Eine “treue Hand” für schwere Zeiten
Rechtsprobleme der Treuhandanordnung gegen die Gazprom Germania GmbH
Energiesicherheit ist seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine ein zentrales Thema der politischen, ökonomischen und rechtlichen Diskussion in Deutschland. Neben Nord Stream 2 und damit Fragen der Energieversorgung direkt aus Russland, gab es schon seit einigen Tagen Gerüchte über eine mögliche “Verstaatlichung” von russischen Energieunternehmen, die ihren Sitz in Deutschland haben. Jetzt ordnete das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) an, dass die Bundesnetzagentur als Treuhänderin für einen russischen Gaslieferanten mit deutschem Unternehmenssitz eingesetzt wird. Dies könnte auf den ersten Blick tatsächlich als “Verstaatlichung” gewertet werden. Doch auch wenn dieser Schritt politisch und ökonomisch nachvollziehbar und überzeugend ist, steht die Anordnung rechtlich auf wackeligen Füßen. Das Außenwirtschaftsgesetz sieht für eine Treuhandverwaltung nämlich explizit den Erlass einer Rechtsverordnung und nicht die Handlungsform eines Verwaltungsakts vor, wie ihn das Bundeswirtschaftsministerium in diesem Fall mit seiner „Anordnung“ erließ.
Die Bundesnetzagentur als Treuhänderin für Gazprom
In einem bislang einmaligen Schritt erließ das Ministerium am 4. April 2022 eine “Anordnung gemäß § 6 des Außenwirtschaftsgesetzes bezüglich der Anteile an der Gazprom Germania GmbH”, um zu verhindern, dass der russische Energiekonzern Gazprom seine deutsche Tochtergesellschaft und den bundesweit größten Gaslieferant Gazprom Germania GmbH abwickelt bzw. an zwei Gesellschaften außerhalb der EU verkauft und damit deutschem Zugriff entzieht. Das Ministerium ordnete dazu an, dass auf Grundlage von § 6 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) die Bundesnetzagentur als Treuhänderin für Gazprom Germania eingesetzt wird. Das bedeutet insbesondere, dass einerseits die Stimmrechte nicht mehr durch die bisherigen Gesellschafter wahrgenommen werden dürfen und andererseits die Stimmrechte an die Bundesnetzagentur übergehen. Hintergrund hierfür war, dass die russische Muttergesellschaft ihre Gesellschaftsanteile an Gazprom Germania ohne die dafür nach der Außenwirtschaftsverordnung (§ 55a IV AWV) erforderliche Meldung beim BMWK an zwei nicht europäische Firmen übertrug (genauer geht Ludwig in seinem Beitrag darauf ein). Nach § 15 III AWG ist die Übertragung der Gesellschaftsanteile jedoch bis zur Freigabe durch das BMWK schwebend unwirksam, um die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union zu gewährleisten (§ 4 I Nr. 4 AWG). Dies hat ein Vollzugsverbot gemäß § 15 IV AWG zur Folge, das insbesondere die Ausübung der Stimmrechte durch den Erwerber untersagt (S. 1 Nr. 1). Die “neuen” Gesellschafter von Gazprom Germania beschlossen am 1. April unter Missachtung dieses gesetzlichen Verbots eine “voluntary liquidation” und forderten die Geschäftsführung auf, diese zu vollziehen. Die Einsetzung der Bundesnetzagentur als Treuhänder stützt das Bundeswirtschaftsministerium auf § 6 I AWG (Einzeleingriff), wobei in der Begründung dann maßgeblich auf § 15 V S. 2 Nr. 3 AWG Bezug genommen wird. Die zuletzt genannte Vorschrift sieht eine entsprechende Regelung durch Rechtsverordnung vor, soweit “dies erforderlich ist, um die ordnungsgemäße Durchführung eines Prüfverfahrens […] zu gewährleisten.”
Die EU-Screening-Verordnung
Der durchaus spektakuläre Schritt des BMWK hat einen unionsrechtlichen Hintergrund. Die EU hat gemäß Art. 207 I AEUV die ausschließliche Kompetenz u.a. für “die ausländischen Direktinvestitionen”. Auf dieser Grundlage hat der Unionsgesetzgeber im Jahr 2019 die EU-Screening-VO (VO 2019/452) erlassen, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, Investitionen aus Drittstaaten in Hinblick auf die mögliche Verletzung mitgliedstaatlicher Sicherheitsinteressen zu überprüfen. Hierbei handelt es sich um den eher seltenen Fall einer Rückdelegation einer ausschließlichen Unionskompetenz nach Art. 2 I AEUV, bei der die Mitgliedstaaten eine delegierte Entscheidungskompetenz wahrnehmen. Die EU-Screening-VO sieht vor, dass die Mitgliedstaaten “Mechanismen zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen [aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung] in ihrem Hoheitsgebiet aufrechterhalten, ändern oder einrichten” können (Art. 3). Weiterhin werden u.a. Grundsätze für das mitgliedstaatliche Handeln festgelegt, wie z.B. Transparenz-, Entscheidungs- und Kooperationsvorschriften. In Umsetzung der Screening-VO wurde im Sommer 2021 u.a. § 15 AWG neu gefasst; § 15 V UA 2 AWG sieht seinem Wortlaut nach explizit vor, dass “[i]n Rechtsverordnungen […] 1. die Untersagung oder die Einschränkung der Ausübung von Stimmrechten, […] 3. die Übergabe von Stimmrechtsanteilen an einen Treuhänder” geregelt werden können. Das BMWK hat indes auf Gazprom bezogen eine (Einzelfall-)Anordnung, also einen Verwaltungsakt erlassen, und zwar auf der expliziten Grundlage von § 6 I AWG. Dabei räumt das Ministerium in seiner rechtlichen Würdigung der Anordnung selbst ein, dass der Verordnungsgeber noch nicht von der Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung nach § 15 V AWG Gebrauch gemacht habe.
Reicht ein Verwaltungsakt für die Anordnung einer Treuhandschaft?
Es stellen sich damit zwei zentrale Fragen: 1) Kann die Anordnung der Treuhandschaft in Form eines Verwaltungsakts den gesetzlichen Voraussetzungen einer “Rechtsverordnung” gemäß § 15 V S. 2 AWG genügen? 2) Kann § 6 I AWG als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden? Denn in jedem Fall steht fest, dass die Bestellung eines Treuhänders auf staatliche Anordnung einen schwerwiegenden Eingriff in die unternehmerische Freiheit der Gazprom Germania als inländische juristische Personen darstellt, welche durch Art. 12 I GG i.V.m. Art. 19 III GG und dem hier zu beachtenden Art. 16 GrCh gewährleistet wird. Ferner wird in die Eigentumsrechte der Stimmrechtsinhabenden und insofern Art. 14 I GG bzw. Art. 17 GrCh eingegriffen. An der Notwendigkeit einer geeigneten Rechtsgrundlage besteht daher kein Zweifel.
Da die alleinige (russische) Gesellschafterin “Gazprom Export LLC” entgegen der gesetzlichen Meldepflicht nach § 55a IV AWV nicht offen legte, wer in wirtschaftlich und rechtlicher Hinsicht die neuen Anteilseigner der Gazprom Germania sind, greift ein Vollzugsverbot von Amts wegen, vgl. § 15 IV AWG. Insbesondere die Ausübung der Stimmrechte durch den Erwerber wird gem. § 15 IV S. 1 Nr. 1 AWG untersagt. Unter Missachtung dieses gesetzlichen Verbots forderten die neuen Gesellschafter die Geschäftsführung auf, eine freiwillige Liquidierung durchzuführen. Hier liegen keine offensichtlichen Rechtsprobleme vor.
Anders stellt sich die Situation im Hinblick auf die Einsetzung einer Treuhänderin zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Durchführung des Prüfverfahrens dar. Hier geht es um § 15 V S. 2 Nr. 3 AWG, der, wie bereits ausgeführt, entsprechende Maßnahmen durch Rechtsverordnung vorsieht. Bereits der Wortlaut des § 15 V S. 2 AWG widerspricht dem Erlass eines Verwaltungsaktes auf dieser Grundlage. Man könnte natürlich argumentieren, dass ein Verwaltungsakt gegenüber einer Rechtsverordnung als “Minus” einzustufen ist und daher – argumentum a maiore ad minus – die Voraussetzungen von § 15 V S. 2 AWG im Ergebnis vorliegen. Allerdings weisen Verwaltungsakte und Rechtsverordnungen substantielle Unterschiede auf: so gelten für Verordnungsermächtigungen neben speziellen Verfahrens- und Veröffentlichungsvorschriften u.a. die besonderen Anforderungen des Art. 80 I GG, bei Verwaltungsakten hängt die Wirksamkeit nicht von der Rechtmäßigkeit ab bzw. kann für einen Verwaltungsakt sofortiger Vollzug angeordnet werden. Überdies ist zu beachten, dass das AWG historisch von Verordnungsermächtigungen geprägt war; Außenwirtschaftsrecht war immer Verordnungsrecht. Erst 1992 wurde mit dem heutigen § 6 I AWG eine Möglichkeit geschaffen, durch Verwaltungsakt die zeitlichen Probleme, die beim Erlass einer Verordnung entstehen können, aufzufangen (siehe die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 12/1134, S. 7). Systematisch spricht das dafür, dass eben auch nur § 6 I AWG für Einzelanordnungen verfügbar ist. Das wird auch der Grund sein, warum das BMWK seine Anordnung im Fall Gazprom auf § 6 I AWG stützt und § 15 AWG scheinbar nur heranzieht, um zu begründen, dass die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Hier liegt indes ein Zirkelschluss vor. § 6 I AWG ermächtigt dazu, dass “durch Verwaltungsakt Rechtsgeschäfte oder Handlungen beschränkt oder Handlungspflichten angeordnet werden, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die in § 4 I, auch in Verbindung mit Absatz 2, genannten Rechtsgüter abzuwenden”. § 4 AWG nennt verschiedene Rechtsgüter der “öffentlichen Sicherheit und der auswärtigen Interessen”, die als Eingriffsgrund in Betracht kommen. Wie aus dem Wortlaut von § 6 I AWG (im Einzelfall bestehende Gefahr) und der Auflistung in § 4 AWG sowie im Lichte der grundsätzlichen Außenwirtschaftsfreiheit (§ 1 I AWG) deutlich wird, handelt es sich hier um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist. Daraus folgt, dass Verbote oder Einschränkungen, die ohnehin schon nach sonstigen Vorschriften des AWG bestehen, nicht über § 6 I AWG zusätzlich erfasst werden dürfen.1)
Es bleiben rechtliche Fragen
Im Ergebnis zeigt sich damit, dass zwar vieles dafür spricht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der entsprechenden Vorschriften des sog. investment screening des Außenwirtschaftsrechts vorliegen. Die einschlägigen Rechtsvorschriften können aber nicht über eine Einzelfallanordnung nach § 6 I AWG durchgesetzt werden. Der Gesetzgeber hat in § 15 V AWG für die ordnungsgemäße Durchführung eines Prüfverfahrens oder die Wirksamkeit einer Untersagung im investment screening den Erlass einer Rechtsverordnung vorgesehen. Eine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes besteht hier nicht. Die Anordnung bezüglich der Anteile an der Gazprom Germania GmbH durch das BMWK ist daher, so sehr sie politisch und ökonomisch auch nachvollziehbar und überzeugend ist, rechtlich fragwürdig. Neben innerstaatlichen Rechtsschutzverfahren provoziert die Anordnung des BMWK auch eine Klage nach Enteignungsschutz nach dem (bilateralen) Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und der Russischen Föderation aus dem Jahre 1991 (dort insbes. Art. 4).
References
↑1 | Stein in: Rüsken, Zollrecht, 2002, 206. Lieferung, § 6 AWG Rn. 3; Hocke/Sachs/Pelz, Außenwirtschaftsrecht, 2. Aufl., 2020, § 6 AWG Rn. 4 |
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Vielen Dank für den interessanten Kommentar, dessen rechtliche Argumentation mich indes nicht ganz überzeugt. Ob die Voraussetzungen des § 6 I AWG vorliegen, ist doch eine objektive Frage, die von der angeführten Begründung zu trennen ist. Die Verwaltung will hier erkennbar eine Einzelfallentscheidung treffen und zieht die richtige Rechtsgrundlage heran. Sie mag sie falsch oder unklar begründen, aber das beeinträchtigt die Rechtmäßigkeit des VA nicht (§ 46 VwVfG). Zudem sehe ich die indirekte Enteignung nach Art. 4 D-RUS-BIT nicht: Die Vermögenswerte bleiben erhalten; es besteht lediglich eine vorrübergehende Verfügungsbeschränkung. Das ist mit den Iran-Fällen nicht vergleichbar. Es wäre auch fraglich, wie (bzw. wie hoch) entschädigt werden sollte, da der Markttwert der Investition nicht geschmälert wird.
Lieber Markus, danke für Deinen Kommentar. Unseres Erachtens geht es nicht um den Tatbestand von § 6 I AWG. Vielmehr stellt sich die Frage, ob § 6 AWG überhaupt anwendbar ist. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift spricht dafür, dass Fragen, die anderswo im AWG schon geregelt sind, nicht herangezogen werden können, um eine Einzelfallentscheidung nach § 6 I AWG zu treffen. § 15 IV, V AWG trifft insofern für Investitionskontrolle eine abschließende Regelung, ein Rückgriff auf § 6 I AWG scheidet aus.
Zum BIT mit Russland kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein, wir haben das nicht durchgeprüft, sollte nur ein Hinweis sein. Christian Tietje
Sehr geehrter Herr Tietje, vielen Dank dafür, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben. Ich habe aber allerdings Schwierigkeiten, Ihrer These, dass es sich um § 6 AWG um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, zu folgen. Dem steht bereits die Existenz des § 14 AWG entgegen. Zudem handelt es sich um § 15 Abs. 5 Satz 2 AWG nur um eine weitere Ermächtigungsgrundlage. Der § 6 AWG ist auch in der Vergangenheit von der Bundesregierung in Fällen herangezogen worden, in denen Eile geboten war (Ausfuhrverbot für medizinische Schutzausrüstung im März 2020). Während das damalige Verbot sicherlich nicht sinnvoll war, bestehen diese Bedenken bei der Entscheidung vom 4. April 2022 m.E. nicht. Mit freundlichen Grüßen Jürgen Beninca
Zunächst mein Dank für den interessanten Artikel.
Aber wie Hr. Dr. Beninca habe auch ich Probleme Ihrer Argumentation bzgl. eines Ausnahmecharakters von §6 AWG zu folgen, wenn die Gesetzesbegründung ausdrücklich davon spricht, dass die Ermächtigung nach §6 AWG selbstständig neben §15 V AWG steht.
Dies erscheint mir auch folgerichtig, da ja Verwaltungsakte Einzelfallregelungen darstellen, während Verordnungen eine ganze Breite an Sachverhalten abdecken sollen.
Daneben spricht auch §6 II AWG für eine Anwendbarkeit von §6 AWG in Verfahren, in denen nach §15 AWG ein wie ordentliches Prüfverfahren vorgesehen ist, vor Erlass einer Verordnung.
mfG