05 June 2025

Asylwende mit Hindernissen

Zur Aussetzung des Familiennachzugs bei subsidiärem Schutz und zu „sicheren Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung

Im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SPD vorgenommen, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten auszusetzen und weitere sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ zu bestimmen, und zwar künftig per Rechtsverordnung statt per Gesetz. Für beide Vorhaben hat das Kabinett nun Gesetzesentwürfe beschlossen (Familiennachzug, „Sichere Herkunftsstaaten“). Die Maßnahmen dienen dem übergeordneten Ziel, die Migration nach Deutschland zu begrenzen. Dieses wird nun außerdem, um diesen Willen zu untermauern, wieder ins Aufenthaltsgesetz aufgenommen. Während die Aussetzung des Familiennachzugs von einem de facto und de jure unzutreffenden Verständnis des subsidiären Schutzes ausgeht, drohen bei der Einstufung von „sicheren Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung Intransparenz und mangelhafte Begründung.

Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte

Ende Mai 2025 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte beschlossen. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf, den die Unionsfraktion bereits 2024 erstellte und Ende Januar mit den Stimmen der AfD verabschieden wollte, begründet die Aussetzung damit, dass der Aufenthalt subsidiär Schutzberechtigter in Deutschland im Vergleich zu Flüchtlingen nur „vorübergehend“ sei. Eine langfristige Integration inklusive des Nachzugs der Kernfamilie sei deshalb nicht notwendig. Die Formulierung ist allerdings unzutreffend, denn weder ist der subsidiäre Schutz rechtlich per se kurzfristiger angelegt als die Flüchtlingseigenschaft noch halten sich subsidiär Schutzberechtigte tatsächlich nur vorübergehend in Deutschland auf.

Die Hürden für klassischen Flüchtlingsschutz sind hoch. Nicht nur bedarf es einer von einem menschlichen Akteur zielgerichtet ausgehenden Verfolgungshandlung, diese muss auch mit einem sogenannten Verfolgungsgrund verknüpft sein. Menschenrechte müssten also beispielsweise wegen der politischen Überzeugung oder der Religion der Verfolgten verletzt werden.  Weder die Flucht vor Krieg noch vor Menschenrechtsverletzungen, die nicht nachweislich auf eine individuelle Eigenschaft der Opfer abzielen, sind dadurch abgedeckt. Der subsidiäre Schutz wurde Anfang der 2000er Jahre EU-weit eingeführt, um das Recht auf Asyl um diese Gefahren zu ergänzen. Es handelt sich um einen komplementären Status, der nur insofern „subsidiär“ ist, als er im Asylverfahren zeitlich nach dem Flüchtlingsschutz geprüft wird. Der „ernsthafte Schaden“, vor dem er schützt, kann ebenso wie bei der Flüchtlingseigenschaft eine konkrete, von Menschen ausgehende Verfolgungshandlung wie Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung oder Bestrafung sein, nur dass diese eben nicht mit einem Verfolgungsgrund verknüpft sein muss.

Unter anderem auf Druck Deutschlands wurde während der EU-Verhandlungen festgelegt, dass mit dem subsidiären Schutz schlechtere Rechtsfolgen einhergehen können. Dazu gehört die Möglichkeit, den Familiennachzug restriktiver zu gestalten als beim Flüchtlingsschutz (Art. 20 Abs. 2 RL 2011/95). Angesichts der Gründe, warum subsidiärer Schutz vergeben wird, wird diese Ungleichbehandlung aber, etwa vom UNHCR, als ungerechtfertigt zurückgewiesen: Ein Bürgerkrieg kann genauso lange dauern, wie ein totalitäres Regime an der Macht ist, und das Risiko einer drohenden Menschenrechtsverletzung nimmt nicht deshalb schneller ab, wenn diese nicht auf eine individuelle Eigenschaft abzielt.

Eine tatbestandliche Alternative

Am Beispiel Syrien wird das besonders deutlich: Nachdem erst alle Asylsuchenden seit Ausbruch des Bürgerkriegs die Flüchtlingseigenschaft erhalten hatten, vergab das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab März 2016 zunehmend subsidiären Schutz. Es änderte damit seine Entscheidungspraxis just in dem Monat, in dem der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zuletzt für zwei Jahre ausgesetzt wurde. Asylsuchende aus Syrien erhielten danach bis 2020 subsidiären Schutz aufgrund des Bürgerkriegs. Ab 2020 änderte das BAMF seine Begründung für subsidiären Schutz und vergab ihn für nahezu alle Syrer:innen aufgrund von drohenden Menschenrechtsverletzungen, die aber nicht mit einem Verfolgungsgrund verknüpft waren. Beispielsweise erhielten junge Männer, die sich durch ihre Ausreise dem Militärdienst entzogen haben, subsidiären Schutz, weil angenommen wurde, dass sie zwar nach ihrer Rückkehr wegen des Entzugs drakonisch bestraft werden würden. Das syrische Regime unterstelle ihnen aber keine politische Gesinnung. Die Übergänge zwischen Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutz sind also fließend. Demjenigen, der sich dem Militärdienst entzieht, würde in beiden Fällen Bestrafung drohen. Anstatt eines nachgeordneten, vorübergehenden Status ist der subsidiäre Schutz also vielmehr eine „tatbestandliche Alternative“ zum Flüchtlingsschutz. Beide zusammen bilden einen gemeinsamen EU-Asylstatus.

Langer Aufenthalt, kaum Widerruf

Der subsidiäre Schutz ist aber nicht nur de jure nicht vorübergehender Natur, er ist es auch de facto nicht. Von den 325.000 subsidiär Schutzberechtigten leben 186.000 (57%) bereits seit mindestens sechs Jahren in Deutschland (Stand: Ende 2023). Wie lange Schutzberechtigte im Aufnahmeland bleiben dürfen, hängt sowohl bei Flüchtlingen als auch bei subsidiär Schutzberechtigten von der Lage im Herkunftsstaat ab: Sie erhalten mit dem jeweiligen Status eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre (§ 26 Abs. 1 AufenthG). Wenn der Status nicht widerrufen wird, etwa weil sich die Situation im Herkunftsland geändert hat, wird die Aufenthaltserlaubnis um weitere drei Jahre verlängert.

Diese Widerrufsquoten sind gering: Zwischen 2017 und 2024 wurde in 2 Prozent aller Widerrufsverfahren eine Flüchtlingseigenschaft entzogen und in 0,7 Prozent ein subsidiärer Schutzstatus. Da das BAMF keine Daten veröffentlicht, wie viele Widerrufsverfahren je Schutzstatus erfolgt sind, lässt sich nicht genau nachvollziehen, wie hoch die Widerrufsquote des jeweiligen Status im Verhältnis zu den durchgeführten Verfahren ist. Da aber in den letzten Jahren – maßgeblich aufgrund der Entscheidungspraxis zu Syrien – die Zahl der subsidiär Schutzberechtigten stetig gestiegen ist, während der Flüchtlingsschutz zurückging, ist angesichts der verfügbaren Daten anzunehmen, dass der subsidiäre Schutz zumindest nicht verhältnismäßig häufiger widerrufen wird.

Ursprünglich erhielten subsidiär Schutzberechtigte erst eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die dann um zwei weitere Jahre verlängert wurde. Dass die Praxis 2024 an die des Flüchtlingsschutzes angepasst wurde, indem nun direkt ein Aufenthaltstitel für drei Jahre vergeben wird, zeugt davon, dass der Verwaltungsaufwand einer kurzfristigen Neuausstellung nach einem Jahr in keinem Verhältnis zur geringen Widerrufsquote stand.

Gesetz unter falschen Annahmen

Das Argument, dass es sich bei subsidiär Schutzberechtigten um einen „vorübergehenden“ Schutz handelt und die Menschen sich deshalb nicht langfristig mit ihren Familien in Deutschland ansiedeln, entbehrt damit sowohl einer rechtlichen als auch einer empirischen Grundlage. Der subsidiäre Schutz ergänzt die Flüchtlingseigenschaft um weitere Schutzgründe. Er wird ebenso wie sie vergeben, bis er widerrufen wird (hat also kein automatisches Verfallsdatum) und diese Widerrufe sind selten. Die Möglichkeit, nach fünf Jahren einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu beantragen, der dann unabhängig von der Situation im Herkunftsland ist, gilt ebenfalls für beide Schutzstatus. Das ist auch deshalb bedeutsam, da es auf der Hand liegt (und empirisch gut belegt wurde), dass Familiennachzug für die gelungene Integration von Schutzsuchenden wesentlich ist.

Bereits die aktuelle Regelung einer Beschränkung auf 1.000 Menschen pro Monat ist rechtlich bedenklich, da Härtefälle, für die nach § 22 AufenthG dringende humanitäre Gründe für eine Einreise bestehen, angesichts der teilweise extrem langwierigen Verfahren nicht schnell genug geprüft werden und die Aussetzung auch darüber hinaus gegen den Schutz der Familie des Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Anstatt einer weiteren Einschränkung ist vielmehr die Gleichstellung der Rechtsfolgen von Flüchtlingsschutz und subsidiärem Schutz überfällig.

Zielgruppe Syrien

De facto zielt das Gesetz auf eine bestimmte Gruppe: 90 % aller subsidiären Schutzstatus entfielen in den letzten Jahren auf Syrer:innen. Wie sich die Lage dort nach dem Machtwechsel Ende 2024 entwickeln wird, ist weiterhin unklar. Das BAMF hat alle Entscheidungen vorerst ausgesetzt, wurde nun aber von einem Gericht verpflichtet, die Verfahren wieder aufzunehmen. Es bestehe keine „vorübergehend ungewisse Lage“ mehr und es gebe genug Berichte zu den Entwicklungen in Syrien. Das Gericht verweist dabei auf den BAMF-Länderreport „Syrien nach Assad – Gegenwärtige Entwicklungen“, der auf die asylrelevante Lage in Syrien eingeht. Er ist als Verschlusssache eingestuft und damit weder Öffentlichkeit, noch den Betroffenen zugänglich. Zur besseren Transparenz der (anstehenden) Entscheidungspraxis sollte der Bericht veröffentlicht werden.

Denn viel hängt nun davon ab, wie BAMF und Gerichte das Risiko eines ernsthaften Schadens in Syrien beurteilen und ob es überhaupt zu einer hohen Zahl von Widerrufsverfahren von Menschen kommt, die bereits lange in Deutschland leben. Selbst ein Widerruf des Schutzstatus führt aber nicht automatisch zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis. Ausländerbehörden müssen zusätzlich etwa Integrationsleistungen berücksichtigen. Angesichts der hohen Zahl derjenigen, die sich bereits jahrelang mit einem subsidiären Schutzstatus in Deutschland aufhalten, wird diese Prüfung umso wichtiger.

„Sichere Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung

Der zweite Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Bundesregierung künftig sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung bestimmen kann. Bislang braucht es dazu laut Art. 16a Abs. 3 Grundgesetz ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Ziel der Reform ist es, Staaten nun ohne aufwändiges Gesetzgebungsverfahren und damit schneller als „sicher“ einzustufen.

Für Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsstaaten“ gilt die (widerlegbare) Vermutung, dass ihnen dort keine Verfolgung oder anderweitige schutzrelevante Gefährdung droht. Durch die Sicherheitsvermutung können Anträge schneller als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden. Dadurch werden Ausreisefristen und Rechtsschutzmöglichkeiten verkürzt. Außerdem wird die aufenthaltsrechtliche Stellung der Betroffenen deutlich verschlechtert, zum Beispiel durch eine unbefristete Wohnverpflichtung in Erstaufnahmeeinrichtungen (§ 47 Abs. 1a AsylG) oder ein Erwerbstätigkeitsverbot (§ 61 Abs. 1 AsylG).

Dass nun „sichere Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung bestimmt werden können, begründet die Bundesregierung mit Art. 37 Abs. 1 der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32, wonach Mitgliedsstaaten entsprechende „Rechts- oder Verwaltungsvorschriften beibehalten oder erlassen“ können. Für diese gelten dann die Kriterien des EU-Rechts, die sich im Kern nicht von denen aus Art. 16a Abs. 3 Grundgesetz unterscheiden. Demnach gilt ein Herkunftsstaat als „sicher“, „wenn sich anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt“, dass dort weder Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder Kriegsgefahren drohen (Anlage I RL 2013/32). Dass hier von einheitlichen Kriterien auszugehen ist, wird bereits exemplarisch daran deutlich, dass etwa jüngst das VG Berlin die Einstufung Senegals als „sicher“ dem EuGH zur Prüfung vorlegen konnte. Diese Einstufung gilt seit 1993, gilt dem EU-Asylrecht also lange voraus.

Dass die Bundesregierung nun also bei der Bestimmung „sicherer Herkunftsstaaten“ das Grundgesetz umgehen will, hat keine materiellen, sondern prozessuale Gründe. Nicht mehr nur sollen Asylverfahren durch die Einstufung eines Staates als „sicher“ beschleunigt werden, sondern auch das Verfahren dieser Einstufung soll „schneller und effizienter“ werden. Durch das Instrument der Rechtsverordnung entfällt aber nicht nur die Zustimmungspflicht des Bundesrats, in dem Länder mit Regierungsbeteiligung von Grünen und Linken in der Vergangenheit entsprechende Gesetze blockiert oder Kompromisse für die Zustimmung ausgehandelt haben. Auch der Bundestag wird obsolet. Die bisherige Praxis im Gesetzgebungsverfahren erforderte eine ausführliche Erläuterung der Sicherheitslage in den entsprechenden Staaten in Form der Gesetzesbegründung, die Anhörung unabhängiger Sachverständiger sowie eine parlamentarische Debatte zur Sache. All das fällt nun weg. Vor allem lässt der Gesetzesentwurf offen, ob und wie die Bundesregierung die Einstufung eines Herkunftsstaates als „sicher“ begründen muss. Darüber hinaus ist die Bundesregierung bisher verpflichtet, dem Bundestag alle zwei Jahre einen Bericht zur Überprüfung der Voraussetzungen der Einstufung der als „sicher“ gelisteten Staaten vorzulegen. Auch dazu schweigt der neue Gesetzesentwurf.

Informationsquellen offenlegen

In einem EuGH-Verfahren zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten in Italien hat Generalanwalt Richard de la Tour in seinen Schlussanträgen gefordert, dass die Informationsquellen offengelegt werden müssen, auf denen die Bestimmung beruht. Die Bundesregierung sollte nach diesem Vorbild den Gesetzesentwurf dahingehend erweitern, dass auch eine Rechtsverordnung begründen muss, warum ein Staat als „sicher“ gilt, und außerdem die regelmäßige Berichtspflicht festschreiben. Eine Begründung des konkreten Zwecks ist ohnehin essentiell, damit die Verordnung der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz im Einzelfall gerecht wird. Das dient erstens der Nachvollziehbarkeit der exekutiven Entscheidung und ermöglicht zweitens die gerichtliche Kontrolle der Einstufung.

Eine solche Kontrolle legt der Gesetzesentwurf selbst fest: Hält ein Verwaltungsgericht die Einstufung eines Staates als „sicher“ für rechtswidrig, ist das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einzuholen. Damit soll verhindert werden, „dass Verwaltungsgerichte die Rechtmäßigkeit (…) inzident prüfen und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen“. Eine „Rechtszersplitterung“ werde so vermieden, so die Gesetzesbegründung. Das Bundesverwaltungsgericht ist damit nicht mehr nur Tatsacheninstanz in Asylverfahren, sondern prüft in Zukunft auch die Einstufung eines Herkunftsstaates als „sicher“. Dazu aber bedarf es einer transparenten Informationsgrundlage, die die Bundesregierung sicherstellen muss.

Gefahr der Verfahrensspaltung

Die Kommunikation der Bundesregierung suggeriert, dass die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten sich bislang nur auf die Asylberechtigung nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz bezog, die Einstufung per Rechtsverordnung nun aber auch auf den unionsrechtlichen Schutz erstreckt, also Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz. Das ist unzutreffend, weil bereits der Wortlaut des Art. 16 Abs. 3 Grundgesetz „politische Verfolgung“ und „unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung“ und damit die Tatbestandsmerkmale von Flüchtlings- und subsidiärem Schutz umfasst. Hier unterstellt der Gesetzesentwurf eine Notwendigkeit, die es nicht gibt. Vielmehr besteht die Gefahr einer „Spaltung der Schutzprüfung in ein unionsrechtliches und ein nationales Verfahren“, weil sich die Sicherheitsvermutung der Staaten, die per Rechtsverordnung festgelegt wird, nicht auf die Asylgewährung nach dem Grundgesetz bezieht. Statt einer Verfahrensbeschleunigung droht deshalb vielmehr eine Verlangsamung durch Komplexitätsanstieg. Hinzu kommt grundsätzlich, dass das nationale Abschiebungsverbot als weiterer Schutzstatus neben Asylgewährung, Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutz von der Sicherheitsvermutung nicht umfasst ist. Es wird vor allem aufgrund von Krankheiten oder einer humanitären Notlage im Herkunftsstaat vergeben und muss weiterhin in jedem Verfahren geprüft werden.

Effizienzgewinn durch „sichere Herkunftsstaaten“ unklar

Auch unabhängig davon, ob die Einstufung eines Staates als „sicher“ per Gesetz oder per Rechtsverordnung erfolgt, bleibt das Instrument aus verschiedenen Gründen in seiner Wirkung fragwürdig. Wie genau es sich erstens auf die Asylverfahren und deren Dauer auswirkt, ist unklar. Laut BAMF werden durch die Einstufung pro Verfahren nur etwa zehn Minuten gespart. Denn die Asylsuchenden müssen weiterhin einzeln angehört werden. Die ohnehin geltende Pflicht, die individuelle Verfolgungsgefahr offenzulegen (§ 25 Abs. 1 AsylG), und der Versuch, die Sicherheitsvermutung zu widerlegen, unterscheiden sich demnach praktisch kaum. Zweitens ist der von der Bundesregierung in Feld geführte Abschreckungseffekt empirisch nicht belegt. Dass etwa nach der Einstufung der sechs Westbalkanstaaten als „sicher“ 2014 und 2015 die Antragszahlen zurückgingen, kann ebenso an den Möglichkeiten legaler Einreisen durch die „Westbalkanregelung“ oder an Aufklärungskampagnen über die auch ohne die Einstufung niedrige Schutzquote gelegen haben. Konkret plant die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag die Einstufung von Tunesien, Marokko, Algerien und Indien als „sicher“. Aus diesen Staaten kamen zuletzt 3 Prozent aller Asylsuchenden. Selbst wenn die Abschreckungswirkung einträte, wäre der Entlastungseffekt also gering.

Asyl(w)ende

Die Bundesregierung muss überprüfen, ob ihre „Asylwende“ tatsächlich mit der rechtlichen und empirischen Realität kompatibel ist. Sie begründet beide Maßnahmen, die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und die einfachere Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“, mit Belastungsgrenzen bei der Aufnahme Schutzsuchender. Diese Belastungen des Wohnungsmarkts, der Bildungsinfrastruktur und der Migrationsverwaltung sind real. Anstatt aber diese Probleme politisch zu forcieren, verschiebt die Regierung den Diskurs immer weiter in Richtung Migrationsbegrenzung und die Begründungslast zu denen, die auf geltendes Recht pochen. Teil dieser Entwicklung sind Maßnahmen mit strukturell geringen Effekten, aber individuell harten Auswirkungen und, so hofft die Bundesregierung mutmaßlich, hoher Symbolkraft. Der rhetorische Fokus auf singuläre „Pull-Faktoren“ verhindert dabei eine evidenzbasierte und an menschenrechtlichen Standards orientierte Debatte. Und die jüngeren Anzeichen exekutiven Ungehorsams gegenüber geltendem Recht und der Rechtsprechung, um die versprochene „Asylwende“ zu erreichen, gefährden den Rechtsstaat weit über das Thema Migration hinaus.


SUGGESTED CITATION  Feneberg, Valentin: Asylwende mit Hindernissen: Zur Aussetzung des Familiennachzugs bei subsidiärem Schutz und zu „sicheren Herkunftsstaaten“ per Rechtsverordnung , VerfBlog, 2025/6/05, https://verfassungsblog.de/asyl-migration-familiennachzug-herkunftslander/, DOI: 10.59704/27fde829d8524028.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Art. 16a, Asyl, Bundesrat, CDU, Familiennachzug, Migration, SPD, sichere Herkunftsstaaten, subsidiärer Schutz


Other posts about this region:
Deutschland