Er haftet
Schadensersatzpflicht eines Bundesministers bei Amtspflichtverletzung
Bundesverkehrsminister Volker Wissing lässt gutachtlich prüfen, ob sein Amtsvorgänger Andreas Scheuer dem Bund 243 Millionen Euro Schadensersatz schuldet. Scheuer hatte Ende 2018 mit einem Betreiberkonsortium aus dem Unternehmen CTS Eventim und Kapsch einen Vertrag abgeschlossen, der einen pauschalen Schadensersatz von 500 Millionen Euro vorsah. Selbst die Unternehmen hatten angeregt, mit dem Vertragsschluss bis zu der Entscheidung des EuGH über die Vereinbarkeit der von der CSU so genannten „Ausländermaut“ mit Unionsrecht zuzuwarten. Wie von vielen Beobachtern vorhergesagt (zum Meinungsstand im Vorfeld Nestler), aber im Gegensatz zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Wahl, verwarf der EuGH das deutsche Gesetz als unionsrechtswidrig. Anschließend kündigte Minister Scheuer die Verträge wegen Schlechtleistung. Das Konsortium verklagte den Bund daraufhin vor einem Schiedsgericht auf 560 Millionen Euro Schadensersatz. Das Schiedsgericht erklärte 2022 die Vertragskündigung für rechtswidrig. 2023 einigten sich die Parteien auf eine Schadensersatzzahlung des Bundes von 243 Millionen Euro. Kann der Bund diesen Betrag von Scheuer zurückfordern?
Amtspflichten eines Bundesministers
Die Mitglieder der Bundesregierung stehen nach § 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis und damit in einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis zum Bund. Sie schwören bei Amtsantritt gemäß Art. 64 Abs. 2 iVm Art. 56 GG, dass sie den Nutzen des deutschen Volkes mehren und Schaden von ihm wenden werden. Zu ihren Amtspflichten gehört es nicht nur, ihre Amtsgeschäfte nach Gesetz und Recht zu führen, sondern auch Schaden vom deutschen Volk abzuwehren. Sie dürfen nicht gegen Unionsrecht verstoßen und das Volksvermögen nicht durch ihr Handeln gefährden. Diese Pflichten dürften in einem Rechtsstaat unbestritten sein, in dem die vollziehende Gewalt nach dem Gesetzmäßigkeitsprinzip an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Mitglieder der Bundesregierung sind politisch verantwortlich, stehen aber nicht über dem Gesetz. Sind sie aber auch schadensersatzpflichtig, wenn eine Amtspflichtverletzung zu einem Vermögensschaden des Bundes führt?
Eine Schadensersatzpflicht eines Mitglieds der Bundesregierung bei Verletzung einer Amtspflicht wird oft bezweifelt – zu Unrecht. Aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB folgt, dass ein Gläubiger Schadensersatz von einem Schuldner verlangen kann, wenn dieser schuldhaft eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift erstreckt sich nicht nur auf das Privatrecht, sondern auch auf öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse. Das hat der BGH schon vor bald 50 Jahren entschieden (BGH NJW 1974, 1816 zur positiven Forderungsverletzung). Auch für das Beamtenverhältnis erkennt das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung einen beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruch an: „Als im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis wurzelndes und insofern „quasivertragliches“ Institut gewährleistet der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch Sekundärrechtsschutz für Pflichtverletzungen aus dem Beamtenverhältnis, wie dies § 280 Abs. 1 BGB für vertragliche Schuldverhältnisse vorsieht.“ (BVerwG NVwZ 2018, 1637 f. m.w.N.). Dabei geht es freilich um Ansprüche des Beamten gegen den Dienstherrn. Für Ansprüche in umgekehrter Richtung gilt § 75 BBG, der abschließend die Haftung des Beamten im Innenverhältnis gegenüber dem Dienstherrn regelt und diese auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Wie zwischen Beamtinnen und Beamten auf der einen und dem Dienstherren auf der anderen Seite das Beamtenverhältnis als ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis mit Haupt- und Nebenpflichten besteht, so begründet auch die Ernennung zum Mitglied der Bundesregierung ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis in Form eines Amtsverhältnisses zum Bund. Eine § 75 BBG entsprechende Regelung enthält das Bundesministergesetz nicht. Insofern bleibt es bei dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass eine zu vertretende Verletzung von Pflichten aus dem Schuldverhältnis einen Schadensersatzanspruch nach sich zieht. Das häufig zu lesende Argument, mit seinem Schweigen schließe das Bundesministergesetz jegliche Haftung von Mitgliedern der Bundesregierung aus, vermag jedenfalls nicht zu überzeugen. Ein absichtsvoller Regelungsverzicht des Gesetzgebers darf nicht einfach behauptet werden, sondern müsste auf begründete Anhaltspunkte gestützt werden. Gründe für ein solches beredtes Schweigen sind bisher weder benannt worden noch sonst ersichtlich. Wenn der Gesetzgeber eine Schadensersatzpflicht von Mitgliedern der Bundesregierung selbst für vorsätzliche Amtspflichtverletzungen hätte ausschließen wollen, hätte er eine solche in einem Rechtsstaat schwer vorstellbare Regelung vielmehr ausdrücklich und nicht durch bloßes Schweigen treffen müssen. Auch für Mitglieder der Bundesregierung folgt deshalb eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Bund, wie dies § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB für vertragliche Schuldverhältnisse vorsieht.
Wollte man diese Schadensersatzpflicht verneinen, hätte das zur Folge, dass ein Mitglied der Bundesregierung selbst bei einer vorsätzlichen Schädigung des Vermögens des Bundes nicht zum Schadensersatz verpflichtet wäre, wenn nicht die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) oder der Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) vorlägen – ein zumindest überraschendes Ergebnis, wenn man das Gesetzmäßigkeitsprinzip des Grundgesetzes ernst nimmt.
Haftungsprivilegierung
Spannend ist die Frage, ob eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, wie sie sich aus § 75 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz für Beamtinnen und Beamte ergibt, auch für Mitglieder der Bundesregierung gilt, obwohl das Bundesministergesetz eine entsprechende Privilegierung nicht vorsieht, sondern die Haftung von Mitgliedern der Bundesregierung überhaupt nicht regelt. Die Privilegierung ergibt sich im Innenverhältnis zwischen Bund und Mitglied der Bundesregierung noch nicht aus Art. 34 Satz 2 GG. Dieser regelt nur die Haftungsbeschränkung beim Rückgriff im Falle einer Amtshaftung eines Beamten gegenüber Privaten (§ 839 BGB), aber nicht die Haftung eines Amtsträgers gegenüber seinem Dienstherrn aus dem Amtsverhältnis.
Es gibt durchaus erwägenswerte Argumente, die Haftungsprivilegierung aus dem Beamtenrecht auch auf Mitglieder der Bundesregierung zu erstrecken. Deren Entscheidungen haben oft große Bedeutung und sind nicht selten mit Vermögensrisiken verbunden. Andererseits haben Mitglieder der Bundesregierung ohne Probleme Zugriff auf profunde rechtliche Beratung. Entscheiden sie sich, mit ihrem Handeln begründete rechtliche Bedenken außer Acht zu lassen, übernehmen sie aber auch Verantwortung für ihr Tun und haften für grobe Fahrlässigkeit. Der Gesetzgeber müsste jedenfalls eine Haftungsprivilegierung ausdrücklich regeln. Das gebietet die Rechtssicherheit. Schweigen ist in diesem Fall nicht Gold, sondern reicht nicht aus.
Im Freistaat Bayern gibt es seit 1961 eine Haftungsregelung für Minister (Art. 7 Abs. 2 BayMinG). Dies zeigt, dass es der bayerische Landesgesetzgeber es für nötig erachtet hat, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, weil das BGB als Haftungsgrundlage nicht ausreicht. Der Bund hat in Kenntnis der Rechtslage in Bayern auf eine entsprechende Regelung im BMinG verzichtet. Ein Rückgriff auf das BGB ist damit mE versperrt.