23 September 2024

Prostitution verkauft sich (auch mit Verbot)

Zum Vorschlag der Einführung einer allgemeinen Freierstrafbarkeit

Prostitution ist ein gesellschaftlich breit etabliertes „Phänomen“, für das sich bereits in der Bibel zahlreiche Hinweise finden lassen. Als ein wirtschaftlicher Bereich, der sich überwiegend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung vollzieht, ist Prostitution besonders anfällig für Fremdbestimmung und Ausbeutung. Und damit auch für kriminelle Akteure. Um identifizierte menschenunwürdige Zustände zu beenden, hat die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag im Februar dieses Jahres unter anderem beantragt, eine „allgemeine Freierstrafbarkeit einzuführen und den Kauf sexueller Dienstleistungen im Grundtatbestand als Vergehen zu ahnden“ (siehe Nr. 1 des Maßnahmenkataloges).

Begegnet wird damit einer auch wissenschaftlichen Tendenz, die Inanspruchnahme bezahlter sexueller Dienstleistungen nicht bloß einer stärkeren staatlichen Kontrolle zu unterwerfen, sondern vielmehr durch „Freierabschreckung“ gänzlich zu unterbinden. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der heute Gegenstand einer öffentlichen Sachverständigenanhörung durch den Familienausschuss im Bundestag sein wird, erscheint bezogen auf seine Motivation, „Menschenhandel und Zwangsprostitution“ einzudämmen, nachvollziehbar.

Die rechtliche Umsetzung wird durch die Kriminalisierung von Freiern jedoch eine bedeutende Zusatzbelastung für die Justiz und keine wirksame Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Prostituierten nach sich ziehen. Das zeigt ein Blick auf die Diskussion zu diesem Thema in Frankreich und auf das sogenannte „Nordische Modell“. Um die Bedingungen für die in der Prostitution tätigen Personen wirksam zu verbessern, sollte vielmehr in den Ausbau von Beratungsangeboten und die Durchsetzung bestehender Straftatbestände investiert werden.

Zur rechtlichen Einordnung von Prostitution in Deutschland

Ausgehend von § 1 Abs. 1 des Prostitutionsgesetzes (ProstG), lässt sich unter Prostitution die Vornahme sexueller Handlung gegen ein vorher vereinbartes Entgelt verstehen. Entgelt meint entweder einen bestimmten (greifbaren) Geldbetrag oder eine sonstige geldwerte Leistung (vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 59). §2 Abs. 2 des Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (ProstSchG) aus dem Jahr 2016 (BGBl. I S. 2372) definiert Prostituierte als Personen, die sexuelle Dienstleistungen erbringen. Eine sexuelle Dienstleistung liegt jedenfalls nicht in einer Vorführung mit „ausschließlich darstellendem Charakter“ (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2), was etwa „Table-Dance“-Darbietungen erfasst. Gleichwohl ist der Begriff nach der Auffassung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 59) sehr weit zu verstehen, setzt also nicht zwingend einen unmittelbaren körperlichen Kontakt zwischen den beteiligten Personen voraus.

Das ProstG, welches im Jahr 2002 in Kraft trat (BGBl. I S. 3983), wurde nicht geschaffen, um die rechtliche Zulässigkeit von Prostitution zu begründen. Es sollte vielmehr eine bereits legale Tätigkeit prostituiertenfreundlicher ausgestalten. Das galt zum einen bezogen auf die Frage, ob ein Anspruch auf das vereinbarte Entgelt für eine sexuelle Leistung tatsächlich durchsetzbar besteht. Die Rechtsprechung betrachtete die zwischen einem Freier und einer Prostituierten getroffene Vereinbarungen nämlich regelmäßig als sittenwidrig i. S. d. § 138 I BGB und mithin nichtig.

Zum anderen wurde durch das ProstG auch der § 180a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB a. F. abgeschafft. Dieser stellte zuvor das Schaffen einer Arbeitsatmosphäre, welche etwa über das „bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt“ hinausging, als „Förderung“ der Prostitutionsausübung unter Strafe. Diese Streichung diente dazu, Prostituierten den Zugang zum Sozialversicherungssystem zu erleichtern: Bordellbetreiber mussten keine Strafverfolgung mehr fürchten, wenn sie an sich sozialversicherungspflichtig beschäftigte Prostituierte der Sozialversicherung meldeten.

Aus der nach § 35 ProstSchG jährlich zu erhebenden Bundesstatistik geht hervor, dass zum Ende des Jahres 2023 ca. 30.600 Personen als Prostituierte in Deutschland ordnungsgemäß angemeldet waren. Wie viele Personen in Deutschland sexuelle Dienstleistungen allerdings tatsächlich anbieten, lässt sich nur mutmaßen. Auszugehen ist von einer hohen Dunkelziffer, wobei der überwiegende Anteil nicht Träger der deutschen Staatsbürgerschaft ist.

Straftaten gegen Prostituierte

Das Bundeskriminalamt (BKA) führt in seinem Bundeslagebild von 2023 unter dem Stichwort „Sexuelle Ausbeutung“ Straftaten wie etwa den Menschenhandel nach § 232 StGB, die Zwangsprostitution (§ 232a StGB), die Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung (§ 233a StGB), die Ausbeutung von Prostituierten (§ 180a StGB) und die Zuhälterei nach § 181a StGB im Zusammenhang mit Prostitution auf.

Das BKA schreibt den Bereich des Menschenhandels der sog. „Kontrollkriminalität“ zu (S. 7). Erfasst werden damit solche Deliktsfelder, „in denen Ermittlungsverfahren typischerweise durch polizeiliche Aktivitäten wie Kontrollen“ und gerade nicht durch selbstständige „Anzeigenerstattung der Opfer“ eingeleitet werden. Das unterstreicht die große Relevanz einer nachhaltigen und konsequenten Aufdeckung und Verfolgung von Verstößen gegen existente Strafgesetze.

Das französische Sexkaufverbot

In Frankreich ist der Sexkauf unter anderem durch das Einfügen eines Art. 611-1 in den Code pénal seit April 2016 unter Strafe gestellt. Mit einer Geldbuße von bis zu 1.500 € wird das erstmalige Ersuchen, Annehmen oder Erhalten sexueller Beziehungen von einer Person bestraft, die sich der Prostitution im Austausch gegen eine (geldwerte) Gegenleistung hingibt. Für den Widerholungsfall ist eine Geldstrafe von 3.750 € vorgesehen (vgl. Art. 225-12-1 Code pénal).

Gegen dieses Verbot wurde gerade aus Reihen der Sexarbeiter:innen Kritik laut. Es bewirke keinerlei Verbesserungen, erhöhe vielmehr z. B. den wirtschaftlichen Druck innerhalb der weiter fortexistierenden Prostitutionspraxis.

Über die Frage, ob das französische Sexkaufverbot mit den Menschenrechten vereinbar ist, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 25.7.2024 geurteilt (M.A. u. a./Frankreich). Die pauschale Freierbestrafung stellte für den EGMR einen Eingriff in das Recht auf Achtung der Privatsphäre, der persönlichen Autonomie und sexuellen Freiheit der Prostituierten, verankert in Art. 8 EMRK, dar. Der Gerichtshof erkannte jedoch legitime Ziele der französischen Regierung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK für das Verbot des Sexkaufs an: Die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Verhütung von Straftaten, den Gesundheitsschutz und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, welche insbesondere durch den mit Sexkauf häufig einhergehenden Menschenhandel bedroht seien.

Der EGMR untersuchte zudem, ob die Verhältnismäßigkeit (raisonnable de proportionnalité) zwischen den legitimen Zielen der französischen Regierung und den Mitteln (Sexkaufverbot) angemessen gewahrt wurde. Er nahm dabei einen großen Ermessensspielraum (ample marge d’appréciation) des französischen Staates an, da sensible ethische und moralische Fragen betroffen seien. Die Prüfung beschränkte sich in dem Fall unter anderem darauf, ob ein gerechtes Gleichgewicht (un juste équilibre) zwischen den Interessen des Staates und den Interessen der betroffenen Personen hergestellt wurde.

Bezogen auf den Vortrag der Antragsteller, das Verbot führe zu Sicherheitsrisiken und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, betont der EGMR, diese Phänomene seien bereits vor der Untersagung des Sexkaufs zu beobachten gewesen. Hervorgehoben wurde zudem, dass die Pönalisierung des Sexkaufs nur einen kleinen Teil eines umfassenden, empirisch sowie rechtsvergleichend reflektierten, Maßnahmenpaketes der französischen Regierung darstelle. Dieses erfasse etwa auch Möglichkeiten zum Ausstieg aus der Prostitution (vgl. Gesetz Nr. 2016-444 vom 13.4.2016). An sich sei Prostitution in Frankreich weiter legal und den Bedenken der Antragsteller bereits im Rahmen des parlamentarischen Prozesses Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Im Ergebnis wurde damit keine Überschreitung des staatlichen Ermessensspielraums festgestellt, ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK verneint. Der EGMR betont allerdings die Aufgabe der französischen Behörden, das Sexkaufverbot stetig neu zu evaluieren. Erste offizielle Berichte (und mögliche Konsequenzen) sind mit Spannung zu erwarten – in den Medien wird jedoch von einer „boomenden“ Zuhälterei und Prostitution in Frankreich gesprochen. Vor dem Hintergrund solcher Berichte ist nicht klar absehbar, ob ein Verbot in Deutschland zur erhofften Eindämmung von Freiertum und insbesondere der Straftaten gegen Prostituierte beitragen kann.

Das „Nordische Modell“

Neben Frankreich kennen etwa auch Schweden, Norwegen und Finnland eine Freierstrafbarkeit, nicht aber eine Illegalität der Prostitution im Allgemeinen (sog. „Nordisches Modell“). Es bietet sich insofern an, auf die dort gesammelten Erfahrungen zu rekurrieren. Die CDU/CSU-Fraktion erkennt das Modell jedenfalls als „Vorbild“ an, um „Missstände[n]“ in der derzeitigen Prostitutionspraxis zu begegnen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat im Jahr 2020 einige Studienergebnisse zusammengetragen, die allerdings insgesamt ein ambivalentes Bild zeichnen und in ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft umstritten sind (siehe dazu auch die Berichterstattung des Deutschlandfunks). Das „Nordische Modell“ ist also nicht automatisch ein Garant für die (präventive) Verhinderung von Straftaten im Zusammenhang mit Prostitution. Der Mangel an großangelegten empirischen Untersuchungen öffnet letztlich Raum für Milieuspekulationen der zivilen und politischen Öffentlichkeit, die etwa von einer Ab- oder Zunahme von Phänomenen wie Prostitution, prostitutionsbegleitendem Menschenhandel, Zwangsprostitution oder Zuhälterei reichen können.

Ob infolge eines Sexkaufverbotes tatsächlich „nur ein kleiner Teil des bisherigen Prostitutionsmilieus bestehen [bliebe], das von der Polizei überwacht werden“ müsste, wie es die Konrad Adenauer Stiftung in einem Analysepapier andeutet, lässt sich in Ermangelung einer klaren Studienlage nicht unterlegen.

Zu begrüßender Ausbau von Hilfsangeboten

Die CDU/CSU-Fraktion fordert neben der Etablierung einer Freierstrafbarkeit ohne Kriminalisierung der Prostituierten selbst und einer Untersagung des Betriebs von Prostitutionsstätten auch den Ausbau von Beratungsangeboten. Dazu gehören neben Ausstiegsangeboten, einer finanziellen Unterstützung von Beratungsstellen und einer „Notfall-Hotline“ für Prostituierte auch Aufklärungskampagnen über Menschenhandel und Zwangsprostitution sowie Schulungen der Träger:innen öffentlicher Ämter (z. B. auch Staatsanwaltschaften und Richter:innen) im Umgang mit traumatisierten Opfern.

Die Motivation, Beratungsangebote auszubauen, wird von der Diakonie Deutschland in einer unaufgeforderten Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion – zurecht – begrüßt. Angeführt wird demgegenüber, die „Strafbarkeit des Sexkaufs sei weder erforderlich noch geeignet, um Frauen, Männer und Transpersonen vor Zwangsprostitution oder Gewalt zu schützen“ (S. 2).

Ähnlich verhält sich die angeforderte Stellungnahme des Deutschen Städtetages, welche die wesentlichen Antragsgegenstände (z. B. das Sexkaufverbot) als „nicht geeignet, teils sogar kontraproduktiv“ bezeichnet. Dazu zählt etwa der Gedanke, dass eine fortbestehende Nachfrage nach einem Verbot zu Prostitutionsangeboten im privaten Bereich führen könnte, welcher für „Hilfsangebote schlechter erreichbar“ sei (S. 5). Hingewiesen wird in dem Zusammenhang auch auf die negativen Erfahrungen mit Sexarbeitsverboten während der Corona-Pandemie (z. B. Zunahme der Gewalt gegen Prostituierte, S. 4). Richte sich zudem das Sexkaufverbot im Ausgangspunkt nur gegen Freier, würden gleichzeitig auch die „Anbietenden in einen kriminellen Kontext gezogen und […] die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen in Kauf“ genommen (S. 8). Das werde etwa nicht jenen Personen gerecht, die „Sexarbeit als Arbeit definieren“.

Auffällig ist, dass der Antrag der CDU/CSU-Fraktion nicht weiter auf das schuldrechtliche Prostituierten-Freier-Verhältnis eingeht. Konkret mangelt es an Gedanken, ob ein Sexkaufverbot auch mit einer Streichung des Entgeltanspruchs nach § 1 S. 1 ProstG einhergehen soll. Bestünde kein rechtlicher Anspruch auf ein Entgelt, würde sich die Lage von Prostituierten in Deutschland noch weiter verschlechtern und die Zunahme von Zuhälterei begünstigen.

Die konsequente Durchsetzung geltenden Strafrechts

Es ist Aufgabe des Staates, Zwangsprostitution und Menschenhandel zu unterbinden und geltendes Strafrecht durchzusetzen. Insofern verfängt etwa der vierte Vorschlag des Antrags der CDU/CSU-Fraktion, „die grundsätzliche Strafbarkeit von Zuhälterei, Ausbeutung von Prostituierten und Menschenhandel […], wirksam zu gewährleisten“.

Eine wirksame Durchsetzung bestehender Strafgesetze erfordert allerdings kein Sexkaufverbot. Ein solches schafft eher zusätzliche Probleme. Es öffnet etwa den Raum für illegale Zuhälterei und verdrängt Prostitution aus öffentlichen Prostitutionsstätten wie Bordellen. Diese können dem Grunde nach jedenfalls ein gewisses Schutzniveau bei der Prostitutionsausübung gewährleisten.

Ressourcen, die in die Strafverfolgung von Freiern investiert werden würden, sollten schnellstmöglich zur Aufdeckung krimineller Zuhälter- und Menschenhandelsstrukturen aufgewendet werden (wie z.B. auch im Stellungnahmepapier der Diakonie (S. 6) vorgeschlagen).