„Stop Racial Profiling“?
Vertane Chancen bei der geplanten Neustrukturierung des BPolG
Das Bundespolizeigesetz ist in die Jahre gekommen und soll nach einem nun veröffentlichten Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium umfassend reformiert werden. Obwohl der Entwurf das Problem anerkennt, unternimmt er leider nur halbherzige Anstrengungen, um effektiv vor polizeilichem Racial Profiling zu schützen.
Schleierfahndung in der Kritik
Das geltende Bundespolizeirecht stammt in großen Teilen aus den frühen 1990er Jahren, als die Bundespolizei noch Bundesgrenzschutz hieß und nicht nur vor Słubice, sondern auch vor Mülhausen gewissenhaft Reisepässe kontrollierte. Nur geringfügig neueren Datums sind die Ermächtigungsgrundlagen zu verdachtsunabhängigen Personenkontrollen in den §§ 22 Abs. 1a und 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG. Sie wurden in Reaktion auf den Wegfall der Grenzkontrollen im Schengenraum geschaffen, dienen nunmehr jedoch als „Allzweckwaffe“ gegen allerhand Unerwünschtes – die Spanne reicht hier von der Unterbindung „irregulärer Migration“ über die Terrorabwehr und die Pandemiebekämpfung bis allgemein zur Eindämmung des internationalen Verbrechens. Die Kontrollen sind dabei insbesondere nicht auf das Gebiet der ehemaligen Grenzposten beschränkt, sondern reichen bis weit ins Landesinnere hinein – wer Pech hat, den erwischt es in einer Regionalbahn zwischen Mainz und Koblenz oder eben bei der Zigarette im eigenen Vorgarten.
Ebenfalls seit geraumer Zeit steht die sogenannte Schleierfahndung in der Kritik. Ansatzpunkt ist zum einen das unionsrechtliche Schengenregime: Der EuGH hält die Ermächtigungsgrundlagen des Bundespolizeigesetzes für sich genommen für allzu unbestimmt und hat in einem Vorabentscheidungsersuchen Konkretisierungen gefordert. Diese hat das Bundesinnenministerium zumindest für § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG mittlerweile über einen exekutiven Erlass vorgenommen – aber eben auf der Stufe von Verwaltungsvorschriften mit vergleichsweise geringer Sichtbarkeit und verminderter demokratischer Legitimation.
Der Hauptvorwurf gegen die §§ 22 Abs. 1a und 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG betrifft jedoch die Praxis des Racial Profilings, wonach anstelle einer (konkreten) Gefahr – und entgegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG – mitunter die Hautfarbe zum Kontrollanlass wird. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hält bereits die Vorschrift des § 22 Abs. 1a BPolG für verfassungswidrig, weil sie absehbar diskriminierende Personenkontrollen nach sich ziehe. Auch das UN Committee on the Elimination of Racial Discrimination (abrufbar hier, unter Nr. 11) mahnt eine Reform an, um fehlgeleitetem Ermessensgebrauch effektiv entgegenzuwirken. Umso mehr muss es verwundern, dass der aktuelle Referentenentwurf diese Kritik weitgehend unbeachtet lässt.
Konturenlose Eingriffstatbestände – Niederlande als Vorbild?
Der derzeit geltende § 22 Abs. 1a BPolG soll zunächst nahezu unverändert in den neuen § 23 Abs. 2 Satz 1 BPolG überführt werden. Dabei bleibt es bei einem nahezu konturenlosen Eingriffstatbestand. Der Referentenentwurf versäumt es hier, Tatbestandsmerkmale wie die „Lageerkenntnisse“ oder die „grenzpolizeiliche Erfahrung“ so weit zu schärfen, dass sie handlungsleitende Kraft entfalten und nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Rechtspraxis ohne Weiteres gerichtlich überprüfbar werden. Der Bestimmtheitsgrundsatz streitet an dieser Stelle auch für den Grundrechtsschutz. Wo es bei verdachtsunabhängigen Maßnahmen bereits an einer Gefahr als maßgebliche Voraussetzung für das Polizeihandeln fehlt, bedarf es anderer, kompensierender Vorgaben im Gesetz. Je besser es hier gelingt, die Ermächtigungsgrundlagen tatbestandlich zu konturieren, desto weniger droht im Einzelfall das Vorurteil an die Stelle der gesetzgeberischen Wertung zu treten. Als Vorbild könnten dabei die niederländischen Parallelregelungen dienen. Den dortigen Behörden werden etwa allein stichprobenartige Kontrollen aufgetragen und diese zudem räumlich, zeitlich und quantitativ begrenzt (vgl. hier unter Rn. 19).
Rechtfertigungsfähigkeit von Racial Profiling?
Beim wiederholten Lesen erscheint auch der neue Satz 2, den der Referentenentwurf in § 23 Abs. 2 BPolG eingefügt wissen will, nicht mehr nur uneingeschränkt erfreulich. Dort heißt es, dass „die Auswahl der nach Satz 1 betroffenen Person anhand eines Merkmals im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ohne sachlichen, durch den Zweck der Maßnahme gerechtfertigten Grund […] unzulässig“ ist. Der Verweis auf das Grundgesetz trifft zu, bleibt vor Art. 1 Abs. 3 GG aber ohne juristischen Mehrwert, denn die Grundrechte – und damit auch die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG – gelten ohnehin unmittelbar für die gesamte Staatsgewalt, also auch für die Bundespolizei. Irreführend erscheint indessen der Hinweis auf etwaige rechtfertigende Gründe entlang des Maßnahmezwecks im zweiten Halbsatz. Die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG sehen eine Eingriffsrechtfertigung nicht unmittelbar vor. Gerade bei rassistischen Ungleichbehandlungen sind rechtfertigende Gründe kaum ersichtlich. Jedenfalls müssten sie aber im Rang von Verfassungsrecht stehen – was insbesondere bei Zielen der bloßen Migrationskontrolle wiederum mehr als fraglich erscheint.
Keine Klarstellung zu „Motivbündeln“
Wo hier der Entwurf durch die Ergänzung eher verunklart, bleibt er andere wichtige Klarstellungen schuldig, indem er sich zu zentralen Rechtsfragen des Racial Profiling ausschweigt. Von erheblicher Bedeutung für die gerichtliche Praxis ist etwa die Problematik sogenannter „Motivbündel“. Die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht vor Art. 3 Abs. 3 GG bereits von einer fehlerhaften Ermessensbetätigung aus, wenn rassistische Auswahlkriterien nicht allein, sondern neben für sich genommen rechtmäßige Auswahlerwägungen treten (siehe hier unter Rn. 112 ff. und hier unter Rn. 55 ff.). Obwohl sich die „Motivbündel“-Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in Koblenz und Münster auf bundesverfassungsgerichtliche Maßstäbe zu Art. 3 Abs. 2 GG (siehe hier unter Rn. 49) stützen kann, wäre hier eine Klarstellung im Gesetz wünschenswert gewesen. Denn Ersatzerwägungen zur Begründung einer Auswahlentscheidung sind ebenso schnell vorgetragen, wie sie seitens der klagenden Partei nur schwerlich widerlegt werden können. Wer effektiven Rechtsschutz gegen Racial Profiling will, der muss mit der genannten Rechtsprechungslinie aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen jede Anknüpfung an ein verpöntes Kriterium des Art. 3 Abs. 3 GG für einen Verfassungsverstoß genügen lassen. Das Bundespolizeigesetz sollte dies zumindest für den neuen § 23 und den neuen § 26, der ebenfalls Personenkontrollen vorsieht, festhalten.
Fehlende Beweislastmodifikationen
Entsprechendes gilt auch für einen zweiten Problemkreis bei Racial-Profiling-Prozessen. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat aus Art. 3 Abs. 3 GG eine partielle Beweiserleichterungsregel ähnlich dem – im Polizeirecht nicht unmittelbar anwendbaren – § 22 AGG abgeleitet: Wenn die konkret von der Behörde vorgetragene Auswahlbegründung widersprüchlich oder unplausibel erscheint, soll es hiernach an der Bundespolizei liegen, eine diskriminierungsfreie Kontrolle zu beweisen. Können die Zweifel an einer rechtmäßigen Personenauswahl nicht ausgeräumt werden, geht dies zulasten der Behörde (siehe hier unter Rn. 117). Eine solche Modifizierung der Darlegungs- und Beweislast zugunsten der klagenden Partei ist nur konsequent – und insofern zurecht wichtiger Baustein jeglicher Antidiskriminierungsgesetzgebung (siehe etwa auch § 7 LADG Berlin; dazu auch hier). Denn oftmals ergibt sich der diskriminierende Charakter einer Handlung erst aus dem Gesamtbild des Vorgangs, während der Vollbeweis einer Diskriminierung, der sich ja regelmäßig auf die subjektive Motivlage der handelnden Person stützen muss, auch unter Bedingungen des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verwaltungsrechtsprozess die Klägerin überfordern muss. Im Referentenentwurf fehlt eine solche Regelung nach Vorbild des § 22 AGG; dies gilt für den neuen § 23 Abs. 2 ebenso wie für den neuen § 26 BPolG, der die Rechtsgrundlagen des derzeitigen § 23 BPolG fortführt.
Regelung zu Kontrollquittungen greift zu kurz
Positiv ist hingegen, dass der Referentenentwurf in § 23 Abs. 2 nunmehr vorsieht, den kontrollierten Personen einen Anspruch auf eine Kontrollquittung einzuräumen. Auf diesen Anspruch sollen die kontrollierten Personen zudem ausdrücklich hingewiesen werden. Auch hier wäre jedoch eine noch umfassendere und konkretere Regelung wünschenswert, um Racial Profiling vorzubeugen und effektiven Rechtsschutz gegen Diskriminierung zu ermöglichen. Da auch Kontrollen nach dem neuen § 26 BPolG missbrauchsanfällig sind, bedarf es zunächst einer Parallelregelung, die auch hier Kontrollquittungen vorschreibt. Sodann sollte auf der Kontrollquittung die konkrete Rechtsgrundlage der Kontrolle verzeichnet werden. Ferner sollte die Möglichkeit bestehen, dass Personen, die sich selbst einer von rassistischer Diskriminierung betroffenen Gruppe zuordnen, eine entsprechende Angabe auf der Kontrollquittung erwirken können. Die Zuordnung dürfte dabei nur freiwillig und allein durch die kontrollierte Person erfolgen. Dies würde die Bundespolizei jedoch befähigen, präzise Statistiken über ihr Kontrollverhalten und zu errechnen und verzerrende Biases bei der Polizeiarbeit frühzeitig zu detektieren. Die Polizeibehörden Großbritanniens haben damit gute Erfahrungen gemacht. Die wären der Bundespolizei auch zu wünschen. Eine echte „Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes“ böte dafür den passenden Anlass.
These interesting and challenging issues were raised in the six months old ECHR judgment in Basu v Germany – the government has already provided the CoE CM with a communication on execution https://hudoc.exec.coe.int/eng?i=004-62530
interessanter Text. Die Idee mit der Kontrollquittung wäre auf jeden Fall wichtig und schnell einzuführen. Allein das könnte schon mal genug Quellen und Belegmaterial liefern, und zwar gerade auch für die Polizei selbst.