30 August 2024

Antidiskriminierungsrecht verteidigen, nicht nur gegen die AfD

Was antidiskriminierungsrechtlich erkämpft wurde ….

Antidiskriminierungsrecht ist keine Selbstverständlichkeit, es wurde erkämpft. Frauen, Black and People of Color, Juden, Muslime, Menschen mit Behinderungen, queere Menschen haben der Dominanzgesellschaft unter Berufung auf das Menschenrecht der Gleichheit besondere Rechtsgarantien abgetrotzt – Diskriminierungsverbote, Förder- und Teilhabegesetze – um sich selbst ins Recht zu setzen und um ihrer strukturell angelegten Benachteiligung zu entkommen. Einmal erkämpft, ist Antidiskriminierungsrecht ein unabdingbares Mittel, um das politische Versprechen gleicher, selbstbestimmter Teilhabe – und damit eine Gelingensbedingung von Demokratie – tatsächlich durchzusetzen. In Deutschland ist dieses Versprechen noch nicht eingelöst: Es klaffen erhebliche Lücken im Diskriminierungsrechtsschutz und der Ausbau eines flächendeckenden Angebots von Antidiskriminierungsstellen hat erst begonnen. Beides wird nicht nur durch die AfD behindert.

… transformiert die Gesellschaft …

Zum Beispiel in den USA: 1954 schaffte der Supreme Court mit Brown v Board of Education die Segregation an US-amerikanischen Schulen ab, weil sie gegen das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot verstieß. Damit erteilte er auch verbreiteten rassistischen Annahmen eine höchstrichterliche Absage, wonach die niedrige soziale Stellung der Schwarzen in den USA nicht gesellschaftlich gemacht, sondern naturgegeben sei. Tatsächlich musste die inklusive Beschulung erst gegen starke Abwehr durchgesetzt werden.

Aber auch in Deutschland: 1992 erklärte das Bundesverfassungsgericht, es seien „überkommene Rollenverteilungen“ und nicht natürliche Eigenschaften der Geschlechter, „die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen“, und schaffte das sexistisch begründete Nachtarbeitsverbot für Frauen ab – nicht ohne klarzustellen, dass auch „faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen“ nicht durch staatliche Maßnahmen verfestigt, sondern durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden dürfen. Dem Kampf Schwarzer Menschen in Deutschland verdanken wir Gerichtsentscheidungen, die erstmals 2016, klarstellten, dass Racial Profiling gegen das Verbot rassistischer Diskriminierung in Art. 3 Grundgesetz verstößt. Lesben, Schwule, Trans- und Interpersonen kämpfen dafür, dass heute Regenbogenfamilien und nichtbinäre Menschen Rechte haben, an die 1949 noch nicht zu denken war. 2017 in der Dritte-Option-Entscheidung erklärte etwa das BVerfG, dass auch Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG geschützt sind und einen Anspruch auf staatliche Anerkennung ihrer grundrechtlich geschützten Geschlechtsidentität haben. Auch diese antidiskriminierungsrechtliche Grundsatzentscheidung hatte weitreichende rechtliche und gesellschaftspolitische Folgen, am offenkundigsten das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG), das dieses Jahr in Kraft tritt.

… bedroht neurechte Narrative und Traditionen …

Der rechtliche Kampf für ein gutes Leben war damit immer auch ein Kampf gegen überkommene rassistische und patriarchale Traditionen. So ist es ist nicht überraschend, dass die Neue Rechte antidiskriminierungspolitische Errungenschaften lieber heute als morgen abschaffen will. Antifeminismus und Queerphobie verbunden mit Rassismus und Antisemitismus sind fester Bestandteil der neurechten Ideologie: Frauen, die die reproduktive Rolle ablehnen und queere Menschen, die die heteronormative Ordnung (der zufolge Menschen entweder als Mann oder Frau geboren und entsprechend erzogen werden und nur mit dem jeweils anderen Geschlecht sexuelle Beziehungen eingehen) in Frage stellen, sind danach schuld an sinkenden Geburtenraten im Westen, die wiederum Anlass für eine von globalen, kosmopolitischen, Eliten gesteuerte Massenmigration in den Westen seien, die zum Untergang des Abendlands führe – so die Erzählung vom „großen Austausch“.

In dieses neurechte Verschwörungsnarrativ passt es gut, dass es vor allem feministische Jurist*innen und vier Richtlinien der EU waren, die das Antidiskriminierungsrecht in Deutschland etablierten und dazu führten, dass 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft trat. Dabei reagierte die erste, die EU-Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG, auch auf eine Welle rassistischer und antisemitischer Gewalt in Europa in den 1990er Jahre und auf die erste Regierungsbeteiligung einer rechtspopulistischen Partei in der EU – der FPÖ 1999. „Unter dem Einfluss der Europäischen Union“, werde „das fundamentale Prinzip der Privatautonomie in der deutschen Gesetzgebung Schritt für Schritt zerstört“, so hetzt die AfD seit Jahren gegen das AGG und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dass in den Wahlprogrammen der AfD in Brandenburg, Sachsen, Thüringen nichts davon steht, das Antidiskriminierungsrecht aufzuheben, hat nur den Grund, dass es in diesen Ländern keine Landesantidiskriminierungsgesetze (LADG) gibt. In Berlin stellt die AfD regelmäßig Anträge, um das LADG abzuschaffen.

… und steht auf dem Spiel.

In den Wahlprogrammen der AfD-Landesverbände wimmelt es von Versprechen, gleichheitsrechtliche Errungenschaften zurückzunehmen. Unter dem Stichwort „Genderideologie“ sollen Gleichstellungsbeauftragte und Bevorzugungsregeln für Frauen bei gleicher Eignung (fälschlicherweise als „Quotenregelungen“ betitelt) abgewickelt werden. Konkret hieße das, die Frauenfördergesetze der Länder abzuschaffen. Gleichstellungspolitiken zu diffamieren und auf einer „natürlichen“ binären Geschlechterordnung mit traditionellen Rollen zu beharren, richtet sich ausdrücklich gegen Maßnahmen zugunsten der Gleichstellung von Frauen und von Trans-, Inter- und nichtbinären Personen. Für letztere wird es entscheidend auf eine diskriminierungsfreie Umsetzung des SBGG durch die Standesämter ankommen. In Ländern und Kommunen, in denen die AfD und das BSW Einfluss in Politik und Verwaltung haben, kann das schwierig werden.

Auch die schulische Inklusion ist gefährdet. Deutlich ist den Wahlprogrammen zu entnehmen, dass die AfD auf Segregation an Schulen und Kitas setzt. Segregation und Zugang zu staatlicher Daseinsvorsorge anhand ethnischer oder ableistischer Grenzziehungen verstoßen gegen die Schulgesetze der Länder, gegen Diskriminierungsverbote in den Landesverfassungen und in Art. 3 Abs. 3 GG, ebenso wie in völkerrechtlichen Verträgen. Das hält die sächsische AfD nicht davon ab, zu versprechen, den Anteil nichtdeutschsprachiger Kinder in Kita-Gruppen auf maximal 10 Prozent zu begrenzen. „Kinder von Familien ohne dauerhafte Bleibeperspektive sollen“ zudem von den Eltern betreut werden und „bei Bedarf in gesonderten Einrichtungen durch Muttersprachler“, „um bei ihrer Rückkehr in die Heimat keine Nachteile zu erleiden“. Hier wird nur dürftig verschleiert, was das BVerfG in der Entscheidung zur Parteienfinanzierung als verfassungswidrige Rechtsspaltung nach Kultur und Ethnizität herausgearbeitet hat: „die Forderung nach umfassender rechtlicher Besserstellung aller Angehörigen der eigenen [Volks]Gemeinschaft und der Abwertung des rechtlichen Status derjenigen, die dieser Gemeinschaft nicht angehören.“

Auch die schulische Inklusion von Kindern mit Behinderungen lehnt die AfD ab, und setzt sich so in Widerspruch zu den Schulgesetzen der Länder, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, zur UN-Behindertenrechtskonvention (die Deutschland seit 2009 bindet) und zur UN Konvention gegen Rassismus, die seit 1969 geltendes Recht in Deutschland ist. Vor diesem Hintergrund ist ein pauschales Kopftuchverbot für Schüler*innen und Lehrer*innen an Schulen, wie es die AfD ihren Wähler*innen verspricht, zunächst nicht zu befürchten. In allen drei in Rede stehenden Bundesländern gibt es bisher kein Neutralitätsgesetz und sowohl das BVerfG als auch das BAG erlauben Verbote religiöser Symbole nur per Gesetz, nur im Ausnahmefall und niemals pauschal. Ebenso wäre eine Deutschpflicht an Schulen und Kitas, wie sie die AfD auch im Landtagswahlkampf fordert, mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG verfassungswidrig, der Bundestag hat einen solchen Antrag erst kürzlich abgelehnt. Doch wie auch bei der Umsetzung des SBGG entscheidet sich in der Verwaltungspraxis, ob Diskriminierungen gefördert, hingenommen oder bekämpft werden. Deutschpflicht und Gebetsverbote auf Schulhöfen gibt es – obwohl rechtswidrig – auch im liberalen Berlin, nur dass hier mit dem LADG und seiner Ombudsstelle sowie einer starken Zivilgesellschaft antidiskriminierungsrechtliche Instrumente bestehen, um diskriminierende Realitäten zu verändern.

Gefahr nicht nur von rechtsaußen

Landesantidiskriminierungsgesetze, Diversitybeauftragte an Hochschulen (§ 27a Hochschulgesetz Schleswig-Holstein und § 5b Berliner Hochschulgesetz), positive Fördermaßnahmen für Menschen mit Migrationsgeschichte (Partizipationsgesetz Berlin), all das wird man mit der AfD nicht bekommen, das ist klar. Doch die AfD treibt mit ihrer Hetze gegen Antidiskriminierungsrecht, das die Partei in ihren Wahlprogrammen gern als Rassismus gegen Weiße und als Genderideologie diffamiert, letztlich nur auf die Spitze, was konservativer Mainstream auch in anderen Parteien ist. Das wissenschaftlich unhaltbare und seit der zweiten NPD-Entscheidung des BVerfG auch verfassungsrechtlich diskreditierte Extremismusmodell, wonach rechte und linke Extreme eine demokratische Mitte bedrohen, war aus Antidiskriminierungsperspektive schon immer falsch. Antidiskriminierungsrecht lenkt den Blick darauf, dass Diskriminierung normalisiert ist und Ungleichheitsideologien in allen gesellschaftlichen Schichten und vielen politischen Milieus verbreitet sind. Es sind nicht nur völkische, misogyne und transphobe Rechtsextremisten, die Menschen ein würdiges Leben in gleicher Freiheit absprechen. Das Problem sind auch die individuellen und strukturellen Widerstände der Dominanzgesellschaft, die nicht sieht oder nicht sehen will, dass auch sie sich verändern muss, damit alle Menschen die Möglichkeit zu gleicher Teilhabe bekommen. Das bedeutet z.B. alle Kinder gemeinsam zu beschulen, statt sich an einer sozialdarwinistischen Leistungsorientierung auszurichten, die Kinder mit Behinderungen und nicht deutscher Erstsprache in separate Einrichtungen mit zudem schlechterer Ausstattung abschiebt.

Eine schöne Anleitung für demokratische Inklusion findet sich auch in § 2 Berliner Partizipationsgesetz, dort heißt es: „Die Migrationsgesellschaft setzt die Integrationsfähigkeit aller Teile der Bevölkerung voraus. Das Land Berlin sieht die Förderung dieser gesellschaftlichen Integrationsfähigkeit als Daueraufgabe an“. Damit ist ausdrücklich auch die Mehrheitsgesellschaft aufgefordert, sich mit der Realität von Migration und Diskriminierung zu beschäftigen.

Widerstände gegen solche und andere Antidiskriminierungspolitiken sind weit verbreitet. Verbote bzw. Einschränkungen inklusiver und geschlechtergerechter Sprache wurden in Sachsen, in Hessen und anderswo auch ohne die AfD verabschiedet. In der Geflüchtetenunterkunft Berlin-Tegel werden geflüchtete Schüler*innen separat von den regulären Schulen im Rest der Stadt unterrichtet. Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag verbürgte Reform des AGG wird durch die FDP und mit Regierungsbeteiligung der Grünen verschleppt, Deutschland blockiert, gemeinsam mit Polen, seit 18 Jahren die Verabschiedung der 5. EU-Antidiskriminierungsrichtlinie. Polizeigewerkschaften und Kommunalverbände in Baden-Württemberg warnen angesichts eines LADGs für „the Länd“ vor einer „Amerikanisierung des deutschen Rechts“ und vor einem Generalverdacht gegen Behörden und spielen damit eine Klaviatur, die schon die Verabschiedung des AGG begleitete. Diskriminierungsbetroffene werden so als rechtsmissbrauchende und nach Aufmerksamkeit heischende, woke Querulant*innen porträtiert, die den guten deutschen Normalbetrieb stören – ein Narrativ das der AfD nur in die Hände spielt. Dabei erheben vor allem weiße, männliche Personen (ob aus Geschäftssinn, aus Geltungsdrang oder Angst um ihre Privilegien) missbräuchlich Klagen – ohne Erfolg. Denn „Zweck des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist“, in den Worten des BVerfG, „Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung zu schützen“.

In der Realität ist die Rechtsdurchsetzung für diskriminierungsgefährdete Personen oft sehr schwierig. Zumeist hat das mit begrenzten Ressourcen zu tun – Wissen, Zeit, Geld, Kraft – und mit Widerständen, die Menschen erleben, die Diskriminierung thematisieren und ihre Rechte einfordern. Die Umsetzung des Gleichbehandlungsprinzips ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Doch faktisch liegt die Verantwortung häufig einseitig bei den konkreten Betroffenen. Umso wichtiger sind professionelle, niedrigschwellige und wohnortnahe Unterstützungsangebote, die Betroffene beraten und ganz entscheidend zur Etablierung einer Antidiskriminierungskultur in Deutschland beitragen. Die staatliche und zivilgesellschaftliche Antidiskriminierungsberatung auf Landesebene befindet sich noch im Aufbau, dafür wird Deutschland regelmäßig von UN-Ausschüssen gerügt. Gerade in Sachsen ist eine Struktur entstanden, die horizontal und flächendeckend berät und damit bundesweit beispielhaft ist, und die unbedingt erhalten werden muss. Solche Projekte zu fördern und abzusichern, über Förderrichtlinien aller Bundesländer, über Landesantidiskriminierungs- und Demokratiefördergesetze und zuvorderst über das Förderprogramm Respektland, mit dem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2023 bundesweit das zivilgesellschaftliche Beratungsnetz zu Antidiskriminierung ausbaut, – das ist angesichts der rechten Bedrohung zur Zeit einer der dringlichsten Aufgaben. Antidiskriminierungsrecht und Antidiskriminierungsstrukturen wurden erkämpft, sie sind nicht selbstverständlich. Ihr Erhalt und Ausbau sind ein Lackmustest für den Zustand einer Demokratie.


SUGGESTED CITATION  Liebscher, Doris: Antidiskriminierungsrecht verteidigen, nicht nur gegen die AfD, VerfBlog, 2024/8/30, https://verfassungsblog.de/antidiskriminierungsrecht-demokratie/, DOI: 10.59704/f6df812fae0800dc.

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