Auf Augenhöhe: Ein “Forum Recht” für Deutschland?
Juristen sind die heimlichen Superhelden unserer Gesellschaft. Sie können Anwalt werden, Richter, in die Wirtschaft oder in die Politik gehen, die Verwaltungslaufbahn einschlagen, ja sogar Schriftsteller oder Galerist werden. Vielleicht auch ein Museum gründen oder zumindest eines auf den Weg bringen? Yes, we can.
Alles ist auf gutem Weg. Im Herbst soll die Machbarkeitsstudie für das „Forum Recht“ mit Standort Karlsruhe den Abgeordneten des Bundestags vorgelegt werden, die dann zügig über die Bewilligung der Mittel in zweistelliger Millionenhöhe entscheiden sollen. Im Initiativkreis des Projekts engagieren sich einflussreiche Persönlichkeiten aus Justiz und Politik, die Verfassungsrichterin Susanne Baer, die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg und der Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe Frank Mentrup. Auch ist die Eile verständlich, verliert doch vielerorts in der Welt der Rechtsstaat an Boden. Das darf in Deutschland nicht passieren. Also ist Vermittlung angesagt, Debatte, aber auch ein symbolischer Ort für das Recht soll her, und warum nicht in Karlsruhe, wo auf dem Gelände des Bundesgerichtshofes bereits ein kleines Rechtsmuseum existiert und ein unter Denkmalschutz stehender Verhandlungssaal in den Bau des Forums integriert werden könnte?
Der Funke ist bereits übergesprungen, die Zustimmung fraktionsübergreifend. Für ein Forum Recht sprachen sich Anfang Juni in der Parlamentarischen Gesellschaft die Grünenpolitikerinnen Claudia Roth und Renate Künast aus, aber auch Carsten Körber von der CDU und Dennis Rohde von der SPD. Für die Machbarkeitsstudie bewilligte das Parlament bereits 200.000 Euro, damit das gesellschaftlich bedeutsame Vorhaben konkreter umrissen werden kann. Also wurde das international agierende Ausstellungsplaner-Büro Bogner.Knoll engagiert, das den Raumbedarf ermitteln soll und dem Projekt auch beratend zur Seite steht. Das Haus der Geschichte in Bonn wurde in Ausstellungsfragen konsultiert und das Institut für Zeitgeschichte erarbeitet historische Wegmarken, die im Forum Recht abgebildet werden könnten.
Es könnte einem fast schwindelig werden, mit welcher Effizienz, Klarheit und Umsicht da vorwärts gearbeitet wird. Fraglos ließe sich mit vereinten Kräften schnell ein erster Abschnitt des Forums aus dem Boden stampfen, in dem Wissen vermittelt, Geschichte erlebbar und Diskurse ermöglicht werden. Doch wissen die Initiator_innen selbst, wie spröde Paragrafen und Texte sind, in der das Recht gefasst ist. Eingeladen war deshalb ein Geisteswissenschaftler, Horst Bredekamp, der die Politische Ikonografie als Forschungsrichtung innerhalb der Kunstgeschichte etabliert hat. In einem Schnelldurchlauf führte er vor, dass Staat und Verfassung schon immer in Bildern oder Formen gefasst wurden. Berühmte Beispiele sind die vor 1340 entstandenen Rathaus-Fresken „der guten und schlechten Regierung“ in Siena von Ambrogio Lorenzetti und die grafische Darstellung des „Leviathan“ auf der Titelseite der gleichnamigen staatstheoretischen Schrift von Thomas Hobbes aus dem Jahre 1651.
Die Evidenz der Bilder
Politische Symbolik ist jedoch nicht immer illustrativ, auf Anhieb lesbar, sondern wirkt mitunter feinstofflich, atmosphärisch. Bredekamp machte das anhand der sachlichen Schwarzweiß-Fotografien von Erna Wagner-Hehmke deutlich. Sie dokumentierte 1949 die Unterzeichnung des Grundgesetzes in der nach Ende des NS-Unrechtsstaats gebotenen Nüchternheit. Der Ort der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war zudem die ehemalige Pädagogische Hochschule in Bonn, ein funktionaler Zwanziger-Jahre-Bau. Bredekamp wertete das als bewusste Abgrenzung von der suggestiven Herrschaftsarchitektur der Nationalsozialisten. Als Beispiel aus der Gegenwart griff der Bildwissenschaftler den Zwischenfall im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf, als die konservative UNO-Botschafterin Nikki Haley Fotografien des syrischen Giftgasangriffs auf die Bevölkerung hochhielt. Ihre mündlichen Apelle waren ins Leere gelaufen. Es sei die Evidenz der Bilder, so Bredekamp, die da sprechen würde, und diese Evidenz der Bilder sei auch geeignet das Rechtsbewusstsein in Deutschland zu stärken.
Nach diesem theoretischen Exkurs zog Susanne Baer, die den Abend moderierte, eine Mini-Ausgabe des Grundgesetzes aus ihrer Jackett-Tasche. Das habe sie immer dabei, warum eigentlich? Darüber werde sie jetzt mal nachdenken.
Und dennoch: Ein Paragraf ist ein Paragraf ist ein Paragraf. Dem Juristen öffnen sich Welten, Nichteingeweihten ein gähnendes Loch. So gut der Ruf des Rechtsstaats ist, so komplex sind seine Geschichte und seine Struktur, so widersprüchlich wird das gesprochene Recht wahrgenommen. Es betrifft jeden, bleibt aber für die meisten äußerlich, eine Sache für Spezialisten. Renate Künast zitierte das bittere Wort der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“. Auch der gebürtige Sachse Carsten Körber erinnerte sich an die turbulente Zeit des Übergangs vor und nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Damals musste erst gelernt werden musste, mit den checks und balances des Rechtsstaats umzugehen. Die Gründung des Grundgesetzes, die RAF-Zeit, die Deutsche Einheit, das alles könnten Themen eines Forum Rechts sein, die sich prima anhand von Testimonials, Filmausschnitten und Mauerresten versinnbildlichen lassen.
„Schöner wäre ja, wenn der Rechtsstaat einfach gelebt würde.“
Vorm inneren Auge ist das Gebäude bereits errichtet, und was noch fehlt, sind vielleicht nur noch die Parkplätze für die zahlreich anlandenden Busse. Aber sollte man in diesem Moment nicht kurz innehalten und fragen, wozu Deutschland ein „Forum Recht“ benötigt? Ist das Land nicht selbst die Verkörperung von Demokratie und Recht, wie Phönix aus der Asche geboren aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs? Weniger pathetisch drückte es an dem Abend in Berlin der bedeutende Rechtswissenschaftler und ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm aus: „Schöner wäre ja, wenn der Rechtsstaat einfach gelebt würde.“
Das ist heute kein wirkliches Argument mehr gegen ein „Forum Recht“. Aber vielleicht sollte man sich doch kurz bei der Frage aufhalten, ob dem Rechtsstaat damit nicht doch nur ein Denkmal gesetzt wird. Dies ist zwar gewiss nicht das, was der Initiativkreis anstrebt. Aber trägt so ein Projekt nicht die Gefahr in sich, dass es am Ende doch nur stolz die Errungenschaften des Rechtsstaats herzeigt – und zwar gerade deshalb, weil es von Protagonisten des Rechtsstaats vorgedacht wird? Das mag dann erfahrbar und interaktiv nach allen Regeln moderner Präsentationskunst sein, kann aber eben doch am Ende museal versteinert daherkommen. Anders ausgedrückt: Stellt derjenige die richtigen Fragen an den Rechtsstaat, der gewohnt ist, als sein mächtiger Vertreter gültige Antworten zu geben?
Der Initiativkreis „Forum Recht“ ist angetreten, um ein Bewusstsein für die Grundlagen von Gleichheit, Freiheit und zu schaffen. Das ist ein durchaus berechtigtes Anliegen, denn die Zeiten sind schwieriger, als man beim Blick auf die in Jahrzehnten gefestigten Institutionen des Rechtsstaats meinen könnte. Erstens haben die Entwicklungen in Polen und Ungarn gezeigt, mit welcher Leichtigkeit solche Institutionen ausgehöhlt, auf Linie gebracht und damit ihrer Funktion beraubt werden können. Ein Verfassungsgericht ist keine feste Burg, so gern man das in der Verfassungsrepublik Deutschland auch glauben möchte. Zweitens haben sich illiberale Bewegungen etabliert, in Deutschland wie auch anderswo, die für eine krude Herrschaft der Mehrheit ohne Minderheitenschutz stehen. Also für ein System, das Diskriminierung billigend in Kauf nimmt. Anlass genug also, gewarnt zu sein.
Ein Forum Recht wäre – aus dieser Perspektive gesehen – also vor allem ein pädagogisches Projekt. Pädagogische Projekte nehmen indes allzu leicht in eine bestimmte Richtung ein – diejenige von oben nach unten. Wenn man jedoch Ausstellungsformate entwickeln will, die jeden betreffen und das Verständnis des Rechts wieder erstrebenswert machen, dann sollte man Einbahnstraßen von vornherein verhindern. Ein erfolgreiches Forum Recht ist nur denkbar, wenn bereits bei der Gründung an die Vermittlung gedacht wird. Ein Kurator, der für die Vermittlung zuständig ist, muss gleichberechtigt mit den inhaltlich arbeitenden Kuratoren in die Planung eingebunden werden. Der Educational Turn in Curating in der Museumsarbeit, also das Zusammendenken von Inhalten und Vermittlungsformaten, hat sich in Deutschland zwar noch nicht durchgesetzt, doch in der Schweiz, und vor allem in den Niederlanden, wird bereits seit Jahren mit solchen interaktiven Formaten experimentiert.
Wie sehr der Vermittlungsansatz auch die Aussage bestimmt, lässt sich an einem Beispiel illustrieren. Besonders erfolgreich war die 2012 vom Museum für Gestaltung Zürich organisierte Ausstellung „Endstation Meer – Das Plastikmüll-Projekt“, das den Endzustand von Designprodukten in den Mittelpunkt stellte, und entschieden einen politischen Auftrag verfolgte, nämlich für die verheerenden Folgen der Vermüllung der Meere zu sensibilisieren. Ein Berg aus Schwemmgut konfrontierte die Besucher körperlich mit den Abfallmassen. Dokumentationen erläuterten die Wirkungsweise von Mikroplastik auf den Kreislauf der Natur, Archive ermöglichten eigene Recherchen. Bis heute tourt die Schau durch Europa, Afrika und Asien. Das Design-Museum arbeitete mit Umweltinitiativen und Experten zusammen, richtete Werkstätten und sogenannte Resonanzräume ein, wo Workshop-Ergebnisse wie Design aus recycelten Objekten ausgestellt wurden.
Da wäre es doch interessant, mal darüber nachzudenken, was der Rechtsstaat so anschwemmt. „Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen.“ Mit diesem Satz lässt sich ja nicht nur die Enttäuschung der ehemaligen DDR-Bürger nach der Wende ausdrücken. Es ist ein Satz, den viele im Munde führen, wenn sie mit ihren subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen am Rechtsstaat abprallen. Haben die, die unter die Räder gekommen sind, den Rechtsstaat einfach nicht verstanden? Oder klafft doch irgendwo eine Lücke zwischen den Erwartungen der – wie es immer so unfreiwillig ehrlich im Juristenjargon heißt – „Rechtsunterworfenen“ und den Angeboten des Rechtsstaats? Eine Lücke, die nicht nur von falschen Hoffnungen aufgerissen wird, sondern von unzureichenden Antworten des Rechtsstaats?
Welche Formen der Partizipation könnten zu einem Forum Recht passen, das offen ist für Ideen und Gedanken der Besucher oder besser: der Nutzer? Ein Vermittlungsmodell, das sich an Grundschüler richtet, existiert bereits. Die Museumskommunikation des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe erstellte 2016 im Auftrag des Kinderschutzbundes in Zusammenarbeit mit Grundschul-Klassen das Arbeitsheft „Kinderrechte“ , das Mädchen und Jungen ab sieben Jahren dazu animiert, darüber nachzudenken, was ihr Recht ist, und wie sich dies in Relation zum Recht anderer verhält. Unter dem Titel „Kinder haben Rechte“ zeigt das Kindermuseum des Historischen Museums in Frankfurt am Main bis 29. Oktober 2018 eine “interaktive Ausstellung” zum Thema Recht. Um ergebnisoffene Formate wie diese zu entwickeln braucht es Zeit, Geduld und das entsprechende Personal. Über einen Zeitraum von einem halben Jahr hatte das Tekniska Museet in Stockholm mit Jugendlichen Workshops veranstaltet, um zu verstehen, was die jungen Menschen bewegt und wie sie sich mit Technik auseinandersetzen.
Wenn das Forum Recht mehr sein soll als ein Museum und ein Symbol, wenn es tatsächlich in die Gesellschaft wirken soll, muss es seine Besucher auf Augenhöhe empfangen. Jeder, der zur Tür reinkomme, habe etwas beizutragen, ist das Credo von Nina Simon, einer Pionierin der Idee des partizipativen Museums. Den Initiatoren des Forums Recht bietet sich eine einmalige Chance, in Deutschland den Educational Turn in Curating, ein integriertes Verständnis von Ausstellen und Vermitteln zu erproben. Wenn das Forum kein szenografisch verbrämter Nürnberger Trichter werden soll, müssen die Museumsgründer_innen auch selbst etwas wagen, und ein Stück ihrer Deutungshoheit abgeben, zumindest aber neugierig auf andere Positionen sein. Das könnte durchaus inspirierend sein und wäre eine prima Alternative zum Superheldentum.
Sehr geehrte Frau Thiele,
Sehr geehrter Herr Janisch,
herzlichen Dank für den Bericht und das Update zu dem Projekt. Ich verstehe noch nicht, was sie mit Augenhöhe meinen. Die Augenhöhen sind ja unterschiedlich. Nur weil Juristen Spezialisten sind, heisst das ja nicht, dass die übrige Welt für das Allgemeine steht.
Mir scheint bei dem Projekt wichtig, was Kittler einmal gesagt hat: Wenn man über einen Gegenstand etwas wissen will, ist es wichtig, alles über ihn in Erfahrung zu bringen. Das klingt trivial, ist es auch. Aber es steckt eben auch die Idee darin, dass der Blick selbst nicht ‘vorsortiert’ sein darf. Während in die Moderne eine zeitlang recht erfolgreich die Idee aufgebaut hat, das Recht habe sich von anderen Bereichen der Normativität abgesondert (also zum Beispiel von der Kunst, von den Bildern, von der Religion, von der Ökonomie etc etc.) wäre es doch eine tolle Gelegenheit, bei einem Museum zu zeigen, dass das Recht immer, nicht nur im Museum, wahrgenommen werden muss. Es muss immer aus dem Inneren ins Äußere. Es muss interventieren und insistieren.
Platon hat dazu (in seinem Text “Nomoi”) die Idee entwickelt, dass man etwas vor das Gesetz stellen muss, damit es eindringlich wird. Alles das kann man in einem Museum großartig vorführen, wenn man die juridische Dimension jeden Museums, also seinen eigenen und normativen ‘Unterbau’ gleich ‘mitzeigt’. Museen sind ja auch Archive und wie juridisch und juristisch Archive immer sind, das hat Cornelia Vismann in ihrer Studie zu den Akten hervorragend gezeigt.
Grimm weist ja schon ziemlich treffend auf einen zentralen Kritikpunkt hin. Ich schleppe seit einiger nicht nur Juristem, auch Kultur-, Geistes-, und Medienwissenschaftler in die Verwaltungsgerichte – eben weil man da jeden Tag im Alltag sehr gut beo