Bar oder mit Karte?
Zur bevorstehenden Einführung der Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsrecht
Seit nunmehr dreißig Jahren zielt der Gesetzgeber mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) darauf ab, (vermeintlichen) Pull-Faktoren entgegenzuwirken und existenzsichernde Sozialleistungen für Asylsuchende einzuschränken. Das neueste Kapitel in dieser Entwicklung: die Einführung der sogenannten Bezahlkarte. Letzte Woche hat die Bundesregierung ihre Meinungsverschiedenheiten beigelegt und sich darauf verständigt, das AsylbLG anzupassen, um einen rechtssicheren Einsatz der Bezahlkarte zu ermöglichen. Bereits Ende Januar hatten 14 der 16 Bundesländer ein gemeinsames Vergabeverfahren für die Bezahlkarte angestoßen. Einige der diskutierten Bezahlkartenmodelle werden den verfassungsrechtlichen Vorgaben allerdings nicht gerecht: Es droht eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.
Uneinheitliche Praxis in Pilotprojekten
In verschiedenen Landkreisen und kreisfreien Städten sind bereits entsprechende Pilotprojekte im Gange, die sich in ihrer Ausgestaltung mitunter erheblich unterscheiden. So setzt der thüringische Landkreis Greiz die Bezahlkarte allein zur Deckung des notwendigen Bedarfs ein und hat im Zuge dessen die Möglichkeit für eine Abhebung des Kartenguthabens sowie für Zahlungen außerhalb des Landkreises ausgeschlossen. Die Stadt Hamburg erbringt den notwendigen Bedarf in Aufnahmeeinrichtungen weiterhin durch Sachleistungen und setzt die Bezahlkarte lediglich beim notwendigen persönlichen Bedarf ein, wobei Leistungsberechtigten ein abhebbarer Barbetrag von monatlich 50 Euro verbleibt. Die Stadt Hannover erbringt wiederum die komplette Leistung über eine Bezahlkarte, ohne die Möglichkeit von Bargeldabhebungen einzuschränken.
Grundsätzlich soll die Bezahlkarte überall dort einsetzbar sein, wo entsprechende Debitkarten von VISA bzw. Mastercard akzeptiert werden. Allerdings bestehen vielfältige technische Möglichkeiten für weitere Einschränkungen: Ein Anbieter von Bezahlkartensystemen wirbt damit, dass die Kommunen flexibel darüber entscheiden können, eine Nutzung der Karte in bestimmten Bereichen auszuschließen oder Bargeldabhebungen über die Karte einzuschränken bzw. gänzlich auszuschließen. Wie so oft gilt: Was technisch möglich ist, muss noch lange nicht rechtlich zulässig sein. Dies nimmt der vorliegende Beitrag zum Anlass, den rechtlichen Möglichkeiten für den Einsatz von Bezahlkarten im Existenzsicherungsrecht nachzugehen und auf die aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erwachsenden, verfassungsrechtlichen Grenzen hinzuweisen.
Verfassungsrechtlicher Rahmen für die Einführung von Bezahlkarten
Das Grundgesetz gibt weder einen Anspruch auf Leistungen in einer exakt bezifferten Höhe noch auf eine bestimmte Form der Leistungserbringung vor. Stattdessen eröffnet es dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Existenzsicherungsrechts einen Gestaltungsspielraum. Er kann deshalb entscheiden, das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen zu sichern (Rn. 67).
Doch ist der anzuerkennende Gestaltungsspielraum nicht als Freibrief für den Gesetzgeber zu verstehen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, den existenznotwendigen Bedarf realitätsgerecht zu erfassen und die Leistung folgerichtig, in einem transparenten und sachgerechten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs zu bemessen (Rn. 69 ff.). Migrationspolitische Erwägungen, die Höhe der Leistungen bewusst niedrig zu halten, um vermeintlichen Zuwanderungsanreizen entgegenzuwirken, können eine Unterdeckung des existenznotwendigen Bedarfs nicht rechtfertigen (Rn. 95).
Ob die geplante Bezahlkarte diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird, hängt maßgeblich von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Diesbezüglich zeichnen sich vier Probleme ab.
Bezahlkarten könnten soziokulturelles Existenzminimum unterschreiten
Das grundrechtlich geschützte Existenzminimum umfasst nicht nur die bloße physische Existenz des Menschen, sondern auch die für die Teilhabe am politischen, kulturellen und sozialen Leben unerlässlichen Bedarfe. Dabei sind die die physische und die soziokulturelle Seite des Existenzminimums einheitlich zu gewährleisten (Rn. 135; Rn. 64, 94). Diese soziokulturelle Seite des Existenzminimums beziffert das AsylbLG – unter Herausnahme bestimmter Positionen gegenüber dem regulären Sozialhilfeniveau – derzeit auf 204 Euro. Soweit der mit der Bezahlkarte eingeräumte Barbetrag diese Summe unterschreitet, bedarf es tragfähiger Belege dafür, dass Leistungsberechtigte tatsächlich dazu imstande sind, ihre soziokulturellen Bedarfe zu befriedigen: Ein Handyvertrag zur Kommunikation mit Familienangehörigen im Ausland, die Kosten eines Rechtsbeistands, der Mitgliedsbeitrag eines Sportvereins – die soziokulturellen Bedarfslagen sind vielfältig und nicht ohne Weiteres mit einer Bezahlkarte zu decken. Vielmehr ist ein gewisser Barbetrag unabdingbar, um Teilhabe am politischen, kulturellen und sozialen Leben zu ermöglichen. Dem wird das in Hamburg praktizierte Modell mit einem Barbetrag von 50 Euro nicht gerecht.
Sparsam wirtschaften mit Bezahlkarte schwieriger
Weiterhin schränkt die Bezahlkarte Möglichkeiten zum sparsamen Wirtschaften ein, wenn der Großteil des Budgets nur in größeren Geschäften einsetzbar ist, welche Debitkarten als Zahlungsmittel akzeptieren. Die Anschaffung von kostengünstigen Gebrauchtartikeln auf Flohmärkten, in Kleiderläden karitativer Organisationen oder aus Privatverkäufen können Betroffene praktisch nur aus dem knapp bemessenen Barbetrag finanzieren.
Dies erweist sich deshalb als besonders heikel, weil die Bezahlkarte zugleich den Spielraum zum internen Ausgleich verschiedener Bedarfspositionen einschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass eine pauschal bemessene Regelleistung zur Sicherung des Existenzminimums es ermöglichen muss, individuelle Mehrbedarfe in einer Bedarfskategorie durch Einsparungen bei anderen Bedarfspositionen auszugleichen (Rn. 172 und Rn. 117 ff.). Wer etwa einen erhöhten Bedarf an Telekommunikation hat oder häufiger neue Kleidung benötigt als der statistische Durchschnitt, kann dies bei einer Geldleistung problemlos ausgleichen, indem sie oder er an anderer Stelle weniger Geld ausgibt. Ein solcher Spielraum zum internen Ausgleich war ausschlaggebend dafür, dass der Senat im Jahr 2014 die Regelleistung im SGB II als derzeit noch verfassungsgemäß erachtet hat.
Im Asylbewerberleistungsrecht ist die Regelleistung zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs nochmals enger bemessen. Eine alleinstehende Person erhält nach dem AsylbLG monatlich knapp hundert Euro weniger als nach dem SGB II. Zur Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ist derzeit auch ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig (hier). Gerade weil die Bedarfssätze im Asylbewerberleistungsrecht so knapp bemessen sind, bleibt ein hinreichender Spielraum zum Ausgleich verschiedener Bedarfspositionen unabdingbar, damit Betroffene ihr Existenzminimum auch tatsächlich sichern können. Nicht zuletzt fallen im Bereich des Existenzminimums auch verhältnismäßig kleine Geldbeträge überaus stark ins Gewicht – etwa wenn mit jeder Abhebung des auf der Karte befindlichen Barbetrags Bankgebühren von zwei Euro oder ggf. höher einbehalten werden. Eine solche Praxis, die Verwaltungskosten der Karte vom Existenzminimum der Leistungsberechtigten faktisch in Abzug zu bringen, ist nicht haltbar.
Verlust von Autonomie und Gefahr der Diskriminierung
Die Bezahlkarte schränkt zugleich die Autonomie der Leistungsberechtigten ein, da sie nicht in gleicher Weise wie bei einer Geldleistung über die zur Existenzsicherung benötigten Mittel verfügen können. Besonders deutlich wird dies bei dem gegenwärtig diskutierten Vorschlag, den Einsatz der Bezahlkarte zum Kauf von Tabakwaren oder Alkohol mittels technischer Vorkehrungen auszuschließen. Die normative Wertung, Genussmittel nicht zum Existenzminimum zu zählen, ist an und für sich vertretbar. Derartige Ausgabepositionen werden bereits jetzt bei der Berechnung der Regelsätze ausgeklammert mit der Konsequenz, dass Leistungsberechtigte den Konsum von Genussmitteln nur durch Einsparungen in anderen Bedarfskategorien finanzieren können. Problematisch ist aber, dass die Betroffenen nicht frei über ihr Ausgabeverhalten bestimmen und nicht in gleicher Weise am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können wie Personen, die nicht im Leistungsbezug stehen. Das paternalistische Ansinnen, Leistungsempfängern bestimmte Ausgabepositionen zu verbieten und sie dadurch zu „besseren“, gesünder lebenden Menschen zu erziehen, ist dem Sozialleistungsrecht fremd. Hingegen ist die Stigmatisierung von Hilfebedürftigen im Existenzsicherungsrecht zu vermeiden. Hierzu hatte das Bundesverwaltungsgericht einst die Maßgabe aufgestellt, dass die Sozialhilfe es Hilfebedürftigen ermöglichen müsse, „in der Umgebung von Nicht-Hilfeempfängern ähnlich wie diese“ zu leben (BVerwGE 36, 256).
Mit der Bezahlkarte einhergehende Diskriminierungseffekte lassen sich zudem als gleichheitsrechtliches Problem begreifen (so auch die rechtspolitische Kritik). Der Einsatz der Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsrecht stellt eine Ungleichbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten anderer Grundsicherungssysteme dar, die selbstbestimmt über Geldleistungen verfügen können. Offen ist, ob eine solche Ungleichbehandlung innerhalb des Existenzsicherungsrechts am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat es zumeist abgelehnt, im Bereich des Existenzminimums auf weitere Grundrechte zurückzugreifen, und den allgemeinen Gleichheitssatz bislang nur vereinzelt neben dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums geprüft (Rn. 68 ff.). Eine mit Stigmatisierungsrisiken behaftete Bezahlkartenpraxis böte Anlass, auch hier über eine ergänzende Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes nachzudenken.
Räumliche Beschränkungen sind dem Existenzsicherungsrecht fremd
Weiterhin begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, den Einsatzbereich der Bezahlkarte auf einen bestimmten Landkreis zu beschränken, wie es derzeit bei einem Modellversuch im thüringischen Landkreis Greiz der Fall ist. Zwar mag es aus Sicht der Kommunalpolitik verlockend erscheinen, Kaufkraft innerhalb des jeweiligen Landkreises zu behalten und zugleich etwaigen aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen zur Geltung zu verhelfen. Dem Recht der Existenzsicherung sind diese Ansinnen jedoch fremd.
Das Asylverfahrensrecht sieht eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf Landkreisebene nur in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bzw. solange vor, wie die betreffende Person der Verpflichtung unterliegt, in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§§ 56 Abs. 1, 59a Abs. 1 S. 2 AsylG). Für andere vom Asylbewerberleistungsgesetz erfasste Personengruppen besteht keine vergleichbare räumliche Beschränkung auf Landkreisebene. So ist der Aufenthalt von Geduldeten grundsätzlich nur für die Dauer von drei Monaten auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt (§ 61 Abs. 1, 1b AufenthG). In diesen Fällen lässt sich bei der Gewährung existenzsichernder Sozialleistungen keine engmaschigere Beschränkung des Aufenthalts etablieren als durch die einschlägigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen vorgegeben wird. Dies wäre nicht nur paradox, sondern gemessen an der Zielsetzung des Existenzsicherungsrechts auch schlichtweg systemfremd.
Plädoyer für eine verfassungskonforme Umsetzung der Bezahlkarte
Abschließend plädiert dieser Beitrag einmal mehr dafür, den gegenwärtigen Diskurs um das Asylbewerberleistungsrecht faktenbasiert und im Lichte der einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu führen. Für die Annahme, dass Geflüchtete Geldleistungen in großem Stil in ihre Herkunftsländer weiterleiten würden, existieren keine belastbaren Belege (mehr dazu hier). Die mit der Bezahlkarte einhergehende Einschränkung der Dispositionsfreiheit und der Verlust von Autonomie sind für die Leistungsberechtigten hingegen real.
Beim Einsatz der Bezahlkarte ist sicherzustellen, dass der gesamte existenznotwendige Bedarf durchgängig gedeckt ist. Dies setzt zum einen voraus, dass hinreichende Möglichkeiten zum Einsatz der Bezahlkarte – auch zur Erfüllung der soziokulturellen Bedarfe – gegeben sind. Zum anderen muss der auf der Karte eingeräumte Barbetrag so bemessen sein, dass den Betroffenen ein interner Ausgleich zwischen verschiedenen Bedarfspositionen auch tatsächlich möglich ist. Weitergehende Restriktionen wie die Sperrung der Bezahlkarte für bestimmte Ausgabepositionen oder die räumliche Beschränkung ihrer Nutzung auf das Gebiet eines Landkreises sind verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.