Lesbische Eltern! Warum das Kindeswohl keinen Aufschub mehr verträgt
Lesbische Frauen können in Deutschland seit mehr als einem Jahr eine Ehe schließen. Im Recht der Eltern-Kind-Zuordnung werden sie aber immer noch nicht gleichbehandelt. In der Bundestagsdebatte über einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf von B90/DIE GRÜNEN verwiesen die Abgeordneten auf bestehende Prüfungserfordernisse. Die Prüfungen sind aber längst erfolgt. Die rechtliche Gleichstellung lesbischer Co-Mütter darf deshalb nicht weiter vertagt werden – vor allem das Kindeswohl verträgt keinen Aufschub mehr.
Heterosexuelle Realität: Zwei Eltern qua Geburt
Das Abstammungsrecht ist in den §§ 1591 ff. BGB geregelt und bestimmt, wer unmittelbar nach der Geburt eines Kindes die Sorge- und Unterhaltsverantwortung übernimmt. Im geltenden Recht gibt es zwei Elternpositionen: Mutter und Vater.
Bei der Mutter ist sich das Recht sicher: Das kann nur die Frau sein, die das Kind geboren hat, § 1591 BGB. Die Mutterschaft ist nicht anfechtbar, auch dann nicht, wenn die Mutter mit dem Kind genetisch gar nicht verwandt ist (vgl. OLG Köln vom 26. März 2015 – 14 UF 181/14 -).
Bei der Vaterschaft wird es komplizierter: Vater ist zuerst einmal derjenige, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, § 1592 Nr. 1 BGB. Die Vaterschaft kann auch anerkannt werden, § 1592 Nr. 2 BGB. Die Gesellschaft begnügt sich in beiden Fällen damit, auf die Verwandtschaft zwischen Vater und Kind zu vertrauen. Niemand prüft nach, ob das Kind tatsächlich vom rechtlichen Vater abstammt. Der leibliche Vater, der noch nicht rechtlicher Vater ist, hat demgegenüber eine eher schwache Rechtsposition. Er kann die Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 3 BGB gerichtlich feststellen lassen. Er wird damit aber nur dann Erfolg haben, wenn nicht bereits ein anderer rechtlicher Vater eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind aufgebaut hat, siehe § 1600 Abs. 2 BGB.
Dem Recht geht es darum, Verantwortung und Fürsorge für ein Kind unmittelbar nach der Geburt zuzuweisen. Die primäre Bestimmung rechtlicher Elternschaft soll daher möglichst einfach und zuverlässig sein; Korrekturen des Status quo sind dann auf Sekundärebene mittels Anfechtung möglich.
Vaterschaft qua Ehe mit der Mutter – unabhängig von der genetischen Verwandtschaft zum Kind – ist nicht nur die erste Zuordnungsregel hinsichtlich der zweiten Elternposition. Sie ist vor allem eine Hauptwirkung der Ehe. Es wird vermutet, dass der Ehemann die Elternverantwortung für das Kind seiner Frau übernehmen will und wird.
Kinder, die in heterosexuelle Ehen hineingeboren werden, haben also mit Geburt zwei Eltern. Das entspricht dem Kindeswohl, denn es gibt von Beginn an zwei Personen, die rechtlich in der Sorge- und Unterhaltsverantwortung für das Kind stehen.
Lesbische Realität: Co-Mutterschaft nur durch Adoption
Anders ist das bei Kindern, die in lesbische Paarkonstellationen hineingeboren werden. Sie haben qua Geburt nur einen Elternteil, eine Mutter gem. § 1591 BGB. Damit werden Kinder aus lesbischen Ehen gegenüber Kindern aus heterosexuellen Ehen diskriminiert.
Denn auch wenn die Mutter in einer Ehe mit einer Frau lebt, hat die Ehepartnerin kein Recht qua Ehe, zweite Mutter bzw. zweiter Elternteil des Kindes zu werden. § 1592 Nr. 1 BGB bezieht sich nur auf einen Ehemann. Die Ehefrau der Mutter kann nur dann Co-Mutter werden, wenn sie das Kind adoptiert – und das nur, sofern kein Mann die Vaterschaft anerkannt hat oder der anerkennende Vater einer Stiefkindadoption zustimmt.
Die Entscheidung für ein Kind wird in lesbischen Partnerschaften genauso gemeinsam getroffen und getragen wie in heterosexuellen Beziehungen (idealerweise) auch. Eine lesbische Ehefrau wird jedoch vom Gesetzgeber bisher nicht als Person angesehen, die Verantwortungs- und Fürsorgepflichten für das Kind übernehmen will, das ihre Ehegattin zur Welt bringt. Lesbische Paare müssen deshalb ein Adoptionsverfahren durchlaufen, das alle Verfahrensschritte einer Fremdkindadoption beinhaltet – auch wenn beide Elternteile die Entstehung des Kindes gemeinsam geplant, Schwangerschaft und Geburt zusammen erlebt haben und das Kind vom ersten Tag seines Lebens beide als Bezugspersonen kennengelernt hat.
Das Adoptionsverfahren ist aufwendig. Die Eheleute werden dazu gutachterlich und bei mehreren Hausbesuchen durchleuchtet und überprüft: Wie steht es beispielsweise um die finanziellen Verhältnisse, das bisherige Bindungsverhalten oder die Gesundheit der Adoptionswilligen? Das bedeutet eine Belastungsprobe und mitunter eine langwierige Prozedur für die Familien.
Wie sehr diese Anforderungen in das Privatleben lesbischer Eltern eingreifen können, verdeutlichen die Interviews des DFG-Forschungsprojekts „Ambivalente Anerkennungsordnung“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die gleichgeschlechtlichen Paare sind sich demnach der rechtlichen Hürden bei ihrer Familienplanung sehr bewusst:
„[W]ir haben uns dafür entschieden, eben wegen dieser ganzen Statuten, dass ich anfange, weil wenn wir es andersrum gemacht hätten, dann hätte ich einen schlechteren Gehaltszettel, ich hätte getrennte Eltern, die nicht hier leben, ich hätte nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, dass man sagt, ja, also dich finden wir gut als zweite Mutter. […] Das heißt, ich bin rechtlich die Mutter, aber wir hatten tatsächlich Angst, dass das Jugendamt vielleicht sonst entscheidet, […] dass die der Adoption nicht stattgeben.“
Dabei entscheidet in der Praxis letztlich kein Jugendamt gegen die Adoption: Anders als bei einer „normalen“ Stiefkindadoption ist keine Bindung zum „vorherigen“ Elternteil abzuwägen, sondern die Partnerin der Mutter will Elternverantwortung übernehmen. Obwohl also ohnehin überflüssig, können Dauer und Aufwand des Verfahrens völlig unterschiedlich sein. Die Eltern sind unter Umständen diskriminierender Willkür der Behörden ausgesetzt.
Das Adoptionserfordernis ist aber nicht nur für die Mütter eine Zumutung. Das geltende Recht schafft vor allem für das Kind eine unsichere Situation. Die Adoption kann frühestens acht Wochen nach der Geburt beantragt werden. Sie setzt eine sogenannte Pflegezeit voraus (§ 1744 BGB), die dem Kennenlernen zwischen „neuem“ Elternteil und Kind dienen soll. In dieser ganzen Zeit ist nur die Geburtsmutter sorgeberechtigt. Ihre Partnerin oder Ehefrau hat nur begrenzte Vertretungsbefugnisse für das Kind. Stirbt die rechtliche Mutter während des laufenden Verfahrens, bleiben die Co-Mutter und das Kind rechtlich unverbunden zurück. Es ist auch denkbar, dass die Partnerin oder Ehefrau nach der Geburt des Kindes Abstand von einer Adoption nimmt. Das Kind hätte in diesem Fall wohl keine Ansprüche etwa auf Unterhalt. In diesen Fällen ist das Grundrecht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung gefährdet und wird das Kindeswohl missachtet.
Prüfung ohne Ende?
Das Problem ist offenbar erkannt. Im aktuellen Koalitionsvertrag haben die Parteien unter der Überschrift Familien- und Abstammungsrecht vereinbart:
„Im Hinblick auf die zunehmenden Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin und Veränderungen in der Gesellschaft werden wir Anpassungen des Abstammungsrechts unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Arbeitskreises Abstammungsrecht prüfen.“ (S. 132, Hervorhebung d. Autorinnen)
Es ist verwunderlich, dass die Regierung weiteren Prüfungsbedarf vorschiebt. Denn zumindest im Hinblick auf lesbische Paarkonstellationen sind sich Familienrechtswissenschaft und -praxis einig: Lesbische Ehefrauen sind Ehemännern abstammungsrechtlich gleichzustellen. Nichteheliche lesbische Paare sind nichtehelichen heterosexuellen Lebensgemeinschaften gleichzustellen. Auch Kinder von lesbischen Frauen sollten von Geburt an zwei Eltern haben können.
Das hat bereits 2016 der doch eher konservative Deutsche Juristentag (DJT) nach intensiver Diskussion und gutachterlicher Prüfung so beschlossen. Auch der Arbeitskreis Abstammungsrecht, ein eigens für die Prüfung des Reformbedarfs im Abstammungsrecht eingesetztes interdisziplinäres elf-köpfiges Expert*innen-Gremium kam zu diesem Ergebnis. In seinem Abschlussbericht vom Juli 2017 empfahl er die Gleichstellung der Kinder lesbischer verheirateter Eltern mit denen heterosexueller Eltern und die Möglichkeit einer Elternschaftsanerkennung für die Partnerin der Geburtsmutter in einer Neufassung des § 1592 Nr.1 und Nr. 2 BGB.
Diese Vorschläge sind wohlgemerkt das Ergebnis und nicht der Ausgangspunkt einer mehrjährigen Prüfung. Welchen weiteren Prüfbedarf die Regierung hierzu ausmacht, bleibt unklar.
Angesichts der massiven Diskriminierungserfahrungen von Betroffenen ist es geradezu skandalös, dass auch ein Jahr nach der Ehe für alle nichts unternommen wird, um diesen Zustand zu beenden. Im vorliegenden Referentenentwurf des BMJV für ein Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts finden sich zwar diverse gesetzgeberische Reparaturen im Hinblick auf die Ehe für alle. Die wohl wichtigste Ehewirkung wurde aber ausgespart: Kein Wort zum Abstammungsrecht in gleichgeschlechtlichen Ehen.
Unterdessen hat die Fraktion B90/DIE GRÜNEN im Juni 2018 einen Gesetzesentwurf zur Anpassung der abstammungsrechtlichen Regelungen an das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts eingebracht. Zentrale Forderung ist die abstammungsrechtliche Gleichstellung von lesbischen und heterosexuellen Paarkonstellationen mit Kind. Anders als der AK Abstammung verorten B90/DIE GRÜNEN die Reform jedoch in den Regelungen über die Mutterschaft (§ 1591 BGB) statt in denen zur Vaterschaft (§ 1592 BGB). In der ersten Beratung des Gesetzes im Bundestag äußerten zahlreiche Abgeordnete große Bedenken. Hinsichtlich dieser „schwierigen Thematik“ sei eine umfangreiche Prüfung erforderlich.
Die Argumente gegen eine Reform sind hier wie dort immer die gleichen:
- Man könne Lesben nicht mit heterosexuellen Paaren gleichstellen, während schwule Paare außen vor blieben. Das stimmt aber so nicht. Die Konstellation lesbischer Paare ist mit der von heterosexuellen Paaren vergleichbar: Es gibt eine Person in der Beziehung, die ein Kind zur Welt bringt. Und eine zweite Person, die mit der Gebärenden in Ehe oder Partnerschaft lebt. Über 90 % der Regenbogenfamilien sind lesbische Paare mit Kindern. Für diese Fälle kann der Gesetzgeber ohne Probleme gleichgeschlechtliche mit heterosexuellen Paaren gleichstellen. Eine Entscheidung über tatsächlich schwierige Themen wie Leihmutterschaft u.ä. wird dadurch nicht vorweggenommen.
- Ein weiteres Gegenargument lautet, dass der Ehemann der Mutter in der überwiegenden Zahl der Fälle der genetische Vater des Kindes sei. Die Co-Mutter könne hingegen niemals mit dem Kind verwandt sein. Das ist in zweierlei Hinsicht unzutreffend. Zum einen muss die Geburtsmutter nicht genetisch mit dem Kind verwandt sein. Sofern die Co-Mutter der Geburtsmutter eine Eizelle gespendet hat (was in Deutschland allerdings nicht erlaubt ist), stammt das Kind genetisch von der Co-Mutter ab (vgl. die Konstellation, die der Entscheidung des OLG Köln vom 26. März 2015 – 14 UF 181/14 – zugrunde lag). Zum anderen unterscheidet sich die Situation von lesbischen Frauen, die ein Kind mittels Samenspende zeugen, nicht von der Situation heterosexueller Paare, die auf eine Samenspende zurückgreifen. Für den Fall ist auch in heterosexuellen Konstellationen von Anfang an klar, dass der rechtliche Vater mit dem Kind nicht genetisch verwandt ist. Dennoch ist seine rechtliche Vaterschaft für ihn unanfechtbar gem. § 1600 Abs. 4 BGB. Der Zugang zu Samenbanken ist für lesbische Frauen in Deutschland noch immer nicht einfach – auch nicht, wenn sie verheiratet sind. Bei privaten Samenspenden aber ist die Situation vergleichbar mit der, dass ein heterosexuelles Paar die Spende etwa eines Nachbarn annimmt. Das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung muss vom Recht berücksichtigt werden, allerdings nicht zwingend mit der Konsequenz rechtlicher Elternschaft. In Betracht kommt etwa ein Register. Der AK Abstammung schlägt so auch richtigerweise vor, die §§ 1591 ff. BGB als Recht der Eltern-Kind-Zuordnung statt als Abstammung zu titulieren.
- Den GRÜNEN wurde vorgeworfen, dass sie einen „Schaufenstergesetzentwurf“ eingebracht hätten, der nur eine bestimmte Konstellation, nämlich lesbische Eltern, adressiere. In der Tat: Dass über die Anerkennung lesbischer Eltern hinaus großer Reformbedarf besteht, verdeutlichen nicht zuletzt die Urteile des Bundesgerichtshofs zur rechtlichen Elternschaft transgeschlechtlicher Personen oder die Einführung einer dritten Geschlechtsoption. Die Beseitigung bestehender Diskriminierung zu verhindern, indem behauptet wird, dadurch werde nicht jede Diskriminierung beendet, spielt jedoch diskriminierte Gruppen gegeneinander aus und kann kein valides Argument für einen Reformstau sein.
Schluss mit den Prüfungen, her mit der Gleichstellung!
Angesichts der Erkenntnisse, die aus Expert*innensicht schon lange vorliegen, überrascht die Zurückhaltung der Bundesregierung. Für die rechtliche Elternschaft lesbischer Partner*innen besteht wirklich kein Prüfungsbedarf mehr.
Der Vorschlag von B90/DIE GRÜNEN mag aus rechtstechnischer Sicht etwas umständlich sein, weil er die Systematik des Familienrechts grundlegend durcheinander wirbelt. Einfacher dürfte es sein, die Vorschläge des DJT und des AK Abstammung umzusetzen.
Ein weiteres Abwarten der Legislative ist mit Blick auf den Schutz des Kindes aber jedenfalls nicht zu rechtfertigen.
Update 09.01.2019: Dass die Ehefrau der ein Kind gebärenden Frau weder in direkter noch in entsprechender Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB Mit-Elternteil des Kindes wird, hat nun auch der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10.10.2018 festgestellt. Trotz “Ehe für Alle” muss die Co-Mutter somit weiterhin das Kind als Stiefkind adoptieren (BGH-Beschluss vom 10. Oktober 2018 – XII ZB 231/18).