Der virtuelle Mr. Hyde
Der Fall Amad A. und die Risiken der polizeilichen Informationsordnung
Heute vor einem Jahr brannte es in Zelle 143 der JVA Kleve. Darin eingeschlossen war der junge Syrer Amad A., der wenige Tage später seinen Verbrennungen und Vergiftungen erlag. Amad A. war am 6. Juli 2018 von der Polizei in Geldern festgenommen und darauf inhaftiert worden. Die Inhaftierung erfolgte aufgrund eines Haftbefehls, mit dem der Malier Amedy G. gesucht wurde. Amad A. befand sich fälschlicherweise in Haft und kam auf grässliche Weise ums Leben. Wie konnte es dazu kommen?
Ein Untersuchungsausschuss im Landtag NRW ist mit der Aufklärung des Falles befasst. In der Öffentlichkeit werden mehrere Erklärungen diskutiert.
Nach erster offizieller Darstellung beruhte die Inhaftierung auf einer Verwechslung. Die Polizei habe bei einer Datenabfrage zu Amad A. den Datensatz von Amedy G. gefunden und ihn für diesen gehalten. Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul verwies bei einer Fragestunde im Landtag NRW im April darauf, dass dies auf einem sogenannten Kreuztreffer im polizeilichen Informationssystem ViVA beruht haben könnte. Ein Kreuztreffer wird angezeigt, wenn Personen gemeinsame persönliche Merkmale aufweisen. Sowohl Amad A. als auch Amedy G. war der Alias „Amed Amed“ zugeordnet. Daher könnte das System bei der Suche nach Amad A. den Datensatz von Amedy G. angezeigt haben.
Diese Darstellung wirkte aus zwei Gründen wenig plausibel. Erstens hätte die Polizei bei einem Kreuztreffer manuell überprüfen müssen, ob der gefundene Datensatz zu Amad A. passte. Die im Informationssystem hinterlegten Fotos und Beschreibungen von Amad A. und Amedy G. zeigten aber keine besonderen Ähnlichkeiten. Auch Protokolle der Abfragen der Informationssysteme stützten diese Darstellung nicht. Auf dieser Grundlage entstand der Verdacht, dass die Polizei die betreffenden Datensätze vorsätzlich verändert haben könnte.
Anfang Mai wurde dann bekannt, dass eine Sachbearbeiterin der Kreispolizei Siegen die Datensätze von Amad A. und Amedy G. bereits am 4. Juli 2018 in dem Informationssystem ViVA zusammengeführt haben soll. Demnach wäre aus den beiden „Datenbankidentitäten“ eine dritte entstanden, der auch der Haftbefehl von Amedy G. zugeordnet wurde.
Es ist nicht Aufgabe dieses Beitrags, zu spekulieren, welcher Erklärungsansatz zutrifft. Fest steht jedoch: In allen diskutierten Szenarien hätten sich gravierende Risiken im Umgang mit polizeilichen Datenbanken realisiert, die am Ende ein Menschenleben kosteten.
Missrepräsentation und Kriminalisierung
Durch die Zuschreibung von Tatsachen oder Wertungen in polizeilichen Informationssystemen können Personen in Verdacht geraten, Straftaten begangen zu haben oder dazu zu neigen. Gewisse Attribute implizieren kriminelle Verhaltensweisen („Gewalttäter“) oder legen solche nahe („wechselt häufig den Aufenthaltsort“). Dies kann zur Kriminalisierung der Betroffenen beitragen. Wenn Personen gesellschaftliche Rollen zugeschrieben werden, kann daraus resultieren, dass sie diese akzeptieren und übernehmen. Dies kann vor allem fatal sein, wenn eine Attribution fehlerhaft erfolgt.
Kritisch zu begleiten sind daher aktuelle Bemühungen, durch die polizeiliche Daten leichter verfügbar und besser verknüpfbar werden sollen. Je schneller und leichter Daten abrufbar sind und je eher sie routinemäßig abgerufen werden, desto schwerer wiegt das bloße Vorhandensein in der polizeilichen Informationsordnung. Die Standardisierung der Speicherung, die rasche Verfügbarkeit und (teil-)automatisierte Verknüpfung von Daten begünstigen, dass Informationen aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst werden. Es wächst die Herausforderung, Relevanz und Kontext von Informationen zu bewerten.
Die dekontextualisierte Speicherung und Verknüpfung von Informationen kann sich unterschiedlich auswirken. Eine Verwechslung ist eine mögliche Folge. Nach der ersten offiziellen Darstellung im Fall Amad A. soll hier die Zuordnung eines Alias ausgereicht haben, um einer Person eine andere Identität und damit einen Haftbefehl zuzuordnen. Schenkt man dieser Darstellung Glauben, so müssten der Polizei bei der Kontextualisierung der bereitgestellten Informationen entweder krasse Fehler unterlaufen oder eine solche Kontextualisierung ganz unterblieben sein.
Derartige Risiken könnten sich mit dem Einsatz raffinierterer Methoden zur Verknüpfung von Informationen durchaus erhöhen. Möglich erscheint sogar, dass in der polizeilichen Informationsordnung durch die automatisierte Zuschreibung von Eigenschaften Abbilder von Persönlichkeiten entstehen, die sich von ihren Vorbildern loslösen – neben einem reellen Dr. Jekyll könnte sozusagen ein virtueller Mr. Hyde entstehen.
Datenschutz als Lösung?
Diesen Risiken ist unter anderem rechtlich zu begegnen. Bisher wird für den Schutz der Betroffenen im Rahmen der polizeilichen Informationsordnung primär das Datenschutzrecht eingesetzt. Die Ziele und die Funktionsweise der polizeilichen Informationsordnung stehen zum Teil im Widerspruch zu den datenschutzrechtlichen Prinzipien der Zweckbindung, Erforderlichkeit und Datensparsamkeit.
Allerdings ist noch grundsätzlicher zweifelhaft, ob das Datenschutzrecht in seiner traditionellen Ausrichtung als individuelles Abwehrrecht ausreichend ist, um die Betroffenen zu schützen. Die Datenverarbeitung in der polizeilichen Informationsordnung ist auf die Breite ausgelegt. Sie ist von einer besonderen Intransparenz gekennzeichnet, die den individuellen Schutz erschwert. Daher erscheint mit Blick auf die Kriminalisierung und Missrepräsentation ein verstärkter Blick auf strukturelle Aspekte geboten. Dabei sind unter anderem die institutionelle und prozedurale Dimension des Datenschutzes von Bedeutung, die eine wirksame Kontrolle der Datenverarbeitung erfordern.
Auch Vorgaben an die Organisation und Qualität von Daten könnten der falschen Zuschreibung von Attributen und anderen Risiken entgegenwirken. Die Qualität und Richtigkeit von Daten ist bereits jetzt ein datenschutzrechtliches Prinzip. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. d Richtlinie (EU) 2016/680 müssen personenbezogene Daten sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand sein. Allerdings ist dieser Grundsatz im nationalen Recht bisher nur schwach ausgeprägt.
Die Anforderungen an die Validierung und Kontrolle von Informationen sollten verstärkt werden. So könnten folgenreiche Datenveränderungen wie die Veränderung von Aliasen oder die Zusammenführung von Datensätzen erschwert werden. Zudem sollte der Grundsatz der Datenqualität als Anforderung an die Struktur von Informationssystemen verstanden werden. Zum Teil sind in polizeilichen Informationssystemen Defizite bei der Datenqualität „vorprogrammiert“ – etwa, wenn arabische Namen erfasst werden. Die traditionelle fünfteilige Struktur dieser Namen lässt sich nicht in das systemisch vorgegebene Schema von Vor- und Nachname pressen. Auch die verschiedenen Transkriptionen von Namen – im Falle von Ahmad etwa Ahmed, Achmed und Achmet – können die Systeme nicht abbilden. Dies kann dazu führen, dass die Träger arabischer Namen unter zahlreichen Aliasen in der Informationsordnung geführt werden und die Verwechslungsgefahr sich deutlich erhöht. Diese strukturellen Defizite sind mit Grundanforderungen an die Datenqualität unvereinbar.
Das herkömmliche Datenschutzrecht neigt außerdem in seiner Konzeption als Vorfeldrecht dazu, einfachgesetzlich aufgeweicht zu werden. Dies zeigt sich bei der Anwendung der Befugnisse zur Informationsordnung in den Polizeigesetzen und der Strafprozessordnung. Diese setzen tatbestandlich im Wesentlichen voraus, dass eine Datenverarbeitung für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben oder die Zwecke des Strafverfahrens erforderlich ist. Hieraus werden nur geringe Anforderungen für die Speicherung und Weiterverwendungen von Daten abgeleitet.
Zwar ließen sich aus den Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit auch strengere Voraussetzungen begründen. Um diese Maßstäbe zu konkretisieren, sollte das Datenschutzrecht aber mit weiteren Rechtspositionen aufgeladen werden. Dieses Potenzial besitzt es aufgrund seiner anerkannten instrumentellen Schutzebene. Mit den Worten von Nikolaus Marsch zielt das Datenschutzrecht „nicht selbstzweckhaft auf den Schutz von Daten ab“, sondern dient „dem Schutz einer Vielzahl anderer Rechte und Interessen“ (Das europäische Datenschutzgrundrecht, S. 87).
Diskriminierungsschutz und Unschuldsvermutung
So könnte das Datenschutzrecht das von Art. 3 Abs. 3 GG abgedeckte Interesse am Schutz vor Diskriminierung stärker berücksichtigen. In seiner Entscheidung zur Antiterrordatei erwähnte das Bundesverfassungsgericht den verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutz im Zusammenhang mit der Aufnahme religionsbezogener Merkmale in Datenbanken und begründete diesbezüglich erhöhte Anforderungen. Für die Berücksichtigung entsprechender Daten sei „von Verfassungs wegen eine zurückhaltende Umsetzung geboten“. Dem sei „dadurch Rechnung zu tragen, dass die Aufnahme entsprechender Angaben nicht über eine lediglich identifizierende Bedeutung hinausgeht“. Daraus lässt sich folgern, dass nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Merkmale ohne besondere Rechtfertigung nicht in Datenbanken vorgehalten werden dürfen, um diese zur Grundlage einer Bewertung zu machen.
Auch die nach Art. 6 Abs. 2 EMRK gewährleistete Unschuldsvermutung kann das Datenschutzrecht aufladen und seine Schutzrichtung konkretisieren. Sie schützt nach dem Bundesverfassungsgericht nicht nur vor Schuldspruch und Strafe, sondern auch vor Nachteilen, die diesen „gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung vorausgegangen ist“. Das Gericht sieht die Speicherung personenbezogener Daten aus (abgeschlossenen) Strafverfahren zwar regelmäßig nicht im Konflikt mit der Unschuldsvermutung. So kann die Unschuldsvermutung weder vor Strafverfolgung, noch vor der Speicherung von Daten zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung schützen, wenn es hierfür einen Anlass gibt. Jedoch leitet das Bundesverfassungsgericht aus der Unschuldsvermutung eine Anforderung an die Datenqualität ab, wonach Verdachtsdaten nach einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung zu überprüfen sind. Berichten der Datenschutzaufsicht zufolge wird dies in der Praxis allerdings nicht immer beherzigt.
Treffender als das Bundesverfassungsgericht greift der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Risiken der Datenspeicherung auf und berührt dabei ebenfalls das komplizierte Verhältnis von Datenschutz und Unschuldsvermutung. Im Fall Marper stellte der EGMR fest, die Speicherung personenbezogener Daten aus Strafverfahren könne nicht mit der Äußerung eines Schuldverdachtes gegenüber der betroffenen Person gleichgesetzt werden. Gleichwohl würde „ihre eigene Wahrnehmung, sie würden nicht als unschuldig behandelt, dadurch verstärkt, dass ihre Daten wie bei verurteilten Straftätern auf unbegrenzte Zeit gespeichert werden, während die solcher Personen, die nie einer Straftat verdächtig waren, vernichtet werden müssen“. Dies benennt das Risiko einer kriminellen Etikettierung direkt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Fall Khelili: Eine Frau war über 18 Jahre lang in einer polizeilichen Datenbank als Prostituierte gekennzeichnet gewesen, weil bei ihr verdächtige Visitenkarten aufgefunden worden waren. Die Attribution in der Datenbank legte ein strafbares Verhalten nahe, obwohl Frau Khelili nie verurteilt worden war. Dies sah der Gerichtshof auch angesichts der langen Speicherdauer „insbesondere im Hinblick auf das überragende Prinzip der Unschuldsvermutung“ als Verletzung von Art. 8 EMRK an.
Die potentiell stigmatisierenden Wirkungen einer Datenspeicherung zu Zwecken der Kriminalprävention sollten der Rechtsprechung des EGMR folgend genau berücksichtigt werden. Dies direkt an der Unschuldsvermutung festzumachen ist zwar nicht zwingend, sie bietet aber zumindest einen Anhaltspunkt für die relevanten Risiken.
Aufklärung und Konsequenzen
Der Fall Amad A. wirft ein Schlaglicht auf Risiken der polizeilichen Informationsordnung. Gravierende Defizite beim Umgang mit Daten könnten hier mit ursächlich für den Tod eines jungen Menschen geworden sein. Es ist zu hoffen, dass dem nordrhein-westfälischen Untersuchungsausschuss eine umfassende Aufklärung des Falles gelingen wird, aus der auch Konsequenzen für den Umgang mit Informationssystemen folgen.
Derweil dürften sich die benannten Risiken in vielen Fällen eher im Verborgenen realisieren. Gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Neuordnung des polizeilichen Informationswesens verdienen sie mehr Aufmerksamkeit. Um Betroffene zu schützen, bedarf es nicht nur einer Aktualisierung der materiellen datenschutzrechtlichen Vorgaben. Auch eine genaue Analyse der Risiken, eine wirksame Kontrolle sowie technische Schutzmaßnahmen sind unerlässlich.
Zur Frage der rein praktischen polizeilichen Bearbeitung dieses Problemfelds und unabhängig vom genannten konkreten Einzelfall der mehr durch die persönliche Inkompetenz der befassten Beamten als durch systeminhärente Probleme verursacht wurde:
Gerade die im Bereich 2015 / 2016 eingewanderten Personen (aber auch viele aus anderen “Jahrgängen”) wurden größtenteils nicht ausreichend erkennungsdienstlich behandelt. Selbst in den Ausländerzentraldateien sind auch nach Jahren keinerlei Bilder der Personen vorhanden obwohl mehrfach Aufenthaltstitel ausgestellt und/oder verlängert wurden. Ebenso fehlen bei einem Gros die Fingerabdrücke.
Aufgrund einer Unzahl von verwendeten Alias-Namen und unklaren Geburtsdaten (01.01.19xx) ist es daher rein praktisch für Polizeibeamte nicht feststellbar, wer die vor ihnen stehende Person tatsächlich ist.
Dazu kommen dann noch Probleme in der Ausstattung oder mit dem vorhandenen Personal. Beispielsweise funktioniert dann der Fingerabdruckscanner nicht, die Datenbank funktioniert gerade nicht und die Datenbanken weisen auch jede Menge interne Fehler und falsch zugewiesene Daten auf.
Dem kann rein praktisch weder durch rechtliche Grundlagen noch irgendwelche rechtsphilosophischen Überlegungen begegnet werden, sondern nur durch deutliche Entschleunigung bei der Bearbeitung des Falls, deutlich größere Sorgfalt seitens der Polizei bei der Identitätsfeststellung und kritisches Hinterfragen der vorliegenden Informationen durch die sachbearbeitenden Beamten.
Um dies zu erreichen muss entsprechend in Aus- und Weiterbildung der Beamten investiert werden, in mobile Fingerabdruckscanner für jeden Streifenwagen (da dies eines der besten Mittel für die Identitätsfeststellung noch an der Kontrollörtlichkeit darstellt) und insbesondere in zu erarbeitende schriftlich klar fixierte Prozedere wie eine korrekte Identitätsfeststellung durchgeführt wird.
Um solche Fälle wie den genannten zu vermeiden ist es unerlässlich praktische reale Maßnahmen zu ergreifen, da irgendwelche Datenschutz-Ideen etc an der simplen praktischen Realität der Polizeiarbeit auf der Straße schlicht und einfach scheitern.
Zielsetzung muss es sein, die Identität der Person bei einer Kontrolle bereits vor Ort eindeutig feststellen zu können, um selbst die fälschliche Verbringung zur Identitätsfestellung in eine Polizeiinspektion zu verhindern.
Neben der genannten deutlich größeren Sorgfalt, dem daraus resultierenden größeren Zeitansatz für eine Kontrolle noch vor Ort und technischen Hilfsmitteln (vor allem anderen ein eigener Rechner mit entsprechenden Abfragemöglichkeiten und Fingerabdruck-Scanner vor Ort (!) ist es auch notwendig, die in Deutschland befindlichen Migranten und Flüchtlinge nachträglich besser erkennungsdienstlich zu behandeln.
Zur Frage der Speicherdauer polizeilicher Informationen möchte ich noch darauf verweisen, dass es verschiedene polizeiliche Datenbanken gibt und in einigen der “internen” polizeilichen Datensammlungen (Speicherung von Daten über Einsätze, Speicherung der Aktenzeichen und der unter diesen Aktenzeichen gesicherten Informationen etc) Angaben über Personen nochmal deutlich länger gespeichert und für die polizeiliche Arbeit und Beurteilung von Personen heran gezogen werden. Abfragen in solchen “internen” Datenbanken werden darüber hinaus teilweise nicht protokolliert und unterliegen damit keinerlei Kontrolle in Bezug auf ihre Verwendung.
Mir stößt die Formulierung “nicht ausreichend erkennungsdienstlich behandelt” auf. Ich bin in diesem Sinne wohl ebenfalls “nicht ausreichend behandelt”, und diesem Kommentar folgend (dem ich ansonsten größtenteils zustimme) bewahrt mich wohl nur meine Hautfarbe in Kombination mit dem Glück, dass hierzulande schon ausreichend Datenspuren über mich vorhanden sind, vor staatlichem Unbill. Es kann doch nicht sein, dass andere Menschen, die ebenso unbescholten sind, aber nicht das Glück haben, dass ihre Namen und Geburtsorte in Schemata passen, die sich Datenbankdesigner als allgemeingültig betrachtet haben, dies nur durch eine Behandlung, wie sie für einer Straftat Verdächtige über sich ergehen lassen müssen, vermeiden sollen.
Sehr geehrter Herr SH,
wenn sie deutscher Staatsangehöriger sind, so sind sie im Prinzip ausreichend “erkennungsdienstlich” behandelt. Das hat rein gar nichts damit zu tun ob sie eine Straftat begangen haben oder nicht. Dazu am Ende des Textes aber noch eine Anmerkung.
Da sie beispielsweise für ihren Ausweis oder Reisepass ihr biometrisches Bild abgeben steht dieses dem Staat zur Verfügung. Ebenso ihre Fingerabdrücke. Dazu kommen noch die Einträge aus den Einwohnermelderegistern, den Fahrzeugzulassungsdatenbanken usw
Im Vergleich dazu was der Staat über jeden seiner eigenen Staatsangehörigen an Daten hat ist die Datenlage bei hier in Deutschland lebenden Ausländern viel schlechter. Beispielsweise fehlen Lichtbilder. Nehmen wir etwas ganz einfaches profanes: Sie fahren zu schnell, es wird eine (etwas unscharfe) Photograpie von Ihnen angefertigt dabei. Ein Zuhörbogen wird an sie als Halter versandt, sie reagieren darauf nicht und äußern sich nicht. Es erfolgt eine Aufruf zur Fahrerermittlung durch die Bußgeldstelle an die für ihren Wohnbereich zuständige Polizeiinspektion. Diese schreibt sie an, sie reagieren nicht. Der Beamte holt von der Gemeinde ihr Lichtbild, vergleicht es und wird festgestellt – sie waren es und damit müssen sie zahlen.
Nun wird ein Rumäne auf die gleiche Weise abgelichtet da er zu schnell fuhr. Alles sonst gleich. Aber der Polizeibeamte hat nun kein Lichtbild. Der Rumäne kann nicht angetroffen werden. Das Verfahren wird eingestellt und der Rumäne bezahlt nichts.
Das ist Alltagsroutine. Und das ist es was ich mit nicht ausreichend erkennungsdienstlich behandelt meine. Bei Flüchtlingen wie Migranten steigert sich dass dann durch Fehlzuweisungen von Daten, teilweise dutzende Aliasnamen, teilweise mehrere Meldeadressen, lauter gleichlautende Namen, gleichlautende Aliasnamen und gleichlautende Geburtsdaten ad extremum.
Da gibt es dann (wiederum natürlich rein fiktiv!) nicht weniger als über 100 Syrer die alle Ahmed Mohammad heißen, alle aus Allepo stammen, alle noch mehrere weitere Aliasnamen und Aliasgeburtsdaten haben (durch diese werden sie übrigens im praktischen Alltag überhaupt erst oft auseinander gehalten) und die alle am 01.01.1999 geboren worden sind. Und von keinem gibt es Fingerabdrücke von ungefähr 50 nicht einmal ein Lichtbild. Und 15 davon werden nun per Haftbefehl gesucht (aus diversen Gründen). Das dies rein praktisch nicht bearbeitbar ist, weil also diese Personen nicht ausreichend erkennungsdienstlich behandelt sind, sollte jedem sofort einleuchten.
Sie werden also nicht aufgrund ihrer Hautfarbe und irgendwelcher Datenspuren nicht Opfer staatlicher Unbill wie Sie schreiben, sondern weil sie im Gegensatz zu diesen Personen für den Staat sehr klar erkennbar, auffindbar und im Fall der Fälle schnell und einfach identifizierbar sind. Völlig unabhängig von der Frage ihrer Hautfarbe.
Demgegenüber hat die völlige Überforderung der Behören 2015 und 2016 Zustände hervor gebracht, welche bis heute nicht überwunden sind und welche die praktische Arbeit der Behörden extremst erschweren bis verunmöglichen.
Beschließend noch zu der von Ihnen aufgeworfenen Aussage, dass es doch nicht sein kann, dass Menschen nur weil sie von woanders her kommen sich erkennungsdienstlich behandeln lassen müssen, wie Personen die einer Straftat verdächtig sind.
Sie lassen hierbei außer Acht, dass diese Personen mit der Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik unabhängig davon ob sie hier Asyl beantragen oder nicht trotzdem allein dadurch üblicherweise drei Straftaten begehen: illegale Einreise, Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel, Aufenthalt ohne Pass (in der Mehrzahl der Fälle).
Wir sprechen hier also nicht von Personen welche eine Behandlung erdulden sollen wie Personen welche eine Straftat begangen haben (=erkennungsdienstliche Behandlung). Diese Personen haben eine Straftat begangen und werden auch heute noch alle wegen dieser Straftat polizeilich in speziell dafür entworfenen Schnellverfahren angezeigt. Sie erkennungsdienstlich zu behandeln ist daher rechtlich gar kein Problem. Es ist nur rein praktisch ein Problem geworden, da uns die Kontrolle hier zu weitgehend entglitten ist.
Vereinfacht gesagt: Es handelt sich um Straftäter. Dass ihre Straftaten sofort eingestellt werden und die Einreisekriminalität in Deutschland de facto nicht mehr verfolgt wird ändert an diesem Grundumstand rechtlich rein gar nichts.
Hochachtungsvoll
Haben Sie vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Sicherlich haben wir es mit vielen polizeipraktischen und technischen Gegebenheiten zu tun, die sich rechtlich nicht vollends steuern lassen. Praktische Berichte aus diesem Bereich sind von einem unschätzbaren Wert, um die Situation zu verbessern. Trotzdem würde ich rechtliche Erwägungen hierzu nicht als nutzlos abtun. Es gibt diverse rechtliche Graubereiche, in denen klarere Vorgaben nicht nur den Informationssubjekten, sondern auch den Nutzerinnen der Informationsressourcen helfen könnten. Die rechtlichen Vorgaben spielen sowohl bei der Aus- und Fortbildung als auch der Sensibilisierung eine nicht ganz unwichtige Rolle.
Sehr geehrter Herr Golla,
rechtliche Erwägungen sind niemals nutzlos, sondern sie sollten in jedem Fall die (einzige) Grundlage jedweden polizeilichen Handelns sein. Wenn ich mich hier mißverständlich äußerte so tut mir dies leid. Ich will diesen Punkt also noch mal gesondert aufgreifen und an (natürlich rein fiktiven!) praktischen Beispielen erläutern:
Wenn ein Polizeibeamter eine Personenkontrolle durchführt, bedarf er dafür einer Rechtsgrundlage. Unterschieden wird hier zwischen Kontrollen anhand einer Grundlage und verdachtsunabhängigen Kontrollen.
Verdachtsunabhängige Kontrollen sind nur möglich innerhalb der klar und exakt definierten Begrenzungen welche das Polizeiaufgabengesetz für sie vorsieht. Das heißt praktisch: hier gibt es keinerlei rechtliche Graubereiche. Beispielsweise ist eine solche Kontrolle anhand der Kontrollörtlichkeit und der Zielsetzung der Kontrolle erlaubt oder nicht. Es gibt hier vom Polizeiaufgabengesetz her keinen Graubereich, also kein eventuell. Wenn die Kontrolle rechtswidrig trotzdem stattfindet so geschieht das in der Praxis, ändert aber an der rechtswidrigkeit der Maßnahme und damit an der rechtswidrigkeit aller Folgemaßnahmen rein gar nichts.
Ein (rein fiktives) praktisches Beispiel:
In einer Nebenstraße einer Großstadt wird ein Farbiger (anscheinend Afrikaner) einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen. Die Beamten argumentierten, dass die Kontrolle rechtmässig sei, da es sich um einen gefährlichen Ort handele, da das ganze Stadtgebiet ein gefährlicher Ort sei. Der Begriff gefährlicher Ort ist aber klar definiert. Die entsprechenden Gebiete sind räumlich exakt festgelegt. Die Beamten durchsuchen den Afrikaner gegen seinen Willen nach Ausweisdokumenten und wenden dabei weil dieser das nicht will unmittelbaren Zwang in Form von einfacher körperlicher Gewalt an. Sie finden einen deutschen Personalausweis. Die Abfrage ergibt lediglich in einer nachrangigen polizeiinternen Datenbank zwei geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeiten wegen Parken im Halteverbot und Überschreiten des Termins zur Hauptuntersuchung.
Sie durchsuchen die Person nach Auffinden des Dokumentes trotzdem weiter mit der Behauptung dies sei zur Eigensicherung notwendig, führen aber dabei eine mit Zwang durchgesetzte vollständige Feindurchsuchung durch. Zielsetzung ist in Wahrheit das Auffinden von Drogen, weil die Beamten krampfhaft solche auffinden wollen da ihnen die Führung wegen zu weniger Aufgriffe schon im Nacken sitzt. Negativ. Sie lassen den Mann laufen.
Mit solchen “Tricks” wie der Behauptung: gefährlicher Ort – Eigensicherung wollen sie sich mangels Rechtskenntnis selbst absichern und glauben sie könnten damit ihre Kontrolle legalisieren. Aber nichts davon macht ihre Kontrolle rechtmässig, im Gegenteil.
Von Beginn an ist die Kontrolle unrechtmässig, sind alle Folgemaßnahmen unrechtmässig und begehen die Beamten damit eindeutig eine Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Nötigung usw usf. Straftaten für die man sie aus dem Dienstverhältnis entlassen kann.
Wie sie nun so richtig geschrieben haben sind klare Vorgaben vor allem auch für die Nutzer der Informationsressourcen wertvoll und helfen diesen. Diese klaren Vorgaben aber existieren bereits. Sie müssten nur umgesetzt werden. In der praktischen Realität aber versuchen oft Polizeibeamte diese klaren und eindeutigen Vorgaben zu umgehen und Lücken zu finden wo keine sind und scheinlegalisieren damit ihr rechtswidriges Handeln. Ein Musterbeispiel dafür ist die simple und gelogene Behauptung der Gegenüber habe gerötete Bindehäute und man habe Marihuanageruch wahrgenommen um dadurch eine Legalisierung der eigenen folgenden Maßnahmen zu erreichen. Dafür genügt es dass beide Beamte sich vorher absprechen und übereinstimmend lügen. Dies geschieht praktisch in vielen Bereichen viel öfter als man in der Öffentlichkeit denkt. In allen Bereichen der polizeilichen Arbeit. Dafür gibt es viele Gründe, der wichtigste aber ist Druck von höheren Stellen entsprechende Aufgriffe zur produzieren und der Wille der Beamten dies auch unter allen Umständen zu tun, nicht nur für das eigene Fortkommen aber auch für Ansehen innerhalb der Einheit, um nicht vom Dienstvorgesetzten angegangen zu werden oder um keine negativen beruflichen Folgen für sich befürchten zu müssen.
Wenn beispielsweise vermehrt Afrikaner durchsucht werden liegt das nicht an irgendwelchem Rassismus der Beamten als vielmehr dem Versuch mehr Aufgriffe zu produzieren in Kombination mit der simplen polizeilichen rein praktischen Erfahrung dass die Kontrolle von Afrikanern hier im Schnitt mehr rein praktische Erfolge produziert.
Der Leistungsgedanke führt dann hier schnell zum Überschreiten eigentlich vorhandener eindeutiger rechtlicher Grenzen. Ich kann ihnen also nur absolut zustimmen, dass eine stete Weiterbildung und auch Wiederholung dringend notwendig ist, nicht gegen die Polizei gerichtet, sondern vor allem anderen zu deren Nutzen.
Dieser Gedanke ist aber vielen Polizeibeamtene fremd, dies umso mehr je länger sie von der Ausbildung fort sind und je länger sie in der praktischen Arbeit erfolgreich sind. Es greift hier im Prinzip der Bestätitungsfehler: man tut etwas, hat Erfolg, es hat keinerlei negative Konsequenen, man wiederholt die Sache, hat erneut Erfolg, keine Konsequenzen etc etc
So schleicht sich mit der Berufserfahrung, der Routine und der praktischen Abarbeitung des Geschehens dann mehr und mehr das Nicht-Beachten eindeutig klarer rechtlicher Grenzen, die rechtliche Grenzüberschreitung ein. Bei den einen mehr, bei den anderne weniger, aber mit der Zeit doch immer zunehmend.
Die rechtliche Sensibilisierung ist daher, auch hier kann ich ihnen erneut nur zustimmen in Wahrheit in der Frage der Eigensicherung für die Polizeibeamten selbst eigentlich eine wesentliche Sache. Aber dennoch wird sie oft von erfahrenen Polizeibeamten abgetan, ja abgelehnt, schlicht und einfach weil ihr jahrelanger oder jahrzehntelanger beruflicher (teilweise) großer Erfolg sie zu der Überzeugung hat kommen lassen, dass sie die tatsächliche Befähigung dazu haben, das Recht praktisch zu nutzen und damit meinen sie so zu biegen, dass es ihnen für die Erledigung der praktischen Arbeit von Nutzen ist.
Dies ist in der heutigen Zeit meiner Einschätzung nach einer der primären Gründe für solche Grenzüberschreitungen durch Polizeibeamte und nicht Rassismus oder andere oft vermutete Gründe.
Hochachtungsvoll