24 March 2023

Entgleisung des Bundesrechnungshofs

Über die Zerschlagung der Deutschen Bahn AG und das politisches Mandat der Bundesbehörde

In seinem Sonderbericht vom 15. März übte der Bundesrechnungshof vernichtende Kritik an der Deutschen Bahn, die die Presse in der vergangenen Woche dazu veranlasste, von der Notwendigkeit einer „Zerschlagung“ der Bahn zu sprechen. Zerschlagung meint in diesem Falle jedoch weniger eine Restrukturierung als solches, sondern als vor allem eines: Privatisierung. Der Bundesrechnungshof bewegt sich damit auf einem schmalen Grat zwischen ökonomischer Evaluation und politischer Intervention. Hinsichtlich seiner grundlegenden Kritik an der Organisation der DB AG ist dem Rechnungshof in vielen Punkten zuzustimmen. Die Schlussfolgerungen erscheinen allerdings keinesfalls notwendig und in Anbetracht des institutionellen Mandats des Bundesrechnungshofs diskussionswürdig. Insbesondere vor dem Hintergrund der verbreiteten restriktiven Auslegung des Art. 15 GG birgt die Forderung des Bundesrechnungshofs das Risiko einer juristischen Einbahnstraße

„Was die Schiene nicht stärkt, gehört nicht in den Konzern“ – die DB AG als Global Player

Bereits 2019 veröffentlichte der Bundesrechnungshof einen Sonderbericht zur DB AG, dessen Kritik er in seiner neuen Evaluation in vielen Punkten bloß wiederholt wurde. Die DB wurde 1994 als erster Schritt eines Privatisierungsplans der früheren Reichs- und Bundesbahn als Aktiengesellschaft gegründet, deren einziger Aktionär allerdings der Bund blieb. Grundgedanke war eine Effizienzsteigerung durch schrittweise Einführung von Marktmechanismen in den Eisenbahnverkehr. Die Bahn sollte kundenorientierter arbeiten, Gewinne erwirtschaften und so den Anteil des Schienenverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen erhöhen. Eine vollständige Privatisierung in Form eines Börsengangs war vorgesehen, scheiterte allerdings 2008 im Zuge der Finanzkrise.

Die Folgen dieser unvollkommenen Privatisierung bilden den Kern der Kritik des Bundesrechnungshofes. Die DB AG expandiert mit ihren 600 Tochtergesellschaften in über 130 Staaten stetig in bahnfremde Bereiche wie Logistik sowie in Prestigeprojekte im Ausland. Das Kerngeschäft, also der gemeinwohlorientierte Betrieb des Eisenbahnsystems, bleibt hingegen seit Jahren weit hinter den gesetzten Zielen zurück. Gravierend tritt hinzu, dass sich die Verschuldung des Konzerns mit täglich 5 Millionen Euro mittlerweile auf beinahe 30 Milliarden Euro summiert. Aufgrund unübersichtlicher Unternehmensstrukturen verliert der Bund als Alleineigentümer zunehmend an Einflussmöglichkeiten.

Die Kritik des Bundesrechnungshofs fällt entsprechend drastisch aus. Wer bei dem 33-seitigen Sonderbericht ein Fachgutachten erwartet, wird überrascht sein: Der Text ist auch für Laien ohne Weiteres verständlich und bedient sich eines unerwartet polemischen Stils, der die Frustration des Bundesrechnungshofs deutlich macht. So wird dem Vorstand der DB AG vorgeworfen, den Bund mit dem „Prinzip Hoffnung“ zu vertrösten, welcher seinerseits angesichts der prekären Lage der Bahn AG „die Augen verschließe“ (S. 30). Die DB AG selbst sei ein „Sanierungsfall“ und ein „Fass ohne Boden“ (S. 5). Dieser drastische Sprachstil erklärt sich damit, dass Sonderberichte des Bundesrechnungshofs gem. § 99 BHO gerade dazu verwendet werden sollen, die Öffentlichkeit zu erreichen.

Der Bundesrechnungshof fordert sodann eine weitreichende Restrukturierung der Bahn. Zunächst habe der Bund konkrete Ziele für die kurz-, mittel- und langfristige Entwicklung der DB vorzulegen, an denen die Bahnpolitik konkret gemessen werden kann. Diese sollten sich an dem in Art. 87e Abs. 4 GG normierten Zweck der Gewährleistung eines gemeinwohlorientierten Schienenverkehrs orientieren. Daher seien bahnfremde Bereiche abzustoßen (S.4), schließlich müsse die Einflussmöglichkeit des Bundes auf sämtliche Bereiche der DB sichergestellt werden, um die Bundesinteressen konsequent umsetzen zu können.

Bis hierhin scheint die Kritik des Bundesrechnungshofs nahezu evident, doch der Sonderbericht geht in seinen Forderungen weit über das bloße Evaluieren der Bahn AG hinaus. Den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrag könne der Bund nicht nur durch eigene Tätigkeit erfüllen, sondern auch durch eine weitere Privatisierung. Öffentliches Eigentum sieht der Bundesrechnungshof nur beim Betrieb der Schieneninfrastruktur sowie der Bahnhöfe als notwendig an. Daher sollten diese gebündelt und alle darüber hinausgehenden Unternehmensteile abgestoßen werden. Die mit der Autorität ökonomischer Rationalität ausgesprochene Handlungsempfehlung lautet daher auf weitreichende Privatisierungen. So solle Konkurrenz auf der Schiene erreicht werden, die durch ein breiteres Angebot Vorteile für Kund*innen bewirken sollen. Dem liegt offenkundig der Gedanke zugrunde, dass die Monopolstellung der DB AG sowie die Ineffizienz öffentlicher Wirtschaftsformen den Ursprung der Probleme bilden. Der Bundesrechnungshof positioniert sich damit öffentlichkeitswirksam in der hoch umstrittenen – und nicht zuletzt demokratisch zu entscheidenden – Frage der Privatisierung.

Wie neutral kann der Bundesrechnungshof sein? 

Diese Handlungsempfehlung wirft Fragen der Legitimation des Bundesrechnungshofs auf, schließlich geht sie über eine bloße Analyse der Unternehmensstruktur deutlich hinaus.

Der Bundesrechnungshof ist in Art. 114 Abs. 2 GG als Institution vorgesehen, dessen Mitglieder „richterliche Unabhängigkeit“ besitzen und die „Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes“ prüft.

Verfassungsrechtlich unklar bleibt dabei, welcher Gewalt der Bundesrechnungshof zuzuordnen ist. Einerseits hat er justizähnliche Kontrollbefugnisse inne und seine Mitglieder genießen richterliche Unabhängigkeit. Andererseits nimmt er Hilfsfunktionen bei der parlamentarischen Rechnungsprüfung und Haushaltsplanung wahr. Gleichzeitig dient er als Bundesbehörde auch der Exekutive bei ihrer verwaltungsinternen Kontrolle.

Die besondere Stellung im Verfassungsgefüge gründet sich jedenfalls unstrittig auf der Überlegung, dass Prüfungen unabhängig und frei von politischer Einflussnahme ablaufen sollen. Die Kontrollkompetenz des Bundesrechnungshofes ist deshalb von der politisch-parlamentarischen Machtverteilung im Bundestag entkoppelt. Er soll als fachliche Kontrollinstanz agieren und nicht als politischer Entscheidungsträger.1)

Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung, dass Wirtschafts- und Finanzpolitik eine rein vernunftbasierte Angelegenheit sei, die in politisch neutraler Art und Weise erfolgen könne. Der Prüfungsmaßstab des Bundesrechnungshofs orientiert sich am Merkmal der Wirtschaftlichkeit. Dieses ist im Gegensatz zur Sparsamkeitsprüfung wesentlich interpretationsanfälliger.2) Im Idealfall sollte die Wirtschaftlichkeitsprüfung an einer vom Gesetzgeber klar kommunizierten Zielsetzung des öffentlichen Wirtschaftens orientiert sein. Dass der Bund keine deutlichen Ziele für die Bahnpolitik setzt, ist daher doppelt problematisch. So ist der Bundesrechnungshof gezwungen, eine Prüfung ohne Orientierungsrahmen vorzunehmen. Mit der Forderung einer fortschreitenden Privatisierung setzt er die Ziele nun selbst.

Die verschiedenen Mittel und Wege zum politisch gewollten Ziel müssen ebenso politisch abgewogen werden und können keinesfalls „neutral“ geprüft werden. Das Paradigma der Wirtschaftlichkeit enthält dabei in sich eine politische Stoßrichtung: Es nimmt die Entscheidung vorweg, dass ein Wirtschaftsbereich gewinnorientiert betrieben werden soll.

(Verfassungs-) rechtliche Notwendigkeit von Privatisierungen?

Dass der Bundesrechnungshof keinen rein neutralen Maßstäben folgt, ist also schon in seinen rechtlichen Grundlagen angelegt. Das Gutachten kann daher nur im Lichte dieser Normen gelesen werden.

Die Prüfung des Bundesrechnungshofes orientiert sich am einfach-rechtlichen Maßstab der Bundeshaushaltsordnung (BHO), die die rechtlichen Rahmenbedingungen des vom Parlament zu verabschiedenden Haushaltsplans vorgibt. § 7 Abs. 1 BHO sieht das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vor, das den Bund dazu verpflichtet, bei wirtschaftlicher Tätigkeit des Bundes zu prüfen, ob diese Aufgaben auch durch Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden könnten. § 65 Abs. 1 Nr. 1 BHO enthält ebenfalls ein Subsidiaritätsprinzip staatlicher Aktivitäten gegenüber der Privatwirtschaft für öffentliche Beteiligungen. Die BHO setzt damit Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit faktisch mit einer kontinuierlichen Privatisierung gleich. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass die Aktivitäten der Privatwirtschaft grundsätzlich effizienter und kostengünstiger sind. Damit unterwirft sie staatliches Handeln in genereller Form der (vermeintlichen) ökonomischen Rationalität, blendet aber gleichzeitig jegliche nicht-wirtschaftliche Aspekte aus. Mit anderen Worten: Dass die DB AG rote Zahlen schreibt, kann politisch vertretbar sein, wenn sie aus günstigen oder unprofitablen, aber notwendigen Fahrten entstehen. Zutreffend wäre es hingegen unvertretbar, wenn öffentliche Gelder versickern oder zu bahnfremden Geschäften genutzt werden. Diese (politische) Differenzierung wird durch die ausschließliche Ausrichtung an der Wirtschaftlichkeit nivelliert.

Der rechtliche Prüfungsrahmen des Bundesrechnungshofs enthält damit eine eindeutige Voreingenommenheit zu Gunsten von Privatisierungen. Dass der Bundesrechnungshof vor diesem Hintergrund eine Veräußerung der DB-Bereiche abseits der Schienen- und Bahnhofsinfrastruktur erwägt, wird kaum überraschen. Für den Bereich der Deutschen Bahn enthält das Grundgesetz in Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG eine Sonderregelung, die die Organisation als privatrechtliches Unternehmen in öffentlichem (Teil-) Eigentum mit Verfassungsrang versieht. Einzig Bau, Unterhaltung und Betrieb des Schienennetzes müssen danach im Eigentum des Staates liegen, darüber hinaus gibt das Grundgesetz den Weg zur Privatisierung frei, ohne ihn vorzuschreiben.

Als Entscheidung für ein bestimmtes Wirtschaftssystem bildet Art. 87e GG damit eine verfassungsrechtliche Ausnahme vom in ständiger Rechtsprechung anerkannten Grundsatz der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes. Ihre Grundlage findet die Norm in den Privatisierungsplänen der ehemaligen Bundes- und Reichsbahn, die zuvor nach Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG a.F. in bundeseigener Verwaltung betrieben wurden. Dazu wurden 1993 und 1994 durch Verfassungsänderungen die Bundeseisenbahn aus Art. 87 GG entfernt und der Art. 87e GG in seiner heutigen Form eingefügt. Die Privatisierung der Bahn war also nur durch Verfassungsänderung möglich; dass dies in einer Form erfolgte, die die private Organisation auch für die Zukunft verfassungsrechtlich festlegte, war demgegenüber nicht notwendig. Art. 87e GG ist demnach eine Vorschrift ganz im Geiste der 1990er Jahre. In Abweichung von der sonstigen Systematik des Grundgesetzes versah sie die Privatisierung der Bahn mit Verfassungsrang. Allerdings folgt aus Art. 87e GG abseits der Verpflichtung zur privatrechtlichen Form gerade nicht die Notwendigkeit von Veräußerungen, wie sie der Bundesrechnungshof vorschlägt. Die Deutsche Bahn könnte, solange sie privatrechtliches Wirtschaftsunternehmen bleibt, auch wieder durch stärkere Einbindung des Staates und Rückbau bereits ergangener Privatisierungen des Personen- und Güterverkehrs umgestaltet werden.

Soweit damit die Ziele eines flächendeckenden sozial inklusiven und klimafreundlichen Verkehrs verfolgt würden, stünden auch §§ 7, 65 BHO nicht entgegen.

Privatisierung darf keine Einbahnstraße sein

Die Privatisierungspolitik der 1990er und frühen 2000er Jahre sowie die Bahnreform 1994 werden heute in Politik und Wissenschaft kritischer gesehen. Ob der Bundesrechnungshof mit seiner Einschätzung, dass nur weitere Veräußerungen Besserung bringen, richtig liegt, kann bezweifelt werden. Jedenfalls ist es zweifellos eine politische Einschätzung, die die Grenzen neutraler Prüfung überschreitet.

Unumkehrbare Privatisierungen stoßen auch mit Blick auf das Grundgesetz auf Bedenken. Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral ausgestaltet und überlässt es dem Gesetzgeber, aktiv zu gestalten. Dies setzt denknotwendig voraus, dass Wirtschaftspolitik auch reversibel sein muss.

Prominentes Beispiel ist die Privatisierung tausender Sozialwohnungen in Berlin in den 1990er und 2000er Jahren, die heute viele als Fehler sehen. Im Rahmen des Volksentscheides “Deutsche Wohnen & Co. enteignen” sprach sich eine Mehrheit der Berliner*innen für die Entprivatisierung und Vergesellschaftung aus.

Dem wird vielfach der Einwand entgegengehalten, Art. 15 GG sei restriktiv zu verstehen. Zwar wird Art. 15 GG von den wenigsten als obsolet angesehen,3) doch verbleibt bei vielen Kommentator*innen durch eine Überhöhung des Eigentumsschutzes nur ein enger Anwendungsbereich der Vergesellschaftungsnorm. In Bezug auf die Bahn wäre besonders ein verengtes Verständnis des Sozialisierungsobjekts “Produktionsmittel”, welches das Verkehrswesen nicht umfasst, problematisch. Bei Zugrundelegung solch restriktiver Auslegungsansätze folgt die Einsicht, dass Privatisierung als wirtschaftspolitische Maßnahme praktisch nicht umkehrbar und somit endgültig wäre. Dies steht der Idee der wirtschaftspolitischen Offenheit des Grundgesetzes entgegen und verdeutlicht die zentrale Rolle, die Art. 15 GG in der grundgesetzlichen Wirtschaftsordnung einnimmt. Ein zu schwach ausgestalteter Art. 15 GG müsste daher als Mahnung vor Privatisierung verstanden werden und könnte so eine politische Funktion erhalten, die ihm vomBundesverfassungsgericht auf rechtlicher Ebene nicht zugesprochen wurde: Die einer Privatisierungssperre. Eine offene Privatisierungsdebatte setzt daher spiegelbildlich eine offene Anwendung des Art. 15 GG voraus.

 

Für Diskussion und Feedback danken wir Anna-Katharina König.

References

References
1 Kube, Dürig/Herzog/Scholz GG-Kommentar, Art. 114 Rn. 110.
2 Hufeld, Handbuch des Staatsrechts Bd. 3, § 56 Rn. 21f.
3 Ridder, Enteignung und Sozialisierung, VVDStRL 10 (1952), S. 146

SUGGESTED CITATION  Freiß, Georg; Laven, Timo: Entgleisung des Bundesrechnungshofs: Über die Zerschlagung der Deutschen Bahn AG und das politisches Mandat der Bundesbehörde, VerfBlog, 2023/3/24, https://verfassungsblog.de/entgleisung-des-bundesrechnungshofs/, DOI: 10.17176/20230324-185209-0.

5 Comments

  1. Weichtier Sat 25 Mar 2023 at 11:10 - Reply

    G.F. +T.L: „Der Bundesrechnungshof bewegt sich damit auf einem schmalen Grat zwischen ökonomischer Evaluation und politischer Intervention.“

    § 42 Abs. 5 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) regelt, dass der Bundesrechnungshof auf Grund von Prüfungserfahrungen beraten kann. Beratung dürfte regelmäßig auch Empfehlungen zur Sachverhaltsgestaltung miteinschließen. Vielleicht ist der Grat, auf dem der Bundesrechnungshof in dem Sonderbericht wandelt, gar nicht so schmal.

    Hinsichtlich der Infrastruktur und des Schienenverkehrs besteht bereits ein „legal unbundling“: Diese Bereiche sind in eigenen Aktiengesellschaften zusammengefasst. Gem. Eisenbahnregulierungsgesetz prüft die Bundesnetzagentur, unter welchen Bedingungen alle Eisenbahnverkehrsunternehmen das Schienennetz nutzen können und ob ein diskriminierungsfreier Zugang zur Schieneninfrastruktur gewährleistet ist. Bei den übrigen Eisenbahnverkehrsunternehmen ist der Bund nicht notwendigerweise Anteilseigner. Warum sollte es dann ein Problem sein, wenn beispielsweise der Bund über die Konzernstruktur nicht mehr Alleineigentümer bei der DB Fernverkehr AG ist. Und bei dem Infrastrukturunternehmen (DB Netz AG) müsste bei einer Übertragung der Gesellschaftsanteile zunächst einmal geklärt werden, welche Zuschüsse der Bund weiterhin leisten müsste und in welchem Umfang die DB Netz AG entschuldet werden müsste, damit sich private Dritte zu einem Einstieg bereit erklären.

    • Timo Laven Tue 28 Mar 2023 at 09:35 - Reply

      Vielen Dank für die Ergänzungen. Sicherlich ist auch die Beratung vom Mandat des Bundesrechnungshofes erfasst. Richtig ist natürlich auch, dass es keine schematische Grenze zwischen fachlicher Beratung und politischer Einflussnahme geben kann. Dennoch kann man hier aus unserer Sicht festhalten, dass der Bundesrechnungshofs v.a. auch durch die Form des Berichts sehr weit in den politischen Prozess eingreift. Schließlich handelt es sich nicht um ein an die Bundesregierung adressiertes Fachgutachten, sondern um einen an die Öffentlichkeit gerichteten Bericht mit z.T. polemischem Ton. Gleichzeitig wird nicht transparent gemacht, dass schon die Rechtsgrundlage die Tendenz zur Privatisierung enthält. So bleibt der Eindruck, die Privatisierung sei eine Expertenmeinung von mathematischer Notwendigkeit.

      Bei der Frage der Schienennutzung geht es uns um einen Paradigmenwechsel. Dass ein privatisierter Schienenverkehr technisch und rechtlich möglich wäre, bezweifeln wir nicht. Ob dies allerdings bzgl. der verkehrs-, umwelt- und sozialpolitischen Ziele der richtige Weg ist, bleibt offen. Abseits ökonomischer Detailfragen war es uns wichtig zu betonen, dass das Grundgesetz auch den Weg zurück zu einem rein öffentlichen Schienenverkehr ermöglicht.

  2. Tim Borrmann Tue 28 Mar 2023 at 14:08 - Reply

    Vielen Dank für ihren Beitrag, jedoch überzeugt mich der letzte Teil nicht vollständig: Wie ich finde nehmen sie zunächst zurecht einen weiten wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers an, der ein hohes Maß an gemeinwirtschaftlicher Ausrichtung durch Art. 15 GG zulässt. Dass eine restriktive Auslegung desselben nicht zweckdienlich ist leuchtet ebenso ein. Wieso sie aber jenen als Sperrklausel gegen Privatisierungen verstehen wollen, obwohl diese – meines Wissens nach zuletzt 1975 von Ridder vertretene – Meinung kaum ausgereift und sehr konstruiert wirkt, scheint auch gerade angesichts der Offenheit des GG in Wirtschaftsfragen (in beide „Richtungen“) unverständlich.

    • Pyrrhon von Elis Tue 28 Mar 2023 at 15:56 - Reply

      Aus einem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum wird ohne Weiteres schnell eine Pflicht konstruiert, soweit es dem Autor opportun erscheint. Dass diese Auffassung von Ridder seinerzeit vertreten wird, zeigt, in welche Richtung die Opportunität auch in diesem Falle zu gehen scheint.

      Es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, wenn der Aufhänger des Artikels der Autoren darin besteht, dem Bundesrechnungshof die Wahrnehmung eines nicht bestehenden politischen Mandates vorzuwerfen, um dann im selben Atemzug gesellschaftspolitische Forderungen nicht gerade geringen Ausmaßes zu machen. Ich schätze allerdings, das fällt unter das altbekannte “das ist keine Parteipolitik, sondern guter Menschenverstand”-Strategem.

    • Timo Laven Thu 30 Mar 2023 at 14:53 - Reply

      Da haben wir uns wohl etwas missverstanden. Gemeint war nicht, dass Art. 15 GG eine verfassungsrechtliche Sperrwirkung gegenüber Privatisierungen hätte. Der Gedanke war verfassungspolitischer Natur: Wenn Art. 15 derart eng ausgelegt wird, wird die Entscheidung zur Privatisierung endgültig, sodass auf politischer Ebene eine größere Hemmschwelle gegenüber Privatisierungen entsteht. Uns geht es mit der Forderung nach einem weiteren Anwendungsbereich des Art. 15 also gerade um die Wahrung des wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraums – in beide Richtungen.

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