Parteiverbot gleich Mandatsverlust?
Zu den völkerrechtlichen Grenzen für die deutschen Wahlgesetze
Mit den jüngsten Beschlüssen des SPD-Bundesparteitags zur Vorbereitung eines AfD-Parteiverbotsverfahrens hat die Debatte erneut an Dynamik gewonnen. Dabei rückt auch die Frage in den Fokus, was mit den Mandaten der AfD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, im Bundestag und in den Landtagen im Falle eines Parteiverbots geschehen würde. Ronen Steinke hat das Szenario jüngst in einem Gedankenexperiment durchgespielt (hier und hier): Alle Abgeordneten der AfD würden sofort ihr Mandat verlieren. Wer seinen Sitz nicht freiwillig räumt, werde „von der Polizei hinausgezerrt“. Die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse würden sich mit einem Schlag erheblich verschieben. Doch was nach deutschem Recht in der Tat eindeutig scheint, wirft im Lichte des Völkerrechts und insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bisher nur selten beachtete Fragen auf.
Deutsche Wahlgesetze und frühe Rechtsprechung des BVerfG
Blickt man in die einschlägigen deutschen Wahlgesetze, so zeigt sich ein eindeutiges Bild: Gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz verliert ein Bundestagsabgeordneter sein Mandat, wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungswidrigkeit der Partei feststellt, der er angehört. Auch nach § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz, das die Wahl der deutschen Abgeordneten in das Europäische Parlament regelt, und nahezu sämtlichen Landeswahlgesetzen über die Wahl zu den jeweiligen Landesparlamenten folgt auf ein Parteiverbot zwingend der Mandatsverlust. Differenzierungen sind lediglich in Bayern und Hessen vorgesehen, nach deren Wahlgesetzen Abgeordnete ihr Mandat trotz Parteiverbots ausnahmsweise behalten, wenn die Verbotsentscheidung des BVerfG dies ausdrücklich bestimmt.
Der in den deutschen Wahlgesetzen verankerte Automatismus des Mandatsverlusts wurzelt in der frühen Parteiverbotsjudikatur des BVerfG. Bereits in seinem Urteil zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) aus dem Jahr 1952 – also zu einem Zeitpunkt, als die oben genannten einfach-gesetzlichen Regelungen sämtlich noch nicht existierten – führte das BVerfG aus, dass der Verlust des Mandats „notwendige“ Folge eines Parteiverbots sei und sich unmittelbar aus Art. 21 Abs. 2 GG ergebe. Der mit dem Parteiverbot verfolgte Zweck würde unterlaufen, könnten Repräsentanten einer verfassungswidrigen Partei trotz des Parteiverbots parlamentarisch tätig bleiben. In seinem Verbotsurteil zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) aus dem Jahr 1956 bestätigte das BVerfG diese Rechtsauffassung ausdrücklich. Rechtslage und (frühe) verfassungsgerichtliche Judikatur im Einklang – auf den ersten Blick scheint die Sache also klar.
EMRK und das Erfordernis persönlichen Fehlverhaltens
Doch in den heutigen, intensiven unions- und völkerrechtlichen Verstrickungen der Berliner Republik liegt die Angelegenheit tatsächlich etwas komplizierter. Von besonderer Relevanz ist die Rechtsprechung des EGMR, der dafür zuständig ist, das (gesetzgeberische) Handeln der Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland zählt, an ebendieser EMRK im Einzelfall zu überprüfen.
Schaut man auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR, so wird deutlich: Einem automatischen Mandatsverlust als Folge eines Parteiverbots steht dieser kritisch gegenüber. In seiner grundlegenden Entscheidung Sadak u. a. v. Türkei aus dem Jahr 2002 wertete der EGMR den ausschließlich auf die Parteizugehörigkeit der Beschwerdeführer gestützten Mandatsverlust als unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf freie Wahlen aus Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (ZP 1 EMRK). Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR findet Art. 3 ZP 1 EMRK dabei sowohl auf das Europäische Parlament als auch auf die Bundes-, und Landesparlamente der Mitgliedstaaten Anwendung.
Den Beschwerdeführern, ehemaligen Abgeordneten der pro-kurdischen Partei DEP, war ihr Mandat im türkischen Parlament in direkter Folge des Verbots der DEP im Jahr 1994 aberkannt worden. Grundlage für den Mandatsverlust war eine Verfassungsbestimmung, die – ähnlich den deutschen Wahlgesetzen – den Verlust des Mandats als automatische Folge eines Parteiverbots vorsah. Der Gerichtshof stellte klar, dass Art. 3 ZP 1 EMRK neben dem aktiven und passiven Wahlrecht auch die ungehinderte Ausübung eines einmal erworbenen Mandats garantiert und der Ausschluss gewählter Abgeordneter daher einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff darstellt. In dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Mandatsverlust der DEP-Abgeordneten sah der EGMR letztlich eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK und begründete dies maßgeblich damit, dass der Verlust der Mandate allein auf den Umstand des Parteiverbots zurückzuführen war und ungeachtet eines persönlichen Fehlverhaltens der Abgeordneten erfolgte. Diese Rechtsprechung zum Erfordernis eines persönlichen Fehlverhaltens hat der EGMR zuletzt in seiner Entscheidung DTP u. a. v. Türkei im Jahr 2016 anlässlich des Verbots der pro-kurdischen Partei DTP ausdrücklich bestätigt.
Die Aussagen des EGMR sind aus demokratietheoretischer Perspektive keineswegs profan – implizieren sie doch eine stark individualisierende Trennung von Mandat und Partei, die für die Realität von Parteiendemokratien keineswegs zwingend, regelmäßig vielleicht sogar unzutreffend ist. Auch ist es sicher kein Zufall, dass die bisherigen Urteile des EGMR stets den spezifischen Kontext der türkischen Parteiendemokratie betrafen, in der das Instrument des Parteiverbots zuletzt keineswegs allein zum Besten der Demokratie eingesetzt wurde – um es zurückhaltend auszudrücken. Gleichwohl ist zur Kenntnis zu nehmen, dass sich in der gezeigten Rechtsprechung letztlich keine Hinweise darauf finden lassen, dass der EGMR den Maßstab des persönlichen Fehlverhaltens lediglich als ein einzelfallbezogenes und nicht auch als ein allgemeingültiges Erfordernis des Art. 3 ZP 1 EMRK für den Zusammenhang von Parteiverbot und Mandatsverlust verstanden wissen wollte.
Wandel der Rechtsprechung des BVerfG
Es verwundert daher nicht, dass die Rechtsprechung des EGMR – die seit dem im Jahr 2004 ergangenen Görgülü-Beschluss des BVerfG eine „Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtstaatlichen Grundsätzen“ bildet – in Deutschland mittlerweile einen Wandel der verfassungsgerichtlichen Interpretation des Art. 21 Abs. 2 GG (und dessen Verhältnis zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) bewirkt zu haben scheint.
Auch wenn das BVerfG nicht ausdrücklich auf den EGMR Bezug nahm, ist eine bisher nur wenig beachtete Passage des NPD II-Urteils aus 2017 insoweit besonders bemerkenswert. Zwar lehnte das BVerfG den Verbotsantrag des Bundesrates bekanntlich ab, sodass über den Verlust der Mandate der NPD-Abgeordneten letztlich nicht zu befinden war. Gleichwohl enthält das Urteil Aussagen, die Rückschlüsse auf ein aktualisiertes und „EGMR-freundliches“ Verständnis des BVerfG zum Verhältnis von Parteiverbot und Mandatsverlust zulassen. Konkret geht es um Rn. 569, die vordergründig behandelt, wie parlamentarische Äußerungen im Parteiverbotsverfahren trotz des Grundsatzes der Indemnität zuzurechnen sind. Dort führt das BVerfG aus:
„Es bedarf somit bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG der Außerachtlassung der parlamentarischen Äußerungen ihrer Abgeordneten nicht, zumal diese regelmäßig in besonderer Weise geeignet sind, die von einer Partei verfolgten Ziele und Konzepte nachzuvollziehen. Dem Indemnitätsschutz kann vielmehr bei der Entscheidung über den Mandatsverlust als Folge eines Parteiverbots Rechnung getragen werden. Zwar mag nicht auszuschließen sein, dass bei einem Abgeordneten ein Mandatsverlust ausnahmsweise auch als Folge des Parteiverbots eintreten kann, wenn sich die von der verbotenen Partei verfolgten verfassungswidrigen Ziele allein oder maßgeblich aufgrund seiner parlamentarischen Äußerungen ergeben. Einer Verwertung der Äußerungen im Parteiverbotsverfahren steht dies aber nicht entgegen.“ (Herv.d.V.)
Dabei zeigt sich: Die Aussagen des BVerfG legen en passant zumindest die Möglichkeit von separaten Einzelfallentscheidungen über die Mandatsverluste nach einem Parteiverbot nahe, die sich damit gerade nicht als verfassungsrechtlich zwingender Automatismus darstellen. Die noch in den 1950er-Jahren vertretene Auffassung des BVerfG, der Verlust des Mandats sei notwendige Folge eines Parteiverbots und ergebe sich unmittelbar aus Art. 21 Abs. 2 GG, scheint also nicht fortzubestehen.
Implikationen für den einfach-gesetzlichen Automatismus des Mandatsverlusts
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in der Rechtsprechung von EGMR und BVerfG, lohnt ein erneuter Blick auf die relevanten deutschen Wahlgesetze.
Geht man richtigerweise davon aus, dass der Rechtsprechung des EGMR in Sadak u. a. v. Türkei (und der bestätigenden Folgerechtsprechung) eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung für den materiellen Gehalt des Art. 3 ZP 1 EMRK zukommt, so ist im Hinblick auf den automatischen Mandatsverlust bei Parteiverboten zunächst zu konstatieren, dass eine Diskrepanz zwischen der deutschen Rechtslage einerseits und den aus der EMRK folgenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland anderseits besteht.
In der „offenen Staatlichkeit“ der deutschen Rechtsordnung beschränkt sich diese Diskrepanz allerdings nicht auf ein Auseinanderfallen von innerstaatlicher Rechtslage und völkerrechtlicher Verpflichtung im Außenverhältnis. Weil die EMRK und ihre Zusatzprotokolle – wie eine Vielzahl anderer völkerrechtlicher Verträge – über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG iVm. den entsprechenden Vertragsgesetzen als unmittelbar anwendbares Recht in die deutsche Rechtsordnung einwirken und dann im Range formellen Bundesrechts gelten, kommt es auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung zu einer Diskrepanz.
Konkret stehen die bei Parteiverboten einen automatischen Mandatsverlust vorsehenden § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz auf Bundesebene sowie die jeweiligen Landeswahlgesetze in Konflikt mit dem in der deutschen Rechtsordnung unmittelbar anwendbaren Art. 3 ZP 1 EMRK. Hierbei ist es wichtig, erneut zu betonen: Die einschlägigen einfach-gesetzlichen Vorschriften stellen sich nach der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG im NPD II-Urteil gerade nicht mehr als zwingende Umsetzung einer verfassungsrechtlichen Anforderung aus Art. 21 Abs. 2 GG dar. Der Konflikt beschränkt sich folglich auf das Verhältnis von einfachem Bundes- bzw. Landesrecht einerseits und dem in der deutschen Rechtsordnung unmittelbar anwendbaren Art. 3 ZP 1 EMRK andererseits. Ein Konflikt zwischen deutschem Verfassungsrecht und EMRK besteht hingegen nicht (mehr).
Wegen des eindeutigen Wortlauts der verschiedenen Vorschriften der deutschen Wahlgesetze (vgl. nur § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz: „Wird eine Partei […] durch das Bundesverfassungsgericht […] für verfassungswidrig erklärt, verlieren die Abgeordneten ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag […]“) scheidet eine Auflösung des Konflikts über die den Verfassungsgrundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung jeweils aus. Es kommt also zu einer echten Normkollision.
Für die mit Art. 3 ZP 1 EMRK kollidierenden Landeswahlgesetze ist die Rechtsfolge dabei klar: Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG) – auch dann, wenn es über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in die deutsche Rechtsordnung einwirkt. Wo die konfligierenden Landesgesetze also einen automatischen Mandatsverlust bei Parteiverboten vorsehen, sind sie schlicht nichtig (lex superior derogat legi inferiori).
Soweit die Kollision zwischen Art. 3 ZP 1 EMRK einerseits und § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz anderseits hingegen auf der jeweils gleichen Normstufe einfachen Bundesrechts stattfindet, scheidet eine Auflösung durch die Normenhierarchie aus.
Die Kollision wird hier durch die Kollisionsregel der Zeitfolge (lex posterior derogat legi priori) aufgelöst. § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz wurden in ihrer aktuellen Fassung in den Jahren 2000 bzw. 1994 und damit deutlich nach der deutschen Ratifikation von ZP 1 EMRK (und dessen Überführung in die deutsche Rechtsordnung) im Jahr 1956 eingeführt. Stellt man zu Recht allein auf diese Entstehungszeitpunkte der kollidierenden deutschen Rechtsnormen ab – und nicht etwa auf spätere Konkretisierungen durch die einschlägige Rechtsprechung des EGMR, so folgt daraus, dass § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz den Art. 3 ZP 1 EMRK jedenfalls im Hinblick auf den Mandatsverlust bei Parteiverboten mit Geltungsvorrang verdrängen. Das BVerfG hat eine solche Verdrängung von über Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in die deutsche Rechtsordnung einwirkenden Völkerrechts in seinem Treaty Override-Beschluss aus dem Jahr 2015 als Ausdruck des kernverfassungsrechtlich geschützten Demokratieprinzips ausdrücklich zugelassen und mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Verfassung für vereinbar erklärt.
In der deutschen Rechtsordnung gelten damit also – trotz Art. 3 ZP 1 EMRK – § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz, die jedenfalls für den Deutschen Bundestag und das Europäische Parlament einen automatischen Mandatsverlust vorsehen. Dies ändert freilich nichts daran, dass die deutsche Rechtslage damit im Außenverhältnis im Widerspruch zu den aus Art. 3 ZP 1 EMRK folgenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland steht.
Handlungsbedarf für Gesetzgeber (und die möglichen Antragsteller eines Parteiverbotsverfahrens)
Knapp 70 Jahre nach dem Verbot der KPD tritt das Szenario eines AfD-Parteiverbots immer deutlicher auf den Plan. Damit gewinnt auch die Frage nach den rechtlichen Folgen eines Parteiverbots für die Mandate der AfD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, im Bundestag und in den Landtagen an Bedeutung. Welche Schlussfolgerungen lassen sich insoweit aus den vorangegangenen Erkenntnissen zum Spannungsverhältnis von deutschen Wahlgesetzen und EMRK ziehen?
Erstens: Soweit Landeswahlgesetze den automatischen Mandatsverlust in Folge eines Parteiverbots vorsehen und daher gem. Art. 31 GG nichtig sind, sollten die jeweiligen Landesgesetzgeber schon im Sinne der Rechtssicherheit alsbald Änderungen an den Landeswahlgesetzen vornehmen, die eine an persönliches Fehlverhalten geknüpfte Entscheidung über den Mandatsverlust im Einzelfall einführen und so den Anforderungen des Art. 3 ZP 1 EMRK gerecht werden. Die neuere verfassungsgerichtliche Interpretation des Art. 21 Abs. 2 GG stünde einer solchen Änderung zur Einzelfallentscheidung, wie gezeigt, nicht (mehr) entgegen.
Zweitens: Auch die im Falle eines Parteiverbots den automatischen Mandatsverlust vorsehenden § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und § 22 Abs. 2 Nr. 5 Europawahlgesetz sollten den Anforderungen des Art. 3 ZP 1 EMRK entsprechend angepasst werden. Zwar sind beide Vorschriften in der Normenhierarchie der deutschen Rechtsordnung trotz ihrer Völkerrechtswidrigkeit nach wie vor gültig. Gleichwohl droht der Bundesrepublik Deutschland (als Völkerrechtssubjekt) bei ihrer Anwendung in gegenwärtiger Form eine empfindliche Niederlage in einem anschließenden völkerrechtlichen Individualbeschwerdeverfahren vor dem EGMR.
Drittens: Sowohl auf bundes- wie auf landeswahlrechtlicher Ebene sollte nicht nur der materielle Maßstab des persönlichen Fehlverhaltens eingeführt, sondern es sollten auch die wesentlichen formellen Parameter der entsprechenden Prüfung – namentlich die Zuständigkeit und das Verfahren – geregelt werden. Dabei wäre das Verfahren der individuellen Mandatsverlustprüfung sinnvollerweise vom Parteiverbotsverfahren zu trennen, um dieses nicht zu überfrachten. Das Erfordernis einer Einzelfallentscheidung über den etwaigen Mandatsverlust sämtlicher Abgeordneter im Rahmen des Verbotsverfahrens selbst, würde den ohnehin sehr zeitaufwändigen Prozess empfindlich verzögern.
Viertens: Schließlich sollte schon bei der Vorbereitung eines Parteiverbotsverfahrens bedacht werden, dass im tatsächlichen Falle eines Parteiverbots diverse Einzelfallentscheidungen über den Verlust von Mandaten (völkerrechtlich) erforderlich werden, für die es dann wiederum maßgeblich darauf ankommt, dass ausreichend Informationen für die Beurteilung des (etwaigen) persönlichen Fehlverhaltens der jeweiligen Abgeordneten vorliegen. Bei der Zusammenstellung des für einen Parteiverbotsantrag erforderlichen Materials sollten die potenziellen Antragsteller und ihre zuständigen Stellen daher frühzeitig auch die strukturierte Sammlung und Bewertung der auf einzelne Mandatsträger bezogenen Informationen im Blick haben.