu beklagen, denn Sie haben natürlich Recht: Es handelt sich in erster Linie um eine politische Frage. Es damit einfach auf sich beruhen zu lassen, verkennt jedoch, dass sie erhebliche rechtliche Auswirkungen zeitigt (die Fraktionsgröße ist für das Parlamentsrecht eben nicht egal und auch im Bereich der Parteienfinanzierung wirkt sich das Schwesternabkommen aus).
Es geht mir mitnichten darum, eine Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zu verhindern, und ich glaube auch gar nicht, dass die von mir angestellten “Gedankenspiele” dazu geeignet wären. Mein Anliegen geht v.a. dahin, der Absprache zwischen CDU und CSU mehr Öffentlichkeit zu verschaffen – ganz in Ihrem Sinne, dass alles Weitere dann in der Hand des mündigen Wählers bzw. Parteibürgers liegt.
Eine andere/weitere Möglichkeit wäre übrigens eine Regulierung der Umfrageinstitute, die meiner Meinung nach auch aus vielen anderen Gründen angezeigt wäre (aber das ist ein anderes Thema).
Ein zu viel an Behandlung möchte ich keinesfalls behauptet haben, da habe ich mich vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt. Mir ging es allein um das Problem der rechtlichen Erfassung dieses doch sehr tatsächlichen Phänomens. Mit den rechtlichen Auswirkungen haben Sie natürlich Recht, das ist nicht von der Hand zu weisen. In jedem Fall danke ich Ihnen für den interessanten Artikel!
Die Frage der politischen Homogenität einer Fraktion ist m. E. nicht so schwierig zu beantworten, wie Sie meinen. Ein wichtiges Indiz dürfte das Abstimmungsverhalten im Parlament sein. Und jedenfalls soweit ich es überblicke, stimmen die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in aller Regel einheitlich ab, einmal abgesehen von Fällen, in denen der sog. “Fraktionszwang” nicht gilt.
CDU/CSU scheinen Parteiengebilde mit besonderem regional geprägtem Flügel. Dies kann auf grundsätzlicher politischer Nähe und Verwandschaft gründen. Eine Umgehung einer 5%-Hürde oder anderer Missbrauch scheint weniger erkennbar. Parteiengebilde können der Form nach grundsätzlich frei sein. Ein Aufsichtsgrenze kann vielleicht erst bei Missbrauch etwa hinsichtlich der Umgehung einer 5%-Hürde greifen?
Irgendwie verstehe ich noch nicht, was das konkrete und materielle Problem der Fraktionsgemeinschaft ist. Wessen Rechte werden wo verletzt? Jedenfalls kann ein Problem, das durch den rein formellen Akt eines zustimmenden Parlamentsbeschlusses vollständig ausgeräumt werden kann, nicht so schwerwiegend sein.
Es scheint die Auffassung vorzuherrschen, dass nur schwerwiegende Probleme der rechtlichen Würdigung bedürfen. Es ging mir mit meinem Beitrag keinesfalls darum, eine Rechts- oder Verfassungswidrigkeit der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zu behaupten (auch wenn eine solche zumindest bezüglich des konkreten Zustandekommens gegeben sein dürfte, aber dieses Problem war nicht Schwerpunkt des Beitrags und ließe sich leicht beheben, wenn nicht lediglich eine Absegnung, sondern eine tatsächliche Beschlussfassung durch die betroffenen Abgeordneten stattfinden würde). Es ging mir lediglich darum, den Automatismus dieser Konstruktion anzuzweifeln und deutlich zu machen, dass sie eben nicht nur politische, sondern auch rechtliche Wirkungen zeitigt.
Gelegentlich helfen Parallelüberlegungen aus anderen Rechtsgebieten weiter. Würden CDU und CSU nicht um Wähler, sondern um Kunden werben, wäre ihr Verhalten als kartellrechtlich grundsätzlich unzulässige Gebietsabsprache zu bewerten (§1 GWB). Daran anschließen würden sich zwei Fragen:
a) Sind CDU und CSU Unternehmen im Sinne des Art. 101 Abs.1 AEUV in der Auslegung des EuGH (“jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung”)?
b) (falls Frage a) negativ beantwortet werden sollte:) Können oder müssen die kartellrechtlichen Wertungen analog in das Parteien- bzw. Wahlrecht übertragen werden?
Danke für diesen informativen Beitrag. Gibt es Informationen, ob diese Situation bzw. das Thema neu aufgerollt wird? Nach wie vor bin z. B. ich als Bayrischer Bürger der Auffassung, dass das unter demokratischen Gesichtspunkten nicht korrekt sein dürfte, wenn ich andere Wahlbedingungen habe als die Bürger 15 anderer Bundesländer.
Die Wahlprüfungsbeschwerden zur Wählbarkeit der CDU in Bayern (und der CSU sonstwo) hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls inzwischen verworfen. Das dürfte die von Rainer und Christine Roth sein: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/07/cs20200729_2bvc003318.html