Geldsäcke im Parlament?
Es ist Zeit für die Reform der Mandatsträgerkorruption (§ 108e StGB)
Die BGH-Entscheidung zu den „Maskendeals“ hat – wieder einmal – gezeigt, dass der Straftatbestand der Mandatsträgerkorruption (§ 108e StGB) dringend reformbedürftig ist (s. schon unseren Beitrag in NJW 2022, 2804). Die politischen Zeichen hierfür stehen günstig, schließlich wollen die Regierungsfraktionen ausweislich ihres Koalitionsvertrags „den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit wirksamer ausgestalten.“1) Wir plädieren dafür, einerseits § 108e StGB partiell zu entschärfen (speziell im Hinblick auf Kommunalpolitiker), andererseits aber ergänzende Strafvorschriften einzuführen, die sich an die etablierten Strukturen des allgemeinen Korruptionsstrafrechts und die bereits geltenden Zuwendungsverbote des § 44a AbgG anlehnen.
Fall Amthor, Aserbaidschan-Affäre, Maskendeals
Der rechtspolitische Hintergrund ist komplex: Einerseits ist es in einer repräsentativen Demokratie unverzichtbar, dass Abgeordnete auch mit Vertretern von Partikularinteressen in engem Austausch stehen, und dass sie dabei um Unterstützung für ihre politische Agenda werben. Zudem kann schon ein Verdacht bzgl. dieses Straftatbestands massive Ermittlungsmaßnahmen auslösen und – selbst wenn er sich nicht erhärtet – die politische Karriere des Betroffenen irreparabel schädigen. Andererseits ist die Integrität des demokratischen Entscheidungsprozesses ein so sensibles Gut, dass unbedingt der Eindruck vermieden werden muss, die gewählten Volksvertreter seien käuflich. Insofern erscheint der Griff zum Strafrecht als „schärfstem Schwert“ des Rechtsstaats durchaus legitim. Dennoch hat der Gesetzgeber – in scharfem Kontrast zur Kriminalisierungsflut der vergangenen Jahre – in diesem Bereich stets den Eindruck vermittelt, er müsse zum Jagen getragen werden. Der 1994 nach Jahrzehnten der Straflosigkeit geschaffene Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) war so eng gefasst, dass „man theoretisch einem Abgeordneten einen ganzen Sack Geld auf den Tisch stellen [konnte], ohne mehr zu riskieren, als dass er einen rauswirft“ (v. Arnim, NVwZ 2006, 249, 252). Die seit 2014 geltende, durch internationale Vorgaben erzwungene Tatbestandsfassung ist weiter, aber nach wie vor auf Fälle innerparlamentarischer Hardcore-Korruption beschränkt: Der Tatbestand verlangt eine Vorteilsgewährung in Bezug auf eine konkrete künftige Handlung bei Wahrnehmung des Mandats, die „im Auftrag oder auf Weisung“ vorgenommen oder unterlassen werden soll. Vorteilsgewährungen ohne eine solche konkrete Unrechtsvereinbarung sind straflos. Ob etwa ein Fall wie derjenige der EP-Abgeordneten Eva Kaili einen deutschen Straftatbestand verwirklichen würde, erscheint daher zweifelhaft. Nach deutschem Recht straflos ist zudem der Verkauf des politischen Einflusses eines (deutschen2)) Mandatsträgers außerhalb des Parlaments. Ferner werden Personen, die noch kein Mandat innehaben, sondern erst dafür kandidieren, von der Vorschrift nicht erfasst.
Konkreter Anlass für die aktuelle Reformdebatte sind Skandale, bei denen sich Abgeordnete als Gegenleistung für geldwerte Vorteile in auffälliger Weise politisch für die Interessen der Geber einsetzten: Der Fall Amthor, die Aserbaidschan-Affäre und eben die sog. Maskendeals. Da sich die (mutmaßliche) Gegenleistung der Vorteilsempfänger in all diesen Fällen nicht bei der Wahrnehmung des Mandats, sondern jenseits der eigentlichen parlamentarischen Arbeit abspielen sollte (Herstellung wohlwollender Regierungskontakte; Kritiklosigkeit bei Wahlbeobachtung), greift § 108e StGB nicht. Stattdessen wurden mit dem Gesetz vom 8.10.2021 zum Schutz der Unabhängigkeit des Mandats die Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete verschärft:3) § 44a AbgG enthält neben den bisherigen Verboten der Annahme von Zuwendungen zur Beeinflussung, für die Mandatsausübung sowie ohne angemessene Gegenleistung nunmehr auch das Verbot der Annahme von Honoraren für Vorträge mit Mandatszusammenhang (Abs. 2 S. 3 Var. 1) und von Geldspenden zum Verbleib beim Abgeordneten (Abs. 2 S. 5). Neu sind zudem Nebentätigkeitsverbote in Abs. 3, die den Einflusshandel im politischen (Kern-)Bereich untersagen, namentlich die Interessenvertretung für Dritte gegenüber bestimmten staatlichen Stellen sowie Beratungstätigkeiten mit unmittelbarem Mandatszusammenhang.
Indirekt sind diese Verhaltensnormen auch für die Geberseite bedeutsam: Das LobbyRG v. 16.4.2021 – eine Reaktion auf den Fall Amthor – verpflichtet Lobbyisten auf die Grundsätze integrer Interessenvertretung; zu diesen gehört nach § 5 Abs. 2 LobbyRG i.V.m. Nr. 4 LobbyRG-Verhaltenskodex das Verbot des In-Aussicht-Stellens finanzieller Anreize, wenn der Adressat durch deren Annahme seine Pflichten verletzen würde.
Strafrechtliche Konsequenzen sind jedoch mit alledem noch nicht verbunden. Zwar wurde § 108e StGB mit Gesetz v. 8.10.2021 – analog zur Richterbestechlichkeit (§ 332 Abs. 2 StGB) – zum Verbrechen heraufgestuft. Da die beschriebenen Fälle dessen ungeachtet straflos blieben, handelt es sich hierbei um einen vorwiegend symbolischen und wegen der Folgewirkungen (insbesondere der Versuchs- und Vorbereitungsstrafbarkeit sowie des Ausschlusses einer Verfahrenseinstellung) auch sonst problematischen Schritt.
Trotzdem haben die Novellen die Rahmenbedingungen für eine Neufassung des § 108e StGB begünstigt. Zum einen verliert mit dem neu gefassten § 44a AbgG das – wegen des mit Verfassungsrang ausgestatteten Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) durchaus beachtliche – Argument der unzureichenden Klarheit der Verhaltensvorschriften für Mandatsträger in Bezug auf Vorteilsgewährungen an Gewicht. Zum anderen hat sich der Legitimationsdruck hinsichtlich der Diskrepanz zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm erhöht: Es leuchtet kaum ein, dass trotz der nun gesetzlich ausdrücklich verbotenen Vorteilsannahmen weiterhin nur der Kernbereich der Hardcore-Korruption (§ 108e StGB) mit Strafe bedroht sein soll. Die Ansicht, das neue Abgeordnetenrecht mit den Möglichkeiten der Vorteilsabschöpfung und der Verhängung eines Ordnungsgeldes sei Abschreckung genug, ist zwei Einwänden ausgesetzt. Erstens: Der zu seiner Durchsetzung berufenen Bundestagsverwaltung stehen nicht die Ermittlungsinstrumente einer Staatsanwaltschaft zur Verfügung; Kristina Peters spricht in diesem Blog deshalb von einem „stumpfen Schwert“. Zweitens: Die parlamentarischen Verhaltensregeln betreffen nur die Nehmerseite; die Geberseite kommt also automatisch ungeschoren davon und der Abschreckungseffekt ist gleich Null.
Formen parlamentarischer Korruption
Eine strafrechtliche Neuregelung sollte sich aus Bestimmtheits- und Kohärenzgründen an die parlamentsrechtlichen Zuwendungsverbote in § 44a AbgG anlehnen. Sie bilden verschiedene Formen von Korruptionsunrecht ab:
Die nach BVerfGE 40, 296, 318 f. verfassungsrechtlich zwingenden Annahmeverbote von Einflusszuwendungen und -spenden (§ 44a Abs. 2 S. 1 AbgG und § 25 Abs. 2 Nr. 7 PartG) beschreiben den (Ver-)Kauf einer Ermessensausübung, also Bestechlichkeitsunrecht. Im Unterschied zu den Amtsträger-Straftatbeständen der §§ 332, 334 StGB enthalten die parlamentarischen Verbotsnormen aber nicht das Erfordernis einer konkret erkauften Handlung. Das hat pragmatische Gründe: Selbst der (Ver-)Kauf eines „bestimmten politischen Vorteils“ (§ 25 Abs. 2 Nr. 7 PartG) setzt verkäuferseitig regelmäßig einen Komplex kleinteiliger Einflussnahmehandlungen (z.B. in Ausschüssen zur Gesetzesberatung) voraus. Die korruptive Manipulation eines Gesetzesvorhabens ist insoweit nicht mit dem Kauf einer Baugenehmigung vergleichbar.
Die sonstigen Verbote von Vorteilszuwendungen „für die Mandatsausübung“ (§ 44a Abs. 2 S. 1 und 2 AbgG), zu denen auch die Vergütung eines mandatsbezogenen Vortrags, Lohn für Pseudo-Nebentätigkeiten (§ 44a Abs. 2 S. 3 AbgG) und Geldspenden zum Verbleib beim Abgeordneten (§ 44a Abs. 2 S. 5 AbgG) zählen, sind dem Bereich der Proto-Korruption zuzurechnen; bei dieser von den §§ 331, 333 StGB (Vorteilsannahme und -gewährung) her bekannten milderen Korruptionsform geht es nicht um eine konkrete Gegenleistung, sondern um die Erzeugung von Wohlwollen („Klimapflege“) und subtilen Abhängigkeitsverhältnissen (vgl. BVerfGE 118, 277, 386).
Das neue Verbot der entgeltlichen Interessenvertretung für Dritte gegenüber Parlamenten oder Regierungen und von Beratungstätigkeiten mit engem Bezug zur Mandatsausübung (§ 44a Abs. 3 S. 1 AbgG) entspricht dem Korruptionstyp des missbräuchlichen Einflusshandels. Dabei wird der Vorteilsempfänger nicht für die Mandatsausübung bedacht, sondern für eine Tätigkeit „neben dem Mandat“. Nebentätigkeiten von Abgeordneten sind zwar grundsätzlich zulässig, solange sie außerhalb des Kernbereichs politischer Machtausübung erfolgen. Bei den im AbgG nunmehr verbotenen Nebentätigkeiten handelt es sich indes um inakzeptable Formen von Lobbyismus: Da in einer repräsentativen Demokratie eine strikte Trennung zwischen dem Volksvertreter als Mandatsträger und als Privatperson unmöglich ist, stellen Fremdinteressensvertretungen innerhalb der politischen Sphäre per se eine problematische Verquickung monetärer Eigeninteressen mit der Macht des Abgeordnetenstatus dar (BT-Drs. 19/28784, S. 12).
Anforderungen an eine Neufassung der Strafvorschrift
Ein effektives Korruptionsstrafrecht sollte zumindest den Kern der abgeordnetenrechtlichen Zuwendungsverbote abbilden – also neben der bereits heute erfassten Hardcore-Korruption i.S.d. § 108e StGB auch die missbräuchliche Einflussnahme à la Maskendeals. Zudem sollten künftig auch bestimmte Fälle der Proto-Korruption erfasst sein, insbesondere die Annahme von Einflussspenden ohne konkretisierte Gegenleistung. Dadurch würde ein Gleichlauf mit dem spenden- und abgeordnetenrechtlichen Verbot erzielt. Zudem sollte die gleichermaßen strafwürdige Kandidaten-Korruption erfasst sein.
Trotz der unvermeidlichen Akzessorietät zu den bundes- und landesrechtlichen Vorschriften zur Wahrung der Unabhängigkeit des Mandats sollten keine Blanketttatbestände, sondern eigenständige „stand-alone-Vorschriften“ im StGB geschaffen werden. Dadurch kommt zum einen das Unrecht deutlich klarer zum Ausdruck. Zum anderen befassen sich die abgeordneten- und parteienrechtlichen Anti-Korruptionsnormen nicht mit Drittvorteilen und vor allem naturgemäß auch nicht mit der Geberseite. Dies ist für die Effektivität von Korruptionsstrafvorschriften aber unabdingbar. Durch die Verortung im StGB und die Anlehnung an die Struktur der dort etablierten Tatbestände lassen sich diese Probleme vermeiden.
An konkreten Formulierungsvorschlägen herrscht kein Mangel. Allerdings sind alle bisher veröffentlichten Vorschläge unvollkommen. Ein bereits im Juni 2021 von den damaligen Oppositionsparteien eingebrachter Entwurf (BT-Drs. 19/30553, S. 2) schlug vor, insbesondere das Merkmal „im Auftrag oder auf Weisung“ im bisherigen § 108e StGB dadurch zu ersetzen, dass der Mandatsträger „unter Verletzung seiner Pflichten als Mitglied einer Volksvertretung bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung zur Vertretung oder Durchsetzung der Interessen des Leistenden […] vorgenommen hat […] oder künftig vornehme“. Ein so formuliertes Gesetz erfasste aufgrund der Beschränkung auf konkrete Bezugshandlungen bei Mandatswahrnehmung allerdings weder die Entgegennahme von Geldsäcken ohne genau definierte Gegenleistung, noch die Vermittlung von Maskendeals gegen horrende Privatvorteile. Michael Kubiciel plädiert stattdessen dafür, im erwähnten Vorschlag die Passage „bei Mandatswahrnehmung“ zu amputieren und den verbliebenen Rest als neuen § 108f StGB („Pflichtwidrige Vorteilsannahme“) eigenständig zu normieren (ZRP 2023, 47, 49). Auch dann bliebe es aber bei der Beschränkung auf konkrete Bezugshandlungen. Überdies enthalten beide Vorschläge eine bedenkliche Doppelung, indem sie an einen „ungerechtfertigten“ Vorteil als Gegenleistung für eine abgeordnetenrechtliche „Pflichtverletzung“ anknüpfen: Beide Merkmale sind an die „für die Rechtsstellung des Mitglieds maßgeblichen Vorschriften“ (vgl. § 108e Abs. 4 S. 1 StGB) gekoppelt und dürften stets in ein und demselben Verhaltensnormverstoß (etwa: Vornahme eine „entgeltlichen Interessenvertretung“ i.S.v. § 44a Abs. 3 AbgG) wurzeln. Das darin liegende Bestimmtheitsproblem könnte der nur lose normativ gehaltene Vorschlag von Transparency International umschiffen, wonach die erkaufte Bezugshandlung in § 108e StGB als Vornahme einer Handlung „unter missbräuchlicher Ausnutzung der Stellung als Mandatsträger“ bezeichnet werden soll. Aber auch dieser Vorschlag hat Nachteile: Zum einen bliebe es bei der Beschränkung auf konkret vereinbarte Bezugshandlungen, zum anderen ist es mit Blick auf das Gebot schuldangemessenen Strafens problematisch, Bestechlichkeit und missbräuchliche Einflussnahme trotz unterschiedlichen Unrechtsgehalts unter dem Dach einer Strafnorm mit einem identischen Strafrahmen zu versehen.
Wir plädieren deshalb dafür, ergänzend zu einem engen Stimm(ver)kaufsverbot nach Art des bisherigen § 108e StGB eine eigenständige Strafnorm für die im AbgG untersagten Formen politischer Korruption zu schaffen. Da das Parlamentsrecht auf eine konkrete Gegenleistung verzichtet, empfiehlt es sich, einen Tatbestand zu schaffen, der ein deliktisches Verhalten auf halber Strecke zwischen den Korruptionsformen der § 332 Abs. 3 StGB (= Bestechung für eine konkrete künftige pflichtwidrige Ermessenshandlung) und § 331 Abs. 1 StGB (= Vorteilsgewährung ohne konkrete Gegenleistung) beschreibt. Nach den Verhaltensregeln zulässige Vorteilsgewährungen (z.B. Absprachen über die Vergabe politischer Funktionen oder Zuwendungen nach den §§ 44a Abs. 3 S. 2, 48 AbgG) dürfen von diesem Straftatbestand nicht erfasst sein. Hierfür bietet es sich regelungstechnisch an, wie in der jetzigen Fassung des § 108e StGB einen „ungerechtfertigten Vorteil“ zu verlangen. Überdies lässt sich über eine geringfügige Änderung der für Bestechungsdelikte üblichen Grammatik auch die Kandidaten-Korruption erfassen.4) Ein solcher Tatbestand könnte (für die Nehmerseite) lauten:
Wer einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, mit dem erkennbar die Erwartung verbunden ist, dass er als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder sich bei der Ausübung seines Mandats durch den Vorteil beeinflussen lassen werde, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Das Delikt des Einflusshandels bedarf einer eigenständigen Regelung, weil sich die tatbestandlichen Bezugspunkte – Nebentätigkeit statt Mandatsausübung – stark unterscheiden. Die Vorschrift könnte so formuliert sein:
Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er neben dem Mandat gegenüber einem Parlament oder einer Regierung die Interessen des Leistenden vertritt oder diesen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Mandatsausübung berät, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Strafrechtliche Zurückhaltung im Hinblick auf kommunale Mandatsträger
Die heutige Strafvorschrift erfasst über eine Gleichstellungsklausel in § 108e Abs. 3 StGB auch Kommunalparlamentarier. Tatsächlich machen diese das Gros der Normadressaten aus. Das allein ist Anlass zur Kritik am geltenden § 108e StGB, dessen Strafmaß für die in aller Regel ehrenamtlich tätigen Mitglieder von Gemeinde-, Kreis- und Bezirksräten schlicht zu hoch ist. Um ein aktuelles Beispiel zu bemühen: Einen verwaltungsrechtswidrigen Vertrag mit einem Windparkbetreiber – Betriebsgenehmigung gegen Schulsanierung – mag man zwar als korruptiv bewerten, von verbrecherischer Energie ist er aber weit entfernt. Politische Korruption auf kommunaler Ebene sollte also in gewissen Grenzen weiterhin strafbar sein, aber kein Verbrechen (mehr). Daher erscheint auch die Ausdehnung der hier vorgeschlagenen neuen Tatbestände auf kommunale Mandatsträger – jedenfalls soweit sie ehrenamtlich tätig sind – nicht geboten. Auch ohne Strafbewehrung erscheint es aber bedenkenswert, klare Verhaltensregeln in Gestalt von Zuwendungsverboten in den Kommunalgesetzen der Länder zu verankern (s. etwa § 6 des Muster-Verhaltenskodex von Transparency International).
References
↑1 | KoalitionsV S. 10. Eine Initiative im schleswig-holsteinischen Landtag mit derselben Stoßrichtung (Drs. 19/3037) wurde vor diesem Hintergrund einstweilen auf Eis gelegt. |
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↑2 | Für ausländische Abgeordnete sieht das deutsche Recht in Art. 2 § 2 Abs. 1 IntBestG eine strengere Regel vor, die auch den Verkauf von Handlungen pönalisiert, die lediglich mit den Aufgaben eines Mandatsträgers „zusammenhängen“. |
↑3 | BGBl. I 4650. Vergleichbare Regelungen sind z.T. auch auf Länderebene geschaffen worden, vgl. Art. 28–33 BayAbgG i.d.F. v. 23.12.2021. |
↑4 | Dazu T. Zimmermann, ZfIStW 2022, 89 (als Alternative zur Anfügung einer Bewerber-Gleichstellungsklausel, wie sie in BT-Drs.19/30553 als § 108e Abs. 4 StGB n.F. vorgeschlagen wird). |
Der von den Autoren erwähnte gemeinsame Reformschlag der FDP-, Linke-, Grüne-Fraktionen von Juni 2021 (https://dserver.bundestag.de/btd/19/305/1930553.pdf) war Reaktion auf die rein wahlkampf- und symbolpolitische, an der faktischen Unwirksamkeit des § 108e StGB nichts ändernde Anhebung des Strafrahmens durch die damalige CDU/CSU/SPD-Koalition. Wenn nun angesichts der zwischenzeitlichen BGH-Rspr. in dem genannten FDP-, Linke-, Grüne-Vorschlag das Merkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandats“ ersetzt würde durch „im Zusammenhang seines Mandats“ und ein praxistauglicherer Strafrahmen (siehe unten) geschaffen würde, dann wäre das auch angesichts eventueller, m.E. aber unbegründeter Angst vor einer Beeinträchtigung der Freiheit des Mandats eine Lösung, die – anders als eine völlige Neuordnung – mehrheitsfähig sein könnte.
Nicht vergessen werden sollte die Streichung der derzeitigen Exklusivbehandlung von Mandatsträgern bei § 108e StGB durch die erstinstanzliche OLG- und damit auch Generalstaatsanwaltschafts-Zuständigkeit – auch das war bereits Gegenstand des o.g. FDP-, Linke-, Grüne-Vorschlages (siehe dortige Begründung).
Frage an die Autoren: Gibt es eine rechtstatsächlich-empirische Grundlage für Ihre Empfehlung einer Entschärfung für kommunale Mandatsträger?
Eine generelle praxistaugliche „Entschärfung“ durch Verzicht auf Mindestfreiheitsstrafandrohung von einem Jahr und die Ermöglichung auch der Geldstrafe etwa in minder schweren Fällen würde dagegen das ganze Spektrum tat-und schuldangemessener Reaktion eröffnen, einschließlich Strafbefehlsverfahrens und beschleunigten Verfahrens und die unbedachten Folgewirkungen der Aufstufung zum Verbrechen , insbesondere eine hier eher problematische Versuchsstrafbarkeit vermeiden und Verfahrenseinstellungen zulassen. Das alles würde bei entsprechend gesetzter Strafandrohungsobergrenze die Möglichkeiten erforderlichenfalls hoher Bestrafung ja keineswegs einschränken, bedürfte allerdings einiger strafrechtspolitischer Konsequenz und Standhaftigkeit gegenüber erwartbarer populistischer Kritik („Mandatsträgerbestechung und-bestechlichkeit kein Verbrechen mehr“).
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
Wir meinen allerdings, dass die bloße Einfügung einer Regelung für minder schwere Fälle die Probleme nicht beheben würde, weil dann weiterhin weder eine Einstellung nach den §§ 153 f. StPO in Betracht käme noch ein Strafbefehl. In der geltenden Fassung des § 108e “im Zusammenhang mit dem Mandat” einzufügen, wäre aus unserer Sicht auch keine hinreichende Lösung: Fälle des Einflusshandels (wie bei den “Maskendeals”) fielen dann trotz des doch unterschiedlichen Unrechtsgehalts unter dieselbe Strafvorschrift wie “Hardcore-Korruption”. Außerdem dürfte die Auslegung eines solchen Merkmals wiederum einige Schwierigkeiten mit sich bringen.
Rechtstatsächliche Untersuchungen sind uns zu dieser speziellen Frage zwar nicht bekannt, eine Recherche in den üblichen juristischen Datenbanken ergibt aber überwiegend Fälle mit Bezug zur Kommunalpolitik. Das erscheint uns vor dem Hintergrund, dass die allermeisten Mandate dort ehrenamtlich ausgeübt werden, ausgesprochen unbefriedigend.
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
Wir denken allerdings, dass die Einführung einer Regelung für minder schwere Fälle die Probleme der Ausgestaltung als Verbrechen gerade nicht beheben wird – ein Strafbefehl und auch eine Verfahrenseinstellung gem. §§ 153, 153a scheidet bei Verbrechen aus. Eine tatbestandliche Erweiterung des geltenden § 108e dergestalt, dass auch Fälle wie die “Masken-Deals” erfasst wären, hätte den Nachteil, dass dann die Form von Einflusshandel und echte “Hardcore-Korruption” trotz des unseres Erachtens deutlich unterschiedlichen Unrechtsgehalts unter dieselbe Vorschrift fielen. Dagegen haben Sie vollkommen Recht, was die ebenfalls änderungsbedürftige OLG-Zuständigkeit angeht.
Eine spezielle rechtstatsächliche Untersuchung ist uns nicht bekannt. Allerdings werfen Recherchen in den üblichen juristischen Datenbanken doch ganz überwiegend kommunalpolitische Fälle aus. Im Hinblick darauf, dass die meisten Mandate auf dieser Ebene ehrenamtlich ausgeübt werden, erscheint uns der Änderungsbedarf tatsächlich groß – auch wenn Ihre Befürchtungen zum Ablauf des politischen Prozesses natürlich nicht von der Hand zu weisen sind.
Genau aus dem von Ihnen genannten Grund sieht meine Anregung für einen praxistauglichen Strafrahmen ja keine Mindeststrafe von einem Jahr mehr vor – der minder schwere Fall würde wegen 12 Abs.3 StGB an der Verbrechenseinstufung nichts ändern, das aus meiner Sicht nötige Spektrum der Reaktionsmöglichkeiten nicht eröffnen.