Arbeitslohn illegaler Einwanderer als „Proceeds of Crime“: ein zauderhaftes Urteil aus Straßburg
Wer illegal nach Europa einwandert, kann offenbar nichts richtig machen: Bezieht man Sozialhilfe, bekommt man Ärger – aber wenn man ehrlich arbeitet, womöglich auch. So ist es dem Ivorer Didier Pierre Paulet in Großbritannien ergangen: Weil er mit einem gefälschten französischen Pass eingereist war, zogen die Behörden sein ganzes, in jahrelanger harter Arbeit verdientes Geld als „Einkünfte aus krimineller Tätigkeit“ ein. Dagegen zog Paulet vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Jetzt ist das Urteil ergangen – und die Lösung, die Straßburg für diesen Fall findet, dürfte niemanden so richtig zufrieden stellen.
Der Kläger, damals 17-jährig, war 2001 mit einem gefälschten französischen Pass nach Großbritannien eingereist, hatte in der Folge in sechs Jahren für drei verschiedene Arbeitgeber gearbeitet und dabei 73.293,17 Pfund brutto verdient.
Doch als Paulet 2007 versuchte eine Fahrerlaubnis zu erhalten, flog er auf: Er kam vor Gericht, gestand absichtlich mit falschen Papieren den englischen Staat getäuscht zu haben und wurde zu 17 Monaten Gefängnis verurteilt.
Doch damit nicht genug. Der Crown Court Luton entschied, dass Paulet die von ihm verdiente Nettosumme von £ 50.000 nur als Folge seines „kriminellen Lebensstils“ erwerben konnte. Insofern seien Paulets verbliebene Ersparnisse in Höhe von £ 21.949,60 infolge des „The Proceeds of Crime Act 2002“ (Gesetz zu Einkünften aus krimineller Tätigkeit; PoCA) zu konfiszieren.Dieses Gesetz ermächtigt den Staat, sämtliche Einnahmen aus krimineller Aktivität einzuziehen. Das soll vor allem Drogenhandel und organisierte Kriminalität weniger attraktiv machen.
Aber auch bei Paulets Arbeitsverdienst sei die Frucht kriminellen Handelns, so der Court of Appeal. Paulet habe zwar ehrlich gearbeitet und somit sei die Erwerbsquelle an sich keine Illegale. Aber diese Arbeit habe er erst durch Täuschung seiner Arbeitgeber mit dem gefälschten Pass erhalten. Sein komplettes Vermögen einzuziehen, sei nicht unverhältnismäßig. Denn dürfte er sein Geld behalten, könnten legale Einwanderer daran Anstoß nehmen, da sie, anders als Paulet, die Mühe auf sich genommen hatten, sich um eine Einreise- und Arbeitsbewilligung
Die EGMR-Kammer gibt Paulet bis zu einem gewissen Punkt Recht und moniert einen Verstoß gegen das Recht auf Eigentum – allerdings mit Gründen und Folgen, die ihm wenig nützen. Der Verstoß liegt in den Augen der Kammer darin, dass der Court of Appeal sich mit der Frage, ob die Einziehung von Paulets Vermögen unverhältnismäßig war, hätte auseinandersetzen müssen. Dass er das nicht getan hat, ist der Kammer eine Entschädigung von 2000 Euro wert. Sein verlorenes Vermögen in mehr als zehnfacher Höhe bekommt Paulet dagegen in Straßburg nicht zurück.
Dass dieser Fall der Kammer Schwierigkeiten bereitet hat, wird offenbar, wenn man die Minderheitsvoten dazunimmt. Die Richterin Kalaydjieva und der Richter Bianku kritisieren am Mehrheitsvotum, dass es vollkommen außer Acht lässt, dass Paulet nichts anderes falsch gemacht hat, als mit einem falschen Pass ehrlich zu arbeiten, und sogar ein Drittel seiner Einnahmen dem Staat in Form von Sozialabgaben und Steuern zurückgezahlt hat. Ihn vollständig zu enteignen und damit um das Ergebnis mehrerer Jahre harter Arbeit zu bringen, nur weil er illegal eingewandert ist, sei völlig unangemessen. Ihrer Ansicht nach, sei schon der PoCA in seinen Voraussetzungen gar nicht erfüllt. Wie genannt, hatte dieser nämlich gerade die Bekämpfung organisierter Kriminalität zum Ziel und der EGMR in diesem Zusammenhang auch bereits über den Fall eines vom UK enteigneten Drogendealers zu entscheiden. Paulets Fall sei aber nicht mit dem eines Drogendealers vergleichbar, falle somit ihrer Ansicht nach aus dem Anwendungsbereich des PoCA, zumindest aber sei eine solch weite Auslegung des PoCA nicht mehr vom Eigentumsschutz der EMRK gedeckt.
Am anderen Ende des Spektrums liegt der EGMR-Richter Wojtyczek: Aus seiner Sicht ist hier entscheidend, dass es sich um Strafrecht handelt. Hier lege die EMRK die Schwelle, ab der das Gericht von einem Menschenrechtsverstoß ausgehen könne, viel höher, und damit könne der Staat auch entsprechend enteignen, ohne dass der EGMR näher überprüfen dürfte, ob dies angemessen war.
Vermutlich gehen die Richter hier aufgrund der Spannungen aus zahlreichen jüngeren Konfliktenzwischen Großbritannien und dem EGMR so vorsichtig vor. So mussten sie wohl befürchten, dass sich die Briten von ihnen noch mehr vor den Kopf gestoßen fühlen könnten. Dass Paulet auch nur zum Teil entschädigt worden ist, war somit z.B. für den Telegraph bereits zu viel und erneuter Beleg dafür, wie sich der EGMR im Vereinigten Königreich einmischt.
Besonders im Fall Paulet musste man außerdem vorsichtig agieren, da hier das Grundrecht auf Eigentum betroffen war. Dass damit sensibel umzugehen ist, da das Eigentum einen wichtigen Wirtschaftsfaktor innerhalb eines Staates bildet, zeigt sich schon daran, dass das Eigentumsrecht als solches nicht von Anfang an Bestandteil der EMRK war, sondern erst nachträglich im Zusatzprotokolldieser eingefügt worden ist. Gerade heute streben die Briten zudem mehr als je zuvor nach größerer Liberalisierung des Binnenmarktes, was die Empfindlichkeit dieser Thematik im europäischen Kontext noch verschärft.
Trotz europäischer Bündnisse obliegt es den Staaten letztlich selbst, in ihren Grenzen für Gerechtigkeit zu sorgen. Der britischen Justiz bietet sich im Fall Paulet nun noch einmal die Gelegenheit hierzu, da sie nach dem EGMR-Urteil noch einmal selbst entscheiden kann.
Dass der Appeal Court dies allerdings zum Anlass nehmen wird, seinen Kurs gegenüber Paulet vollkommen zu wechseln, erscheint auch mit Blick auf die derzeitige migrations- und europapolitische Stimmungslage im Vereinigten Königreich wenig wahrscheinlich.
Damit schneidet Großbritannien jedoch wohl am ehesten ins eigene Fleisch, denn illegale Einwanderer auf der Suche nach einem besseren Leben wird es weiterhin geben. Ob diese dann jedoch auch wie Paulet riskieren, ehrlich zu arbeiten und einen Großteil des Erwerbs an den Staat abzugeben, nur um sich am Ende den Rest abnehmen zu lassen, ist unwahrscheinlich – wer kennt schließlich schon die genauen Zahlen bei Schwarzarbeit?
Dieser Artikel ist im Rahmen des Verfassungsblog-Seminars im SS 2014 entstanden.
Im Artikel ist noch ein (vermutlich) Lektorkommentar enthalten.
Danke (sehr peinlich). Ist korrigiert…
Ist das Argument, dass aufgrund der politischen Friktionen mit dem Königreich nun ein lascherer Menschenrechtsmaßstab gilt? Dazu müsste man doch zunächst einmal sehen, ob in vergleichbaren Fällen in anderen Konventionsstaaten ein strengerer Maßstab herangezogen wurde. Mir jedenfalls leuchtet diese institutionelle Erklärung prima facie nicht ein. Aber ich würde natürlich gerne dazulernen.