Dating-Tipps vom Bundesverwaltungsgericht
In Zeiten, in denen die gesellschaftliche Rolle der Bundeswehr wieder stärker diskutiert wird und neue Rufe nach mehr Diversität und Selbstbestimmung in der Armee laut werden, sorgt ein aktueller Beschluss des BVerwG für Irritationen: Bundeswehrsoldat*innen mit besonderen repräsentativen Funktionen müssen beim Online-Dating Zurückhaltung üben. Die Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats des BVerwG vom 25. Mai 2022 ist nicht nur deshalb kritikwürdig, weil sie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durch heteronormative Moralvorstellungen einschränkt. Ebenso problematisch ist, dass eine antidiskriminierungsrechtliche Betrachtung des Falls ausgeblieben ist.
Zum Sachverhalt
Ausgelöst hatte den Rechtsstreit das Profil der Bataillonskommandeurin Anastasia Biefang auf der Dating-Plattform „Tinder“. Zum Sachverhalt lässt sich in der vom BVerwG herausgegebenen Pressemitteilung – die ausführliche Begründung des Beschlusses ist noch nicht veröffentlicht – Folgendes lesen:
„Die überdurchschnittlich bekannte Kommandeurin hatte in einem Dating-Portal ein Profilbild von sich in sitzender Pose mit erkennbaren Gesichtszügen und unter Verwendung ihres tatsächlichen Vornamens eingestellt. Sie warb mit dem Text: ‚Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.‘“
Nicht enthalten waren in dem Profil offensichtlich der Nachname sowie ein Bezug zur Tätigkeit bei der Bundeswehr. Dennoch erteilte der Disziplinarvorgesetzte der Soldatin einen einfachen disziplinarrechtlichen Verweis. Das Truppendienstgericht Süd, welches in erster Instanz mit dem Fall betraut war, bestätigte dessen Rechtmäßigkeit. Die Formulierungen auf dem Online-Profil wirkten sich in der Öffentlichkeit sowohl negativ auf die moralische Integrität der Offizierin als auch auf den guten Ruf der Bundeswehr als Ganzes aus. Im Ergebnis schloss sich das BVerwG dieser Bewertung an, obwohl es zumindest die Rufschädigung der gesamten Bundeswehr als abwegig erkannte. Die Zweifel an der charakterlichen Integrität der Bataillonskommandantin hielt das Bundesgericht jedoch für begründet und wies die gegen die Entscheidung des Truppengerichts eingelegte Rechtsbeschwerde zurück.
Privatsphäre von Bundeswehrsoldat*innen
Im ersten Moment scheint es naheliegend, zu argumentieren, dass das Dating-Verhalten außerhalb des Arbeitsplatzes Privatsache und keine Angelegenheit der Arbeitgeber*innen ist. Der Beruf der Bundeswehrsoldat*innen stellt jedoch besondere Anforderungen an die außerdienstliche Lebensführung. Laut § 17 Abs. 2 S. 3 Soldatengesetz (SG) müssen sich diese so verhalten, dass sie das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, das ihre dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigten. Ein hiernach sanktionswürdiges Fehlverhalten muss von einigem Gewicht sein. Konsequenterweise betreffen die in der Rechtsprechung diskutierten Fälle vor allem Straftaten, wie beispielsweise den Konsum von und Handel mit verbotenen Betäubungsmitteln (BVerwG, Urteil v. 13.07.1999 – 2 WD 4/99), den Besitz von kinder- und jugendpornographischen Dateien (BVerwG, Urteil v. 05.07.2018 – 2 WD 10/18) oder auch die Verbreitung nationalsozialistischen und antisemitischen Gedankengutes (BVerwG, Urteil v. 28.09.1999 – 2 WD 27/89). Entsprechend absurd erscheint es, dass § 17 Abs. 2 S. 3 SG nun auf das Tinder-Profil von Anastasia-Biefang angewandt wurde. Mit dem erteilten einfachen Verweis ist es allerdings bei der mildesten Disziplinarmaßnahme geblieben.
Sex als Privatsache?
Das Berufen auf die Privatsphäre erweist sich noch aus anderen Gründen als zweischneidiges Schwert und das nicht nur für Bundeswehrsoldat*innen. Auf der einen Seite schafft der Schutz der Privatsphäre wichtige Rückzugsmöglichkeiten, in denen sich private Aktivitäten entfalten können. Auf der anderen Seite zeigt sich aber auch ein disziplinierender Charakter der Privatsphäre. Denn diese geht oft mit der Vorstellung einher, dass bestimmte Verhaltensweisen ausschließlich im Privaten stattfinden sollen bzw. nur hier geduldet werden. Sobald sie diesen begrenzten Raum verlassen, gelten sie als nicht mehr schützenswert. Die Grenzziehungen sind dabei alles andere als klar und frei von einer heteronormativen Sexualmoral.
Das zeigt sich auch an der Bewertung, die das Truppendienstgericht vorgenommen hatte. Zwar falle es unter den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, wenn die Bundeswehrsoldatin „privat ein promiskuitives Sexualleben“ führe. Sanktionswürdig ist es aus Sicht des Truppendienstgerichts jedoch, wenn die Betreffende dies entsprechend selbstbewusst auf ihrem privaten Online-Dating-Profil artikuliert.
Zumindest an dieser Stelle griff das BVerwG korrigierend ein: Das Truppendienstgericht habe die Bedeutung der Grundrechte im Bereich der privaten Lebensführung verkannt. Denn das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, so stellt das BVerwG richtig, beschränkt sich eben nicht nur auf Intim- und Privatsphäre, sondern entfaltet sich auch – gerade mit Blick auf die Partner*innensuche – in der Sozialsphäre. In Zeiten des Online-Datings ist das keine revolutionäre Feststellung, aber, wie die Entscheidung des Truppendienstgerichts demonstriert, offensichtlich ebenso wenig eine Selbstverständlichkeit.
Auch an anderer Stelle offenbart sich, dass bei dem Verständnis des Rechts auf sexueller Selbstbestimmung Nachholbedarf besteht. So argumentierte das Truppendienstgericht, das Online-Profil der Soldatin vermittle den Eindruck, dass „sie sich selbst und ihre Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziere.“ Das wirkt ebenso absurd wie paternalistisch. Wird der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung konsequent an der personalen Autonomie und insbesondere am Leitbild konsensualer Sexualitäten ausgerichtet, wie dies jüngst Dana-Sophia Valentiner vorgeschlagen hat, ergibt sich eine gänzlich andere Perspektive: Die Bundeswehrsoldatin beschreibt sich auf ihrem Profil nach selbst gewählten Maßstäben, auch, aber nicht ausschließlich mit Bezug auf sexuelle Aspekte. Andere Nutzer*innen können nach eigenem Ermessen Kontakt aufnehmen und im privaten Gespräch die Parameter einer sexuellen Beziehung aushandeln. Die Argumentation des Truppendienstgerichts taugt insofern nicht, um einen verhältnismäßigen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung zu begründen.
Heteronormative Moralvorstellungen
Dies scheint auch das BVerwG erkannt zu haben, da es zumindest dieser Argumentation nicht folgte. Stattdessen betonte es noch einmal stärker die besondere repräsentative Funktion und dienstliche Stellung der Bataillonskommandeurin, um den Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen. Insbesondere trage sie Personalverantwortung für ca. 1.000 andere Bundeswehrangehörige. Unklar ist, wie das BVerwG diese Überlegung mit der Tatsache in Einklang brachte, dass Anastasia Biefangs dienstliche Stellung auf ihrem Dating-Profil gar nicht offenkundig wurde. Zu Recht lässt sich fragen, ob es der Soldatin hier zum Nachteil geworden ist, dass sie aufgrund ihres offenen Umgangs mit ihrer Transgeschlechtlichkeit einige Bekanntheit in den Medien erlangt hatte. Nicht zuletzt die Bundeswehr hatte das als Aushängeschild für sich genutzt und damit selbst zu Anastasia Biefangs Bekanntheitsgrad beigetragen.
Mit der Formulierung „offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome“ auf dem privaten Online-Profil der Soldatin ist das bei der Bundeswehr erwünsche Maß an Selbstbestimmung und Diversität aber offensichtlich überschritten. Die Wortwahl könne – so das BVerwG – beim verständigen Betrachters Zweifel an der charakterlichen Integrität der Bataillonskommandeurin wecken. Woran genau der verständige Betrachter Anstoß finden mag, geht aus der veröffentlichten Presseerklärung allerdings nicht hervor. Daran, dass eine Frau beim Online-Dating offenlegt, auf der Suche nach sexuellen Kontakten zu sein? Dass sie sich dabei zu einem nicht-monogamen Beziehungsmodell bekennt? Oder daran, dass für sie das Geschlecht ihrer Sexualpartner*innen keine Rolle spielt? Gerade der letzte Punkt dürfte das BVerwG zu der Ermahnung bewegt haben, die Kommandeurin müsse in ihrem Dating-Profil Formulierungen vermeiden, die „den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens“ erweckten. Der verständige Betrachter, den das BVerwG hier vor Augen hatte, ist offensichtlich einer, der von heteronormativen Moralvorstellungen geprägt ist. Bundeswehrsoldat*innen dürfen zwar, wie es in der Pressemitteilung heißt, „im Internet, Kontakte mit Gleichgesinnten“ suchen. Eine Grenze scheint aber überschritten, wenn eine Frau offenlegt, auf der Suche nach sexuellen Kontakten zu sein und dabei noch nicht einmal eine geschlechtsspezifische Vorauswahl trifft. Der Schutzbereich der sexuellen Selbstbestimmung wird hier durch heteronormative Moralvorstellungen eingeschränkt. Einfallstor sind die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 17 Abs. 2 S. 3 SG.
Leerstelle: Diskriminierungsperspektive
Sanktioniert wurde die Bundeswehrsoldatin insofern gerade, weil sie sich auf ihrem Dating-Profil zu einem nicht-heteronormativen Lebensentwurf bekannt hatte. Soweit sich das aus der Pressemitteilung ergibt, wurde die Frage, inwiefern hier eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung vorliegt, in dem Verfahren allerdings nicht aufgeworfen. Vielmehr stützte das BVerwG seine Entscheidung selbst auf diskriminierende Erwägungen, indem es die geschlechtlich nicht festgelegte Sexualität, die auf dem Online-Profil artikuliert wird, mit Wahllosigkeit assoziierte und dadurch stigmatisierte.
Mit Blick auf die Disziplinarmaßnahme ist Folgendes zu konstatieren: Die Bataillonskommandeurin erlitt eine Schädigung in Form des disziplinarrechtlichen Verweises. Der spezifische Benachteiligungszusammenhang mit der sexuellen Orientierung besteht darin, dass an die Formulierung „All genders welcome“ angeknüpft worden war. Der Verweis gegen die Bundeswehrsoldatin erging damit ersichtlich nicht nur wegen der offenen Artikulation ihrer sexuellen Bedürfnisse, obwohl sie auch damit die geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen an das Verhalten von Frauen konterkariert hatte. Insofern könnte hier ebenfalls über eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nachgedacht werden (hierzu grundlegend: Adamietz). In jedem Fall aber stützte sich die Disziplinarmaßnahme auf die von ihr ausgedrückte, nicht-heteronormative Sexualität. Die Kommandeurin wurde in diesem Sinne ungleich gegenüber Personen behandelt, die sich konform mit den gesellschaftlichen Erwartungen verhalten und die ihr Begehren ausschließlich in Bezug auf „das Gegengeschlecht“ artikulieren (vgl. Adamietz, S. 260 f.).
Die Leerstelle in der juristischen Bearbeitung des Falls mag auch daher rühren, dass die Rechtsprechung zur Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung bislang stark auf Sachverhalte konzentriert war, in denen homosexuelle Menschen den Zugang zu ehelichen oder eheähnlichen Rechten sowie die Absicherung ihrer familiären Beziehungen geltend gemacht hatten. Der Fall der Bundeswehrsoldatin wäre eine Chance gewesen, den Blickwinkel auf solche Konstellationen zu erweitern, in denen es nicht um die Anerkennung von monogamen Zweierbeziehungen oder die der Kleinfamilie geht. Mit der Entscheidung des BVerwG entsteht einmal mehr der Eindruck, dass queere Menschen nur dann Schutz erfahren, wenn sie sich heteronormativen Lebens- und Beziehungsmodell weitgehend anpassen.
Wer muss sich hier wirklich einer Prüfung unterziehen?
Anastasia Biefang hat nun angekündigt ihre Profile in Zukunft von ihren Vorgesetzten prüfen zu lassen. Angebrachter wäre es jedoch, wenn die Gerichte Disziplinarmaßnahmen in der Bundeswehr einer konsequenteren grundrechtlichen Prüfung unterziehen. Was das BVerwG versäumt hat, könnte jetzt noch das BVerfG korrigieren.
Liebe Ronja,
ein spannender Artikel! Immer mehr transgeschlechtliche Menschen trauen sich heute sich öffentlich zu ihrer Transidentität zu bekennen. Das darf man als Verdienst der vielen Aktivist*innen, aber auch der offenen Gesellschaft verstehen. Was ich mich beim Lesen des Artikels gefragt habe ist, ob man unbedingt das Kriterium des “Heteronormativen” zum Kritikpunkt machen sollte? Ist es nicht so, dass längst nicht nur heterosexuelle Paare, sondern auch homosexuelle Paare und zunehmend solche, von denen mindestens ein Partner oder eine Partnerin transsexuell ist, von einem nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft anerkannt in verbindlichen (monogamen) Paarbeziehungen leben oder solche anstreben? Und genauso gibt es heterosexuelle, homosexuelle und transsexuelle Paare, die sich für eine offene Beziehung entscheiden, was jedoch in der Gesellschaft weniger Anerkennung erfährt. Auf letztgenannte Seite scheint sich auch das BVerwG zu stellen, das jedoch in Achtung der sexuellen Selbstbestimmung nicht Anstoß nimmt (bzw. nicht nehmen darf) an der offenen Beziehung bzw. dem promiskuitiven Sexualverhalten, sondern an der sehr offenen Artikulierung dessen. Es ist sicher auch für das Gericht eine Gratwanderung zwischen Idealen, wie sie auch in Art. 6 GG verkörpert sind, und der Privatheit der Einzelnen, die im gegebenen Fall – sonst gäbe es diesen nicht – eine gewisse Bekanntheit und Leitungsposition innehat. Der Fall bewegt sich in all seinen Facetten weit ins Moralische hinein, das macht eine rechtliche Entscheidung und Abwägung umso schwieriger. Auf die ausführliche Begründung darf man daher gespannt sein.