Handelsabkommen für das Klima?
Zum „Agreement on Climate Change, Trade and Sustainability“ (ACCTS)
Alle Blicke waren auf Baku und die Klimakonferenz COP 29 gerichtet, als die Regierungen von Costa Rica, Island, Neuseeland und der Schweiz im November die Unterzeichnung ihres Abkommens bekanntgaben. Der Zeitpunkt wirkt dennoch nicht wie ein Zufall, denn das „Agreement on Climate Change, Trade and Sustainability“ (ACCTS) ist nicht bloß ein weiteres Freihandelsabkommen. Vielmehr könnte es einen ganz neuen Typus von Abkommen begründen. Das wird bereits durch den Titel und die dort gewählte Reihenfolge deutlich: erst Klimawandel, dann Handel, dann Nachhaltigkeit – Hauptaugenmerk, Instrument, Gesamtziel. In ihrer gemeinsamen Erklärung zum Abschluss der Verhandlungen heben die Staaten hervor, dass die „politischen Hebel, die notwendig sind, um den Übergang zu emissionsarmen, klimaresilienten und nachhaltigen Volkswirtschaften voranzutreiben, Handelspolitik, Regeln und Architektur unbedingt einbeziehen müssen und dies auch können“. Die Staaten proklamieren, das Abkommen sei das erste seiner Art und wegweisend. Können Handelsabkommen tatsächlich zu einem Schlüssel für den Klimaschutz werden und kann das ACCTS als Vorbild dienen? Das Abkommen leistet Pionierarbeit und zeigt Mechanismen auf, die das Handelsrecht in eine neue Ära des Nachhaltigkeitsrechts überführen könnten.
Handelsrecht und planetare Grenzen
Klassischerweise stellten sich Fragen der Vereinbarkeit von handelsbeeinträchtigenden Maßnahmen zum Schutz der Umwelt oder des Gesundheitsschutzes im Kontext der Welthandelsorganisation (WTO), die seit 1995 den globalisierten Handel reguliert. Regelmäßig müssen sich Staaten hier vor dem WTO-Streitbeilegungsmechanismus für umwelt- und menschenrechtsbezogene Maßnahmen rechtfertigen. Diese Verfahren werden trotz wohlmeinender Absicht der regulierenden Staaten regelmäßig verloren. Die Streitverfahren über den Schutz von Schildkröten und Delphinen haben durchaus weite Kreise gezogen und zu einer graduellen Ausweitung der Zulässigkeit von Umweltmaßnahmen geführt. Dennoch scheitern diese häufig an Details, wie zuletzt im sog. EU-Biodiesel Streit mit Malaysia. Obwohl das Schiedsgericht die europäischen Handelsbeschränkungen für Biodiesel für grundsätzlich geeignet hielt, die von der EU verfolgten Schutzziele und insbesondere besseren Klimaschutz zu erreichen, bestätigte das Schiedsgericht den Vorwurf der Klägerparteien einer willkürlichen Diskriminierung in der Anwendung der Richtlinie und erklärte die EU-Maßnahmen für WTO-rechtswidrig.
Mit Zunahme der planetaren Dreifachkrise, die sich aus dem Klimawandel, dem Artensterben und der Verschmutzung zusammensetzt, haben sich die Debatten um mögliche Lösungen intensiviert. Die Erdsystemwissenschaft hat mit den planetaren Grenzen ein simples, aber eingängiges Bild dafür geliefert, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht und wo wir bereits an die Grenzen der Stabilität der Systeme geraten und zerstörerische Effekte des Klimawandels konnten wir diesen Sommer auf allen Erdteilen beobachten. Die Endlichkeit der Rohstoffe einerseits und die Instabilität hinter den Kipppunkten sind zwei wesentliche Erkenntnisse, die in die Gestaltung nachhaltiger Regelsysteme integriert werden müssen. Diese Notwendigkeiten gelten auch für das Handelsrecht und so wird derzeit viel Gedankenkraft darauf verwendet, wie das theoretisch aussehen könnte.
In der Praxis ringen die Staaten in WTO-Verhandlungsrunden um Änderungen des Regelwerks mit sehr mäßigem Erfolg. Reformen sind in der WTO mit ihren 166 Mitgliedern und den mittlerweile offen zutage getretenen geopolitischen Verwerfungen kaum mehr zu erzielen. Die seit 2001 eingeläutete sogenannte Doha Development Agenda, die eine Vielzahl von Handelsthemen auf das Tableau genommen hat, konnte bisher nicht zum Abschluss gebracht werden. Die Fronten sind mittlerweile so verhärtet, dass ein Scheitern der Runde gemeinhin angenommen wird. Die Krise der WTO ist bis in ihr Herzstück, den Streitbeilegungsmechanismus, vorgedrungen. US-Präsident Donald Trump hatte in seiner ersten Amtszeit durch sein Veto gegen die Nachbesetzung der Richterinnen und Richter die Dysfunktionalität des Appellate Body herbeigeführt, die auch sein Nachfolger Joe Biden in seiner Amtszeit nicht korrigiert hat. Damit ist das Welthandelsrecht weiterhin von erheblicher Relevanz für die Regulierung des Handels, bietet aber keine Antworten auf die drängenden Fragen der Umwelt- und Klimakrise.
TSD-Kapitel in Freihandelsabkommen
Einige Staaten haben daher begonnen, mit Handelspartnern bi- oder plurilaterale Freihandelsabkommen auszuhandeln. Die EU hat zunächst mit Südkorea, mittlerweile auch mit einer Reihe anderer Staaten die Verhandlungen abgeschlossen, u.a. Singapur, Vietnam, Neuseeland und Kenia. Aktuell ringt die EU um ein Abkommen mit dem südamerikanischen Staatenverbund Mercosur, zu dem neben Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, noch Bolivien gehört. In diesen neueren Freihandelsabkommen finden sich nun standardmäßig auch Kapitel zu menschenrechtlichen Aspekten und Umweltfragen, die gemeinhin unter der Kapitelüberschrift „Trade and Sustainable Development“ (TSD) zusammengefasst werden. Diese Passagen schreiben insbesondere das Bekenntnis der Parteien zum Schutz der Menschenrechte, der Umwelt und des Klimas fest. Oft finden sich Verweise auf wichtige Dokumente zur nachhaltigen Entwicklung; im Abkommen zwischen der EU und Neuseeland sind auch einige Bereiche dieser TSD-Kapitel auch in den zwingenden Streitbeilegungsmechanismus einbezogen und Handelsinstrumente im Prinzip zur Durchsetzung dieser Verpflichtungen eingesetzt werden.
Allerdings sind Verknüpfungen mit konkreten handelsrechtlichen Bestimmungen bisher dünn geblieben. Die Abschnitte zum Waren- und Dienstleistungshandel der genannten Freihandelsabkommen haben im Vergleich zum WTO-Recht kaum Änderungen erfahren und verweisen häufig sogar auf die dort getroffenen Regelungen und Ausnahmebestimmungen. Zollverpflichtungen mögen grundsätzlich, aber nicht mit Blick auf die Umweltverträglichkeit eines Produkts, abgesenkt werden. Auch diese Abkommen erlauben keine privilegierte Behandlung von Umweltgütern gegenüber ihren konventionellen Geschwisterprodukten, womit Anreize zum Handel besonders mit diesen nicht geschaffen werden. Ein gemeinsames Ziel in Bezug auf die Entwicklung der CO2-Emissionen zwischen den Parteien findet sich genau so wenig wie andere konkretisierte Umweltziele, die gemeinsam erreicht werden sollen. Kann es zwar durchaus als Meilenstein bezeichnet werden, dass in diesen Handelsabkommen menschen- und umweltrechtliche Fragen überhaupt adressiert werden, so ist der konkrete Regelungsgehalt und damit das transformative Potential dieser Verträge eher gering.
Handelsrecht im Dienste der Nachhaltigkeit
Aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes ist es daher umso wichtiger, dass mit dem ACCTS nun ein Vertragstext vorliegt, der ein neues Kapitel im Handelsrecht aufschlägt und dieses in den Dienst der Nachhaltigkeit stellt. Denn eine konsequente Umsetzung bedeutet ein erhebliches Potential für beide Bereiche: so böte die Etablierung eines sozial-ökologischen Marktes neben dem konventionellen Markt Wettbewerbschancen für Volkswirtschaften, die menschen- und umweltverträgliche Produkte handeln. Zugleich würde ein nachhaltiger Warenhandel erhebliche Chancen für die Nachhaltigkeitstransformation eröffnen, wenn die Marktanteile solcher Produkte wachsen, deren Produktion mit menschen- und planetaren Bedürfnissen und Grenzen in Einklang stehen.
Wie geht das ACCTS nun konkret vor, um seiner Zielsetzung Rechnung zu tragen? Es reguliert vier große Bereiche: Handel mit Umweltgütern, Handel mit Umweltdienstleistungen, Subventionen für fossile Brennstoffe und Ecolabelling. Es ist damit im Vergleich zu klassischen Handelsabkommen deutlich übersichtlicher gestaltet und konzentriert sich auf wesentliche Eckpfeiler: Der Handel mit Umweltgütern und Umweltdienstleistungen soll gefördert werden, Subventionen für Brennstoffe reguliert und abgeschafft und durch gemeinsame Ecolabelling-Standards mehr Transparenz für nachhaltige Produkte befördert werden.
Kernstück des Abkommens bildet der Abschnitt über den Handel mit Umweltgütern – definiert als solche, die einen Beitrag zur Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen, klimaresilienten, zirkulären und nachhaltigen Wirtschaft leisten. Ein Anhang beschreibt präzise die rund 300 Güter, die diese Charakteristika erfüllen sowie ihren jeweiligen Umweltbeitrag, beispielsweise Recyclingpapier oder Windturbinenkomponenten. Der Handel mit diesen Gütern soll gefördert werden, insbesondere durch die Aufhebung von Import- und Exportzöllen. Ähnlich sollen auch für Dienstleistungen, die der Umwelt dienen, wie etwa aus dem Architektur- oder Ingenieurswesen, die Marktzugangsbedingungen verbessert werden. Die Parteien haben hier individuelle Verpflichtungen übernommen, um den Handel zu intensivieren.
In Bezug auf Subventionen ist es Ziel des Abkommens, diese für fossile Energieträger zu disziplinieren und letztlich zu eliminieren. Die Parteien listen dafür ihre Subventionen für diese Güter auf, verpflichten sich dazu, keine neuen einzuführen und die gelisteten abzubauen. Zu diesen Gütern gehören insbesondere Kohle, Öl und Gas, nicht jedoch Produkte, die mithilfe solcher Brennstoffe hergestellt werden. Im Bereich des Ecolabelling haben die vier Staaten sich auf gemeinsame Standards für transparente und aussagekräftige Labels verständigt.
Das Abkommen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung hin zu einem nachhaltigen Handelsrecht. Bemerkenswert ist die Offenheit für andere Vertragsparteien, die eingeladen werden, dem Abkommen beizutreten sowie die Bekundung zur Weiterentwicklung des Abkommens durch die Parteien. Die echte Neuerung liegt in der Indienstnahme handelsrechtlicher Instrumente des Marktzugangs, um Umweltgüter und -dienstleistungen zu fördern und ihren Marktanteil zu erhöhen. Gerade in diesem Bereich ist das Handelsrecht dazu geeignet, Transformationsprozesse zu fördern und besonders den Handel mit solchen Produkten zu intensivieren, die Nachhaltigkeitszielen dienen und konventionelle Produkte ersetzen können. Auch das Verbot der Subventionen von fossilen Energieträgern ist so beispielslos. Mögen diese auch nur zwischen den Parteien verboten sein, so ist dies ja bereits ausreichend, um die beteiligten Wirtschaften insgesamt in diesem Bereich subventionsfrei zu machen. Man stelle sich eine ähnliche Vereinbarung mit größeren Staaten vor, der Effekt für das Weltklima wäre durchaus beachtlich. Auch die Verbesserung der Ecolabellingstandards ist ein wünschenswerter Schritt hin zu mehr Transparenz und Verlässlichkeit für Verbraucher, eine informierte Entscheidung treffen zu können.
Die Zukunft des internationalen Handelsrechts im Dienste der Nachhaltigkeit ist mit dem ACCTS ein Stück konkreter geworden. Die Parteien haben Wege aufgezeigt, wie die Verbindung zwischen Handel und Nachhaltigkeit in einem Abkommen umgesetzt werden kann. Statt anderen Staaten Vorgaben zu machen, stellt es einen attraktiven Weg nach vorne dar, gemeinsame Anreize für den grünen Handel zu schaffen, insbesondere durch Zollsenkungen. Darüber hinaus können nicht-tarifärer Handelshemmnisse in den Blick genommen werden, wenn die Parteien sich auf gemeinsame Standards einigen. Mit Partnerländern ließe sich auch über den Abbau von Berichtspflichten für Unternehmen nachdenken, um diese zu entlasten und weitere Anreize für nachhaltige Märkte zwischen Handelspartnern zu schaffen.
Keine Utopie
Gerne wird eingewandt, dass Forderungen nach einem nachhaltigen Handelsrecht utopisch seien. Das ACCTS beweist das Gegenteil, indem es Ziele des Klimaschutzes, der zirkulären Wirtschaft und der nachhaltigen Entwicklung ins Zentrum stellt. Das internationale Handelsrecht kann so einen wichtigen Beitrag leisten, wenn es konsequent mit Blick auf diese notwendigen Ziele hin überarbeitet wird und insbesondere alle Parteien bereit sind, sich auf die Schaffung nachhaltiger Märkte einzulassen.
Passt dieser Ansatz in unsere Zeit, wo es doch zunehmend, um die Erhöhung von Zöllen und nationale Abschottungen geht? Vielleicht liegt hier gerade die Möglichkeit, einen Gegenpol zu schaffen und den Handel mit einer anderen Ausrichtung zu intensivieren, um Produkte zu fördern, die aufgrund ihres Beitrags zur Nachhaltigkeitstransformation eine Perspektive bieten. Die Weiterentwicklung des Handelsrechts zur Unterstützung sozialer, ökologischer und klimaverträglicher Ziele muss in Zeiten der spürbaren Folgen des Klimawandels und der Umweltkrise als ein wichtiges Instrument in den Blick genommen werden. Es muss gehandelt werden und deswegen muss auch anders gehandelt werden.