Schweizer Bundesgericht: Öffentlicher Hitlergruß ist keine Nazi-Propaganda
Dass jemand, der nüchtern und ohne Ironie den Hitlergruß zeigt, ein Nazi ist, versteht sich von selbst. Aber verbreitet er damit auch Nazi-Ideologie? In Deutschland (und auch in Österreich) stellt sich die Frage gar nicht erst; dort ist das Zeigen nationalsozialistischer Symbole per se verboten. In der Schweiz stellt sich diese Frage sehr wohl. Und nach dem heute veröffentlichten Urteil des Schweizer Bundesgerichts, wonach selbst ein bei einer Kundgebung auf dem Nationalheiligtum Rütli in die Luft gereckter rechter Arm nicht unbedingt Nazi-Ideologie verbreitet, erst recht.
Nach deutschem Recht ist es strafbar, Nazi-Symbole wie Hakenkreuz, SS-Runen und Hitlergruß zu benutzen, auf dass gar nicht erst der Eindruck entstehe, der deutsche Rechtsstaat sei gegenüber einem Wiedererstarken des Nationalsozialismus wehrlos. Deshalb ist der Kommunikationsakt als solcher strafbar, unabhängig von der damit verfolgten Absicht. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts:
Die Norm verbannt somit die entsprechenden Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens und errichtet so ein kommunikatives „Tabu“.
Die Schweiz hat kein solches Gesetz, was mangels eigener NS-Vergangenheit erst mal vielleicht auch nicht verwundert. Aber auch die Schweiz hat eine Menge Neonazis, und die Einsicht, dass es dem Land nicht gut tut, die ungeniert Hakenkreuze und SS-Runen spazierenführen zu lassen, hat längst auch die Schweizer Öffentlichkeit erreicht. Vor 2010 gab es eine jahrelange Debatte, Nazi-Symbole zu verbieten, aber dieser Plan scheiterte schließlich – angeblich, weil man sich nicht klar genug regeln lasse, was jetzt verboten ist und was nicht.
Immerhin gibt es aber eine Norm im Schweizer Strafgesetzbuch, die es verbietet, rassistische Ideologie zu verbreiten. Auf dieser Basis hatte das Obergericht des Kantons Uri einen Mann verurteilt, der an einer Kundgebung einer Schweizer Neonazi-Partei auf dem Rütli teilgenommen hatte. Während dort Schillers Rütli-Schwur verlesen wurde, hatte er 20 Sekunden lang die rechte Hand flach in die Luft gehalten.
Kann man das als Rassendiskriminierung bestrafen? Keineswegs, so die Bundesrichter: Denn strafbar sei nur, die rassistische Nazi-Ideologie zu “verbreiten”. Nur wer mit dem Hitlergruß Leute, die noch keine Nazis sind, zu welchen machen wolle, tue etwas Verbotenes. Nicht aber, wer sich dagegen bloß zu seinen eigenen Nazi-Überzeugungen bekennt.
Wunderliche Schweiz.
Ich frage mich, wie die Polizei künftig mit dieser Ansage umgehen soll. Was sagt sie jemandem, der sich mit einer riesigen Hakenkreuzfahne auf den Zürcher Opernplatz stellt und behauptet, er wolle damit lediglich seine eigenen Nazi-Überzeugungen kundtun? Was macht sie, wenn er obendrein ein Megaphon in die Hand nimmt und eine schwungvolle Nazirede hält, die aber sorgfältig als politisches Glaubensbekenntnis formuliert ist?
Was ich mir dagegen gut vorstellen kann, ist die Reaktion der Neonazis in- und außerhalb der Schweiz. Sie lachen sich schlapp.
Ganz so ” unabhängig von der damit verfolgten Absicht” ist es aber nicht strafbar. §86 Abs. 3 StGB ziehlt schon auf die Absicht. Aber hätte sich der vorliegende Fall in Deutschland zugetragen, hätte das natürlich auch nichts geholfen.