Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt
Als Adbusting werden Aktionsformen bezeichnet, die Werbeplakate durch satirisch-politische Botschaften ersetzen. Statt der Hochglanzreklame prangt dann an den Werbeträgern flugs eine politische Message à la „Nazis essen heimlich Falafel“ oder „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Nazi ist es andersrum“. Mit diesem Busting von Ad-vertisment werden politische Anliegen verfolgt, die sich nicht selten gegen die jeweils gebusterte Reklamebotschaft oder die Werbenden selbst richten. Häufig geht es aber auch um eine generelle Kritik an der kommerziellen Nutzung öffentlicher Flächen. Durch das Adbusting soll die Dauerpräsenz der Werbung im öffentlichen Raum unterbrochen, soll der Platz unkritischer Konsum- oder Imagekampagnen durch gesellschaftskritische Forderungen eingenommen werden.
Die Sicherheitsbehörden verfolgen diese Praxis vergleichsweise intensiv. So beschäftigt sich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem Bericht von 2018 mit dem Phänomen (S. 127), das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) war nach Angaben der Bundesregierung 2018 und 2019 viermal mit Adbusting befasst (S. 5), der Militärische Abschirmdiensts (MAD) zehnmal (S. 7 f.). Die Berliner Staatsanwaltschaft bejahte an der Ermittlung von Adbuster*innen ein öffentliches Interesse und verfolgte entsprechende Vorgänge, ohne dass ein Strafantrag der Geschädigten gestellt worden war.
Dieses Interesse ist wechselseitig. Immer wieder richtet sich das Adbusting gegen die Praxen und Kampagnen der Sicherheitsorgane selbst. So auch im Juni 2019. Die Adbusters nahmen sich da Bundeswehr-Werbeplakate am Eingang des Tempelhofer Feldes in Berlin vor. Statt „Bundeswehr macht den Meister“ war nun „Bundeswehr macht den Franco A.“ zu lesen. Und die Bundeswehrreklame „Gas, Wasser, Schießen“, die deutsche Uniformtragende, Gas und Schießen in einen entsetzlichen Zusammenhang stellte, verfremdete die Kommunikationsguerilla in: „Gas, Shoah, Schießen. Mörder*innen gesucht“.
Die Aktionen kamen bei den Sicherheitsbehörden nicht gut an. Zwar entstand an den gebusterten Plakaten – wenn überhaupt – nur ein geringer Sachschaden. Doch der war offenbar Anlass genug, einen erheblichen Ermittlungsaufwand zu betreiben und sogar die Erhebung von DNA-Beweisen anzuordnen. Dass hier unbewusst-bewusst die Unverhältnismäßigkeit in Kauf genommen wurde, zeigt schon ein Blick in die (den Verfassern vorliegende) Akte: „Besonders schwerer Fall des Diebstahls strafbar gem. §243 II StGB“ wird dort das Delikt genannt, das den Ermittlungsanlass gegeben habe – doch der hier fälschlich (Freud?) genannte § 243 Abs. 2 StGB bedeutet gerade das Gegenteil von einem Ermittlungsanlass wegen eines „besonders schweren Falls des Diebstahls“: Die Norm ordnet an, dass ein besonders schwerer Fall entfällt, wenn wie im Fall der vermeintlich entwendeten Plakate, die gestohlene Sache geringwertig ist.
Adbusting als Protestform
Zwar wurde das Verfahren wegen des Tempelhofer Vorfalls schließlich von der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da kein*e Täter*in ermittelt werden konnte. Doch auch schon die strafrechtliche Ermittlung selbst stellt einen Grundrechtseingriff dar, der selbstverständlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren muss. Daran bestehen aber im Tempelhof-Fall erhebliche Zweifel.
Auch außerhalb Berlins gehen die Strafverfolgungsbehörden (un)verhältnismäßig rigide gegen Adbusting vor; so auch anlässlich einer 2016 in Erfurt gegen die AfD gerichteten Aktion: Auf Plakaten an Bushaltestellen wurde der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke als „nationalistischer Rattenfänger“ dargestellt. Zu der Aktion bekannt hatte sich das Kollektiv „Dies Irae“. Die Behörden ermittelten gegen die Gruppe wegen einer Beleidigung nach § 185 StGB und wandten sich dabei gar proaktiv an das Büro Höckes, damit dieser einen Strafantrag stellen möge. Außerdem wurden, wie sich aus der Polizeiakte ergibt, DNA-Spuren auf den Plakaten sichergestellt. Um den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen, wurde sodann einem Mitarbeiter des betreffenden Werbeunternehmens DNA-Material entnommen. Dass sich der Mitarbeiter freiwillig der DNA-Entnahme unterzog, nimmt dem Fall nicht seine Brisanz, da die Zulässigkeit einer solchen freiwilligen Entnahme fraglich ist. Verwunderlich ist, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren bereits mangels einer Straftat eingestellt hatte, danach aber plötzlich ein Beschuldigter über einen DNA-Treffer ermittelt wurde (Ermittlungshilfeersuchen der Kriminalinspektion Erfurt vom 16.1.2019 und Antwort des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz auf eine Kleine Anfrage, S. 3).
Umfassende Grundrechtsbindung
Insgesamt entsteht gerade vor dem Hintergrund des in aller Regel geringen Sachschadens durch Adbusting der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert wird – gerade wenn diese sich kritisch mit Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr auseinandersetzen.
Ein solches Vorgehen gegen ein bestimmtes Meinungsspektrum ist jedoch grundrechtlich bedenklich. Adbusting fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Je nach Ausgestaltung ist auch die Kunstfreiheit berührt. Zwar hatte das BVerfG zum Sprayer von Zürich festgestellt, dass sich die Gewährleistung der Kunstfreiheit „von vorneherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums“ erstreckt (NJW 1984, 1294 [1294]). Dies ist jedoch richtigerweise nicht als eine Einschränkung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu verstehen, sondern besagt, dass Eingriffe, wie das Verbot auf fremden Hauswänden künstlerisch tätig zu werden (§ 303 StGB), idR auf gesetzlicher Grundlage zum Schutz kollidierender Verfassungsgüter gerechtfertigt sein können (so die wohl hM, etwa Hoffmann NJW 1985, 23; Ujica /Loef ZUM 2010, 670). Ähnliche Überlegungen dürften auch für die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit gelten. Hier hat das BVerfG (Fraport; Bierdosenflashmob für die Freiheit) judiziert, dass unter bestimmten Bedingungen sogar ein Anspruch bestehen kann, fremdes Eigentum für Versammlungen und Meinungskundgaben zu nutzen. Art und Ausmaß der zulässigen Nutzung sind dabei jeweils Gegenstand einer differenzierten Abwägung der kollidierenden Interessen.
Eine solche differenzierte Abwägung müssen selbstverständlich auch Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste vornehmen. Für erste besteht zwar nach dem Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO bei Vorliegen eines entsprechenden Anfangsverdacht eine grundsätzliche Pflicht zur Ermittlung, deren zulässiger Umfang richtet sich aber unzweifelhaft nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (Diemer, Karlsruher Kommentar StPO, § 152 Rn. 6). Gleiches gilt etwa auch für eine Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht, dessen Eingriffscharakter das BVerfG mit verallgemeinerungsfähigen Erwägungen in Bezug auf die Pressefreiheit betont (Rn. 50 ff.).
Kriminalisierung eines Meinungsspektrums
Eine solche Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs kommt nicht in Betracht, wenn die Strafverfolgung angesichts der Schwere des Delikts unverhältnismäßig ist. Und genau so liegen die Dinge im Hinblick auf die Tempelhofer und Erfurter Adbusting-Fälle.
Das Verändern fremder Plakate kann, wenn überhaupt, eine Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 oder Abs. 2 („Sprayerparagraph“) StGB darstellen. Bereits der Tatbestandsprüfung ist allerdings schon eine genaue Betrachtung des Einzelfalls geboten. Schließlich soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs § 303 Abs. 2 StGB bei „Veränderungen, die ohne Aufwand binnen kurzer Zeit von selbst wieder vergehen oder entfernt werden können, wie Verhüllungen, Plakatierung mittels ablösbarer Klebestreifen sowie Kreide- und Wasserfarbenauftrag“ (S. 3) nicht greifen. Bei nur überhängten oder mit Klebestreifen modifizierten Plakaten scheidet § 303 Abs. 2 StGB daher schon regelmäßig im Tatbestand aus. Und selbst wenn die Plakate zuvor entwendet worden sein sollten und dadurch ggf. noch ein Diebstahl vorliegen könnte, fiele dieser wegen des geringen Sachwerts der Plakate regelmäßig in den Bereich der Bagatellkriminalität.
Warum also die Härte der Strafverfolgung? – Wenn das Verändern von Plakaten in satirisch-politisch-subversiver Absicht ungleich intensiver verfolgt wird als vergleichbare Sachbeschädigungen, die keine oder jedenfalls keine politische Meinungsäußerung beinhalten, verkehrt sich der Schutz der Meinungsfreiheit in sein Gegenteil: Ein Verhalten, das in den Schutzbereich spezieller Freiheitsrechte – hier das Art. 5 GG – fällt, wird stärker eingeschränkt als eine vergleichbare Handlung ohne entsprechenden Meinungsbezug.
Dabei werden die Sicherheitsbehörden offenbar gerade durch den Inhalt der durch die Adbustings geäußerten Meinung getriggert. Warum sonst sollte das BfV Adbustings, die sich etwa kritisch mit Polizeigewalt befassen, pauschal dem gewaltorientierten Linksextremismus zuordnen? Und auch die Antwort der Bundesregierung anlässlich einer Kleinen Anfrage im Bundestag macht keinen Hehl daraus, dass zwischen Staatskritik und Linksterrorismus eine Art Wahlverwandtschaft bestehen soll. So rechtfertigt die Bundesregierung das Vorgehen des BfV, die Aktionsform des Adbusting im Jahresbericht 2018 dem Teil „Gewaltorientierter Linksextremismus“ zuzuordnen, mit dem engen Zusammenhang von Linksterrorismus und Adbusting. Die Einordnung des Adbusting unter dem Stichwort des Linksterrorismus habe das Ziel, so meint die Bundesregierung, „den thematischen Zusammenhang zwischen ‚Adbusting‘ als strafbare Aktionsform zur Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und gewaltsamen Aktionsformen zu wahren. Linksextremisten wollen Vertreter des Staates nicht nur einschüchtern oder gezielt in der öffentlichen Wahrnehmung diskreditieren, sondern sie auch körperlich angreifen oder Brandstiftungen an ihrem Eigentum begehen“ (S. 3).
Die Bundesregierung belässt es aber nicht bei der Konstruktion eines „thematischen Zusammenhangs“ zwischen einem satirisch-politischen Adbusting und linksextremistischer Gewalt, sondern meint zudem den Inhalt konkreter Adbustings bewerten und kritisieren zu müssen; so wenn sie die in einer Adbuster-Aktion geäußerte Kritik, dass „Polizei für Gewaltausübung und institutionellen Rassismus“ stehe und dass sich bei der Polizei nicht bewerben solle, „wer ein Problem mit sexistischen Übergriffen hat“ als unsachliche Kritik einordnet – als „verallgemeinernd und über eine sachliche Kritik deutlich hinausgehend“ (S. 3).
All das verkennt aber die Bedeutung der Meinungsfreiheit, die verallgemeinernde Äußerungen ebenso wie die Kritik am Staat und seinen Institutionen (etwa BVerfG, Wunsiedel, Rn. 50) schützt. Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Aktionen nicht annähernd erreicht – selbst wenn diese Grenze enger gezogen wird als vom LG Berlin, das sogar die Bezeichnung „Drecks Fotze“ noch für eine sachbezogene Kritik hält. In Bezug auf die gegen die AfD und Björn Höcke gerichtete Adbustingaktion, anerkennt denn auch die Staatsanwaltschaft Erfurt in ihrer Einstellungsverfügung vom 7.3.2016 ein Überwiegen der Meinungsfreiheit (Antwort des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz auf eine Kleine Anfrage, S. 2 f.).
Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.