27 June 2024

Im „Westen“ viel Neues

EuGH bestätigt Übernahme europäischer Werte als Asylgrund

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 11. Juni 2024 (C-646/21) einen geschlechtsspezifischen Asylgrund bestätigt: Frauen, die jahrelang in einem Umfeld der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern gelebt haben, können unter Umständen einen Anspruch auf Asyl haben, wenn sie diese Lebensweise in ihrem Heimatland aufgeben müssten. Das Urteil stärkt damit nicht nur die Stellung von Frauen in Asylfragen. Es könnte sich auch auf den Schutzstatus von sogenannten „Klimaflüchtlingen“ auswirken.

„Westliche“ Prägung

Im Vorlagefall ging es um zwei irakische Mädchen (2003 und 2005 geboren), die seit 2015 in den Niederlanden leben. Die Asylanträge, die die Eltern für sich selbst und ihre Töchter stellten, wurden im Juli 2018 endgültig abgelehnt. Die Eltern stellten erfolglos einen Folgeantrag und erhoben schließlich Klage.

Drei Jahre später verhandelte das Bezirksgericht Den Haag darüber. Zu dem Zeitpunkt hielten sich die Mädchen bereits seit über 5 Jahren ununterbrochen in den Niederlanden auf – und zwar im Alter von etwa 12-18 bzw. 10-16 Jahren, also während einer besonders prägenden Lebensphase. Sie machten daher insbesondere geltend, dass sie während ihres Aufenthalts die Gewohnheiten, Normen und Werte ihres sozialen Umfelds angenommen hätten und „verwestlicht“ seien; als „verwestlichte“ Mädchen drohe ihnen in ihrem Heimatland Verfolgung. Bei einer Rückkehr in den Irak wären sie nicht in der Lage, sich den dortigen gesellschaftlichen, religiösen und rechtlichen Regeln anzupassen, die Frauen und Mädchen nicht dieselben Rechte wie Männern zugestehen.

Der Begriff der „bestimmten sozialen Gruppe“

Streitentscheidend war Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95 ,(„Qualifikationsrichtlinie“).

Diese Richtlinie präzisiert auf europäischer Ebene Kriterien für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 („GFK“). Die GFK und ihr Zusatzprotokoll von 1967 bilden den Kern des internationalen Flüchtlingsrechts. Ihre Flüchtlingsdefinition aus Art. 1 Abschnitt A. Ziff. 2 ist Grundlage sowohl der europäischen Definition als auch etwa der Definition aus § 3 Abs. 1 AsylG.

Flüchtling ist demnach jede Person, die,

aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will […].“

Im Fall der irakischen Mädchen kam keiner der spezifischen Verfolgungsgründe in Betracht. Das Gericht in Den Haag legte dem EuGH vor diesem Hintergrund daher insbesondere die Frage vor, ob „westliche Normen, Werte und Verhaltensweisen, die Drittstaatsangehörige durch ihren Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats während eines beträchtlichen Teils ihrer identitätsbildenden Lebensphase übernehmen, wobei sie uneingeschränkt am Gesellschaftsleben teilnehmen,“ eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe begründen können (Rn. 32).

Es gibt keine abgeschlossene Liste jener „bestimmten sozialen Gruppe[n]“. Diese Kategorie ist vielmehr bewusst hinzugefügt worden, um auch gesellschaftlichen oder politischen Entwicklungen Rechnung tragen zu können, die zum Abschluss der GFK noch nicht absehbar waren.

10 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie liefert den Maßstab für die Beantwortung der Vorlagefrage, indem er das Auffangkriterium der sozialen Gruppe wie folgt konkretisiert:

d) eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

— die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

— die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.“

Der EuGH bejahte diese Voraussetzungen.

Identifikation mit Gleichberechtigung als identitätsbildendes Merkmal

Eine „Verwestlichung“ kann für Frauen ein bedeutendes Merkmal darstellen, durch welches sie eine soziale Gruppe im Sinne dieser Norm bilden. Der Gerichtshof bestätigt damit seine Tendenz, in asylrechtlichen Fragen zunehmend die besondere Situation von Frauen zu berücksichtigen. Bereits zu Beginn des Jahres weitete er die Rechte von weiblichen Geflüchteten aus. In seinem Urteil vom 16. Januar 2024 (C‑621/21) erkannte er an, dass die „Tatsache, weiblichen Geschlechts zu sein“, ein angeborenes und für die Identität bedeutsames Merkmal darstellt, welches für die Identifizierung einer „bestimmten sozialen Gruppe“ ausreichen kann (Rn. 49). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Frauen eines bestimmten Herkunftslandes in jenem Land geschlechtsspezifische Gewalt fürchten müssen.

Doch auch Frauen, die in ihrem Herkunftsland keine solche systematische Verfolgung fürchten müssen, können als Mitglieder einer anderen sozialen Gruppe „Flüchtling“ sein, wenn sie ein weiteres Identifizierungsmerkmal im Sinne von § 10 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie aufweisen (Rn. 42).

Dieses Merkmal, so stellen die Luxemburger Richterinnen und Richter nun klar, könne etwa in der Übernahme bestimmter „westlicher“ Werte liegen. Als entscheidende Werte und Verhaltensweisen, auf die sich die Klägerinnen berufen, identifiziert der EuGH unter Berücksichtigung der Vorlageentscheidung vor allem die gelebte Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Die Mädchen wuchsen während einer prägenden Lebensphase unter dem Einfluss der in den Niederlanden gelebten Gleichberechtigung auf; sie waren es gewohnt, gemeinsam mit gleichaltrigen Jungen zur Schule zu gehen, Sport zu treiben und ihre Freizeit zu verbringen.

Die Identifizierung mit dem Grundwert der Gleichstellung von Mann und Frau insoweit, als sie mit dem Wunsch verbunden ist, im Alltagsleben gleichberechtigt zu sein, setze voraus, dass die Frau ihre eigenen Lebensentscheidungen frei treffen kann: etwa in Bezug auf Bildungsweg und Berufswahl, Aktivitäten im öffentlichen Raum, die Partnerwahl oder die Möglichkeit, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen. Diese Identifikation könne so prägend und identitätsbildend sein, dass sie als bedeutsames Merkmal oder Glaubensüberzeugung angesehen werden könne (Rn. 44).

Aufgrund dieser Identität könnten die Mädchen in ihrer Heimatgesellschaft als andersartig betrachten werden, was diese Gruppe deutlich abgrenze (Rn. 45).

Bislang wurde ein solches Merkmal hauptsächlich bei religiös oder politisch begründeten Überzeugungen bejaht. Nun erkannte der EuGH erstmals an, dass auch die unter dem Begriff der „Verwestlichung“ diskutierte Verinnerlichung bestimmter Werte an sich ausreichend sein kann – ohne dass diese eine religiöse oder politische Grundlage haben muss.

Lifestyle oder Identität?

Die Idee, die Übernahme bestimmter „westlicher“ Werte als Verfolgungsgrund zu klassifizieren, ist nicht neu. Einige deutsche Gerichte nahmen in vergleichbaren Fällen bereits die Flüchtlingseigenschaft an. So bestätigt das EuGH-Urteil die Praxis etwa des VG Hamburg, des VG Arnsberg oder des VG Wiesbaden. Diese Entscheidungen ergingen jedoch im Kontext der Herkunftsländer Iran und Afghanistan, Länder, in denen die Rechte von Frauen in den letzten Jahren unter dem zunehmenden Einfluss konservativer islamischer Strömungen immer stärker eingeschränkt wurden. Die Entscheidung des EuGH bestätigt diese Argumentation nun grundsätzlich und unabhängig von bestimmten Herkunftsländern. Da alle Gerichte dieser Auslegungsentscheidung auch außerhalb des Ausgangsverfahren faktisch folgen müssen, erhöht das Urteil den Druck auf die deutschen Behörden, entsprechenden Argumentationen schon im Asylverfahren zu folgen.

Noch größere Auswirkungen wird die Entscheidung in anderen Teilen Europas haben, die das Merkmal der sozialen Gruppe tendenziell restriktiver auslegen. So äußerten neben den Niederlanden auch Tschechien, Griechenland und Ungarn in ihren Stellungnahmen, dass sie das Merkmal der „Verwestlichung“ nicht ausreichen ließen (siehe Schlussanträge des Generalanwalts Collins, Rn. 13). Die Mitgliedstaaten argumentierten, die Klägerinnen hätten sich nicht mit einem gewissen Wert identifiziert, sondern würden lediglich einen bestimmten Lebensstil bevorzugen. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass der Wunsch, nach den hier gegenständlichen Werten zu leben, nicht nur eine bloße Meinung oder Präferenz ist, sondern unter bestimmten Umständen ein unauslöschlicher Teil der Persönlichkeit, ähnlich wie religiöse Überzeugungen oder die sexuelle Orientierung sein kann. Sich in eine patriarchalische Gesellschaftsstruktur wiedereinzugliedern und die Möglichkeit zu verlieren, über wesentliche Aspekte des eigenen Lebens nach freiem Willen entscheiden zu können, ist dann nicht bloß unangenehm, sondern schlichtweg unzumutbar. Dies werden nun auch die Behörden und Gerichte dieser Staaten anerkennen müssen.

Bedeutung europäischer Werte

Das Urteil des EuGH bedeutet einen Meilenstein für die Auslegung der GFK im Lichte europäischer Werte. Es führt die in Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) fixierten Grundsätze konsequent weiter, insbesondere die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Toleranz und Gleichheit. Denn Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist nur dann Ausdruck echter Gleichheit, wenn sie nicht nur für Europäer:innen gelten. Für Frauen, die diese Werte nach längerer Zeit in Europa übernommen und verinnerlicht haben, geht es um die Frage, ob sie dazu gezwungen werden können, wieder auf sie zu verzichten. Es ist nur folgerichtig, die Antwort darauf nicht ausschließlich vom Vorliegen eines (weiteren) Fluchtgrundes abhängig zu machen.

Allerdings sollte dabei auf den bislang üblichen Begriff der „Verwestlichung“ verzichtet werden, da er eine problematische Dichotomie zwischen „Westen“ als progressiv und „Osten“ als rückständig schaffen kann (so auch Generalanwalt Collins hier, Rn. 18). Es ist entscheidend, einen respektvollen Dialog über kulturelle Unterschiede zu fördern, ohne die eigene Kultur als überlegen darzustellen. Dies erfordert Sensibilität und ein tiefes Verständnis für die komplexen historischen und sozialen Hintergründe, die die Werte und Normen verschiedener Gesellschaften prägen. Die Pflicht, diese aufzubringen, ergibt sich ebenfalls aus der konsequenten und authentischen Umsetzung unseres europäischen Wertekanons. So bestimmt Art. 3 Abs. 5 EUV spiegelbildlich zu den in Art. 2 genannten Grundsätzen, dass die Union in ihren Beziehungen zur übrigen Welt einen Beitrag zu Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern leistet.

Potenzial der „sozialen Gruppe“

Auch über den konkreten nun anerkannten Fluchtgrund hinaus lässt sich an dem Urteil eine erfreuliche Entwicklung ablesen. Es trägt dazu bei, den Flüchtlingsbegriff über die Kategorie der „bestimmten sozialen Gruppe“ flexibler auszulegen, um aktuelle Herausforderungen berücksichtigen zu können.

Denn Verfolgung ist nicht mehr auf einen politischen oder religiösen Kontext begrenzt. Dies könnte etwa im Kontext der klimawandelbedingten Vertreibung und den damit verbundenen rechtlichen Unsicherheiten relevant werden. Aus den verschiedenen Auswirkungen des Klimawandels könnten sich unzählige verschiedene identitätsbegründende Merkmale ergeben. In Betracht kommt etwa die Gruppe von Landwirten einer bestimmten Region, die unter Ernteausfällen infolge klimawandelbedingter Dürren leiden. Außerdem könnte die Bevölkerung kleiner Inselstaaten, die im Zuge des steigenden Meeresspiegels drohen, im Meer zu versinken, als soziale Gruppe angesehen werden. Auch wenn sich diese Probleme nicht endgültig lösen lassen, indem Aufnahmestaaten die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen, könnte man so zumindest vorübergehend ein Mindestniveau an Menschenrechtsschutz für die Betroffenen gewährleisten.

Um die aktuellen Krisen bewältigen zu können, sind wir nicht nur auf dynamische Rechtsrahmen, sondern auch auf deren angemessene und sinnvolle Anwendung angewiesen. Die Richterinnen und Richter in Luxemburg haben gezeigt, wie es geht.

 


SUGGESTED CITATION  Losch, Sebastian: Im „Westen“ viel Neues: EuGH bestätigt Übernahme europäischer Werte als Asylgrund, VerfBlog, 2024/6/27, https://verfassungsblog.de/gleichberechtigung-asylgrund-eugh/, DOI: 10.59704/995a60f1589b1099.

2 Comments

  1. Andreas Bartholomäus Thu 27 Jun 2024 at 23:37 - Reply

    „Länder, in denen die Rechte von Frauen in den letzten Jahren unter dem zunehmenden Einfluss konservativer islamischer Strömungen immer stärker eingeschränkt wurden.”

    Sehr geehrter Herr Losch, die Regime in den Ländern bzw. sonstige die als islamistische Gruppierungen bezeichnet werden, haben nichts mit irgendeiner konservativen Islamauslegung zu tun, sondern sind politideologische Neo-Fundamentalisten (inkl. militanter Gruppen wie IS) welche sich im Gewand des Islam einkleiden. Mohammed hatte bereits in seiner Abschiedspredigt Frauen bestimmte Rechte zugesprochen und eine patriachale Auslegung des Islam bzw. Koran ist ein gesellschaftlich traditionelles Problem. Der islamische Feminismus ging aus der koreanischen Reform hervor besteht schon seit dem 7. Jahrhundert.

    Der islamische Feminismus befasst sich mit der Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft. Er zielt auf die Gleichheit aller Muslime, ungeachtet des Geschlechts, im öffentlichen und privaten Leben. Muslimische Feministinnen vertreten Frauenrechte, Gleichstellung der Geschlechter, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit in der islamischen Gesellschaft. Obwohl im Islam verwurzelt, haben die Pioniere der Bewegung auch säkulare und westliche Diskurse verwendet und sie sehen die Rolle des islamischen Feminismus als Teil einer weltweiten feministischen Bewegung.
    Vertreter der Bewegung betonen die tief verwurzelten Lehren der Gleichheit im Koran und ermutigen dazu, die patriarchalische Interpretation der islamischen Lehren durch den Koran (Wort Gottes), Hadith (Überlieferungen über Mohammed) und die Scharia (das islamische Gesetz) zu hinterfragen bezüglich einer egalitäreren und gerechteren Gesellschaft. Generell kann er als eine eher liberale Bewegung im Islam eingestuft werden. In der Zeit der frühen islamischen Reformen des 7. Jahrhunderts betrafen die Reformen der Rechte der Frau die Ehe, die Scheidung und das Erbrecht. In anderen Kulturen, einschließlich des Westens, hatten Frauen bei weitem nicht diesen rechtlichen Status, sie bekamen ihn erst Jahrhunderte später. Das Oxford Dictionary of Islam sagt, generelle Verbesserung des Status der arabischen Frauen sei das Verbot der Kindstötung – insbesondere die Tötung von Mädchen kurz nach der Geburt – und Anerkennung der Frau als Rechtsperson vor dem Gesetz.”

    lg Andreas

  2. Markus Wackerer Mon 1 Jul 2024 at 08:20 - Reply

    Zum Kommentar von “Andreas Bartholomäus”:

    Ich sehe hier auf jeden Fall den Punkt und es ist sicherlich richtig auf eine extreme Religionsausübung hinzuweisen, die nicht der eigentlichen “Lehre” entspricht. Es ist aber Tatsache, dass sich bestimmte Strömungen und Auslegungen innerhalb des Islam so entwickelt haben bzw. entwickelt wurden, dass diese passgenau für autoritäre Systeme geworden sind und u.a. die Unterdrückung von Frauen oder anderen Minderheiten begründbar wird.

    Es “politideologische Neo-Fundamentalisten (inkl. militanter Gruppen wie IS) welche sich im Gewand des Islam einkleiden” zu nennen ist nicht falsch, aber man sollte auch nicht den Eindruck erwecken, als sei dies ein (geistiges) Randphänomen von ein paar Verrückten und Terroristen und würde nicht am Schluss den Nervi vieler Anhänger treffen. Die Lage der Frau in Ägypten oder Saudi-Arabien (jaja es geht aufwärts) ist schon Teil eines gewissen Mainstreams. Eines eher modernen zugegeben, es gab hier sicherlich oftmals eher Rück- als Fortschritt und das hat auch politische Gründe.

    Mein Punkt ist: Es sollte durchaus benannt werden, dass es Modernisierungsnotwendigkeiten gibt, die nicht einer spezifischen Religion immanent sind, aber doch unterschiedliche Entwicklungsstufen und -notwendigkeiten zeigen. Die katholische Kirche musste sich und muss sich weiterhin mit dem Umgang mit Homosexualität oder der Rolle der Frau als Funktionsträgerin auseinandersetzen. Auch zäh. Aber das darf und muss man fordern, genauso wie dies beim Islam der Fall ist. Man tut den Gläubigen keinen Gefallen, wenn man dies hinter zu abstrakten Beschreibungen “versteckt”. Denn auch wenn es eine fundamentalistische Auslegung ist und klar als Instrument der Machterringerung und des Machterhalts erkennbar ist, so funktioniert dies doch nur, weil religiöse Autoritäten und Anhänger “mitmachen”, also diese Auslegung anerkennen und im Alltag umsetzen.

    Der Begriff der “konservativen islamischen Strömung” trägt an dieser Stelle insofern. In liberalen, progressiven sieht dies dann eben wieder anders aus. Religionsgeschichtlich mag sich die Sache anders darstellen, real sehen wir – wie in anderen Religionen oder Bewegungen – eher eine Zuspitzung und weniger Öffnung.

    Das zu benennen ist wichtig, so dass einerseits Anhänger einer Religion sich von konservativen Kräften (die aber eben auch Teil der Religion sind und nicht komplett außerhalb stehen) abgrenzen können, es andererseits aber auch eine Religionskritik (die nicht islamexklusiv ist und am besten von den Anhängerinnen und Anhängern selbst formuliert wird) erlaubt, damit sich am Ende die reale Lage, in diesem Fall von Frauen und Mädchen, verbessert.

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