Was „weiße“ Rechtswissenschaft jetzt tun kann
Vom schöpferischen Widerstand des Rechts
Trayvon Martin, Michael Brown, Alton Sterling, Botham Jean, Atatiana Jefferson, Ahmaud Arbery, George Floyd. Das sind Namen afroamerikanischer Opfer von Polizeigewalt und hate crimes. Mahnend stehen sie für rassistische Gewalt, der sich people of color ausgesetzt sehen.
Die globale Öffentlichkeit interessiert sich für diese Realität wie nie zuvor. Handykameras tragen Vorgänge, die in den USA jahrhundertelange Tradition haben, über die Grenzen Amerikas hinaus.
Auch die deutschsprachige Welt reagiert. Doch wenn hierzulande US-amerikanische Entwicklungen aufgegriffen werden, geschieht es oftmals überspitzt und oberflächlich. Debatten werden schlicht importiert, ohne ihren spezifisch amerikanischen Kontext zu bedenken. Das droht nun auch für die Rassismus-Debatte.
Während ein Teil der Bundesrepublik sich in einer Retropie verortet, in der brave Gendarmen Störenfriede jagen, sagt sich der andere, bei uns sei alles genauso wie in den USA, die Polizei – womöglich der ganze Staat – eine fundamental rassistische Institution. Über die sozialen Netzwerke des urbanen Bürgertums schwappt eine wokeness-Welle. Ein Aktionismus greift um sich, der in dieser Form wenig verändern wird, sondern im Gegenteil die Gräben vertieft und das Gespräch von der auch in Deutschland nötigen Debatte mit eigenen Akzenten ablenkt.
Die globalen Unternehmen, längst geübt darin, sich den black struggle anzueignen, münzen die Tragödien in Marketing um: Die hier im ersten Satz genannten Namen schwarzer Opfer machte sich etwa kürzlich McDonald’s zunutze. Es verwandelte die Symbole rassistischer Gewalt in einen Werbeslogan, der sich hinter „Food, folks and fun“ und „I’m lovin‘ it“ einreihen lässt.
Wissen um die Un-Ordnung der Welt
Anders dagegen die Situation bei den seit jeher Betroffenen. Manch einer mag sich an die Eingangsworte Adornos im SPIEGEL-Interview von 1969 zur Studentenbewegung erinnert fühlen:
„SPIEGEL: Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung …
ADORNO: Mir nicht.“
Uns nicht. Die Prozesse, die sich nun in gesteigerter Form in den USA beobachten lassen, sind uns schon lang bekannt. Was dort gerade greifbar hervortritt, scheint Martin Luther Kings hoffnungsvollen Ausspruch, „the arc of a moral universe is long, but it bends toward justice“, den jeder gebildete Amerikaner kennt, zu widerlegen. Dennoch sollte man den Kairos nicht verstreichen lassen, das Wissen von people of color um die Un-Ordnung der Welt in eine dafür zunehmend sensibilisierte Öffentlichkeit zu tragen.
Auch die deutschsprachige, „weiße“ Rechtswissenschaft kann dabei eine Rolle erfüllen. „Weiß“, das meint hier nicht, dass jede Person, die sich an der deutschen Rechtswissenschaft beteiligt, einer (ohnehin nicht biologisch realen) „rassischen“ Kategorie des „Weißen“ unterfällt. Aber es gibt in jedem Diskurs Prozesse, die das Sagbare steuern und selektieren. Nicht weil „weiße“ Rechtswissenschaftler in verrauchten Hinterzimmern minutiös planen, wie die Hegemonie des weißen Mannes zu bewahren sei. Sondern, weil sie in ihren Erfahrungen und Perspektiven schlicht anders sozialisiert sind als people of color und dem Diskurs ihr Vokabular aufprägen. So entstehen spezifische Haltungen zum status quo, die häufig in der Rechtsdogmatik zusammenlaufen. Sie stellt (je nach Spielart mindestens teilweise) den Anspruch der Objektivität und Politikfreiheit – und erfüllt damit ohne Frage für das Rechtssystem eine ganz wesentliche Funktion, zu der etwa gehört, sich dem ständigen Wertungs- und Rechtfertigungszwang offen politischer Entscheidungen zu entziehen. In dieser Funktionsweise liegt aber zugleich oftmals ein Ausschluss marginalisierter Perspektiven, die eher auf Veränderung drängen sowie ein Verschleiern der Wertungen und Standpunkte der Rechtswissenschaft.
Solange nicht mehr people of color in den deutschen Universitätsbetrieb gelangen – die Zeichen stehen so nicht –, wird sich das nicht ändern lassen. So perpetuieren diese Prozesse im Fall der Rechtswissenschaft eine Hegemonie der „weißen“ (und männlichen) Perspektive.
Diesem Feld eine hilfreiche Rolle im Rassismus-Kontext zuzubilligen, mutet kontraintuitiv an. Dennoch kann diese „weiße“ Rechtswissenschaft jetzt nützlich sein. Sie kann ein groß angelegtes und womöglich folgenreiches Projekt der Selbstaufklärung und Perspektiverweiterung antreten. Zwei komplementäre Handlungsoptionen der Rechtswissenschaft werden im Folgenden umrissen: eine, die sich auf ihre Theorie, und eine andere, die sich auf ihre Rolle im universitären Gefüge bezieht.
Perspektiverweiterungen der „weißen“ Rechtswissenschaft
Für die erste Handlungsoption wird es darum gehen, in der Rechtswissenschaft bereits vorhandene Ansätze, die marginalisierte Perspektiven einbeziehen, behutsam in den „Mainstream“ hineinzutragen, ohne dabei unreflektiert spezifisch US-amerikanische Blickwinkel zu übernehmen. Die Rechtswissenschaft kann dabei eigene, bislang eher marginalisierte Wissensbestände und solche der Nachbardisziplinen aufgreifen.
Die Anschauungsbeispiele sind zahlreich. Drei davon werden im Folgenden kurz skizziert – die Ausführungen bleiben an dieser Stelle notwendigerweise nur Andeutungen; sie weiter zu erkunden könnte zur Aufgabe der nächsten Zeit werden.
Erstens kann die Polizei als Beispiel dienen. Wird sie in den USA – wohl zurecht – als fundamental rassistische Institution scharf angegangen, bedarf es andernorts einer Polizeiwissenschaft, die den Ursprüngen der Polizei in lokalen Studien nachspürt und die historischen Erkenntnisse in das Verständnis des modernen Polizeirechts einordnet. Wenn Angst und Prävention empfundener Gefahren zunehmend zu Prinzipien politischer Sinngebung unserer Gesellschaft werden, kann das Wissen um die Funktionsweisen von Polizei in verschiedenen historischen Konstellationen dabei helfen, auch ihre jetzige Rolle kritisch zu reflektieren. Wo eine prädominant „weiße“ (im obigen Sinn) Rechtswissenschaft bspw. polizeiliche Befugnisse v. a. dogmatisch detailreich untersucht – und das ist sicher auch notwendig und ertragreich –, könnte ein stärker minoritär geprägter Blick dazu beitragen, die tendenziell affirmative Haltung, die eine solche Polizeirechtsdogmatik trägt, zu hinterfragen.
Zweitens kann etwa die Rechtsgeschichte die noch unzureichend beleuchteten Zusammenhänge zwischen dem modernen Staatsangehörigkeitsrecht und dem deutschen Kolonialismus erhellen. Der Kolonialismus bewirkte eine „unscheinbar anmutende, aber in ihren Konsequenzen lange nachwirkende Veränderung des Staatsangehörigkeitsrechts“, die erst „durch ihren kolonialen Kontext verständlich wird“. Der Umschwung vom ius soli zum ius sanguinis und die Folgen dieser Verschiebung, die noch in den 1990ern im Zusammenhang mit den „Aussiedlern“ hohe praktische Relevanz hatten, ist eng mit der deutschen Kolonialgeschichte verbunden. Das birgt Lektionen, auch für das heutige deutsche Selbstverständnis von Staatsbürgerlichkeit und seine potentiell exkludierenden Effekte.
Drittens ließen sich auf einer noch höheren Abstraktionsebene Bausteine einer Demokratie- und Verfassungstheorie herausgreifen, die „differenzorientiert und postidentitär“ konzipiert sind. Anleitung kann eine solche Theorie suchen bei people of color, die selbst gerade nicht in eine der reichlich simpel konstruierten „rassischen“ Gegensätze wie „schwarz“ und „weiß“ fallen und etwa aus Feldern wie der queer theory lernen, wie die Essentialismusfalle in der rechtlichen Rekonstruktion von Identitäten vermieden werden kann. In diesem Kontext ließen sich auch die Eigenlogiken minoritärer Praktiken ergründen und Öffnungen des Rechts ihnen gegenüber diskutieren, wie sie etwa schon von den Freirechtslehren des frühen 20. Jh. erkundet wurden (nicht ohne Zufall sind deren Vertreter häufig jüdischer Herkunft gewesen).
Diese Pfade sind noch vergleichsweise wenig betreten. Aber sie sind es wert, beschritten zu werden, denn auf ihnen lässt sich rechtsimmanentes und zugleich kritisches Denken vorführen – eine seltene Konvergenz.
Dass also hier mit Theorie (i. w. S.) auf das durchaus praktische Problem struktureller und institutioneller Ungleichbehandlungen bestimmter Menschen geantwortet wird, scheint merkwürdig. Doch „we need useless theory more than ever today“,wie Slavoj Žižek üblich plakativ formuliert. Oder wieder mit Adorno:
„SPIEGEL: Wie wollen Sie aber die gesellschaftliche Totalität ohne Einzelaktionen ändern?
ADORNO: Da bin ich überfragt. Auf die Frage ‚Was soll man tun‘ kann ich wirklich meist nur antworten ‚Ich weiß es nicht‘. Ich kann nur versuchen, rücksichtslos zu analysieren, was ist.“
Es ist kein Zufall, dass hier wiederum Adornos SPIEGEL-Interview bemüht werden kann, war der Frankfurter Philosoph doch selbst geprägt von minoritären Erfahrungen der Vertreibung und gebrochenen Zugehörigkeit.
Schon um überhaupt Gehör zu finden im „weißen“ Mainstream der Jurisprudenz, sollte man sich dabei nicht in den performativen Widerspruch einer totalen Rechtskritik begeben. Stattdessen geht es um eine schöpferische, experimentierende und auch kleinteilige Theorie, die multiperspektivisch und synkretisierend bereits vorhandene Wissensbestände aufgreift und versucht im aktuell günstigen Moment damit den Mainstream zu beeinflussen. Gleichzeitig sollte die „weiße“ Rechtswissenschaft für solche Ansätze offener sein.
Martin Luther King sprach 1960 vom schöpferischen Widerstand, den schwarze Bürgerrechtler*innen leisteten, um die Segregation zu überwinden. Dass das Recht für den Abbau von Ungleichheit eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand. Die Rechtswissenschaft kann darin die eben skizzierte Funktion einnehmen und zum schöpferischen Widerstand des Rechts beitragen.
Universität als safe space
Das führt zur zweiten, komplementären Handlungsoption der „weißen“ Rechtswissenschaft, die sich auf ihre Stellung im universitären Gefüge bezieht. Sie sollte sich dafür einsetzen, die Universität als Ort der Erprobung offener Lebens- und Denkweisen zu erhalten.
Das wirkt erneut unerwartet. Ausgerechnet die Universität, diese Eliten(re-)produktionsstätte mit ihren Zugangshürden und Ausschlussmechanismen soll der Ungleichheit abhelfen können? Doch häufig waren es die Universitäten, von denen maßgebliche Impulse zur Überwindung von Ungleichheiten ausgingen. Das Wissen darum, was es braucht, um Diskriminierungen abzubauen wurde regelmäßig zuerst im universitären Kontext gewonnen. Richard Rorty nannte die Universität nicht ohne Grund einen der „most civilized sectors of […] life“. In Jacques Derridas Worten braucht es zu ihrer Erhaltung aber ein „Bekenntnis zum Glauben an die Universität und, in ihr, zum Glauben an die Humanities von morgen“, an die „unbedingte Universität“. In ihr ist ein akademischer Raum geschaffen, der jedem externen Zugriff entzogen ist. Diese Idee der Universität muss ständig reiteriert werden –, dass der aktuelle Zustand der Universitäten im deutschsprachigen Raum gerade im globalen Vergleich verhältnismäßig positiv einzustufen ist, entlastet nicht davon, ihn dauerhaft zu verteidigen.
Dazu wird auch gehören, das viel (und teils wohl zurecht) heruntergemachte Konzept der Universität als safe space produktiv zu rehabilitieren. Es wird nicht darum gehen, eine völlig kritik- und meinungsfreie Sphäre zu schaffen, sondern im Gegenteil ein Experimentieren mit – auch gegenläufigen –Selbstbeschreibungen zuzulassen.
Unterm Strich
Das Resümee fällt kontraintuitiv aus: Zähe theoretische Beschäftigung mit lokalen (horribile dictu: nationalen) Gegebenheiten durch – nach wie vor vorherrschend – „weiße“ Wissenschaft an den mit Zugangshürden versehenen Universitäten. Hier wie dort ist keine Katharsis in Sicht.
Sichtweisen überprüfen und blinde Flecken identifizieren, Zugänge schaffen und in Offenheit Streit und die Herausforderung der eigenen Position zulassen – diese Aufforderungen kommen genau zur rechten Zeit. Danke hierfür, Amadou Sow! Welche Exklusionen vermeintlich neutrales Recht schafft und welche Wissensbestände übersehen werden, wird schon lange in der Critical Race Theory, den Legal Gender Studies und anderen Forschungsfeldern thematisiert. Es ist Zeit, dieses Wissen zur Kenntnis zu nehmen und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Ich stimme zu, dass die aktuelle “wokeness-Welle” und der damit einhergehende Aktivismus dringend kritischer Würdigung bedürfen. Vielen Dank für diesen wichtigen Hinweis. Im Übrigen muss ich leider deutliche Kritik üben.
Der (von einem zutreffenden Befund ausgehende) Beitrag verliert sich schnell in intellektualistischen Vernebelungsstrategien. Prämissen und Thesen bleiben ganz überwiegend vage, werden allerdings durch die Verwendung einer (vermeintlich) elitären Sprache und die – teils implizite, teils explizite – Verweisung auf (wiederum vermeintlich) kanonisches Wissen “aufgepeppt”. Naturgemäß führt diese Vorgehensweise nicht zu einer echten Steigerung des geistigen Gehalts. Letztlich – so meine Vermutung – ist ein solcher Text aber auch gar nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung angelegt. Wäre dies der Fall, hätte sich der Autor um Klarheit und Stringenz der Gedankenführung bemüht. Auch gehen die (im Titel angekündigten) Antworten nicht über Gemeinplätze hinaus. Schade. Hier hätte man sich umsetzbare – wenigstens diskutierbare — Vorschläge gewünscht. Einer ernsthaften Bearbeitung des Themas erweist der Autor mit dieser Nebelkerze in Aufsatzform einen Bärendienst.
Beklagenswert ist auch das Statement von Frau Markard. Die rein affirmative Äußerung erweckt den Eindruck, als sei der Artikel von Herrn Sow in seinem Inhalt und in seinen Forderungen klar nachvollziehbar. Genau dieses „Kippen“ des Diskurses ist typisch für die postmoderne Literatur, für deren Rezeption ja offenbar auch plädiert wird. Dem ist eine deutliche Absage zu erteilen; vielmehr ist nachdrücklich auf die Pflege eines echten Diskurses zu pochen. Dessen wichtigste Voraussetzung ist, dass Argumente in einer anschlussfähigen Weise vorgetragen werden. Nur wer sich gegenseitig versteht, kann sinnvoll interagieren. Das kunstvolle Aneinandervorbeireden sollte anderen Disziplinen überlassen werden.
Tut mir leid, aber ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen, vielmehr scheint sie genau die Fehler zu begehen, die dem Aufsatz vorgeworfen werden:
Prämissen und Thesen blieben vage, “implizite und explizite Verweisungen” auf “vermeintlich kanonisches Wissen” würden als inhaltliche Lückenfüller verwendet. Welche Punkte sollen denn konkret damit gemeint sein? Wie kann man denn nicht an so einer Kritik vorbeireden, die ihre Argumente selbst nicht offen- bzw. darlegt, bzw. konkrete Punkte und andere Sichtweisen benennt.
Vielmehr scheint es mir so, dass die vier inhaltlichen Punkte des Verfassers, die laut eigener Angabe skizzenhaft sein sollen und deren konkrete Ausarbeitung als eine noch zu erledigende Aufgabe beschrieben wird, von der Kritik, wie diese im Grunde selbst zugibt, schlicht nicht verstanden wurde, bzw. nicht vorgestellt werden kann. Anstatt sich dieser Aufgabe inhaltlich anzunehmen, etwa durch eine konkretere Ausarbeitung oder (was wohl noch näher liegen dürfte) durch Nachfragen, erschöpft sie sich in der Annahme, dass weil etwas selbst nicht verstanden wurde, etwas objektiv nicht verständlich sei. Dieses Festhalten an Deutungshoheit ist dabei genau das Problem, vielleicht ist aber auch genau das der Grund, weswegen die Kritik den Aufsatz so ablehnt: Weil er das Gegenteil vorschlägt.
Es ist – mit Verlaub – grotesk, von einem “Festhalten an Deutungshoheit” zu sprechen. Ich habe keine Deutungshoheit und beanspruche Sie auch nicht. Oder meinen Sie damit, dass ich den Anspruch der Rationalität und Verständlichkeit an einem wissenschaftlichen/journalistischen Beitrag stelle? Der Rückzug auf “Sie haben den Beitrag wohl nicht verstanden” ist ein sehr bedenkliches Manöver und erinnert – wiederum – an den postmodernen Diskurs. Haben Sie schon in Betracht gezogen, dass es nicht in jedem – hochtrabend daherkommenden – Text viel zu Verstehendes geben muss? Es ist auch nicht die Aufgabe des Rezipienten (jedenfalls außerhalb der Sphäre der Kunst), Inhalte erst zu erzeugen bzw. in ein Werk hineinzuprojizieren. Eine solche Aufgabenteilung scheint Ihnen aber vorzuschweben. Auch ist insoweit der Verweis auf angeblich Skizzenhaftes keine plausible „Entschuldigung“. Eine Skizze enthält gerade den wesentlichen Gehalt bereits.
Um es noch einmal klarzustellen: Ich werfe dem Text nicht vor, dass er keinerlei zutreffende Beobachtung ausdrückt oder keinerlei gute Gedanken enthält. Ich werfe ihm vor, dass er die wenigen Inhalte auswalzt und durch Namedropping und eine – teilweise gerade zu alberne – Sprache von der eigentlichen Banalität seiner Grundaussage ablenken möchte.
Gerne, Herr Ebeling, lasse ich mich eines Besseren belehren. Erklären Sie mir doch, welche Handlungsvorschläge der Artikel macht, die über ein „wir sollten uns kritisch mit Rassismus auseinandersetzen“ (dem stimme ich übrigens zu) hinausgeht. Und wenn Sie schon dabei sind, könnten Sie ja auch gleich klarstellen, welchen Beitrag die Nennung von Adorno, Derrida, Zizek, Rorty usw. für diese Vorschläge und insbesondere für die Diskussion über selbige geleistet hat.
Produktiv gewendet: Was würden Sie, Herr Dampf, sich denn konkret von der Rechtswissenschaft wünschen? Wie sollte sie Ihrer Meinung nach substanziell auf die von Seiten der rassismuskritischen Forschung vorgebrachte Kritik reagieren und daraus für sich Konsequenzen ziehen? Ich freue mich auf Ihre Vorschläge.
Vielen Dank für Ihre sachliche Replik.
Ich wünsche mir von der Rechtswissenschaft, dass Sie sich gegenüber einer postmodernen Durchdringung behauptet. Es ist ein hoher Wert, dass – zum jetzigen Zeitpunkt – jedenfalls grds. weniger Verschleierung und Einschüchterung, als vernünftige (d.h. nachvollziehbare und damit auch kritisierbare!) Argumente den Diskurs prägen. Ohne Probleme in der Rechtswissenschaft ausblenden zu wollen – als jemand, der zuvor einige Jahre ein kulturwissenschaftliches Fach studiert hat, weiß ich den juristischen Diskurs sehr zu schätzen. Die Rezeption opaker Autoren wie Derrida, Zizek usw. bedarf äußerster Vorsicht. Es besteht erhebliches Missbrauchspotential.
Was konkrete Vorschläge angeht, muss ich passen. Das ist aber auch weder mein Anliegen, noch meine Aufgabe. Mir ging es darum, den Artikel von Herrn Sow nicht unwidersprochen stehen zu lassen und in diesem Bereich weniger informierten Lesern den Hinweis zu geben, dass Sie mit Ihrem Unverständnis nicht alleinstehen und sich insbes. nicht von der überladenen Ausdrucksweise einschüchtern lassen sollten.
Gefragt nach der eigentlichen Aussage des kommentierten Beitrages möchte man mit dem darin ebenfalls zitierten Adorno antworten: “Ich weiß es nicht.”
Das beginnt schon ganz grundlegend damit das nicht klar ist (zumindest nicht mir) was mit dem, passenderweise in Anführungszeichen gesetzten, Begriff der weißen Rechtswissenschaft überhaupt gemeint sein soll. Die bloße Faktizität, dass Rechtswissenschaft in Deutschland ganz überwiegend von Weißen betrieben wird, ist angesichts der gesellschaftlichen Zusammensetzung eine statistisch begründbare Banalität und für sich genommen der Mühen eines ganzen Beitrages nicht wert. Was also soll das Spezifikum der proklamierten weißen Rechtswissenschaft sein? Es bleibt bei einer bloßen Behauptung, deren Begründung darüber hinaus noch höchst verstörend anmutet. So seien weiße Rechtswissenschaftler anders sozialisiert, hätten ein eigenes Vokabular und eine eigene Haltung, was summa summarum in einer eigenen Rechtsdogmatik kumuliere. Nun, ich gebe freimütig zu, dass nichts davon mir im Umgang mit andersfarbigen Freunden, Kollegen und Bekannten jemals aufgefallen ist oder auch nur in den Sinn gekommen wäre, was ich wiederum als durchaus positiv bewerte. Umgekehrt bin ich der Ansicht, dass jeder, der ein bloß auf die Hautfarbe zurückgeführtes fundamental anderes Empfinden und Denken (um nichts anderes geht es hier) proklamiert, für diese Aussage tief im Rechtfertigungs-Soll steht.
Ebenso wie die Begründung der Prämisse bleibt auch deren Konsequenz unklar, nämlich eine weiße Rechtsdogmatik. Es bleibt mir unverständlich, wie ausgerechnet die Dogmatik als Teilnehmerdisziplin subjektiv-weiß (das ist hier wohl gemeint) durchdrungen sein soll und wie sich das ganze konkret äußert.
Auch wenn der Autor zumindest in einem Satz (und zu Recht!) die Besinnung auf eine postidentitäre Demokratie- und Verfassungstheorie anmahnt, scheint mir der Beitrag doch gerade auf identitären Denkmustern aufzuruhen.
Warum dieser Beitrag nicht wissenschaftlich ist und auch die in ihm enthaltene Forderung genau auf das Gegenteil abzielt:
Nach Ansicht des Authors gibt es einige rechtswissenschaftlich relevante Anschauungsbeispiele bei denen historische und sozio-ökonomische Umstände näher erforscht werden müssen, da sie Aufschluss über bestimmte Grundannahmen geben. Hier würden wohl fast alle Rechtswissenschaftler zustimmen – insbesondere die Rechtshistoriker.
Nun kommt aber der “Clou”: Diese Umstände können nur von “people of color” erforscht werden. Denn nur “people of color” sind zu diesen Gedankengängen überhaupt fähig und weisen das geeignete Interesse auf – beleg dafür ist ihre Hautfarbe.
Diese Aussage ist so hanebüchen und in sich bereits so zutiefst spaltend, dass einem die Worte fehlen.
Der Beitrag sorgt – trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Aktualität und Brisanz – für reichlich neue Fragen. Als Debattenbeitrag und -initiative sicher sehr zu begrüßen, werden doch viele Befunde über die Rechtswissenschaft als gegeben dargestellt, ohne sie zumindest näher zu erläutern, geschweige denn zu hinterfragen. So stellt sich beispielsweise die Frage, in welcher Form derzeit eine “tendenziell affirmative Haltung” in der Polizeirechtsdogmatik bestehen soll. Auch entsteht der Eindruck, dass die Lösungsansätze für die aufgeworfenen Fragen bewusst offen formuliert sind und daher notwendig mit Implikationen einhergehen sollen. Verständlich ist, dass zur Heranführung an die genannten Defizite der sog. “weißen” Rechtswissenschaft in diesem Beitrag auf einer hohen Abstraktionsebene operiert werden muss. Gleichwohl wäre es wünschenswert gewesen, konkretere Zielvorgaben zu erarbeiten, deren Zweckmäßigkeit wiederum Gegenstand eines neuen Diskureses sein könnte.
Großartiger Beitrag! Und auch Nora Markards Kommentaren ist uneingeschränkt zuzustimmen.