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03 November 2025

Vom drohenden Unrechtsstaat

Die Wehrpflichtdebatte als Beispiel für die strategische Delegitimierung des Verfassungsstaates

„Meine Kinder kriegt ihr nicht!“ – mit diesen Worten kämpfte der AfD-Chef Tino Chrupalla schon letztes Jahr im sächsischen Landtagswahlkampf gegen die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht. Dabei hatte die AfD noch im Grundsatzprogramm 2022 eine Wehrpflicht gefordert. Nun scheint sie für die Partei plötzlich tabu zu sein. Parteiintern haben sich die Wehrpflicht-Gegner unter Federführung ostdeutscher Verbände (allen voran Björn Höcke) durchgesetzt. Mit ihrer Resolution „Keine Wehrpflicht für fremde Kriege“ wurde die ideologische Neuausrichtung auf den Begriff gebracht. Auch die AfD-Bundestagsfraktion ist nun eingeschwenkt und hat kürzlich beschlossen, ihren eigenen Antrag zur Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht einzubringen und gegen die von der Bundesregierung geplante Reaktivierung der Wehrpflicht zu stimmen.

Diese Kehrtwende ist nicht Ausdruck eines inhaltlichen Umdenkens der Partei, sondern dient – wieder einmal – einer strategischen Positionierung. Denn die Opposition zur Wiedereinführung der Wehrpflicht ermöglicht es der AfD, das Schreckgespenst eines drohenden Unrechtsstaats an die Wand zu malen, der Wehrpflichtige in einen „fremden Krieg“ treibt – etwa in der Ukraine. So behauptete Chrupalla, er habe „die große Befürchtung, dass Wehrdienstleistende in Kriegsgebieten eingesetzt werden“. Als ihm entgegengehalten wurde, dass Wehrpflichtige ohnehin nicht in Auslandseinsätzen eingesetzt werden können, entgegnete Chrupalla, er vertraue „dieser Bundesregierung nicht. Wir haben bei Corona erlebt, wie die Regierung mit Grundrechten und Gesetzen umgeht, die wir für unumstößlich halten.“ Und Maximilian Krah behauptete auf X (Twitter), dass Wehrpflichtige nach dem Grundgesetz wie Berufssoldat:innen behandelt würden und mit einfacher Gesetzesänderung in Auslandseinsätze entsendet werden könnten.

Die Instrumentalisierung der Wehrpflichtdebatte durch die AfD zeigt mustergültig, wie sie sich als Fundamentalopposition positioniert – als Alternative zu einem behaupteten zukünftigen Unrechtsstaat. Sie zielt erkennbar darauf ab, das Vertrauen in verfassungsstaatliche Prinzipien der Bundesrepublik zu erschüttern und damit die Legitimität der bestehenden Verfassungsordnung anzugreifen. Darin zeigt sich zugleich eine Strategie, mit der die AfD sich selbst offensiv als „wahre“ demokratische und rechtsstaatliche Kraft inszeniert.

Die Behauptung: Verfassungsrechtliche Grenzen der Wehrpflicht? Gibt es nicht!

Die Behauptungen der AfD lassen sich wie folgt zusammenfassen: (1) Wehrpflichtige könnten zwangsweise in der Ukraine eingesetzt werden; (2) dafür genüge eine einfache Gesetzesänderung; (3) das Grundgesetz stehe Auslandseinsätzen von Wehrpflichtigen nicht entgegen. Keine dieser pauschalen Aussagen ist zutreffend.

Zunächst – um jegliches Missverständnis auszuräumen – sei klargestellt: Das derzeit geltende einfache Recht verbietet ausdrücklich Zwangseinsätze von Wehrpflichtigen im Ausland. § 6a Abs. 1 Wehrpflichtgesetz (WPflG) erlaubt den Auslandseinsatz von Rekruten nur mit ihrer schriftlichen Einwilligung. Ohne die persönliche Zustimmung gibt es also keinen Einsatz von Wehrpflichtigen im Ausland.

Nun zum Grundgesetz: Auslandseinsätze sind eng begrenzt. Art. 87a Abs. 1 GG verortet die Bundeswehr in der (Bündnis‑)Verteidigung; darüber hinaus sind bewaffnete Einsätze nur im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG zulässig (BVerfGE 90, 286). Als Parlamentsarmee bedarf jeder bewaffnete Auslandseinsatz der Bundeswehr vorab der Zustimmung des Bundestages; auch ein NATO‑Bündnisfall ersetzt dieses Votum nicht. Art. 4 Abs. 3 GG schützt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung: Niemand muss gegen sein Gewissen zur Waffe greifen; ein ziviler Ersatzdienst muss möglich sein (BVerfGE 48, 127). Einfaches Recht könnte an all dem nichts ändern.

Schließlich zum Wehrdienst nach Art. 12a Abs. 1 GG: Unstreitig dürfen Wehrpflichtige zur Landesverteidigung herangezogen werden. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, ob dies auch für Auslandseinsätze gilt. Die überwiegende Literatur vertritt einen engen Verteidigungsbegriff: Wehrpflichtige dürften danach nur für die klassische Landes- bzw. Bündnisverteidigung zwangsweise eingesetzt werden, nicht jedoch für sonstige Auslandseinsätze (vgl. hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier). Das ergebe sich aus dem Telos: Die allgemeine Wehrpflicht und die Verteidigung des eigenen Landes gehörten unmittelbar zusammen (so im Übrigen auch schon das BVerfG). Zudem wird auf den systematischen Zusammenhang mit Art. 12a Abs. 3–6 GG (die ausdrücklich auf den Verteidigungsfall rekurrieren) hingewiesen.

Nur wenige Kommentare argumentieren gegen eine teleologische Reduktion des Art. 12a Abs. 1 GG (etwa hier, hier und hier). Teilweise wird aber Art. 12a Abs. 1 GG mit Hinweis auf die Wehrgerechtigkeit eingeschränkt. Die Wehrgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet eine gleichmäßige Lastenverteilung und steht der selektiven Heranziehung einzelner Wehrpflichtiger zu riskanten Auslandseinsätzen entgegen. Teilweise wird auch argumentiert, dass man den Einsatz von Wehrpflichtigen im Ausland militärisch und politisch kaum für sinnvoll wird halten können.

Diese (politische) Skepsis verweist allerdings auf ein verfassungsrechtliches Argument. Schließlich steht der Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 GG) einem Einsatz entgegen: Wehrpflichtige gegen ihren Willen ins Ausland zu schicken – ohne dass es militärisch erforderlich ist oder der Staat unmittelbar gefährdet ist –, ist grundrechtlich nicht zu rechtfertigen. Insoweit erkennt auch die neue Kommentierung in Dürig/Herzog/Scholz an, dass es eine staatliche Pflicht gibt, Risiken für das Schutzgut Leben zu minimieren, und folgert daraus, dass ein Auslandseinsatz für Wehrpflichtige ausgeschlossen sein müsse. Letztlich steckt darin ein grundlegendes republikanisches Argument, auf das der Philosoph Robert Spaemann in den 1990er Jahren im Kontext der humanitären Intervention hingewiesen hat: dass es keine Rechtspflicht geben kann, sein „Leben für die Verteidigung von Gut und Leben fremder Menschen ohne Gegenleistung zu opfern“. In die gleiche Kerbe schlägt das Bundesverfassungsgericht, wenn es die Wehrpflicht mit dem Schutz des Bestands der Bundesrepublik rechtfertigt (BVerfGE 48, 127, <62>).

Insgesamt errichtet das Grundgesetz also einen umfassenden Schutz gegen Zwangseinsätze von Wehrpflichtigen im Ausland. Kein noch so trickreiches Gesetz könnte diese verfassungsrechtlichen Grenzen aushebeln.

Die Verwicklung: Entschuldigen Sie, hätten Sie etwas Zeit, mit uns über… den Unrechtsstaat zu sprechen?

Das Geschäftsmodell der AfD ist die Provokation. Sie agiert wie eine Haustürmissionarin – allerdings klingelt sie nicht, sondern steht mit schrillen Thesen vor der Tür. Wer auf diese Provokation eingeht, hat meist schon verloren. Denn: Empörung ist das Ziel. Nicht selten wird die von der AfD beabsichtigte Debatte erst durch ein gereiztes Widerwort eröffnet. Das ist das Kalkül: Die Öffentlichkeit wird in ein Gespräch verwickelt. Im Fall der Wehrpflichtdebatte: ein Gespräch über „unseren Unrechtsstaat“.

Provokationen folgen einem vorhersehbaren Muster: Man setzt einen möglichst schrillen Köder in die Welt und wartet auf die empörte Reaktion der politischen Konkurrenz, der Medien, der Zivilgesellschaft oder einfach der sozialen Netzwerke. Eben darauf zielt die Behauptung ab, die Bundesrepublik würde junge Männer in fremde Kriege treiben. Jede nachfolgende Empörung bringt Aufmerksamkeit, jede Überreaktion stiftet Solidarität mit den Urhebern der Provokation.

Diese Diskursstrategie ist besonders erfolgreich, wenn sie sich auch inhaltlich als anschlussfähig erweist. Die Wehrpflichtdebatte bietet der AfD insofern ein besonders ergiebiges Feld. Staatskritische bis staatsfeindliche Ansichten finden sich nämlich nicht nur bei Rechtsextremen, sondern auch im linken und libertären Lager. So bezeichnet der linke Publizist Ole Nymoen in seinem Essay Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde den Staat pauschal als „nichts weiter als einen Gewaltapparat“. Er argumentiert aber nicht für Gewaltfreiheit. Die Gründe für die Kriegsverweigerung Nymoens liegen, so Daniel-Pascal Zorn pointiert, in seiner persönlichen Verachtung für das Gemeinwesen und den Staat. Diese Verachtung ist der gemeinsame Nährboden, den einige Linke mit Libertären und der Neuen Rechten teilen und auf den die AfD setzen kann.

Wie Nymoen ist auch die AfD nicht grundsätzlich für Gewaltfreiheit. So hält die Partei grundsätzlich an der Wiedereinführung der Wehrpflicht fest – aber nicht in dieser Bundesrepublik. Björn Höcke hat dieses Narrativ mehrfach zugespitzt. So erklärte er: „Wir möchten nicht, dass die wenigen jungen Männer, die wir haben, für fremde Kriege, für Geld- und Machtinteressen fallen. Das ist kein Ansatz für die AfD.“ In einem Beitrag auf X (Twitter) argumentierte Höcke: „Voraussetzung dafür ist, daß unsere Männer wissen, warum sie Wehrdienst zu leisten haben. Solange patriotische Bürger unter Generalverdacht stehen, der Staat nicht willens ist, seine Bürger zu schützen und seiner Aufgabe nicht nachkommt, den Frieden zu wahren, ist ein Pflichtdienst für uns ausgeschlossen.“

Die Parallelen zwischen den verschiedenen politischen Lagern zeigen, dass die AfD nicht nur an in rechten Kreisen verbreitete staatskritische Affekte anknüpfen kann. Ihre Provokation kann auf eine übergreifende Resonanz setzen und so ihr volles Potenzial entfalten. Das Kalkül der Provokation geht nämlich erst dann vollends auf, wenn sich auch Personen an der Debatte beteiligen, die außerhalb des ideologischen Nahbereichs der AfD stehen und so dem AfD-Deutungsrahmen Legitimität verleihen.

Genau das ließ sich kürzlich beobachten. In einer Diskussion auf X (Twitter) mischte sich der Staatsrechtler Josef Franz Lindner in die von der AfD angefachte Empörung ein. Ein reichweitenstarker Account verbreitete die Behauptung, das Grundgesetz verbiete Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen – woraufhin Lindner fragte, wo das stehe. Lindner argumentierte schließlich, das Grundgesetz „schützt Wehrpflichtige nicht vor Auslandseinsätzen in den Streitkräften, soweit diese zulässig sind […]. Einen Schutz bietet § 6a WPflG, der jederzeit mit einfacher Mehrheit geändert werden kann.“ Diese rechtliche Einschätzung ist – wie oben gezeigt – sachlich falsch und verkennt den Rahmen der Diskussion. Sie ignoriert nicht bloß zentrale Verfassungsgarantien wie das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG), das Prinzip der Wehrgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG), sondern auch die von großen Teilen der Literatur befürwortete teleologische Reduktion des Art. 12a Abs. 1 GG.

Für das rechte Provokationsspiel war vor allem entscheidend, dass nun auch ein Staatsrechtler – was Krah süffisant hervorhob („Und @JosefFLindner ist übrigens Staatsrechtsprofessor.“) – ernsthaft mitdiskutierte, wie die Bundesrepublik Wehrverpflichtete in einen Krieg in der Ukraine zwingen könnte. Damit war das Höchstziel der Provokation erreicht: Die öffentliche Debatte drehte sich nicht mehr um die Absurdität der Behauptung, sondern um rechtliche Detailfragen zu einem von der AfD behaupteten Unrechtsstaat. Was als substanzlose Behauptung begann, wurde auf einmal wie ein ernstzunehmendes Szenario behandelt. Am Ende stand nicht die Behauptung der AfD in Frage, sondern der demokratische Rechtsstaat.

Die Metapolitik: Mit der Demokratie gegen die Demokratie

Das Beispiel zeigt zweierlei. Zum einen positioniert sich die AfD weiterhin als Fundamentalopposition zum „System“. Sie stellt die „wahre“ bzw. „gerechte“ Demokratie einer „illegitimen“ Demokratie gegenüber, die durch einen korrupten Staat vom rechten Weg abgekommen sei. Eine solche antipluralistische Verschiebung des Diskurses – bei der nur noch eine einzige Stimme als legitim gelten soll – gehört zu den Wesensmerkmalen des Populismus. Zum anderen hat die AfD den Diskurs mittlerweile so weit verschoben, dass sie mit Zuspruch und Argumenten aus der „Mitte“ der Gesellschaft rechnen kann.

Die AfD delegitimiert jetzt nicht mehr nur den demokratischen Rechtsstaat, sie stilisiert sich selbst zugleich als Hüterin einer Demokratie, die es gegen die korrupte Ordnung zu verteidigen gilt. Dies war von Anfang an das Ziel der Neuen Rechten. Die Selbstinszenierung als Opfer diente nie bloß der emotionalen Mobilisierung einer Anhängerschaft, sondern zielte auf einen Kampf der Demokratie gegen die Demokratie. Die diskursive Aufmerksamkeitssteigerung der AfD war kein Selbstzweck; sie hat damit ihr Ziel erreicht, extreme Deutungen und Aussagen salonfähig zu machen.

Der Philosoph Jacques Derrida bezeichnete die Gefahr der Instrumentalisierung der Demokratie gegen sich selbst als eine Logik der Autoimmunität. Die Gefahr für die Demokratie gehe, so Derrida, nicht von außen, sondern von innen aus. Denn der Feind der Demokratie gibt sich meist selbst als Demokrat aus. Das Ideal der unbedingten Demokratie, wie es bei Derrida heißt, inkludiert auch ihre Feinde. Ihre radikale Offenheit unterscheidet nicht, auch nicht zwischen antidemokratischen Kräften.

Die daraus resultierende Unübersichtlichkeit ist nun das metapolitische Ziel der AfD. Von hier aus lassen sich umstürzlerische Deutungen und Verschiebungen vornehmen: Die Wehrpflicht wird zum Beleg dafür, dass der demokratische Staat korrupt ist; dass das Grundgesetz seine Bürger:innen nicht schützen kann; dass nur die AfD für eine wahre und gerechtere Demokratie kämpft, eine Demokratie, die junge Männer vor dem Tod bewahrt, vor Krieg und Gewalt, ja vor einem behaupteten zukünftigen Unrechtsstaat. So legitimiert die Behauptung schließlich auch noch den widerständigen Kampf gegen den Verfassungsstaat im Namen der Demokratie. Dass diese, um geschützt zu werden, hier und da suspendiert werden könnte, ist dann kein Widerspruch mehr.

Zudem schirmt die autoimmune Erzählung die AfD ideologisch von tatsächlichen Abwehrmaßnahmen des wehrhaften Staates ab. Sie gelten nun als Beweis dafür, dass der zukünftige Unrechtsstaat schon in die Gegenwart ragt. Ob die Weigerung, AfD-Kandidat:innen in hohe Staatsämter zu wählen, disziplinarische Schritte gegen AfD-Beamt:innen oder Diskussionen über ein Parteiverbot – all dies erscheint von hier aus als Bestätigung dafür, dass die gegenwärtige Verfassungswirklichkeit in Wahrheit antidemokratisch sei und die eigentliche Demokratie unterdrücke.

Die Frage nach einer rechtswissenschaftlichen Gegenstrategie

Während der Kampf der AfD um Selbstlegitimation und Selbstbehauptung in den ersten zehn Jahren nach ihrer Gründung von einer defensiven Taktik der Selbstverharmlosung geprägt war, zeugt die Wehrpflichtdebatte von einem Schwenk zu einer selbstbewussten Positionierung als Alternative angesichts eines behaupteten zukünftigen Unrechtsstaats. Dieser Schwenk ist Ausdruck eines seit der Corona-Epidemie verschobenen diskursiven Kräfteverhältnisses – von einem rechten Minderheitsdiskurs zum Mainstream. Die Provokation bleibt das Mittel der Wahl, aber sie wird nun unmittelbar gegen den Verfassungsstaat eingesetzt.

In Zukunft ist insoweit immer öfter mit öffentlichen, juristisch falschen Behauptungen über das Grundgesetz zu rechnen. Es stellt sich umso dringender die Frage, wie eine rechtswissenschaftliche Öffentlichkeit damit umgehen sollte. Wie sollte sie etwa auf die Behauptung eines drohenden Unrechtsstaats reagieren?

Die Antwort auf eine solche Provokation sollte nicht mit erwartbarer Empörung ausfallen, und die Antwort auf Empörungen nicht mit polemischer Verkürzung. Wenn die Rechtswissenschaft etwas zur Verteidigung des Verfassungsstaates beizutragen hat, dann darf sie sich nicht vom Dauererregungszustand populistischer Debatten leiten lassen. Sie sollte sich insbesondere weder hinreißen lassen, voreilig rechtliche Sachzwänge und Unmöglichkeiten zu behaupten, noch sollte sie Recht im Eifer des Gefechts unterschlagen.

Gegen die Einfalt eines populistischen Diskurses, der mittlerweile zum Mainstream geworden ist, müsste die Rechtswissenschaft für die Pluralität von politischen Positionen kämpfen, die unser Verfassungsstaat voraussetzt. Hierzu kann auch gehören, falsche rechtliche Behauptungen konsequent zu widerlegen, insbesondere wenn sie darauf abzielen, den Unterschied zwischen unserem Verfassungsstaat und einem herbeifantasierten Unrechtsstaat zu verwischen.


SUGGESTED CITATION  Endemann, Fabian: Vom drohenden Unrechtsstaat: Die Wehrpflichtdebatte als Beispiel für die strategische Delegitimierung des Verfassungsstaates , VerfBlog, 2025/11/03, https://verfassungsblog.de/afd-wehrpflicht-unrechtsstaat/, DOI: 10.17176/20251103-142005-0.

11 Comments

  1. Josef Franz Lindner Tue 4 Nov 2025 at 12:43 - Reply

    Da ich in dem Text direkt angesprochen und zT angegriffen werde, darf ich Folgendes anmerken.
    Herr Endemann insinuiert, ich würde durch mein “Einmischen” in die Wehrpflichtdebatte kritische AfD-Thesen zur Wehrpflicht teilen. Das ist abwegig. Denn ich habe nur darauf hingewiesen, dass ein grundsätzliches Verbot von Auslandseinsätzen Wehrpflichtiger im GG nicht ausdrücklich enthalten ist. In diesem Kontext habe ich § 6 WPflG erwähnt. Den (fernliegenden) Vortrag von AfD-Poitikern, dass Wehrpflichtige in die Ukraine geschickt werden können, habe ich zurückgewiesen mit der Formulierung “soweit diese zulässig sind”. Ein BW-Kriegs-Einsatz in der Ukraine wäre eben nicht zulässig (und damit auch nicht der Einsatz von Wehrpflichtigen).
    Herr Endemann interpretiert meinen Beitrag also höchst einseitig, um daraus ein “Narrativ” zu entwickeln: Jetzt also auch schon Staatsrechtler …

    • Fabian Endemann Wed 5 Nov 2025 at 08:51 - Reply

      Sehr geehrter Herr Prof. Lindner,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich möchte zunächst klarstellen, dass ich keineswegs insinuieren will, Sie würden Thesen der AfD zur Wehrpflicht teilen. In meinem Blogbeitrag argumentiere ich im Wesentlichen für zwei Punkte: Erstens habe ich darauf hingewiesen, dass Sie sich auf eine Diskussion eingelassen haben, die von einer Provokation der AfD ausgeht. Zweitens vertreten Sie in dieser Diskussion aus meiner Sicht sachlich falsche Thesen.

      Erstens: Die betreffende Diskussion wurde durch eine Provokation der AfD angestoßen. Darauf haben Sie sich – sicherlich in bester Absicht, die Rechtslage klarzustellen – eingelassen. Mein Hinweis zielte darauf ab, welche Dynamik dadurch entstanden ist: Die Debatte verlagerte sich von der Absurdität der ursprünglichen Behauptung hin zu Detailfragen eines von der AfD skizzierten Szenarios. Dies entspricht genau dem Kalkül der Provokation. Bitte verstehen Sie dies nicht als persönlichen Vorwurf, sondern als Beschreibung der Diskursstrategie, die ich kritisch beleuchtet habe.

      Zweitens: Ich bleibe dabei, dass einige Ihrer in der Twitter/X-Diskussion geäußerten Thesen inhaltlich nicht zutreffen. Sie lesen nun in Ihre Beiträge nachträglich Einschränkungen hinein, die dort nicht zu finden sind. Beispielsweise führen Sie in Ihrem Kommentar die Einschränkung auf einen „BW-Kriegs-Einsatz“ ein, die in Ihren ursprünglichen Beiträgen nicht zu finden ist. Der in meinem Text zitierte Beitrag lautete etwa:
      „Das GG selbst schützt Wehrpflichtige nicht vor Auslandseinsätzen in den Streitkräften, soweit diese zulässig sind (was sich nach Art. 87a Abs. 2, 24 Abs. 2 GG bestimmt). Einen Schutz bietet § 6a WPflG, der jederzeit mit einfacher Mehrheit geändert werden kann.“
      Dort sprachen Sie also allgemein von „zulässigen Einsätzen“ der Streitkräfte. Zulässig sind aber neben der (Bündnis-)Verteidigung auch Out-of-Area-Einsätze im Rahmen kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG), etwa mit UN-Mandat oder im Rahmen von EU/NATO-Missionen. Auch solche Missionen gelten als Kriegseinsätze der Bundeswehr. Wenn Sie nun argumentieren, ein Bundeswehr-Einsatz in der Ukraine wäre „eben nicht zulässig“, so ist das eine neue Konkretisierung, die in Ihren Tweets nicht enthalten war. Gerade angesichts der Möglichkeit von Out-of-Area-Einsätzen halte ich diese nachträgliche Einschränkung auch in der Sache für nicht richtig.

      Abschließend möchte ich nochmals betonen: In meinem Text argumentiere ich, dass unterschiedliche politische Lager sich von dem staatskritischen Duktus der AfD angesprochen fühlen könnten. Daraus folgt nicht, dass diese Lager die Thesen der AfD teilen. Das gilt selbstverständlich auch für Sie. Mir ist wichtig, das ausdrücklich zu unterstreichen, um jedes Missverständnis auszuräumen.

      Mit freundlichen Grüßen,
      Fabian Endemann

  2. Thomas Faelligen Tue 4 Nov 2025 at 17:37 - Reply

    In der Debatte – wie ich sie mitbekommen habe – wurde pauschal die Behauptung aufgestellt, dass die Verfassung jegliche Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen verbiete.
    Ein solch ausdrückliches Verbot findet sich im Grundgesetz jedoch nicht. Sie mögen recht damit haben, dass die Rechtswissenschaft das überwiegend so sieht. Der Wortlaut der einschlägigen Artikel gibt es aber nicht her.
    Nun denjenigen, die diesen Umstand angesprochen haben, Pauschalität und Falschbehauptungen vorzuwerfen, kommt mir nicht angemessen vor.

    • Fabian Endemann Wed 5 Nov 2025 at 11:12 - Reply

      Sehr geehrter Herr Faelligen,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. In meinem Beitrag argumentiere ich, dass die Diskussion nicht mit der pauschalen Behauptung beginnt, das Grundgesetz verbiete ausdrücklich Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen. Sie wurde vielmehr durch eine provokante Aussage der AfD eingeleitet, nämlich der Behauptung, Wehrdienstpflichtige könnten zwangsweise in die Ukraine geschickt werden. Diese Zuspitzung zielte darauf ab, eine Überreaktion der Gegenseite hervorzurufen, was ich in meinem Text beschreibe. Auf diese Überreaktion eines juristischen Laien (!) antwortet Herr Prof. Lindner.

      Zum inhaltlichen Punkt: Es ist nicht richtig, dass Herr Lindner in seinen Beiträgen bloß den „Umstand“ angesprochen hat, dass es im Grundsatz kein ausdrückliches Verbot von Auslandseinsätzen Wehrpflichtiger gäbe. Ich argumentiere auch nicht, wie Sie schreiben, dass diese Beiträge „pauschal” sind. Die Beiträge von Herrn Lindner stellen vielmehr grundsätzliche Aussagen über die Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes des Grundgesetzes dar. Ich zitiere es hier noch einmal für Sie:
      „Das GG selbst schützt Wehrpflichtige nicht vor Auslandseinsätzen in den Streitkräften, soweit diese zulässig sind (was sich nach Art. 87a Abs. 2, 24 Abs. 2 GG bestimmt). Einen Schutz bietet § 6a WPflG, der jederzeit mit einfacher Mehrheit geändert werden kann.“

      Mit freundlichen Grüßen
      Fabian Endemann

      • Thomas Faelligen Wed 5 Nov 2025 at 21:36 - Reply

        Sehr geehrter Herr Endemann,

        ich mag nicht gerne ausdiskutieren, was an Aussagen wie “Befürchtung, dass Wehrdienstleistende in Kriegsgebieten eingesetzt werden” so provokant ist, dass man daraus eine “strategische Delegitimierung des Verfassungsstaates” macht. Ich habe bewusst versucht, bei dem inhaltlichen Punkt zu bleiben und mich nicht dazu geäußert, ob ich Ihre Analyse des Diskurses teile.

        Auf Herrn Lindner habe ich mich so direkt überhaupt nicht beziehen wollen. Es haben sich auf X verschiedene Akteure mit vergleichbarer Argumentation beteiligt. Meine Wortwahl “Umstand” enthält keine Wertung dieser Argumentation, sondern bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass kein explizites Verbot im GG enthalten ist. Daran ändern auch Verweise auf die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, die einfache Gesetzgebung, die Kommentare zum GG etc. nichts. Wenn nun jemand auf X behauptet (auch das haben mehrere getan, teils mit drastischer Wortwahl), das Grundgesetz verbiete jegliche Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen, könnte man durchaus auf die Idee kommen, im Gesetzestext nachzuschlagen und anschließend zu posten, dass man nicht fündig geworden ist, auch ohne damit gleich den Verfassungsstaat delegitimieren zu wollen.

        Was das Adjektiv “pauschal” angeht, gebe ich lediglich Ihre eigene Wortwahl wieder. Sie formulieren drei Thesen und bezeichnen diese als pauschal und unzutreffend. Später geht es weiter mit “sachlich falsch” und “juristisch falsch”. Auch in der Erwiderung auf meinen Kommentar packen Sie ein “nicht richtig” aus. Und dieses Absprechen jeglicher Diskutabilität wegen vermeintlich falscher Tatsachen halte ich – jedenfalls bezogen auf eine der Thesen – für unangemessen.

        • Fabian Endemann Thu 6 Nov 2025 at 21:01 - Reply

          Sehr geehrter Herr Faelligen,

          vielen Dank für Ihre Antwort. Im Folgenden werde ich ausführlich auf Ihre Punkte eingehen, da Ihre Antwort einige Vorwürfe enthält, die ich gerne ausräumen möchte. Außerdem vermischen Sie an einigen Stellen unterschiedliche Argumentationsebenen meines Textes, was zu Missverständnissen führt.

          Im ersten Absatz Ihres Kommentars stellen Sie infrage, was an den von mir zitierten Aussagen der AfD „so provokant“ sein soll und warum ich darin den Versuch einer strategischen Delegitimierung des Verfassungsstaates durch die AfD sehe. Leider führen Sie für diese Kritik kein Argument an. Daher kann ich nur wiederholen, was ich bereits in meinem Beitrag ausgeführt habe. Gleich zu Beginn zitiere ich Tino Chrupalla mit „Meine Kinder kriegt ihr nicht!“. Er macht diese Provokation außerdem plausibel indem er sagt, er vertraue „dieser Bundesregierung nicht. Wir haben bei Corona erlebt, wie die Regierung mit Grundrechten und Gesetzen umgeht, die wir für unumstößlich halten.“ Er skizziert also einen Staat, der verfassungsrechtliche Grenzen missachtet und junge Menschen in einen Krieg zwingen will. Diese Provokation zielt unmittelbar auf die Delegitimierung unseres Verfassungsstaates („Grundrechte und Gesetze…, die wir für unumstößlich halten“). Dass es sich um eine Provokation handelt, zeigen nicht zuletzt die Gegenreaktionen – darauf haben Sie ja selbst hingewiesen.
          „Strategisch“ nenne ich diese Delegitimierung, weil sie erst durch eine politische Neu-Positionierung der AfD möglich wird. Die ostdeutschen AfD-Verbände – namentlich Björn Höcke – haben hierzu die Bundes-AfD gewissermaßen zurückgerufen und auf einen neuen Kurs gebracht. Die AfD verfolgt damit eine gezielte Strategie, die ideologisch flankiert wird und auf einschlägigen rechtsextremen Blogs dokumentiert ist. Mit dieser strategischen Provokation soll der politische Diskurs verschoben werden, um letztlich das Vertrauen in den Verfassungsstaat zu erschüttern.
          Im zweiten Absatz Ihres Kommentars schreiben Sie, Sie hätten sich „so direkt überhaupt nicht“ auf Herrn Lindner beziehen wollen. Ihr Kommentar zielt jedoch ausdrücklich auf Herrn Lindner ab. Sie schreibenl: „Nun denjenigen, die diesen Umstand angesprochen haben, Pauschalität und Falschbehauptungen vorzuwerfen, kommt mir nicht angemessen vor.“ – Damit spielen Sie offensichtlich auf Herrn Lindners Aussagen an.
          Weiter führen Sie an: „Es haben sich auf X verschiedene Akteure mit vergleichbarer Argumentation beteiligt.“ Worauf möchten Sie damit hinaus? Das bestreite ich nicht und belegt nur jene Dynamik von Provokation und Reaktion, die ich in meinem Text beschrieben habe.

          Sie schreiben außerdem: „Meine Wortwahl ‘Umstand’ enthält keine Wertung dieser Argumentation, sondern bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass kein explizites Verbot im GG enthalten ist. Daran ändern auch Verweise auf die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, die einfache Gesetzgebung, die Kommentare zum GG etc. nichts.“ – Ich habe nie bestritten, dass im Grundgesetz kein wortwörtliches Verbot für Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen enthalten ist. Meine verfassungsrechtliche Argumentation soll daran auch gar nichts ändern.
          Sie schreiben außerdem: „Wenn nun jemand auf X behauptet (auch das haben mehrere getan, teils mit drastischer Wortwahl), das Grundgesetz verbiete jegliche Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen, könnte man durchaus auf die Idee kommen, im Gesetzestext nachzuschlagen und anschließend zu posten, dass man nicht fündig geworden ist, auch ohne damit gleich den Verfassungsstaat delegitimieren zu wollen.“ – Genau das argumentiere ich nicht. Die Delegitimierung des Verfassungsstaates ist das Ziel der AfD. Dieses Ziel unterstelle ich jedoch nicht denjenigen, die sich auf das Diskursspiel aus Provokation, Überreaktion, Gegenreaktion usw. einlassen. Allerdings provoziert die AfD solche Reaktionen gezielt, denn genau diese Überreaktionen und Korrekturen sind Bestandteil der Strategie. Darauf weist mein Blogbeitrag hin. Diese Erkenntnis stammt nicht von mir; ich stütze mich hierbei auf einschlägige Literatur, die dieses Phänomen bereits vor Jahren beschrieben hat.
          Ich bringe das Beispiel auf X, weil es die dadurch vollzogene Verschiebung des Diskurses anschaulich macht. Aus der Dynamik von Provokation und Reaktion (wie Sie schreiben: “drastische Wortwahl”) ergeben sich dort plötzlich allgemeine Thesen über einen vermeintlich fehlenden Schutz des Grundgesetzes. Solche allgemeinen Aussagen gingen über die reine Feststellung hinaus, dass im Grundgesetz kein ausdrückliches Verbot formuliert ist. Mit anderen Worten: Die Provokation der AfD löst eine Gegenreaktion aus (die Behauptung, dass ein ausdrückliches Verbot im Wortlaut des Grundgesetzes steht), wodurch es zu wieder zu Gegenreaktionen kommt, die wiederum über das Ziel hinausschießen. Entscheidend: Die Diskussion selbst dreht sich um die von der AfD in den Raum gestellte Behauptung, Wehrpflichtige könnten in einen Krieg in die Ukraine entsendet werden. Sie ist der Anlass der Diskussion und bildet weiterhin ihren Horizont. Genau diese diskursive Verschiebung zeige ich in meinem Beitrag auf.

          Im letzten Absatz Ihres Kommentars sprechen Sie das Adjektiv „pauschal“ an und meinen, Sie würden damit lediglich meine eigene Wortwahl wiedergeben. Sie schreiben: „Sie formulieren drei Thesen und bezeichnen diese als pauschal und unzutreffend. Später geht es weiter mit ‘sachlich falsch’ und ‘juristisch falsch’.“ Das stimmt jedoch so nicht. Sie legen mir das Wort „pauschal“ in den Mund, bezogen auf Herrn Lindner, indem Sie formulieren: „Nun denjenigen, die diesen Umstand angesprochen haben, Pauschalität und Falschbehauptungen vorzuwerfen, kommt mir nicht angemessen vor.“ Ich habe Herrn Lindner nicht Pauschalität vorgeworfen. Damit vermischen Sie meine Kritik an den AfD-Aussagen mit meiner Darstellung der Beiträge von Herrn Lindner.
          Im Folgenden unterstellen Sie mir darauf aufbauend, ich würde Herrn Lindner vorwerfen, den Verfassungsstaat zu delegitimieren – was ich nicht tue (und auch in meiner Antwort auf Herrn Lindner klargestellt habe). Sie verwechseln hier meine These bezüglich der AfD (die strategische Delegitimierung des Verfassungsstaates) mit meiner Beschreibung des Erfolgs ihrer Diskursstrategie (die Dynamik von Provokation und Reaktion in der öffentlichen Debatte).

          Abschließend kritisieren Sie: „Auch in der Erwiderung auf meinen Kommentar packen Sie ein ‘nicht richtig’ aus. Und dieses Absprechen jeglicher Diskutabilität wegen vermeintlich falscher Tatsachen halte ich – jedenfalls bezogen auf eine der Thesen – für unangemessen.“ Wenn Sie meine Formulierung „nicht richtig“ als unangemessen empfinden, sollten Sie erläutern, warum. Andernfalls halte ich es für unangebracht, mir pauschal Unangemessenheit vorzuwerfen. Gern erkläre ich Ihnen, worauf sich mein „nicht richtig“ bezogen hat. Es zielte auf Ihr Argument, Herr Lindner habe lediglich den Umstand angesprochen, dass sich im Grundgesetz kein ausdrückliches Verbot finde. Sie schrieben: „In der Debatte – wie ich sie mitbekommen habe – wurde pauschal die Behauptung aufgestellt, dass die Verfassung jegliche Auslandseinsätze von Wehrpflichtigen verbiete. Ein solch ausdrückliches Verbot findet sich im Grundgesetz jedoch nicht. Sie mögen recht damit haben, dass die Rechtswissenschaft das überwiegend so sieht. Der Wortlaut der einschlägigen Artikel gibt es aber nicht her. Nun denjenigen, die diesen Umstand angesprochen haben…“ Diese Darstellung ist “nicht richtig”. Die Gründe dafür habe ich in meiner Antwort bereits genannt. Erstens: Herr Lindner reagiert mit seinen Beiträgen auf eine Diskussion, die mit einer Behauptung der AfD beginnt – seine Äußerungen stehen also im Kontext einer von der AfD provozierten Debatte. Zweitens: Seine Beiträge sind allgemeine Aussagen über den Schutz des Grundgesetzes, nicht bloß der Hinweis auf einen fehlenden Verbotswortlaut. Und schließlich: Ich spreche niemandem „jegliche Diskutabilität wegen vermeintlich falscher Tatsachen“ ab. Bitte zeigen Sie mir, wo ich das getan haben soll und auf welche These Sie sich dabei beziehen.

          Mit freundlichen Grüßen
          Fabian Endemann

          • Verfassungsreferendar Fri 7 Nov 2025 at 16:48

            Sehr geehrter Herr Endemann,

            dass die Kommuikation politischer Akteure strategisch ist, überrascht nicht. Oft genug wurde beobachtet, wie politischen Parteien auch Kommunikationspapiere, die für den internen Gebrauch bestimmt waren bekannt werden (neudeutsch: geleaked wurden). Stichworte: FDP, Feldschlacht (offene).
            Immer sind diese Kommunikationsstrategien zielgerichtet, oftmals polemisch, manchmal manipulativ und in Einzelfällen problematisch – letzteres mag auf die AfD zuweilen sicherlich zutreffen.
            Wenn eine Kommunikationsstrategie aber die “Deligitimierung des Verfassungsstaates” erwirken kann oder soll, also gleich die ganz großen Geschütze aufgefahren werden erwartet der Leser (zumindest ich) Großes. Ich persönlcih finde aber, dass hier Ihre Bewertung ein bisschen zu groß ausgefallen ist. Sieht man sich die zitierten Sätze einmal an, sind solche Begriffe dem Post eigentlich nicht würdig:

            “Meine Kinder kriegt ihr nicht!“.
            Dieser Satz scheint zunächst klassischer Pazifisten-Pathos. (“Nein, meine Söhne geb ich nicht”, Reinhard Mey, 1984)

            Weiter schreiben Sie:
            “Er macht diese Provokation außerdem plausibel indem er sagt, er vertraue ‘dieser Bundesregierung nicht. Wir haben bei Corona erlebt, wie die Regierung mit Grundrechten und Gesetzen umgeht, die wir für unumstößlich halten.’“

            Auch hier: Harte, ggf. unzutreffende Kritik. Aber es ist grundsätzlich schon nicht die Aufgabe eines Oppositionspolitikers der Bundesregierung zu “vertrauen” – ehrlicherweise grundsätzlich nicht die Aufgabe eines Parlamentariers, der eben diese Bundesregierung kontrollieren soll.
            Freilich, der Rekurs auf die Jahre 2020 bis 2022 mag irritieren. Aber auch hier wird nicht der Verfassungsstaat oder die Rechtsstaatlichkeit negiert, sondern (polemisch und populistisch) der Umgang und die Abwägung mit elementaren Grundrechten (die durch die Pandemie zweifelsfrei betroffen waren) kritisiert.

            Worauf will ich hinaus: Mit der AfD besteht eine vielmals polemisch agierende Oppositionspartei, die strategisch kommuiziert und oftmals auch versucht, staatliche Institutionen bloßzustellen. Bei eigentlich fast schon banalen Aussagen direkt von der Deligitmierung des Verfassungsstaates zu sprechen kann aber kommunikativ eben grundfalsch sein – da auch dieses Schwert stumpf wird und bei tatsächlichen Angriffen auf unseren Rechtsstaat nicht mehr wirkt.

            Viele Grüße

          • Thomas Faelligen Thu 13 Nov 2025 at 19:26

            Sehr geehrter Herr Endemann,
            ich komme da leider nicht mehr mit und ich bezweifle auch, dass das noch einen Erkenntnisgewinn brächte.

      • Lukas L Fri 7 Nov 2025 at 10:45 - Reply

        Also ist es denn jetzt umstritten, ob Wehrpflichtige im Ausland (unter der Prämisse, dass der Einsatz zulässig ist) eingesetzt werden können, oder nicht? In dem Beitrag wird hier ein Problemaufriss gemacht, dann eine sehr klare Meinung vertreten (soweit so gut), die hiervon abweichende Aussage dann aber als “Provokation” eingestuft.

        Da wird einem doch etwas mulmig. Als Wehrdienstleistender müsste ich ja dann im (sehr unwahrscheinlichen) Fall der Änderung des einfachen Rechts während eines Kriegsfsalls erstmal vors BVerfG ziehen oder nachträglich verweigern? Da bleibt zu hoffen, dass das dann schnell genug geht…

        Es ist sicher richtig, dass Auslandseinsätze von Wehrdientleistenden politisch und rechtlich mehr als unwahrscheinlich sind. Aus dem Hinweis auf diese Gefahr (aufgrund der rechtlichen Unsicherheit) aber direkt eine Delegitimierung des Verfassungsstaats abzuleiten, scheint aber ziemlich krass. Da findet man bei der (m. E. verfassungsfeindlichen) AfD bessere Beispiele, um dieses Anliegen zu belegen.

        Die Verbindung zum linken Lager klingt hier in meinen Ohren nach “Hufeisentheorie”, auch wenn das vielleicht nicht intendiert war? Mit solchen Ansätzen geht die Gefahr einher, dass links-libertäre Positionen von rechts vereinnahmt werden. Dann gibt es bald keine linke Kritik an der Wehrpflicht mehr, weil man sonst direkt als neurechts, rechtsextrem, Schwurbler o. Ä. bezeichnet wird. Auch rechte Staatskritik sollte man im Zweifel ernst nehmen, wenn sie ausnahmsweise mal ein berechtigtes Anliegen findet. Sonst bestärkt man die Rechte nur weiter in ihrer Opferrolle.

  3. Tobias Fri 7 Nov 2025 at 12:07 - Reply

    Vielen Dank an den Author. Der Beitrag zeigt beispielhaft das grundlegende Problem in der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Populismus auf: Provokationen wie die genannte unwidersprochen stehen zu lassen, ist keine Lösung – sich auf die Diskussion einzulassen, führt aber zu Scheindebatten, die letztlich nur populistische Thesen befeuern (“Wäre an der Behauptung nichts dran, würde ja nicht darüber diskutiert”).

    So erklärt sich einigermaßen zwanglos, warum die beliebte Forderung, die AfD “inhaltlich zu stellen” bisher gescheitert ist: es kommt der AfD auf den konkreten Inhalt letztlich nicht an, so lange nur der Diskurs mehr und mehr nach rechtsaußen rutscht. In Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie hat die parlamentarische Demokratie auf diese (diskursfeindliche) Strategie noch keine Antwort gefunden.

  4. Felix Thu 13 Nov 2025 at 22:38 - Reply

    Ich schließe mich dem Kommentar von Tobias an. Die AfD geriert sich als “Hauptsache-Dagegen”-Partei und unterläuft mit ihrem Derailment jeglichen sachlichen Diskurs. Hier sei an die 180°-Kehrtwende in der Corona-Pandemie erinnert.

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