Das Sondervermögen Bundeswehr, der Bundeshaushalt und die Schuldenbremse
I.
Am 27. Februar 2022 rief Bundeskanzler Olaf Scholz die vielbeschworene Zeitenwende aus, und der Deutsche Bundestag forderte in einer Entschließung zu seiner Regierungserklärung die Bundesregierung u.a. auf, die Modernisierung der Bundeswehr mit dem Ziel voll ausgestatteter und voll einsatzbereiter Streitkräfte weiter voranzutreiben, bestehende Fähigkeitslücken umgehend zu schließen und die notwendigen finanziellen Ressourcen dafür zeitnah und langfristig bereitzustellen (BT-Drs. 20/846, S. 4). Bald danach hat die Bundesregierung Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 87a) und eines Gesetzes zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ (Bundeswehrsondervermögensgesetz – BwSVermG) eingebracht und damit das größte Investitionsprogramm der Bundesrepublik auf den Weg gebracht (BR-Drs. 123/22 und 124/22 vom 17. März 2022). Freilich hat sich gezeigt, dass sich mit diesem Projekt schon in der Regierungskoalition selbst unterschiedliche – einerseits sicherheits- und verteidigungspolitische, andererseits finanzpolitische – Vorstellungen und Prioritäten verbanden: In Reihen der SPD und der Grünen gab es Bestrebungen gegen eine strikte Bindung an den Zweck der Stärkung der Bundeswehr, weshalb die Grünen zuletzt die Mittel des Sondervermögens auch für andere sicherheitspolitische Maßnahmen, etwa für die Abwehr von Cyberattacken oder die Unterstützung befreundeter Staaten einsetzen können wollten; für die FDP war besonders bedeutsam, die grundgesetzliche Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 GG) unbeschädigt zu lassen und diese ab 2023 wieder – dann ohne Corona-bedingte Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung nach Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG – einhalten zu können. Hinzu kam, weil das Sondervermögen auf eine verfassungsrechtliche Grundlage in Gestalt eines neu einzufügenden Art. 87a Abs. 1a GG gestützt werden sollte, dass für die verfassungsändernde Mehrheit die Stimmen der CDU/CSU benötigt wurden; diese legte Wert auf das Festschreiben der NATO-Zielgröße von 2 % des BIP und bestand vor allem auf einer strikten Zweckbindung zugunsten der Stärkung gerade der Bundeswehr.
In dieser politischen Gemengelage haben sich die Beteiligten sozusagen in letzter Minute über die verfassungs- und einfachrechtliche Regelung des Sondervermögens Bundeswehr verständigt, um am Freitag, 3. Juni 2022, im Bundestag darüber Beschluss fassen zu können; mit einer schnell nachfolgenden Zustimmung im Bundesrat darf gerechnet werden.
Was sind die wesentlichen Punkte des gefundenen, in Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses (BT-Drs. 20/2090 und 20/2091 vom 1. Juni 2022) niedergelegten Kompromisses? Das mit einer eigenen Kreditermächtigung von bis zu 100 Mrd. Euro ausgestattete Sondervermögen, das wie schon im Regierungsentwurf ausdrücklich von der Schuldenbremse ausgenommen ist (Art. 87a Abs. 1 S. 2 GG), wird nunmehr allein „für die Bundeswehr“ errichtet (Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG). Zum Zweck der Schließung der Fähigkeitslücken der Bundeswehr (§ 2 BwSVermG) sollen ab 2022 über maximal 5 Jahre im mehrjährigen Durchschnitt Mittel in Höhe des Zwei-Prozent-Ziels bereitgestellt werden (§ 1 Abs. 2 BwSVermG). Die Verausgabung der Mittel wird in einem für 2022 zugleich mit dem Bundeswehrsondervermögensgesetz, für künftige Jahre mit dem Haushaltsgesetz beschlossenen Wirtschaftsplan des Sondervermögens mit konkreten Beschaffungsvorhaben festgelegt (§ 5 Abs. 1 und 2 BwSVermG). Die Umsetzung soll durch ein Begleitgremium des Haushaltsausschusses kontrolliert werden (§ 5 Abs. 4 bis 6 BwSVermG), und Investitionsvorhaben von mehr als 25 Mio. Euro sollen der Billigung des Haushaltsausschusses bedürfen (§ 5 Abs. 3 BwSVermG). Den eigentlichen Regelungsgegenstand schon überschreitend wird festgehalten, dass unabhängig vom Sondervermögen Maßnahmen zur Cybersicherheit, zum Zivilschutz und zur Stabilisierung von Partnern über den Bundeshaushalt finanziert werden (§ 1a BwSVermG) und dass nach Verausgabung des Sondervermögens die Stärkung der Bundeswehr, im Umfang abgeleitet von den dann geltenden NATO-Fähigkeitszielen, aus dem Bundeshaushalt finanziert werden soll (§ 1 Abs. 3 BwSVermG). Die vom Sondervermögen aufgenommenen Kredite sollen nach dessen Auflösung, spätestens ab 2031 innerhalb eines angemessenen Zeitraums zurückzuführen sein (§ 8 Abs. 2 BwSVermG).
Betrachtet man das so vereinbarte und beschlossene Sondervermögen durch die rechtswissenschaftliche Brille, so stechen vor allem finanzverfassungsrechtliche, nämlich zunächst haushaltsverfassungsrechtliche und dann vordringlich staatsschuldenrechtliche Aspekte hervor.
II.
Haushaltsverfassungsrechtliche Einwände haben bei der Ausschussanhörung zum Regierungsentwurf eine gewisse Rolle gespielt (vgl. BT-Drs. 20/2091, S. 6, zu Bedenken von CDU/CSU; Waldhoff, Stellungnahme zu der Anhörung des Haushaltsausschusses über das „Bundeswehr-Sondervermögen“ am 9. Mai 2022, S. 1 f.). Sondervermögen, bei denen nur die Zuführungen oder Ablieferungen, also anders als sonst nicht alle Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan des Bundes einzustellen sind, sind dort als ein gravierender Systembruch charakterisiert worden; Sondervermögen könnten verfassungsrechtlich vorausgesetzte und garantierte Haushaltsfunktionen und insbesondere die Stellung des Parlaments unterminieren, weshalb sie stark rechtfertigungsbedürftig seien.
Hierauf gestützte Bedenken lösen sich freilich schnell auf. Art. 110 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG lässt ausdrücklich schon die gesetzliche Etablierung solcher Sondervermögen zu. Wegen der Durchbrechung des haushaltsrechtlichen Einheits- und Vollständigkeitsprinzips bilden sie eine Ausnahme, für die das Grundgesetz jedoch keine besonderen materiellen Voraussetzungen aufstellt. Die gesetzliche Regelung des Sondervermögens Bundeswehr zeichnet sich darüber hinaus durch außerordentlich weitreichende Mitwirkungsbefugnisse des Parlaments und seines Haushaltsausschusses aus – was sich gewiss aus den vorangegangenen Auseinandersetzungen über die Zwecksetzung des Sondervermögens und dem Interesse der Opposition an der dauerhaften Sicherstellung des von ihr durchgesetzten engen Verwendungszwecks erklärt. Und ohnehin fallen auf Haushaltsverfassungsrecht gestützte Bedenken schon deshalb in sich zusammen, weil das Sondervermögen Bundeswehr in Art. 87a Abs. 1a GG selbst eine verfassungsrechtliche Grundlage hat.
III.
Die eigentliche und brisante Bedeutung des Sondervermögens liegt in der für dessen Finanzausstattung vorgesehenen Ermächtigung zur zusätzlichen Nettokreditaufnahme und damit in seiner staatsschuldenrechtlichen Funktion.
Bekanntlich verlangt die grundgesetzliche Schuldenbremse in der Normallage grundsätzlich, abgesehen von begrenzten Lockerungen in Art. 115 Abs. 2 S. 2 bis 5 GG, einen in Einnahmen und Ausgaben ohne Nettokreditaufnahme ausgeglichenen Bundeshaushalt (Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 GG). Diesem Erfordernis ist auch nicht allein schon durch die Konstruktion eines Sondervermögens zu entgehen; auch Kreditaufnahmen für ein Sondervermögen des Bundes sind nach ganz vorherrschender Auffassung als Kreditaufnahmen des Bundes bei der Schuldenbremse zu berücksichtigen. Und mit der Kreditaufnahme für das Sondervermögen Bundeswehr, die auf etwa 20 Mrd. Euro pro Haushaltsjahr für die nächsten 5 Jahre kalkuliert scheint, begibt sich der Bund in eine erhebliche Nettokreditaufnahme.
Allerdings ist von politischer, aber auch von rechtswissenschaftlicher Warte aus nicht ganz unumstritten geblieben, ob die Finanzierung der Ertüchtigung der Bundeswehr angesichts der im Ukrainekrieg ersichtlich gewordenen Bedrohungslage wirklich einer Verfassungsänderung – und damit der Einbeziehung der oppositionellen CDU/CSU – bedurfte. Die Schuldenbremse sieht für den Bund in Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG eine Ausnahmeregelung vor, die im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, eine erhöhte Nettokreditaufnahme auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zulässt. In der Tat war das Vorliegen einer solchen außergewöhnlichen Notsituation, die die kreditfinanzierte Ertüchtigung der Bundeswehr rechtfertigen könnte, zu erwägen. Schwerlich zu bestreiten ist, dass der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eine außergewöhnliche Notsituation geschaffen hat, die Herausforderungen für die Sicherheit Deutschlands und seiner beistandsberechtigten Bündnispartner verursacht hat, für die die Bundeswehr nur völlig unzureichend gerüstet ist (Wieland, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 9. Mai 2022, S. 1 f.). Dem Verweis auf die Ausnahmeregel lässt sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, dass die Überforderung des deutschen Staates durch diese Notsituation ihren Grund darin habe, dass in den vorausliegenden Jahren die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und die Ertüchtigung der Bundeswehr in erheblichem Umfang vernachlässigt worden ist (Waldhoff, aaO., S. 2); dass der Staat sich durch frühere Bemühungen für eine Notsituation hätte rüsten können, um bei ihrem Eintreten nicht überfordert zu sein, ist nach Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG nicht relevant. Fragwürdig erscheint allerdings, die aktuelle Notsituation für die Kreditfinanzierung einer Ertüchtigung der Bundeswehr in Anspruch nehmen zu wollen, die auf längere Jahre angelegt ist und nach derzeitigem Erkenntnisstand zeitlich über deren Andauer hinausreichen wird. Damit würde die gegebene, den Staat aktuell in der Tat überfordernde Notsituation weniger als rechtfertigender Grund denn als bloßer Anlass für künftige kreditfinanzierte Ausgaben herangezogen, die nicht mehr einer akuten außergewöhnlichen Notsituation, sondern einem strukturellen Mangel abhelfen sollen.
Mit guten Gründen soll deshalb Art. 87a Abs. 1a S. 2 GG sicherstellen, dass die Kreditaufnahme für die Finanzierung des Sondervermögens Bundeswehr nicht innerhalb der Schuldenbremsenregelung, sondern – wie politisch hervorgehoben wird – neben dieser und unabhängig von dieser erfolgen kann. Das ist der rechtlichen Konstruktion nach nicht zu bestreiten. Auf das Sondervermögen ist die Schuldenbremse nicht anzuwenden, und die Schuldenbremse bleibt vom Sondervermögen unberührt.
Doch gibt es gute Gründe für die Annahme, dass es nur scheinbar gelingt, durch die verfassungsrechtlich fundierte Errichtung eines Sondervermögens Bundeswehr die Schuldenbremse zu schonen und zu bekräftigen. Die politische Einigung auf das Sondervermögen hat den Bundeshaushalt und damit auch die künftige Einhaltung der Schuldenbremse schon jetzt – wenn auch in nicht spezifizierter Höhe – dadurch belastet, dass die Finanzierung von Maßnahmen zur Cybersicherheit, zum Zivilschutz sowie zur Ertüchtigung und Stabilisierung von Partnern nicht aus dem Sondervermögen, sondern über den Bundeshaushalt finanziert werden soll (§ 1a Abs. 1 BwSVermG). Weiter wird geregelt, dass nach Verausgabung des Sondervermögens, d.h. voraussichtlich in 5 Jahren eine Finanzierung der weiteren Ertüchtigung der Bundeswehr nach Maßgabe der dann jeweils geltenden NATO-Fähigkeitsziele aus dem Bundeshaushalt erfolgen soll (§ 1 Abs. 3 BwSVermG). Beinahe verräterisch will einem vorkommen, dass für das Sondervermögen Bundeswehr – anders als bei Inanspruchnahme der Ausnahmeregel für außergewöhnlichen Notsituationen vorgeschrieben (Art. 115 Abs. 2 S. 7 GG) – nicht zugleich auch schon ein den Kreditermächtigungen korrespondierender Tilgungsplan vorgesehen worden ist; stattdessen hat man sich auf die relativ unverbindliche Regelung verständigt, dass nach vollständiger Inanspruchnahme der Kreditermächtigung im Sondervermögen, spätestens ab dem 1. Januar 2031, die vom Sondervermögen aufgenommenen Kredite innerhalb eines angemessenen Zeitraums zurückzuführen sind (§ 8 Abs. 2 BwSVermG). Offenkundig hat man sich nicht getraut, schon jetzt die zukünftigen Tilgungslasten des Bundeshaushalts verbindlich festzuschreiben, weil man die daraus resultierenden Risiken für die Einhaltung der Schuldenbremse in den fraglichen Jahren gesehen hat. Die Einigung auf das Sondervermögen geht also schon kurzfristig, vor allem aber unvermeidlich mittel- und langfristig auf Kosten des Bundeshaushalts und damit potentiell der Schuldenbremse.
Diese Überlegungen richten sich nicht gegen die – angesichts der Bedrohungslage für die Bundesrepublik und das NATO-Bündnis geboten, wenn überhaupt zureichend erscheinende – Errichtung des Sondervermögens Bundeswehr und dessen nähere Ausgestaltung. Sie werfen vielmehr die Frage auf, ob es angesichts des darin zu Tage tretenden Nettokreditbedarfs noch angeht, die verfassungsrechtliche Schuldenbremse für sakrosankt zu erklären. Zwar ist sie nicht zuletzt vor dem Hintergrund der in den Jahren von 2010 bis 2019 gelungenen Rückführung der Staatsverschuldung, überwiegend positiv beurteilt worden, doch haben sich schon in zurückliegenden Jahren unterschiedliche Auffassungen dazu gefunden, ob sie sich bewährt hat (vgl. exemplarisch den Jahresbericht 2019/20 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung). Schon angesichts des erheblichen Bedarfs an öffentlichen Investitionen etwa in den Bereichen Infrastruktur und Digitalisierung, Bildung und klimagerechter Umbau hat sich die Frage gestellt, ob es gerade auch unter dem für die Staatsverschuldung maßgeblichen Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit richtig ist, grundsätzlich keine Nettokreditaufnahme zuzulassen. Hinzu gekommen sind die durch die Corona-Krise bedingten Finanzierungslasten, die den Bundeshaushalt mit mehreren Mrd. Euro jährlich bis 2042 treffen. Angesichts dieser Zusatzbelastung haben auch Ökonomen, die der Lust an überhöhten /(Konsum-)Ausgaben unverdächtig sind, über eine Lockerung der Schuldenbremse jedenfalls zugunsten von Investitionsausgaben nachgedacht. Der gewaltige, zunächst im Sondervermögen und dann im Bundeshaushalt verortete Kreditbedarf für Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik lässt diese Frage noch einmal dringender werden.