14 May 2025

Gleiche Eltern, gleiche Rechte

Zur Verfassungswidrigkeit des Abstammungsrechts

Die neue Bundesjustizministerin Stefanie Hubig hat angekündigt, das Familienrecht weiter reformieren zu wollen. Meint sie dabei auch das Abstammungsrecht? Ein Entwurf des Koalitionsvertrags hatte im März 2025 eine entsprechende Reform und die Ermöglichung der Co-Mutterschaft – wie bereits derjenige der Ampelkoalition – noch vorgesehen (Rn. 326f.). Der letztlich beschlossene Koalitionsvertrag schweigt jedoch zum Abstammungsrecht und verspricht nur, sich bei Familienrechtsreformen „vom Wohl des Kindes“ leiten zu lassen (Rn. 2904f). Dabei ist die Reform des Abstammungsrecht keine politische Gefälligkeit, sondern verfassungsrechtliche Pflicht.

Viele Wege führen nach Karlsruhe

In Karlsruhe wird man die Zurückhaltung der Regierung zerknirscht wahrgenommen haben. Denn beim Bundesverfassungsgericht liegen seit 2021 fünf Vorlagen unterschiedlicher Gerichte und eine Verfassungsbeschwerde (1 BvL 1/21, 1 BvL 2/21, 1 BvL 7/21, 1 BvL 2/22, 1 BvL 1/23, 1 BvR 2167/22), die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des gegenwärtigen Abstammungsrechts anmelden. Jeweils mit leicht divergierenden Sachverhalten drehen sich alle Verfahren um die oft als „Co-Mutterschaft“ betitelte Situation, in denen ein Kind gewünscht in eine Ehe zwischen zwei Frauen hineingeboren wird. Das Abstammungsrecht in seiner jetzigen Form wird dabei von den Gerichten in Teilen als verfassungswidrig angesehen (z.B. hier oder hier), da es zwei Frauen weder möglich ist, für ein in die Ehe geborenes Kind beide als Mütter eingetragen zu werden, noch, die Co-Mutter einfach anerkennen zu lassen.

Die Verfahren wurden erst gebündelt und dann auf die lange Richterbank geschoben – wohl in der Hoffnung, der Gesetzgeber werde selbst einen Ausweg aus der Verfassungswidrigkeit aufzeigen. Trotz der überdurchschnittlichen Verfahrensdauer und einer Verzögerungsrüge im Herbst 2024 ist bis heute keine Entscheidung ergangen. Der berichterstattende Richter Radtke sieht sich darüber hinaus mit einem Befangenheitsantrag der Verfassungsbeschwerdeführenden konfrontiert, da er öffentlich angab, zur verfassungsmäßigen Zulässigkeit der Co-Mutterschaft erst nach Tätigwerden des Gesetzgebers entscheiden zu wollen. Wohlwollend betrachtet mag der Senat aus richterlicher Zurückhaltung auf eine Verabschiedung der großen Abstammungsreform durch die Ampelregierung gewartet haben, bevor er über die Verfahren entscheiden wollte. Vielleicht hat aber auch der EGMR die Reformdebatte gebremst, als er im November 2024 in dem Fall R.F. und andere gegen Deutschland keinen Handlungsbedarf feststellen konnte. Mit dem Bruch der Ampel-Regierung und den zurückhaltenden Reformbestrebungen der neuen Regierung ist es jedoch unwahrscheinlicher geworden, dass der Gesetzgeber das Abstammungsrecht neu regelt. Das hat scheinbar auch das Gericht erkannt und im März verkündet, dass über die in einem Verfahren zusammengezogenen Rechtsfragen dieses Jahr noch entschieden werden soll.

Die aktuelle Rechtslage

Das Abstammungsrecht ist in den §§ 1591 ff. BGB geregelt und erkennt in den genannten Normen zwei Elternteile an. Primärer Ausgangspunkt der Abstammung ist gem. § 1591 BGB die unanfechtbare Mutterschaft der gebärenden Frau. Als zweiter Elternteil sieht das Gesetz lediglich einen Vater vor. Eine Vaterschaft wird nach § 1592 BGB anerkannt, wenn (1) der Mann zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, (2) er die Vaterschaft anerkennt oder (3) die Vaterschaft gerichtlich festgestellt wird. Bei heterosexuellen Paaren lässt sich also die Rechtstellung des zweiten Elternteils (eben des Vaters) grundsätzlich einfach herbeiführen: durch die Ehe mit der Geburtsmutter oder die Anerkennung der Vaterschaft unter deren Zustimmung. Der Partner wird so ab Geburt Elternteil.

Befindet sich die Geburtsmutter jedoch zum Zeitpunkt der Geburt in einer Ehe mit einer anderen Frau, so wird diese nicht auf gleichem Wege zweiter Elternteil. Die Co-Mutter kann schon alleine aufgrund des Wortlautes „Vater“ nicht als Ehepartnerin gem. § 1592 Nr. 1 BGB Elternteil werden und auch eine analoge Anwendung lehnt die Rechtsprechung mehrheitlich ab (siehe OLG Köln v. 26.03.2015, Az. 14 UF 181/14; OLG Celle v. 24.03.2021, Az. 21 UF 146/20). Auch besteht für die unverheiratete Partnerin, die als zweiter Elternteil rechtliche und soziale Verantwortung übernehmen will, nicht die Möglichkeit der einfachen Anerkennung – so wie sie einem Mann gem. § 1592 Nr. 2 BGB offen steht. Zwei verheirateten Frauen bleibt für eine gemeinsame Elternschaft eines in ihre Ehe geborenen Kindes daher lediglich die Möglichkeit einer Adoption. Gleiches gilt für unverheiratete Frauen. Das Adoptionsverfahren ist jedoch kostspielig, langwierig und stigmatisierend. Der Staat greift darüber hinaus unverhältnismäßig in die Privatsphäre der Beteiligten ein: Sie müssen ihre Eignung als Elternteil (inklusive Gesundheitszeugnis) sowie ihre finanziellen Verhältnisse vom Staat prüfen lassen (siehe u.a. Standesamt Köln) – ein Verfahren, das weder für Ehemänner, noch für Männer bei Anerkennung der Vaterschaft vorgesehen ist. Zusätzlich entsteht eine rechtliche Lücke: Während das Adoptionsverfahren läuft und der zweite Elternteil sich in der gesetzlich vorgeschriebenen „Probezeit“ (§ 1744 BGB) befindet, hat das Kind nur einen rechtlichen Elternteil. Das bedeutet, dass das Kind rechtlich schlechter abgesichert ist, die Geburtsmutter die alleinige Sorge trägt und der zweite Elternteil im Falle des plötzlichen Todes der Geburtsmutter kein automatisches Sorgerecht hätte.

Genetische Abstammung von der Mutter schon nicht ausschlaggebend

Eines der Hauptargumente für ein Festhalten an den bestehenden Regelungen ist vielfach, dass der gesetzgeberische Wille die Elternschaft qua „Abstammung“ ausschließlich an die genetische Verwandtschaft anknüpfen wollte (so der BGH v. 10.10.2018, Az. XII ZB 231/18, Rn. 28). Bei eingehender Analyse und Auslegung der §§ 1591 ff. BGB hat diese Begründung jedoch keinen Bestand.

Die Mutterschaft in § 1591 BGB basiert weiterhin auf dem Grundsatz „Mater semper certa est“ (Paulus Dig. 2, 4, 5; vgl. Wellenhofer, in: MüKo, § 1591 BGB, Rn. 3), der noch aus den Digesten stammt: Mutter ist demnach sicher die gebärende Frau. Damit knüpft die Mutterschaft zwar an das biologische Merkmal der Gebärfähigkeit an, jedoch gerade nicht an die biologische Verwandtschaft von Mutter und Kind. Zur Zeit des römischen Rechts mag die genetische Verwandtschaft der Frau mit dem Kind qua Geburt noch gegolten haben. Und auch wenn die biologische Abstammung des Kindes von der gebärenden Frau weiterhin der Regelfall bleibt, so ist dies doch in Zeiten von Eizellenspende und Leihmutterschaft nicht mehr eindeutig abzuleiten. Die biologische (Co-)Mutter kann derzeit bspw. nach Eizellenspende nicht als Mutter ihres durch die Ehefrau ausgetragenen Kindes in die Geburtsurkunde eingetragen werden (erneut OLG Köln). Dieses nun mögliche Auseinanderfallen zwischen austragender und genetisch verwandter Mutter hat der Gesetzgeber erkannt und daher mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 festgelegt, dass die Mutterschaft an den Geburtsvorgang anknüpft (BT Drs. 13/8511, S. 69). So wird bereits nach § 1591 BGB die Mutterschaft nicht zwingend durch die genetische Verwandtschaft bestimmt.

Sozial-familiäre Bindung statt biologischer Verwandtschaft

Auch aus den Regelungen zur Vaterschaft lässt sich nicht ableiten, dass die rechtliche Elternschaft nur bei biologischer Verwandtschaft möglich sei. Die erste Zuweisungsmöglichkeit der rechtlichen Vaterschaft im deutschen Zivilrecht speist sich ebenfalls aus dem römischen Recht: „Pater vero est, quem nuptiae demonstrant“ oder auch: „Vater ist, wen die Ehe als solche anzeigt“ (Paulus Dig. 2, 4, 5; vgl. Wellenhofer, in: MüKo, § 1591 BGB, Rn. 3). Der Mann also, der zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet ist, wird aufgrund § 1592 Nr. 1 BGB rechtlicher Vater. Die rechtliche Elternschaft des Vaters wird in diesem Falle demnach durch die Ehe vermittelt – eine biologische Verbindung zwischen Kind und Vater ist gerade nicht konstituierend für die Vaterschaft. Die Rechtsprechung nimmt jedoch weiterhin an, dass „ausgehend von der in Deutschland geltenden Vorstellung der Monogamie“ (nicht öffentlich einsehbarer Beschluss des AG Köln vom 19.12.2024, Az. 312 F 238/24) ein in eine Ehe geborenes Kind zwingend vom Vater biologisch abstammt. Da wundert es nicht, dass aus benannter Norm die Notwendigkeit biologischer Verwandtschaft für die rechtliche Elternschaft abgeleitet wird. Die Möglichkeiten nicht-monogamer Ehen oder auch künstlicher Befruchtung bei heterosexuellen Paaren werden bei diesem strikten Verständnis jedoch ignoriert. Häufig mag der während der Geburt mit der Mutter verheiratete Ehemann auch zugleich biologisch mit dem Kind verwandt sein, gesichert ist dies aber in keinem Falle. Das Paar könnte sich auch erst kennengelernt und geheiratet haben, als die Ehefrau bereits schwanger war. Der Ehemann zum Zeitpunkt der Geburt wäre in all den Fällen nicht der biologische Vater. Dem deutschen Abstammungsrecht ist das grundsätzlich egal und das zu Recht. Das Gesetz macht den Mann zum Vater, der elterliche Verantwortung übernimmt und eine sozial-familiären Bindung zum Kind hat – und das ist im Zweifel der Ehemann der Mutter.

Die Gewährleistung einer sozialen und personalen Anbindung an ein Elternteil begründen auch die Regelungen hinsichtlich der Samenspende in §§ 1600 Abs. 4, 1600d Abs. 4 BGB. Die Anfechtung der Vaterschaft ist bei künstlicher Befruchtung ausgeschlossen, wenn im ersten Falle das Kind mit Einwilligung der Mutter und des Mannes durch Samenspende gezeugt wurde und im zweiten Falle, wenn die Samen im Einklang mit dem Samenspenderregistergesetz zur Verfügung gestellt wurden. Auch hier soll dem Kind eine Rechtstellung und damit eine soziale Bindung im Verhältnis zum sozial-familiären Vater gesichert werden. Dem Kindeswohl sei, so die Gesetzesbegründung zu § 1600d Abs. 4 BGB (BT Drs. 18/11291, S. 35) am besten gedient, wenn der „intendierte Vater“ auch die rechtliche Elternstellung erhalte.

Neben der rechtlichen Vaterschaft kraft Ehe kann ein Mann die Vaterschaft auch gem. § 1592 Nr. 2 BGB anerkennen. Völlig unabhängig von biologischer Abstammung kann der Partner der Mutter, der also weder Erzeuger im biologischen Sinn ist, noch sonst die Schwangerschaft mit initiiert hat, seine Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter anerkennen. Es ist doch ein offensichtlicher Wertungswiderspruch, dass die Vaterschaft als einfache Willenserklärung der Beteiligten ohne jegliche Überprüfung anerkannt werden kann, während gleichgeschlechtliche Paare bei gleichem Willen hinsichtlich der Übernahme elterlicher Fürsorge sich durch ein kostspieliges und langwieriges Adoptionsverfahren begeben müssen, in dem der Staat anlasslos in ihre Familien- und Privatsphäre eingreift.

Ein weiteres Argument gegen die biologische Interpretation von Elternschaft ergibt sich mit Blick auf das Selbstbestimmungsgesetz aus dem Jahre 2024, das es vereinfacht, die Geschlechtsidentität an den -eintrag anzupassen. Auch hier wird zwischen der biologischen Anknüpfung an die Abstammung (§§ 1591, 1592 Nr. 3 BGB) einerseits und den Möglichkeiten der Elternschaft kraft Willensakt (§§ 1592 Nr. 1, 2 BGB) andererseits differenziert. § 11 SBGG legt fest, dass das eingetragene Geschlecht des:der Ehepartner:in zum Zeitpunkt der Geburt maßgeblich ist, außer der Eintrag zum Zeitpunkt vor der Geburt wurde durch Erklärung als maßgeblich festgelegt. Ein als biologische Frau geborener, aber im Personenstandsregister eingetragener Mann wird somit ebenfalls gem. § 1592 Nr. 1 BGB als Ehemann der Geburtsmutter Vater – völlig unabhängig von der biologischen Abstammung.

Notwendigkeit einer Abstammungsrechtsreform

Man könnte erwägen, die Elternschaft der Co-Mutter zumindest behelfsmäßig über eine analoge Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB zu begründen. Eine planwidrige Regelunglücke ließe sich angesichts der 2017 eingeführten „Ehe für alle“ durchaus begründen und auch eine vergleichbare Interessenlage zwischen verheirateten Co-Müttern und Vätern, deren biologische Elternschaft ausgeschlossen ist, ist naheliegend. Der strukturellen Problematik, dass das Abstammungsrecht nur Mutter und Vater als Eltern anerkennt, wäre mit einer analogen Anwendung jedoch nicht geholfen – die §§ 1591 ff. BGB würden weiterhin keine gemeinsame Elternschaft zweier Mütter anerkennen. Und auch die mit der Sache befassten Gerichte haben dem Bundesverfassungsgericht die Abstammungsregeln vorgelegt, anstatt das Abstammungsrecht durch Analogie verfassungskonform weiterzuentwickeln.

Es ist unverkennbar, dass das deutsche Abstammungsrecht bei der Anerkennung der rechtlichen Elternschaft zwischen gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren unterscheidet, obwohl eine Abstammung qua biologischer Verwandtschaft kein Leitgedanke der §§ 1591 ff. BGB ist. Diese Ungleichbehandlung greift in die Grundrechte von Personen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ein, im Übrigen ebenso in die Grundrechte von nicht-binären Personen sowie den betroffenen Kindern. Verfassungsimmanente gleichrangige Güter, die die Eingriffe rechtfertigen könnten, sind grundsätzlich nicht ersichtlich, sodass die Untätigkeit des Gesetzgebers zu einer Grundrechtsverletzung führt. Betroffen ist das Recht des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung gem. Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG und sein Recht auf Gleichbehandlung gegenüber Kindern heterosexueller Ehen gem. Art. 3 Abs. 1, 3 GG. Auch das Recht der Familie als Ganze aus Art. 6 Abs. 1 GG und das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind durch den Ausschluss eines Elternteils von der Elternschaft ab Geburt verletzt. Die Grundrechtsverletzung ist auch nicht etwa deshalb von Anfang an ausgeschlossen, weil die Möglichkeit der Adoption besteht, um in die Elternstellung zu gelangen (wie es das AG Köln 2024 behauptet). Vielmehr ist keine Rechtfertigung für die eklatant unterschiedlichen Voraussetzungen erkennbar, mit denen hetero- und homosexuelle Paare ihre Elternstellung begründen. Auch dem staatlichen Eingriff in das Familien- und Privatleben der homosexuellen Paare und deren Kindern durch die Adoption fehlt es seinerseits an einer Rechtfertigung.

Das Bundesverfassungsgericht hat erst 2024 wieder betont, dass sich die Zuordnung rechtlicher Elternschaft am Kindeswohl orientieren muss (1 BvR 2017/21, Rn. 40 f). Es ist an der Zeit, dass Karlsruhe im Abstammungsrecht tätig wird, denn auch hier geht es ganz wesentlich um das Kindeswohl. Zugleich bleibt eine Reform des Abstammungsrechtes, die den heutigen familiären Verhältnissen gerecht wird und die rechtlichen Maßstäbe klarstellt, dringend geboten und sollte nicht weiter aufgeschoben werden – zum Wohle der Eltern und der Kinder.


SUGGESTED CITATION  Fachinger, Teresa: Gleiche Eltern, gleiche Rechte: Zur Verfassungswidrigkeit des Abstammungsrechts, VerfBlog, 2025/5/14, https://verfassungsblog.de/abstammungsrecht-reform-koalitionsvertrag/.

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