Werk, Person, Amt – Ein Gedenksymposium zu Ehren von Ernst-Wolfgang Böckenförde
Am 24. Februar dieses Jahres verstarb Ernst-Wolfgang Böckenförde. Böckenförde prägte wie kaum ein anderer die staatsrechtlichen Debatten der Bundesrepublik Deutschland, als Wissenschaftler, Bundesverfassungsrichter und public intellectual.
Mit diesem Symposium möchte der Verfassungsblog Werk und Person Ernst-Wolfgang Böckenfördes würdigen und seiner gedenken.
Ernst-Wolfgang Böckenförde wurde am 19. September 1930 als eines von acht Kindern der Eheleute Gertrud und Josef Böckenförde in Kassel geboren. Nach dem Abschluss des Gymnasiums im Jahre 1949 studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte an den Universitäten Münster und München. 1953 legte er das erste juristische Staatsexamen ab und wurde 1956 in Münster bei Hans Julius Wolff mit der Arbeit Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus zum Dr. jur. promoviert. Von 1959 bis 1964 war Böckenförde Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Öffentliches Recht und Politik der Universität Münster. 1960 erfolgte in München bei Franz Schnabel die Promotion zum Dr. phil. mit der historischen Arbeit Die verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder.
1964 habilitierte sich Böckenförde in Münster mit der Arbeit Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung. Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Es folgten Professuren für Öffentliches Recht, Verfassungs- und Rechtsgeschichte sowie Rechtsphilosophie an den Universitäten Heidelberg (1964–1969), Bielefeld (1969–1977) und Freiburg im Breisgau (1977–bis zur Emeritierung 1995). Unter seiner Betreuung habilitierten sich Adalbert Podlech, Rolf Grawert, Rainer Wahl, Bernhard Schlink, Albert Janssen, Joachim Wieland, Christoph Enders und Johannes Masing.
Auf Vorschlag der SPD wurde Böckenförde in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt, dem er von 1983 bis 1996 angehörte. Er wirkte an vielen zentralen Entscheidungen mit, darunter die Entscheidungen Solange II (BVerfGE 73, 339), Finanzausgleich (BVerfGE 72, 330 und 86, 148), Ausländer-Wahlrecht (BVerfGE 83, 37), Schwangerschaftsabbruch II (BVerfGE 88, 203) und Maastricht (BVerfGE 89, 155). Hervorzuheben sind zudem die zahlreichen Sondervoten, insbesondere das gemeinsam mit Gottfried Mahrenholz verfasste Sondervotum zur zweiten Entscheidung über die Kriegsdienstverweigerung (BVerfGE 69, 1) sowie die Sondervoten zur Parteienfinanzierung (BVerfGE 73, 40) und zur Vermögenssteuer (BVerfGE 93, 121). Bei den beiden letzteren ist vor allem bemerkenswert, dass die dort von Böckenförde vertretenen Auffassungen später jeweils von der Senatsmehrheit übernommen wurden (BVerfGE 85, 264 und BVerfGE 115, 97).
Böckenförde mischte sich als public intellectual immer wieder in aktuelle Debatten ein, etwa zur Menschenwürde, zur Bioethik oder zum Kopftuch. Seine Beiträge zur Demokratietheorie und zur Religionsfreiheit fanden und finden Aufmerksamkeit und Anerkennung auch jenseits der rechtswissenschaftlichen Disziplin und außerhalb Deutschlands.
Böckenförde war Zeit seines Lebens bekennender Katholik und nahm immer wieder dezidiert Stellung zu innerkirchlichen Fragen. Er warb bei den deutschen Katholiken für Offenheit gegenüber der noch jungen bundesrepublikanischen Demokratie und half mit, seine Kirche mit dieser Staatsform zu versöhnen.
Das Symposium
Der wohl bekannteste Bestandteil aus Böckenfördes umfangreichem Werk ist das sogenannte Böckenförde-Diktum: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Diese Sentenz erlangte Bekanntheit weit über die rechtswissenschaftliche Debatte hinaus. Böckenfördes Wirken war aber in keiner Weise hierauf beschränkt und umfasste u.a. Arbeiten zu Rechtsstaat, Demokratietheorie und Sozialstaat, zur Verfassungsgeschichte, zur Grundrechtstheorie und einzelnen Grundrechten sowie Interventionen in zahlreichen aktuellen Debatten.
Im Rahmen dieses Symposiums möchten wir verschiedene Facetten des Werks und wissenschaftlichen Schaffens von Ernst-Wolfgang Böckenförde beleuchten. Die Beiträge sind durchaus auch als Einstieg und Ermunterung gedacht, sich näher mit den jeweiligen Themen und dem Werk Böckenfördes insgesamt zu beschäftigen. Wir würden uns freuen, wenn es uns gelänge, Werk und Bedeutung von Ernst-Wolfgang Böckenförde insbesondere der heutigen Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nahezubringen. Seine Beiträge stellen nicht nur scharfsinnige Analysen der Verfassungsordnung des Grundgesetzes dar. Ganz im Sinne des Verfassungshistorikers Böckenförde dokumentieren sie auch die historische Gewordenheit und Umkämpftheit vieler Positionen, die aus heutiger Sicht (allzu) selbstverständlich erscheinen.
Wir sind sehr froh, dass wir zahlreiche namhafte Autorinnen und Autoren für einen Beitrag gewinnen konnten. Im Einzelnen wird das Symposium folgende Beiträge umfassen (in der Reihenfolge ihrer geplanten Veröffentlichung):
Dr. Frieder Günther zu „Ernst-Wolfgang Böckenförde und die bundesdeutsche Staatsrechtslehre“;
Dr. Benjamin Rusteberg zu Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik im Werk Böckenfördes;
Prof. Dr. Christoph Enders zur Menschenwürde als normativem Prinzip;
Prof. Dr. Ute Sacksofsky M.P.A. (Harvard) zur Religionsfreiheit bei Böckenförde;
Prof. Dr. Joachim Wieland zum Sozialstaatsprinzip bei Böckenförde;
Prof. Dr. Dr. h.c. Gertrude Lübbe-Wolff zu Böckenfördes Theorie der repräsentativen Demokratie;
PD Dr. Mathias Hong zu Böckenfördes Thesen zum Ausnahmezustand;
Prof. Dr. Anna Katharina Mangold zum „Böckenförde-Diktum“;
Prof. Dr. Mirjam Künkler und Prof. Dr. Tine Stein zu „Böckenförde, the european“;
Prof. Dr. Dieter Gosewinkel zu Ernst-Wolfgang Böckenförde als Verfassungshistoriker.
Einen vertieften Einblick in Leben und Werk Böckenfördes vermitteln die bei Suhrkamp erschienen Sammelbände, insbesondere der Band „Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht“ (2011), der ein ausführliches biographisches Interview von Böckenförde mit Dieter Gosewinkel enthält.
Für die tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung des Symposiums geht unser ganz herzlicher Dank an Carla Dietmair und Sinthiou Buszewski.
Ich hatte das große Glück , ihn im Verfassungsrecht als Professor zu haben.
Es war Ende der 70 Jahre an der Uni Bielefeld.
Ich war damals links, bei den Jusos und der Linken Liste.
Ich war immer der Zwischenenftager.
Jedes mal hat er mich dazwichengegaltet.
Ich verdanke Ihm unschätzbar viel. Ich kann mich nicht mehr als bedanken.