Autofrei per Gesetz
Zur rechtlichen Einordnung des „Volksentscheids Berlin autofrei“
Die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ will Berlin innerhalb des S-Bahn-Rings weitgehend vom privaten Autoverkehr befreien und so die größte autoreduzierte Zone der Welt schaffen. Kürzlich hat die Initiative dem Berliner Senat die notwendigen 20.000 Unterschriften vorgelegt und damit die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid erfolgreich genommen.
Zur Abstimmung stellt die Initiative einen Gesetzentwurf mit dem Titel „Berliner Gesetz für Gemeinwohlorientierte Straßennutzung“ (im Folgenden: GemStrG-E). Anders als die „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ist „Volksentscheid Berlin autofrei“ also nicht auf einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs gerichtet, sondern direkt auf den Erlass eines Gesetzes. Dieses Vorgehen macht die Initiative aus rechtlicher Perspektive besonders interessant. Denn sie präsentiert nicht nur der Berliner Bevölkerung, sondern auch der Rechtspraxis und Rechtswissenschaft eine konkrete Idee für die rechtliche Umsetzung einer autoreduzierten Innenstadt. Diese Gelegenheit zur Diskussion sollten wir wahrnehmen.
Was bedeutet „autoreduziert“?
Der Gesetzentwurf, den „Volkentscheid Berlin autofrei“ vorgelegt hat, sieht Folgendes vor: Alle Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings (ausgenommen Bundesfernstraßen, Straßen, die nicht im Eigentum des Landes Berlin stehen und Fußgängerzonen) werden zu „autoreduzierten Straßen“ (§ 3, § 4 GemStrG-E). Hier ist der erlaubnisfreie Gemeingebrauch beschränkt auf Fußverkehr, Radverkehr, öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), den Verkehr zu öffentlichen Zwecken (Feuerwehr, Straßenreinigung, Rettungswagen, Post etc.), den Verkehr mit Taxen und den Verkehr mit einer Auswahl an Kleinstfahrzeugen, wie Pedelecs oder Kutschen.
Jede andere Form der verkehrlichen Straßenbenutzung bedarf der Erlaubnis als „verkehrliche Sondernutzung“ (§ 5 GemStrG-E). Eine solche Erlaubnis darf die Behörde nur bei Vorliegen eines der explizit im Gesetzentwurf vorgesehenen Erlaubnisgründe erteilen. Ein Erlaubnisgrund besteht demnach für den Güterwirtschaftsverkehr (§ 7 GemStrG-E), für den Personenwirtschaftsverkehr (§ 8 GemStrG-E), für gemeinnützige Körperschaften (§ 9 GemStrG-E), für die geschäftsmäßige Personenbeförderung (§ 10 GemStrG-E) und für die Beförderung von Menschen mit persönlichen Mobilitätsbeeinträchtigungen (§ 11 GemStrG-E). Dies gilt jeweils nur, soweit ein Umsteigen auf den erlaubten Verkehr unzumutbar ist und die verkehrliche Sondernutzung deshalb notwendig ist.
Abgesehen davon ist natürlichen Personen bis zu zwölfmal im Jahr eine Erlaubnis für eine Privatfahrt mit dem Kfz zum Transport von schweren oder sperrigen Gütern oder für Urlaubs- oder Erholungsfahrten mit einem Ziel außerhalb des autoreduzierten Bereichs zu erteilen. Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes reduziert sich der Anspruch auf jährlich sechs Privatfahrten (§ 12 GemStrG-E).
Während der*die Antragsteller*in die Sondernutzungserlaubnis unter Angabe des Erlaubnisgrundes und Vorlage aller entscheidungserheblichen Nachweise beantragen muss, genügt für die zwölf Privatfahrten grundsätzlich eine einfache Anzeige gegenüber der Behörde. Der Erlaubnisgrund für die Privatfahrt muss nicht immer, sondern nur auf Anfrage der Behörde nachgewiesen werden (§ 5 GemStrG-E). Alle Kfz mit Sondernutzungserlaubnis werden als solche mit Plaketten bzw. elektronisch erstellten Nachweisen gekennzeichnet (§ 6 GemStrG-E).
Nach Einschätzung der Initiative würden diese Regelungen zu einer stadtweiten Reduktion des motorisierten Verkehrs von etwa 60 Prozent führen (GemStrG-E, Gesetzesbegründung, S. 26).
Die Teileinziehung per Gesetz
Der rechtliche Kniff dieser Initiative ist so offensichtlich, dass er zugleich schnell übersehen wird: Es handelt sich um ein Gesetz. Normalerweise ist es die Behörde, die in Form von Verwaltungsakten, Planungen, informellen Konzepten o.ä. Anordnungen bezüglich des Verkehrsraums trifft. Der Gesetzgeber liefert (insbesondere) mit den Straßengesetzen die gesetzliche Grundlage, er hat aber bisher noch keine Fußgängerzone, keinen verkehrsberuhigten Bereich und keine Umweltzone direkt selbst eingerichtet.
Dies will „Volksentscheid Berlin autofrei“ ändern und erfindet dafür das Instrument der „Legal-Teileinziehung“. Die herkömmliche straßenrechtliche Teileinziehung ermöglicht der zuständigen Behörde seit jeher, die Widmung für den Gemeingebrauch einer Straße nachträglich auf bestimmte Benutzungsarten, Benutzungszwecke oder Benutzerkreise zu beschränken (vgl. z.B. § 4 Abs.1 Satz 3 BerlStrG). Dies ist zum Beispiel notwendig für die Einrichtung einer Fußgängerzone (aktuell bestätigt: VG Berlin, Beschluss vom 28. Juni 2021 – VG 11 L 164/21). § 4 Abs. 1 Satz 2 GemStrG-E macht die Mitwirkung einer Behörde nun völlig obsolet – die Norm zieht die Straßen direkt selbst ein und beschränkt damit deren Gemeingebrauch auf den der „autoreduzierten Straße“. Und § 4 Abs. 2 GemStrG-E stellt klar: Eine Erweiterung des Gemeingebrauchs (…) mittels Verwaltungsakts ist unzulässig.
Eine solche Verschiebung zugunsten der Legislative diskutieren Wissenschaft und Praxis unter dem Stichwort „Maßnahmengesetz“ (aktuell zum Genehmigungsbeschleunigungsgesetz siehe hier). Mit Maßnahmengesetzen genehmigt der Gesetzgeber vor allem Infrastrukturprojekte und ersetzt mit seiner „Legalplanung“ die Entscheidung der Fachplanungsbehörde. Aus der Perspektive der in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG normierten Gewaltenteilung ist das problematisch: Entscheidungen, die „aufgrund eines schlicht subsumierenden Normenvollzugs ergehen, sind funktional typischerweise der Verwaltung vorbehalten“; das Parlament darf sie nur in Ausnahmefällen an sich ziehen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 2 BvR 1282/11, Rn. 125 ff).
Der Fall „Volksentscheid Berlin autofrei“ liegt jedoch anders. Das Gesetz soll nicht eine andere Norm vollziehen, sondern eine eigene gestalterische Entscheidung treffen. Es betrifft auch keinen Einzelfall; schließlich bezieht sich das Vorhaben nicht auf eine konkret benannte Straße, so wie es bei der Planfeststellung der Fall ist, sondern auf alle Straßen in einem abstrakt definierten Bereich. Auch der Vergleich mit der nur in Ausnahmefällen zulässigen „Legalplanung“ hinkt: Die Teileinziehung ist kein planerisches Instrument. Denn anders als die Planfeststellung muss sie keine komplexen Interessenslagen mittels Informations- und Beteiligungsrechten ermitteln und ausgleichen. Aufgabe der straßenrechtlichen Teileinziehung ist vielmehr, die Straße als öffentliche Sache entsprechend ihrer Zweckbestimmung zu schützen. Diese Aufgabe muss auch der Gesetzgeber übernehmen können.
Übrig bleibt das gewichtige Argument der Rechtsschutzverkürzung. Da der fachgerichtliche Weg nicht eröffnet ist, ist der Rechtsschutz gegen ein Gesetz im Vergleich zur Verwaltungsentscheidung stark eingeschränkt. Betroffene sind auf die Verfassungsbeschwerde zurückgeworfen, deren Prüfungsmaßstab jedoch auf spezifisches Verfassungsrecht begrenzt ist, oder müssen vor den Verwaltungsgerichten inzident das Gesetz angreifen (etwa indem sie gegen einen aufgrund des Gesetzes ergangenen Bußgeldbescheid vorgehen). Nun folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG kein Anspruch auf direkten kassatorischen Rechtsschutz, solange andere Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen. Dennoch muss der mangelnde nachträgliche Rechtsschutz dringend mit einer breiten Beteiligung aller Betroffenen vor der Verabschiedung des Gesetzes kompensiert werden. Dies sollte sich die Initiative natürlich nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen, sondern auch deshalb zu Herzen nehmen, weil eine Beteiligung aller Betroffenen Voraussetzung einer jeden erfolgreichen Volksinitiative ist.
Zuständigkeitsgerangel auch in der Verkehrspolitik?
Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wurde der Berliner Gesetzgebung zuletzt in der Wohnungspolitik zum Verhängnis. Auch im Bereich der Verkehrspolitik muss sich der Landesgesetzgeber mit der Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers auseinandersetzen und von dieser abgrenzen. Der Bund ist gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 Var. 1 GG für das Straßenverkehrsrecht zuständig, die Länder sind für das Straßenrecht zuständig. Während das Straßenrecht der Bereitstellung der Straßen für einen in der Widmung festgelegten Gemeingebrauch dient, reagiert das Straßenverkehrsrecht auf polizeiliche Anforderungen an den Verkehr, um Gefahren abzuwehren und Sicherheit zu gewährleisten. Über den Gemeingebrauch entscheidet das (landesrechtliche) Straßenrecht – über die Ausübung des Gemeingebrauchs entscheidet das (bundesrechtliche) Straßenverkehrsrecht (BVerfG, Beschluss vom 09. Oktober 1984 – 2 BvL 10/82 – Laternengarage, insb. Rn. 66). Danach lässt sich der „Volksentscheid Berlin autofrei“ der Länderkompetenz für das Straßenrecht zuordnen. Mit der Teileinziehung wählt die Initiative ein straßenrechtliches Instrument, das den Gemeingebrauch – das „Ob der Straßennutzung“ – auf einen bestimmten selbst definierten Benutzerkreis beschränkt. Es bleibt dem Bundesgesetzgeber unbenommen, innerhalb des durch den Gemeingebrauch vorgegebenen Rahmens das „Wie der Straßennutzung“ weiterhin durch straßenverkehrsrechtliche oder auch immissionsschutzrechtliche Vorgaben zu regeln.
Dass die Initiative mit ihrem Gesetz auch Ziele der Verkehrssicherheit oder der Luftreinhaltung verfolgt (§ 1 Abs. 2 GemStrG-E) und damit Bundeszuständigkeiten berührt, vermag an der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung nichts zu ändern. Maßgebend für die Zuordnung ist der Schwerpunkt und der Gegenstand des Gesetzes und nicht ein reflexartig mitverwirklichtes Gemeinwohlziel (BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07, Rn. 98).
Das Damoklesschwert der Unverhältnismäßigkeit
Schließlich bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit, die – so scheint es – die Debatte bisher beherrscht hat und die viele Berliner*innen aus eigener Betroffenheit umtreibt. Denn der Gesetzentwurf greift in grundrechtlich geschützte Positionen, wie das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Ob diese Eingriffe mit den Zielen insbesondere des Gesundheitsschutzes nach Art. 2 Abs. 2 GG (Verkehrssicherheit, Verringerung der Lärm- und Luftbelastung) und des Klima- und Umweltschutzes nach Art. 20a GG gerechtfertigt werden können, kann hier nicht erschöpfend diskutiert werden. Nicht vergessen darf man dabei weitere freiheitssichernde Aspekte der Autoreduzierung, wie z.B. die Berufsfreiheit derjenigen Gewerbetreibenden, die den frei werdenden Raum auf Parkflächen für ihr Gewerbe nutzen können oder die allgemeine Handlungsfreiheit aller nicht motorisierter Verkehrsteilnehmer*innen, die ihre Mobilitätsform platzgreifender und sicherer ausüben können (siehe für ein aktuelles Beispiel hier).
Kritikwürdig ist in diesem Zusammenhang aber die Ausgestaltung der Privatfahrten-Regel. Dass das Gesetz abschließend zwei Zwecke vorgibt, für die die Bürger*innen ihre zwölf Privatfahrten nutzen dürfen (Transport oder Ausflug), erschwert die Rechtsdurchsetzung, weil es bei der Kontrolle Fragen aufwirft, wie „Ist das transportierte Gut wirklich zu sperrig für die U-Bahn?“ oder „Ist ein Besuch bei der Familie in Brandenburg Erholung?“. Es lässt außerdem sowohl der behördlichen als auch der richterlichen Rechtsanwendung sehr wenig Spielraum, um die Regelung im Einzelfall verhältnismäßig auslegen zu können. Schließlich ist die Ausgestaltung der Privatfahrtenregel rechtspolitisch zweifelhaft. Überließe man es jedem Einzelnen selbst, zu welchem Zweck er seine Privatfahrten unternimmt, würde der Gesetzeszweck gleichermaßen erreicht, schließlich bliebe die absolute Anzahl der Privatfahrten gedeckelt. Das Gesetz wäre aber deutlich freiheitsfreundlicher: Ob jemand seine Privatfahrten für einen Ausflug ins Grüne oder eine Spritztour mit dem geliebten Oldtimer nutzt, sollte ihm überlassen bleiben und die Behörde nicht interessieren.
Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit begegnet die Initiative mit einer Härtefallklausel (§ 13 GemStrG-E), die insbesondere die Fälle abdecken soll, in denen sich die Länge des Arbeitswegs unzumutbar erhöht oder in denen die Nutzung des Kfz zum Schutz einer von Diskriminierung betroffenen Person notwendig ist.
Wichtig für die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes ist schließlich die Übergangsfrist von vier Jahren (insb. § 4 GemStrG-E). Diese Zeit kann die Politik nutzen, um z.B. den ÖPNV auszubauen und die Radinfrastruktur zu verbessern und so den Umstieg auf die autoreduzierte Stadt für alle zu erleichtern. Sollte der Volksentscheid Erfolg haben, muss die Verwaltung sich in der Zeit außerdem dringend so modernisieren und organisieren, dass sie den erhöhten Verwaltungsaufwand, der durch das Antrags- und Anzeigeverfahren entsteht, meistern kann.
Und wie geht es weiter?
Sollte das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf nicht annehmen – und davon ist auszugehen – kommt es in einem nächsten Schritt zum Volksbegehren (Art. 62 Abs. 3 LVerf Berlin). Dann muss die Initiative erneut Unterschriften sammeln und diesmal sieben Prozent der zum Abgeordnetenhaus Wahlberechtigten von ihrer Idee überzeugen (Art. 63 Abs. 1 Satz 2 LVerf Berlin). Das entspricht ca. 172.000 Stimmen (Anzahl der Wahlberechtigten). Erst dann kann die Initiative den Gesetzentwurf im Rahmen eines Volksentscheids allen Berliner*innen zur Abstimmung stellen.
Bis dahin sollte das neu gewählte Abgeordnetenhaus mit der Initiative in einen konstruktiven Dialog über die Zukunft des Verkehrs auf den Straßen Berlins treten. Denn eines hat die Initiative bewiesen: Verkehrswendepolitik ist kein Nischenthema mehr. Für viele Wähler*innen, nicht nur in Berlin, wird das, was die Parteien in Sachen Verkehrswende versprechen, am Sonntag wahlentscheidend sein.
Haben sich die Initiatoren dieser Initiative auch Gedanken darüber gemacht, was die in diesem “autoreduzierten” Bereich wohnenden Autoeigentümer, die nicht über einen eigenen Abstellplatz verfügen, mit ihren Autos machen sollen?
Und was haben die Initiatoren vorgesehen, wenn sich im Extremfall solche Autoeigentümer von ihrem Fahrzeug trennen müβten und es wegen des durch diese Initiative ausgelösten Überangebotes, wenn überhaupt, nur mit erheblichem Wertverlust verkaufen könnten?
Ich kann mir nicht vorstellen, daβ die erforderliche Mehrheit der Berliner solch drastische Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte akzeptiert.
Bei vier Jahren Vorlaufzeit gibt es keinen übermäßigen Schub auf dem bundesweiten Gebrauchtautomarkt, wenn vielleicht 200.000 Autos von über 40 Mio. in Deutschland verkauft würden.
Wer sein Auto behalten will, stellt es auf privaten Flächen ab (Privatparkplätze wird es eher im Überschuss geben) oder parkt außerhalb. Außerhalb macht mehr Sinn, wenn man das Auto auch öfter nutzen möchte.
Vielen Dank für Ihren Beitrag.
Mich beschäftigen v.a. zwei Punkte, die in dem Beitrag auch thematisiert werden.
1. Der Verwaltungsaufwand
Es liegt fernab meiner Vorstellungskraft, dass eine Verwaltung (insbesondere eine mit Vollzugsdefiziten geschlagene wie die Berliner) den enormen bürokratischen Aufwand, der mit der Bearbeitung entsprechender Anträge (Härtefälle etc.) einhergeht, bewältigen kann. Dies gilt umso mehr wenn berücksichtigt wird, dass die “Privatfahrten” an entsprechende Erfordernisse geknüpft werden, deren Nachweise jedenfalls vorgehalten werden müssen. Wenn nur von 18 Millionen solcher Privatfahrten jährlich ausgegangen wird, wären selbst dann, wenn die Prüfungen auf ein Drittel der Fälle beschränkt würde (um eine missbräuchliche Beantragung zu verhindern), ca. 6 Millionen Einzelfallprüfungen jährlich durchzuführen. Selbst bei 5% wären noch 900.000 Verfahren zu bearbeiten. Weitere Problemstellung für Rechtsanwender in den Ämtern wurden in Ihrem Beitrag ja bereits behandelt.
2. Eingriff in die Privatsphäre
Mit der Anzeige von Fahrten verbunden ergeben sich für mich auch Fragestellungen hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre der Bürger. Kann es tatsächlich verhältnismäßig sein, jeden Privatreisegrund zu erfragen (Urlaub mit der Familie in XY, Transport eines Kühlschranks von A nach B, Besuch eines FKK-Badesees)? Ich sehe hier ein enormes Missbrauchspotenzial durch die Aggreagation unfassbar vieler und tiefgehender Informationen (auch z.B.: ärztliche Befunde bez. Mobilitätseinschränkungen etc.). Es handelt sich also um einen enormen Eingriff in den Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
In der Tat wäre es daher besser, auf die Begründung der Privatfahrten in Gänze zu verzichten.
Schade finde ich, dass Sie nur wenig auf die Regelung des Härtefalls “Schutz einer diskriminierten Person” eingehen. Hier bewerte ich einerseits das Missbrauchspotenzial kritisch und frage mich andererseits, nach welchen Kriterien eine dem Schutzbedürfnis logisch vorgelagerte Gefährdung bemessen werden soll.