Alles unter Verschluss
Zur Rolle von Verschlusssachen bei der Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie
Am 12. Dezember 2020 gelangte der bislang geheim gehaltene Referentenentwurf zur Umsetzung der europäischen Whistleblowing-Richtlinie (2019/1937) (WBRL) an die Süddeutsche Zeitung. Wenngleich der genaue Wortlaut des Entwurfs noch nicht öffentlich bekannt ist, scheint eines festzustehen: Hinweise von Whistleblowern bezüglich Verschlusssachen sollen pauschal vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen bleiben. Damit übernähme der deutsche Gesetzgeber den bereits in Art. 3 Abs. 3 lit. a der Whistleblowing-Richtlinie angelegten Ausschluss von Verschlusssachen.
Es ist zwar gut, dass das BMJV den Rechtsschutz der WBRL, verfassungsrechtlichen Warnungen entsprechend, auch auf Meldungen bezüglich nationaler Rechtsverstöße ausweiten möchte; sonderlich ambitioniert ist der Referentenentwurf trotzdem nicht. Denn mit einem pauschalen Ausschluss von Verschlusssachen würde der deutsche Gesetzgeber implizit weiterhin für besonders schutzwürdig erklären, was rechtsstaatlich hochbedenklich ist: Geheimnisschutz für Rechtsbrüche. In der Praxis würde die Effektivität des Schutzes von Hinweisgebern in staatlichen Behörden hierdurch massiv untergraben. Ein besserer, mutigerer Weg ist möglich: Die Einsetzung eines Bundestransparenzbeauftragten.
Whistleblowing im öffentlichen Dienst nach aktueller Rechtslage
Aktuell sind die Voraussetzungen, unter denen Beamte und andere Angehörige des öffentlichen Dienstes Rechtsverstöße und Missstände extern melden oder offenlegen dürfen, nicht abschließend gesetzlich geregelt, sondern ergeben sich im Wesentlichen aus der Rechtsprechung. Den Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung bildet eine Affäre um verfassungswidrige Abhöraktivitäten deutscher und alliierter Geheimdienste. Aufgedeckt wurden sie durch Werner Pätsch, den “Snowden der Sechziger”, einen angestellten Mitarbeiter im gerade gegründeten Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Pätsch war als Sachbearbeiter in der Spionageabwehr tätig. Dort beobachtete er, wie das BfV mit den britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten kooperierte, um – unter Verletzung des Brief- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) – Bundesbürger und Ausländer auszuspähen. Pätsch hatte seine Bedenken im Vorhinein gegenüber einem Vorgesetzten geäußert. Dieser wies ihn trotz der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen an, sich weiterhin an ihnen zu beteiligen und Stillschweigen zu wahren. Deshalb wendete Pätsch sich im Jahr 1963 an seinen Anwalt Josef Augstein. Dieser bestätigte ihm gegenüber die Verfassungswidrigkeit der beobachteten Praktiken. Pätsch legte die Vorgänge daraufhin gegenüber der Presse offen. Werner Pätsch war ein Whistleblower.
Seine Geschichte ist zum einen eine Parabel auf die nationalsozialistischen Verstrickungen des jungen bundesrepublikanischen Staatswesens. Pätschs unmittelbarer Vorgesetzter war der ehemalige SS-Hauptsturmführer und bekennende Nationalsozialist Erich Wenger. Pätschs Ankläger, der Bundesanwalt Walter Wagner, war als Oberstaatsanwalt an einem Sondergericht im besetzten Posen tätig gewesen und Mitglied des Vereins zur Wiedereinführung der Todesstrafe e.V.
Bis heute begründet dieser historische Hintergrund die für Whistleblowing im öffentlichen Dienst maßgebliche Rechtsprechung zum Straftatbestand der Verletzung von Dienstgeheimnissen (§ 353b StGB). Der Bundesgerichtshof verurteilte Wenrer Pätsch in seinem Urteil vom 8. November 1965 (8 StE 1/65 –, BGHSt 20, 342-383) wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen: Aus dem Begriff des Staatsgeheimnisses (heute in § 93 Abs. 1 StGB legaldefiniert) folge, dass Geheimnisse grundsätzlich auch dann durch das Strafrecht geschützt würden, wenn sie sich auf rechtswidrige Aktivitäten des Staates bezögen (Rn. 212). Aus den in solchen Konstellationen widerstreitenden Interessen – der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem tatbestandlich geschützten staatlichen Geheimhaltungsinteresse – ergebe sich, dass Hinweisgeber im öffentlichen Dienst, die auf Rechtsverstöße aufmerksam machen möchten, zunächst auf das „unschädlichste Mittel“ (Rn. 235) zurückgreifen müssten. Um eine Strafbarkeit gemäß § 353b StGB zu vermeiden, müsse sich ein Amtsträger vor einer Offenlegung deshalb vorrangig um interne Klärung bemühen, indem er auf dem ordentlichen Dienstweg jede einzelne Eskalationsstufe der staatlichen Hierarchie erklimmt – von seinem unmittelbaren Vorgesetzten bis hin zum zuständigen Minister. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz könne allenfalls bei „schweren“ Verstößen gegen die verfassungsmäßige Ordnung zugestanden werden. Der Senat nahm zugunsten Pätschs zwar die Verfassungswidrigkeit der aufgedeckten Verstöße an. Er war aber der Auffassung, dass diese in der Sache jedenfalls nicht schwer genug wögen, um eine Offenlegung zu rechtfertigen. Mit Beschluss vom 28. April 1970 (1 BvR 690/65) wurde diese Rechtsprechung– wohl auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges – vom Bundesverfassungsgericht dem Grunde nach bestätigt. Damit stand die sogenannte „Stufentheorie“ für Whistleblowing im öffentlichen Dienst fest.
Bis heute wird an dieser „Theorie” festgehalten. Gesetzlich lebt sie insbesondere in der beamtenrechtlichen Dienstweg- (§ 36 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG, § 125 BBG) und Verschwiegenheitspflicht (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, § 67 Abs. 1 Satz 1 BBG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe etwa BVerwG, Urteil v. 25.02.1971, 2 C 11/70, BVerwGE 37, 265) fort. Ausnahmen wurden seither nur auf europäischen Druck hin für externe Meldungen von Korruptionsstraftaten geschaffen (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtStG, § 67 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BBG). Zudem steht Mitarbeitern der Nachrichtendienste mittlerweile gemäß § 8 PKGrG das Recht zu, sich in dienstlichen Angelegenheiten unmittelbar an das Parlamentarische Kontrollgremium zu wenden– allerdings ohne dass sie hierbei von ihrer Pflicht zu internen Meldung gegenüber ihrer Behörde befreit wären oder einen inhaltlich robusten Anspruch auf Vertraulichkeit oder sonstige effektive Schutzmechanismen hätten.
Damit besteht bis heute für Hinweisgeber im öffentlichen Dienst kaum eine Möglichkeit, einen behördlichen Rechtsverstoß zur Kenntnis einer unabhängigen Stelle zu bringen, ohne eine eigene Strafbarkeit zu riskieren. Wenden sie sich wiederum, wie gefordert, zunächst an interne Stellen, müssen sie damit leben, dass sie vom Zeitpunkt ihrer Meldung an zur Zielscheibe möglicher Repressalien der für das gemeldete Verhalten Verantwortlichen werden.
Das Schicksal der Stufentheorie nach der Whistleblowing-Richtlinie
Die Europäische Whistleblowing-Richtlinie schafft die „Stufentheorie“ auch für Whistleblowing im öffentlichen Dienst ab.
Dreh- und Angelpunkt des persönlichen Anwendungsbereichs der Whistleblowing-Richtlinie ist der unionsrechtliche Arbeitnehmer-Begriff, der auch Beamte erfasst (Art. 4 Abs. 1 lit. a WBRL). Innerhalb ihres sachlichen Anwendungsbereichs, der Verstöße gegen bestimmtes Unionsrecht umfasst, stellt die Richtlinie – anders als die deutsche Rechtsprechung – internes und externes Whistleblowing explizit gleich (Art. 10 WBRL). Sie lässt auch ausdrücklich direkte Offenlegungen, also das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen, unter deutlich liberaleren Voraussetzungen als die deutsche Rechtsprechung zu (Art. 15 Abs. 1 lit. b WBRL).
Allerdings schließt die Richtlinie Angelegenheiten der nationalen Sicherheit (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 WBRL) sowie sämtliche als Verschlusssachen eingestufte Sachverhalte (Art. 3 Abs. 3 lit. a WBRL) von ihrem Anwendungsbereich aus. Hintergrund dieser Bestimmungen waren in erster Linie keine inhaltlichen Erwägungen, sondern die Wahrung der zwischen Union und Mitgliedstaaten bestehenden Kompetenzordnung.
Dies bedeutet, dass ein effektiver Schutz von Personen, die rechtswidrige Zustände im Zusammenhang mit als Verschlusssache eingestuften Vorgängen melden oder offenlegen, auch in Zukunft nicht bestehen wird, sofern ein Mitgliedstaat sich der Thematik nicht selbst widmet. Eben diese inhaltliche Beschäftigung scheint bei der Erstellung des BMJV-Entwurfs nun unterlassen worden zu sein. Dies würde im öffentlichen Dienst vor dem Hintergrund der hierzulande gängigen Verschlusssachenpraxis einen empfindlichen blinden Fleck des künftigen Gesetzes produzieren.
Die exzessive Verschlusssachen-Einstufungspraxis in Deutschland
Deutsche Behörden sind dafür bekannt (siehe etwa hier, hier, oder auf S. 27 hier), übermäßig viele Angelegenheiten als Verschlusssachen einzustufen. Die Einstufungen stellen sich nicht selten als rechtlich unbegründet heraus. Angesichts der „großen Zahl“ von Verschlusssachen traut sich die Bundesregierung noch nicht einmal zu, deren Einstufung statistisch zu erfassen, da dies nur mit einem „unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand“ zu bewerkstelligen wäre. Das maßgebliche Sicherheitsüberprüfungsgesetz und die nachgeordnete „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VS-Anweisung)“ bieten keine effektive, regelmäßige und unabhängige Kontrolle der behördlichen Einstufungspraktiken dahingehend, ob die in § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG definierten Voraussetzungen – also insbesondere die materielle Geheimhaltungsbedürftigkeit zur Wahrung des öffentlichen Interesses – erfüllt sind. Zwar sieht § 8 VS-Anweisung vor, dass bei einigen Behörden des Bundes, die mit VS-VERTRAULICH (die Einstufungsgrade sind in § 4 Abs. 2 SÜG definiert) oder höher eingestuften Verschlusssachen arbeiten, ein Geheimschutzbeauftragter bestellt wird. Zu dessen Aufgaben gehören gemäß § 14 VS-Anweisung auch stichprobenartige Kontrollen. Die in der Praxis häufigste Geheimhaltungsstufe „VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 SÜG) wird hiervon jedoch nicht erfasst. Der Geheimnisschutzbeauftragte ist außerdem in der behördlichen Struktur gefangen. Ihm fehlt daher die nötige Unabhängigkeit. Hinzukommt, dass seine Stellung formell-gesetzlich nicht abgesichert ist.
Damit bestünde mit einer Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie, wie das BMJV sie vorschlägt, die Möglichkeit – und angesichts der kaum existenten institutionellen Kontrolle auch der Anreiz – “illegale” Geheimnisse durch die Einstufung als Verschlusssache gegen Whistleblowing zu immunisieren und so effektiv unter den sprichwörtlichen Teppich zu kehren.
Nach einem Einstufungsakt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG stünde ein Hinweisgeber in einer Behörde, da die Regeln der WBRL nicht einschlägig wären, also wieder wie Werner Pätsch im Jahre 1963 da. Gerade in den Bereichen, in denen Whistleblowing am wichtigsten ist – Fällen von Rechtsbrüchen in den sensibelsten Bereichen unseres Rechtsstaats – ginge die Intention der Richtlinie, einen Beitrag zur Rechtsdurchsetzung zu leisten, damit ins Leere.
Ein mutigerer Weg
Ein mutigerer Weg, sich diese Ziele zu eigen zu machen, wäre es, das Postulat umzusetzen, das der Jurist und SPD-Politiker Adolf Arndt schon im Jahre 1966 in Bezug auf das Pätsch-Verfahren formulierte: „Für einen Rechtsstaat [ist es] schlechthin eine Selbstverständlichkeit, daß schutzwürdig einzig ein Geheimnis sein kann, das nicht nur mit seiner Verfassung, sondern überhaupt mit seinem Recht in Einklang steht.“
Eine wirklich konsequente Umsetzung der WBRL würde das rechtsstaatliche Bekenntnis widerspiegeln, dass illegale Geheimnisse des strafrechtlichen Schutzes prinzipiell nicht würdig sind. Soweit hier überhaupt ein schutzwürdiges staatliches Geheimhaltungsinteresse besteht, kann es das gesellschaftliche Aufklärungsinteresse und die Meinungsfreiheit eines Hinweisgebers jedenfalls nicht so drastisch überwiegen, dass es pauschal mit dem schärfsten Schwert des Rechtsstaats zu verteidigen wäre.
Juristische Anhaltspunkte für die Kontrollierbarkeit von Verschlusssachen finden sich in der IFG-Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: In einem Urteil vom 29.10.2009 (BVerwG 7 C 21.08) entschied das Gericht etwa, dass der auf Verschlusssachen bezogene Ausschluss-Tatbestand (§ 3 Nr. 4 IFG) nicht so ausgelegt werden könne, dass schon die formelle Einstufung als Verschlusssache genüge, um ein IFG-Begehren pauschal auszuschließen. Stattdessen komme es auf die materielle Richtigkeit der Einstufung als Verschlusssache an. Diese könne in einem in-camera-Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO überprüft werden (Rn. 15). Damit wird reflektiert, dass die Informationsfreiheit des Antragstellers nur zurücktritt, wenn der Staat tatsächlich ein hinreichendes materielles Geheimhaltungsinteresse in Bezug auf die in der Verschlusssache eingestuften Sachverhalte hat.
Auch einem Whistleblower im öffentlichen Dienst muss es im Zuge seiner Meldung möglich sein, inzident überprüfen zu lassen, ob der von ihm als rechtswidrig eingeschätzte Sachverhalt die Einstufung als Verschlusssache – und damit den Ausschluss vom Schutz der WBRL – verdient. Hierzu könnte der Gesetzgeber bei der Umsetzung der WBRL an einen rechtspolitischen Vorschlag anknüpfen, der bereits 2013 von der Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten und 2016 von der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgebracht wurde:
Vorgeschlagen wurde, eine unabhängige Kontrollinstanz zu schaffen, um die rechtsstaatlich sensible Einstufungspraxis der Behörden zu kontrollieren. Sie sollte mit der Befugnis ausgestattet werden, stichprobenartig in angemessenen Zeitabständen unangekündigte Kontrollen durchzuführen, ob Informationen ungerechtfertigt als Verschlusssachen eingestuft sind – etwa weil sie sich auf rechtswidrige Praktiken beziehen – und diese Einstufung dann aufheben. Ein solcher „Bundestransparenzbeauftragter“ könnte dann im Hinweisgeberschutzgesetz für Meldungen in Bezug auf Verschlusssachen, abweichend von sonstigen Meldungen, als zuständige externe Meldestelle benannt werden. Er würde dann, bevor das übliche, in Kapitel III der WBRL umschriebene externe Meldeverfahren seinen Gang nimmt, zunächst inzident überprüfen, ob die Verschlusssache tatsächlich materiell geheimhaltungsbedürftig ist. Dies wäre regelmäßig nicht der Fall, wenn die Verschlusssache evident rechtswidrige Vorgänge enthält und ihre Geheimhaltung damit nicht im öffentlichen Interesse läge (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG). Ungerechtfertigte Einstufungen könnte der Bundestransparenzbeauftragte aufheben. Dann wären die regulären Meldemöglichkeiten und –verfahren der WBRL eröffnet.
Eine solche Lösung respektierte einerseits durch die Einschaltung einer geschulten und sensibilisierten Stelle den erhöhten Schutzbedarf von Verschlusssachen. Andererseits vermiede sie es, die eigentlich überwundene Stufentheorie im öffentlichen Dienst zu konservieren und Whistleblower zum Schutze „illegaler“ Geheimnisse zu bestrafen. So würden fortan nicht nur die Werner Pätschs und Edward Snowdens dieser Welt den Rechtsschutz genießen, den sie verdienen. Auch das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung und Durchsetzung geltenden Rechts wäre hiermit gedient. Bliebe es hingegen beim gegenwärtigen Vorschlag des BMJV, wäre es ein Leichtes, Rechtsverstöße vor einer Aufdeckung durch Hinweisgeber zu schützen: Man müsste den entsprechenden Vorgang schlicht zur Verschlusssache erklären lassen und schon wäre der Anwendung eines zukünftigen Hinweisgeberschutzes ausnahmslos der Riegel vorgeschoben.
Sehr geehrter Herren Brockhaus, Gerdemann und Thönnes,
Sie zitieren zwar den SPD-Bundestagsabgeordneten Adolf Arndt, der sich tatsächlich zu dem Pätsch-Urteil des BGH vom 8. November 1965 geäußert hatte, allerdings schon seit Beginn der 1950´er Jahre an einer Reform der Vorschriften für den Landesverrat gearbeitet hatte ((vgl. BT-Drs. I/563 vom 15. Februar 1950; RegEntw. BT-Drs. I/1307 vom 04. September 1950; BT-PlPr. I/158, S. 6297 v. 09.07.1951; BGBl. 1951 I S. 739 vom 31. August 1951). Dabei hat er sich von dem Fall des Herausgebers der „Weltbühne“ und späteren Friedensnobelpreisträgers Carl v. Ossietzky leiten lassen, der im November 1931 durch das Reichsgericht in Leipzig aufgrund eines Berichts über illegale, den Versailler Vertrag verletzende Luftfahrtrüstung („Gänse und Krieger“) zu 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war (s. BT-PlPr. I/158, S. 6325 vom 09. Juli 1951; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 03. Dezember 1992 – BGH StB 6/92 – NJW 1993, 1481).
Was Sie in Ihrer Betrachtung interessanter wie fataler Weise vergessen, ist die vor allem aufBetreiben von Arndt in 1968 durch gesetzte Änderung der Strafrechtsvorschriften für den Landesverrat, §§ 92 ff. StGB. Diese Änderung ist eine als unmittelbar zu verstehende Reaktion des Gesetzgebers auf die damals in Öffentlichkeit und Politik in die Kritik geratene Verurteilung des Werner Pätsch durch die BGH.
Das 8. StRÄndG von 1968 spiegelt diesen gesellschaftlichen Diskurs und ist insoweit auch als Reaktion der Politik auf das Urteil des BGH zu verstehen, bestätigt es also keineswegs in Gänze. Vielmehr wurden daraufhin über einen politischen Kompromiss der großen Koalition von CDU/CSU und SPD die §§ 93 ff. StGB mit den hier besonders interessierenden §§ 93 Abs. 2, 97a und 97b StGB zum Umgang mit „illegalen Staatsgeheimnissen“ neu in das Gesetz eingeführt bzw. § 353b StGB abgeändert (BT-Drs. V/102 vom 08. Dezember 1965 (Antrag der Fraktion SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des StGB); BT-Drs. V/898 vom 05. September 1966 [Gesetzentwurf der Bundesregierung für das achte Strafrechtsänderungsgesetz / 8. StRÄndG]; BT-Drs. V/2860 vom 09. Mai 1968 [schriftl. Bericht Sonderausschuss Strafrechtsreform]; BT-PlPr. 05/177 vom 29. Mai 1968; 8. StRÄndG vom 25. Juni 1968, BGBl. 1968 I S 741). Hierbei ist die Vorschrift des § 93 Abs. 2 StGB über illegale (Staats-) Geheimnisse zu den „zwischenstaatlich vereinbarten Rüstungsbeschränkungen“ unmittelbar auf den Fall des Carl v. Ossietzky zurückzuführen, während der § 97b über den „Verrat in der irrigen Annahme eines illegalen Geheimnisses“ eine Lösung zu der als unbefriedigend empfundenen Verurteilung des Werner Pätsch durch den BGH beschreibt.
§ 93 Abs. 2 StGB formuliert dabei einen Tatbestandsausschluss bei scherwiegenden Verstößen, d.h. die weitgehende Straflosigkeit der Offenlegung schwerwiegender illegaler Geheimnisse unter den in § 97a StGB beschriebenen Voraussetzungen, dass ein Schutz gegen Landesverrat nur noch in den Fällen der heimlichen und unmittelbaren Weitergabe illegaler Geheimnisse an eine fremde Macht gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 1 sowie der entsprechenden Ausspähungsfälle des § 96 Abs. 1 i.V.m. § 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB besteht (vgl. BT-Drs. V/2860 vom 09. Mai 1968, S. 16 [schriftl. Bericht Sonderausschuss Strafrechtsreform]). Der Abgeordnete Dr. Arndt (SPD) äußert sich dazu wie folgt:
„Ein illegales Staatsgeheimnis ist etwas, was es nicht gibt; denn es ist ein Widerspruch in sich. Wo schwere Illegalität vorliegt, d. h. wo ein schweres Unrecht geschieht, gibt es eben kein Geheimhaltungsbedürfnis und kein Geheimhaltungserfordernis. … das, was gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und was gegen Rüstungsbeschränkungen, die völkerrechtlich von uns übernommen sind, verstößt, sind keine Staatsgeheimnisse — das heißt auf gut deutsch: darüber kann jeder reden, schreiben, publizieren, soviel er will“
(BT-PlPr. 05/177 v. 29. Mai 1968, S. 9536 f.; vgl. auch § 99a Abs. 5 Reg. Entwurf, BT-Drs. V/898 v. 09. Mai 1966).
Sie erkennen nun in Ihrem Blog-Beitrag gar nicht die Relevanz des § 97b Abs. 2 StGB für das grundsätzliche Recht zur Offenlegung illegaler Staats-, Amts- und Dienstgeheimnisse. Das ist erstaunlich.
§ 97b Abs. 2 StGB besagt das Folgende:
“(2) War dem Täter als Amtsträger oder als Soldat der Bundeswehr das Staatsgeheimnis dienstlich anvertraut oder zugänglich, so wird er auch dann bestraft, wenn nicht zuvor der Amtsträger einen Dienstvorgesetzten, der Soldat einen Disziplinarvorgesetzten um Abhilfe angerufen hat. Dies gilt für die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten und für Personen, die im Sinne des § 353b Abs. 2 verpflichtet worden sind, sinngemäß.”
Der Gesetzgeber äußert sich dazu im Gesetzgebungsverfahren wie folgt:
„Beamte, Soldaten und besonders verpflichtete Personen im Sinne der § 353 b Abs. 2, § 353 c Abs. 2 StGB i. d. AF müssen sich an ihre Dienst- bzw. Disziplinarvorgesetzten wenden, bevor sie echte Staatsgeheimnisse preisgeben. Ihnen wird zugemutet, Bedenken primär ihren Vorgesetzten mitzuteilen.“
(BT-Drs. V/2860 vom 09. Mai 1968, S. 21 [schriftl. Bericht Sonderausschuss Strafrechtsreform])
Das ist die klare Aufhebung der sog. “Stufentheorie” des BGH, das gilt in Anbetracht des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch im Anwendungsbereich des § 353b StGB. Es wäre ja absurd und für niemanden nachvollziehbar, an die Offenlegung “einfacher” illegaler Amts- und Dienstgeheimnisse strengere Maßstäbe zu legen als an die von Staatsgeheimnissen. Genau davon gehen Sie aber offensichtlich aus.
Es sei Ihnen zugestanden, dass sich das BVerfG in seinem Pätsch-Urteil vom 28. April 1970 maximal unklar zur Stufentheorie geäußert hat, indem es einerseits ausdrücklich sagt, dass es über die verfassungsgemäßheit nichts feststellen kann und will, zugleich aber die Stufentheorie mit eskalierenden Meldeschritten bis hin zum parlamentarisch verantwortlichen Minister in abgewandelten Worten “empfiehlt” (BVerfG, Beschluss v. 28 April 1970 [Pätsch] – 1 BvR 690/65 – BVerfGE 28, 191 –, zu B.II.4 der Gründe). Maßgeblich zu beachten ist hier das Modaladverb „anzusinnen“ zu beachten, das indes weithin offenbar übersehen oder nicht verstanden wird. Denn darunter ist lediglich ein in der Zumutbarkeit begrenztes „Gesuch“ oder eine „Bitte“ (!) zu verstehen). In der etwas verklausulierten und damals schon antiquierten Wortwahl steckt die Anerkennung der seinerzeit neuen und nach intensiver politischer Debatte eingeführte Regelung des § 97b Abs. 2 StGB. Diese Vorschrift steht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verbindlichen Vorgaben für weitergehende Meldeschritte klar entgegen.