Beim Geld hört die Freiheit nicht auf – Kirchliche Freiheit und staatliche Finanzierung
Ein vergangene Woche bekannt gewordener Beschluss des BVerfG hat die Diskussion um die Loyalitätsobliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer wieder genährt. Zwei wesentliche Diskussionslinien betreffen 1. die inhaltliche Reichweite der kirchlichen Freiheit und 2. ihre Grenzen angesichts staatlicher Finanzierung. Zum ersten Punkt hat das BVerfG gesprochen und Maximilian Steinbeis gebloggt. Der zweite Punkt kommt bei beiden nicht vor. Darum soll es hier um „das liebe Geld“ gehen.
1.
Eine erste Frage ist, ob religiöses (oder weltanschauliches) Handeln mit wirtschaftlicher Betätigung vereinbar ist. Das bejaht das BVerfG seit dem Lumpensammlerfall (1968), bestätigt in der späteren Osho-Entscheidung (2002):
Allein durch die Bewertung … als geschäftliche Wettbewerbshandlung werden Grundrechte der Beschwerdeführerin … nicht verletzt… Wenn aber das angefochtene Urteil … nur (Hervorhebung von mir) Gesichtspunkte des geschäftlichen Verkehrs für maßgeblich hält, so berücksichtigt diese Betrachtungsweise nicht die der Beschwerdeführerin als religiöser Vereinigung für einen karitativen Zweck zugute kommende Ausstrahlungswirkung des Rechts auf ungestörte Religionsausübung (BVerfGE 24, 236 [244 f.]).
„Dieser Annahme (sc. dass es sich bei der Osho-Bewegung jedenfalls um eine Weltanschauung handelt) steht nicht entgegen, dass sich die Beschwerdeführer wie die Osho-Bewegung insgesamt auch wirtschaftlich betätigen. Die ideellen Zielsetzungen dieser Bewegung dienen, wie die Tatsachengerichte im Ausgangsverfahren … festgestellt haben, den Beschwerdeführern und ihren Anhängern nicht nur als Vorwand für wirtschaftliche Aktivitäten“ (BVerfGE 105, 279 [293]; Hervorhebungen von mir).
Glaube und Geschäft
Das ist konsequent, wenn man der Auffassung (auch des BVerfG) folgt, dass nur der Inhaber des Grundrechts bestimmen kann, was er beispielsweise meint (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG), woran er glaubt (Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG) oder was er tut oder nicht tut (allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG). Denn dann ist die geschäftliche Betätigung von einem religiösen Motiv geleitet und auf ein religiöses Ziel ausgerichtet, was sie zu einem zugleich religiösen Handeln macht. So verliert der Künstler seine Eigenschaft als Künstler auch nicht dadurch, dass er mit seiner Kunst auch Geld verdient, ebenso wenig der Professor seine Eigenschaft als Wissenschaftler. Andernfalls müsste hingenommen werden, dass ein anderer (wer eigentlich?) für mich entscheidet, was ich zu meinen, zu glauben, zu tun oder zu unterlassen habe. Der Professor müsste dann akzeptieren, dass nicht er, sondern jemand anderes bestimmt, worüber er forscht, und der Künstler dürfte nur noch solche Kunst machen, die anderen behagt. Und ist ein Künstler, ist ein Professor, eine Kirche von Rechts wegen zum Armsein verpflichtet? Das scheint mir doch kein freiheitliches Konzept zu sein.
Für die Forderung nach einem abgestuften Schutzkonzept heißt das, dass die entsprechenden Abstufungen nicht vom Staat, sondern nur von den jeweiligen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vorgenommen werden dürfen. Alles andere ist Fremdbestimmung, nicht Selbstbestimmung. Wer an dieser Stelle einwendet, dann passiere gar nichts, vergleiche etwa die Normen der katholischen Kirche zur Zeit der ersten Entscheidung zu diesem Thema mit den aktuell geltenden: Allenthalben finden sich nun Abstufungen; weitere werden derzeit im Rahmen einer Reform der Grundordnung vorbereitet. Für manche mag das zu langsam gehen und andere werden mit den jeweiligen Abstufungen nicht einverstanden sein – darüber zu befinden, hat aber allein die Kirche, nicht der Staat.
Grenze des so gewonnenen Selbstbestimmungsrechts ist lediglich der vom BVerfG als Vorwand bezeichnete Etikettenschwindel. Ein Fußballverein, der Handball spielt, ist kein Fußballverein, sondern ein Handballverein, mag er auch noch so auf dem Gegenteil bestehen. Ebenso ist eine mammonistische Kirche, deren einziger Zweck darin besteht, Geld zu verdienen, keine Kirche, sondern ein Wirtschaftsunternehmen.
Glaube und Glaubwürdigkeit
Wirtschaftliche Betätigung und religiöses (oder weltanschauliches) Handeln schließen sich daher nicht aus. Ob, in welchem Umfang und in welchem Feld sich das Geschäft aber mit der Glaubwürdigkeit einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft vereinbaren lässt, ist eine ganz andere Frage, allerdings keine rechtliche.
2.
Damit von der Eigenfinanzierung durch die Kirchen zur Fremdfinanzierung durch den Staat. Die dazu vorgetragene These besagt: Finanzieren die Kirchen ihre Einrichtungen selbst, so dürfen sie ihre Maßstäbe an die berufliche und private Lebensführung ihrer Mitarbeiter in den Arbeitsverträgen verbindlich machen; finanziert der Staat diese Einrichtungen mit oder ganz, gilt das nicht, vielmehr müssen sich die Kirchen – in unterschiedlichen Formulierungen und Graden – an die „allgemeinen gesellschaftlichen Werte“, an „das staatliche Arbeitsrecht“, an die „Rechtsordnung“ halten.
Der Gedanke ist naheliegend. Verwenden die Kirchen staatliche Gelder, ist dieses Geld nicht ihr Geld. Sie dürfen es somit nicht für ihre eigenen Zwecke verwenden, sondern sind an die staatliche Zweckbestimmung gebunden: Die Bestimmung des Staates hat Vorrang vor der Bestimmung der Kirchen. Aus diesem Grunde haben dann auch die Bestimmungen des Staates Vorrang vor den Bestimmungen der Kirchen.
Der Gedanke mag naheliegen, er scheint mir dennoch nicht richtig zu sein. Zunächst gilt ganz allgemein: Der Staat hat bei der Daseinsvorsorge die Entscheidung getroffen, nicht alles selbst zu machen, sondern einem Konzept pluraler Trägerschaft zu folgen. Das heißt: Er fördert die unterschiedlichen Einrichtungen nicht, damit diese es so machen, wie er es selbst machen könnte, sondern um deren Verschiedenheit willen. Daher ist es zumindest inkonsequent zu behaupten, wenn private Einrichtungen staatliche Gelder erhalten, sollen sie es genauso machen wie der Staat. Das verkehrt den Grundgedanken ins Gegenteil.
Beim Geld hört die Freiheit nicht auf
Mit dem Konzept der pluralen Trägerschaft finanziert der Staat jedoch nicht allein eine Vielfältigkeit des Angebots an Einrichtungen der Daseinsvorsorge, sondern letztlich die Freiheit derer, die sie anbieten: sei es die Berufsfreiheit eines Wirtschaftsunternehmens, sei es die Religionsfreiheit der Kirchen. Begrenzte man nun die Freiheit der Kirchen nur wegen der Finanzierung des Staates, hieße das, ihnen mit der anderen Hand zu nehmen, was ihnen mit der einen Hand gegeben wurde; es hieße letztlich: Beim Geld hört die Freiheit auf. Zweck der staatlichen Förderung ist dagegen, die Freiheit der verschiedenen Träger zu ermöglichen, nicht, sie einzuschränken. Wir würden uns mit gutem Grund empören, wenn ein Künstler, der vom Staat gefördert wird und eine Ausstellung in Aussicht gestellt bekommt, wegen eines dem Staat oder der Gesellschaft unliebsamen Gemäldes den Hinweis erhält, das mit der Ausstellung sei ja nun schwierig geworden. Der Künstler wird um seiner Kunst, um dieser Freiheit willen unterstützt, nicht damit er Bilder malt, die dem Staat oder der Gesellschaft gefallen. Nicht anders der Wissenschaftler: Wegen seiner Forschung, wegen dieser Freiheit wird ein Professor bezahlt. Der Preis für staatliche Unterstützung besteht nicht in Wohlverhalten. Freiheit ist unbedingt. Beim Geld hört die Freiheit nicht auf!
3.
Wo aber dann? Die Antwort ergibt sich mit Selbstverständlichkeit aus dem Konzept der pluralen Trägerschaft (aus Sicht des Freiheitsverpflichteten) und (aus Sicht der Freiheitsberechtigten) aus dem Konzept der Freiheit: Die Grenze ist dort, wo „Monokulturen“ bestehen. Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass in bestimmten Gegenden oder gar Regionen keine Auswahl zwischen verschiedenen Einrichtungen der Daseinsvorsorge besteht. So mag der einzige Kindergarten im Odenwald oder im Bayerischen Wald ein konfessioneller sein, während der nächste staatliche eine halbe Stunde einfache Fahrt entfernt ist. Von Pluralität und Vielfalt kann bei solchen Monopolverhältnissen in der Tat keine Rede sein.
Daraus, so die vorgetragene Auffassung, sei nun die Konsequenz zu ziehen, dass sich die entsprechenden konfessionellen Einrichtungen den staatlichen anverwandeln sollen: von den Loyalitätsobliegenheiten der Mitarbeiter bis hin zur konfessionellen Prägung der Einrichtung. Der Kindergarten, um bei diesem Beispiel zu bleiben, dürfte dann vielleicht noch katholisch oder evangelisch heißen (oder jüdisch oder muslimisch oder humanistisch etc., wenn man das Argument zu Ende denkt), es aber nicht mehr sein. Es gäbe fortan also Kindergärten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die „echt“ christlich, jüdisch, muslimisch, humanistisch usw. wären, nämlich solche, in deren Einzugsgebiet viele weitere Träger vorhanden sind, und es gäbe die „unechten“, bei denen das nicht der Fall ist. Das wäre nun nicht nur ein staatlich verordneter Etikettenschwindel und im Hinblick sowohl auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit als auch das Selbstbestimmungsrecht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften problematisch, es widerspräche auch der Neutralität des Staates, der sich zwischen „echt“ und „unecht“ kein Urteil erlauben darf. Zudem würde nicht berücksichtigt werden, was Ursache und was Folge der entstandenen Situation ist:
Rückzug vom Rückzug des Staates
Daseinsvorsorge ist nicht notwendigerweise allein, aber zumindest auch Aufgabe des Staates. Die vorhandenen Monopolstrukturen sind nicht dadurch entstanden, dass Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften das tun, was sie als ihre Angelegenheit ansehen, sondern dadurch, dass sich der Staat auf Grund des von ihm gewählten Konzepts entschlossen hat, nicht alles selbst zu machen, sondern freie Träger mit dem Ziel einzubeziehen, eine große Angebotsvielfalt zu erreichen. Das ist nicht vollständig gelungen: Der Rückzug des Staates hat nicht dazu geführt, dass das Konzept flächendeckend verwirklicht werden konnte. Das aber liegt nicht in der Verantwortung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sondern in der des Staates. Wo sein Plan nicht aufgeht, ist es seine Aufgabe, ihn dort, wo es notwendig und soweit es erforderlich ist, anzupassen. Wo das Subsidiaritätsprinzip nicht funktioniert, muss der Staat korrigieren. Es verschlägt nichts, wenn er sich hier stärker engagiert – im Gegenteil: Er ist in der Pflicht! Die sachangemessene und rechtlich belastbare Lösung, um ein größeres Angebot zu erreichen, besteht daher nicht darin, kirchliche Einrichtungen nominell, faktisch oder rechtlich zu verstaatlichen, sondern in einem Rückzug vom Rückzug des Staates. Im Beispiel des ländlichen Kindergartens kann das darin bestehen, dass er einen Fahrdienst für diejenigen Kinder einrichtet, deren Eltern wünschen, dass ihre Kinder statt des ortsansässigen konfessionellen Kindergartens den weiter entfernten staatlichen besuchen. Bei entsprechenden Schulsituationen kommt das Gleiche in Form eines Schulbusses in Betracht. Ein weitergehendes Einwirken des Staates ist je nach Ausgangskonstellation keineswegs ausgeschlossen.
4.
Glaube und Geschäft schließen sich demnach nicht grundsätzlich aus; die Grenze ist allerdings beim Etikettenschwindel erreicht. Staatliche Finanzierung führt überdies nicht zur Bindung kirchlicher Freiheit, sondern soll deren Betätigung stärken. Monopolstrukturen ist mit einem Rückzug vom Rückzug des Staates zu begegnen.
Mit der These, der Staat müsse sich in den genannten Bereichen und Regionen stärker engagieren, bin ich sehr einverstanden. Nur: Was sagen Sie der Sozialarbeiterin/dem Kindergärtner, der in einer Region lebt, in der die christlichen Kirchen die einzigen potentiellen Arbeitgeber sind? Soll er gegen den Staat auf Schaffung konfessionsloser Kindergärten und damit auf Schaffung eines Arbeitsplatzes für Konfessionslose klagen?
Es ist richtig, dass sich der Staat das Engagegement der Kirchen zu Nutze gemacht hat, aber die Kirchen haben diese Lücke freiwillig und gerne gefüllt, sind jedenfalls nicht hierzu gezwungen worden. Monopolisten oder Mitglieder eines Oligopols müssen sich aber staatliche Eingriffe zu Gunsten der Verbraucher/Arbeitnehmer gefallen lassen. Das gilt für die Berufsfreiheit und kann für die Religionsfreiheit nicht anders sein, den hier steht dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche nicht nur das finanzielle Interesse des Verbrauchers, sondern auch die Religionsfreiheit der Arbeitnehmer und Bewerber um einen Job. Denken wir an Blinkfüer: Die Kirche darf natürlich missionieren und sie kann dies auch über ihre wirtschaftliche Betätigung. Dort aber, wo sie ihre wirtschaftliche Macht iS einer Monopolstellung mittelbar nutzt, um Bewerber um einen Job indirekt zum Kircheneintritt zu zwingen oder ihre Arbeitnehmer vom Kirchenaustritt abzuhalten, dort verknüpft sie Missionierung und wirtschaftliche Macht und das ist im Fall der Kirche und Art. 4 genauso inakzeptabel wie im Fall von Springer und Art. 5.
Zur Fremd- und Selbstbestimmung bei einem abgestuften Schutzkonzept:
Der Begriff “abgestuftes Schutzkonzept” entstammt der Abwägung zwischen Pressefreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht. Auffällig ist, dass es für die Pressefreiheit keine reine Selbstbestimmung (mit Plausibilitätskontrolle) gibt: Die Presse darf zwar nach publizistischen Kriterien entscheiden, worüber sie berichten will; für die Abwägung mit anderen Belangen sind aber nicht selbst gewählte publizistische Kriterien maßgeblich, sondern die Informationsbelange der Öffentlichkeit. Welches Gewicht ein “Thema” für die Kirche hat, entscheidet also die Kirche; welches Gewicht dagegen ein “Thema” für die Presse hat, entscheiden staatliche Gerichte. Zugespitzt: Wäre die Bauer Media Group eine Kirche, dürfte sie entscheiden, welches Gewicht Informationen zum Privatleben der Europäischen Fürstenhäuser nach ihrem Selbverständnis haben und die Gerichte wie auch z.B. Caroline von Monaco hätten das hinzunehmen.
Auch ist im Vergleich zur Pressefreiheit auffällig, wie wenig das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss das Gewicht der Interessen des gekündigten Arbeitnehmers und vor allem seine betroffene Lebenssphäre in den Vordergrund stellt. Es geht schließlich nicht um “Du sollst nicht stehlen.”, sondern um die Eheschließungsfreiheit. Das zeigt sich besonders an folgendem Satz:
“Es hat jedoch bisher nicht dargelegt, weshalb diese Rechtspositionen, die begrifflich bei ausnahmslos jeder Kündigung wegen Wiederverheiratung betroffen sind, gerade im vorliegenden Fall in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers des Ausgangsverfahrens den Vorrang vor den Interessen der Beschwerdeführerin einzuräumen.”
Mich würde an erster Stelle interessieren, wie eigentlich Art. 137 III 1 WRV auszulegen ist? Der besagt bekanntlich: “Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.” – Ich meine, dass auch Religionsgesellschaften an die für Rechtsgeschäfte im Übrigen geltenden Bestimmungen gebunden sein sollten, soweit es sich nicht um Verkündungstätigkeit im engeren Sinne handelt. Tatsächlich würde ich bei Erziehungseinrichtungen noch akzeptieren, dass das Teil der selbstgewählten Missionierungsaufgabe ist. Aber der entschiedene Fall spielte nun gerade in einem Krankenhaus, und da kann ich den Verkündungsteil an der Heilung und Pflege einfach nicht mehr erkennen.
Es ist richtig, dass historisch im 19. Jhd. die christlichen Kirchen eingesprungen sind, wo der Staat “versagt” hat. Daraus aber eine Art Bestandsschutz ableiten zu wollen, leuchtet mir nicht ein. Im Übrigen wird das Ganze noch weniger nachvollziehbar, wenn etwa auch das Reinigungspersonal in kirchlichen Einrichtungen jenen Loyalitätspflichten unterworfen wird, die das BVerfG gerade abgenickt hat.
Zweifelhaft scheint mir am Ende auch das Ergebnis zu sein, dass die im sog. Dritten Weg “ausgehandelten” Verträge durchweg unterdurchschnittlich sind, vergleicht man sie mit von nichtkirchlichen Trägern gezahlten Löhnen. Auch das ist wenig christlich, kann aber aufgrund der großen Marktmacht kirchlicher Arbeitgeber im sozialen Bereich gegenüber Arbeitnehmerinen und Arbeitnehmern leider durchgesetzt werden.
Über Aufklärung und Gegenargumente zu den genannten Punkten freue ich mich!
@Katharina Mangold: Entscheidend ist nach der Kirche und dem BVerfG nicht die Verkündungsnähe, sondern auch die tätige Nächstenliebe ist nach christlicher Lehre anscheinend vom Sendungsauftrag umfasst, jedenfalls hat das BVerfG im aktuellen Urteil das so gekauft:
Rn. 5: “Nach dem Selbstverständnis der Kirchen erfordert der Dienst am Herrn die Verkündigung des Evangeliums (Zeugnis), den Gottesdienst (Feier) und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen (Nächstenliebe). Wer in Einrichtungen tätig wird, die der Erfüllung eines oder mehrerer dieser christlichen Grunddienste zu dienen bestimmt sind, trägt demnach dazu bei, dass diese Einrichtungen ihren Teil am Heilswerk Jesu Christi leisten und damit den Sendungsauftrag seiner Kirche erfüllen können (vgl. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 6. Aufl. 2012, § 4 Rn. 10; Zweites Vatikanisches Konzil, Apostolicam Actuositatem , Art. 2, zum römisch-katholischen Verständnis).”
Rn. 102: “Nach dem Selbstverständnis der christlichen Kirchen umfasst die Religionsausübung nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern auch die Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit des christlichen Sendungsauftrages in Staat und Gesellschaft. Dazu gehört insbesondere das karitative Wirken, das eine wesentliche Aufgabe für den Christen ist und von den Kirchen als religiöse Grundfunktion verstanden wird (vgl. BVerfGE 53, 366 ; siehe auch BVerfGE 24, 236 ; 46, 73 ; 57, 220 ; 70, 138 ). Die tätige Nächstenliebe ist als solche eines der Wesensmerkmale der Kirche (vgl. Isensee, in: Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. II, 2. Aufl. 1995, § 59, S. 665). Sie geht von der Zuwendung gegenüber Kranken und Benachteiligten ohne Rücksicht auf Konfession, Bedürftigkeit oder sozialen Status aus. Christliche Organisationen und Einrichtungen versehen die Aufgabe der Krankenpflege daher im Sinne einer an christlichen Grundsätzen ausgerichteten umfassenden medizinischen, pastoralen und seelsorgerlichen Behandlung und verwirklichen damit Sendung und Auftrag ihrer Kirche im Geist ihrer Religiosität und im Einklang mit dem Bekenntnis.”
Das ist tatsächlich genau meine Frage: Müssen wir das der katholischen (im konkreten Fall) Kirche so abkaufen? Reicht es aus, wie Georg Neureither argumentiert, dass die Kirche selbst behauptet: “Ja, das ist bei uns Teil der Glaubenslehre (der Nächstenliebe).”, damit wir alle ansonsten in dem konkreten Bereich üblichen Rechtsbindungen fahren lassen? Reicht jeder “auch Glaubensinhalt” Bezug aus, um beliebige Tätigkeiten dem Schutz der Glaubensfreiheit zu unterstellen? Ist es wirklich so, dass wir keine Grenzen ziehen dürfen?
Ich denke da an den Gegenentwurf präziser Schutzbereichsbestimmungen, wie etwa Böckenförde und Rusteberg sie gefordert haben. Böckenförde hat ja im Sprayer von Zürich (zugegeben, ein kruder Fall) schon mal vorexerziert, dass auch die Kunstfreiheit grundsätzlich fremdes Eigentum achten muss, dass also Kunst, die fremdes Eigentum nutzt, nicht geschützt ist.
Ließe sich dann nicht auch denken, dass die Glaubensfreiheit vielleicht etwas präziser bestimmt werden könnte, dass zB die unterschiedlichen Abs. 1 und 2 differenzierter ausgelegt, der Verweis auf die WRV genauer nachvollzogen wird, als es momentan der Fall ist, wenn das BVerfG auch im aktuellen Urteil wieder vom einheitlichen Grundrecht spricht (Rn. 98): “Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht …”?
Der Umstand der staatlichen Finanzierung ist mE noch nicht einmal entscheidend. Tatsache ist doch, dass der von AX zitierte Satz des BVerfG die (staatlichen) Gerichte in eine Abwägung zwingt, in der das Recht auf Eheschließung (Art. 6 Abs. 1 GG) quasi zwangsläufig immer unterliegt.
Bemerkenswert am Urteil ist auch die Kostenentscheidung, die offenbar darauf beruht, dass es die Beschwerdeführerin unterlassen hat, die Urteile des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgericht substantiiert anzugreifen (Rn. 79). Weiß jemand, ob es hierfür einen bestimmten Grund gab, oder haben wir es mit einem Haftungsfall der Herren Thüsing und Rüfner zu tun?
Ich versuche, es kurz und knackig zu machen:
Die Dogmatik zu Art. 137 III 1 WRV ist keine andere (mehr) als die verfassungsrechtliche Dogmatik im Übrigen. Der sachliche Schutzbereich wird subjektiv, also von den Religionsgemeinschaften, bestimmt; sie bestimmen – in den Worten von Art. 137 III 1 WRV – somit selbst, was „ihre Angelegenheiten“ sind. Die Schrankenformel stellt einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt dar. Dann kommt die übliche Güterabwägung mit der Aufgabe, praktische Konkordanz herzustellen.
Was also „Verkündigungstätigkeit im engeren Sinne“ und was Verkündigungstätigkeit im weiteren Sinne ist, können, da zum sachlichen Schutzbereich gehörig, nur die Religionsgemeinschaften sagen. Wenn Katharina Mangold den engen Verkündigungscharakter bei Erziehungseinrichtungen noch akzeptiert, bei Heilung und Pflege hingegen nicht, legt sie unausgesprochen eine andere Bestimmung als die der Religionsgemeinschaften zu Grunde, ohne zu sagen, welche. Das müsste sie aber offenlegen. Ich finde, hier offenbart sich sehr schön, dass dann eben ein Dritter die Differenzierung vornehmen müsste. Wer? Und nach welchen Kriterien? Der Staat darf es wegen der Neutralität nicht. Was verkündigungsnah und was verkündigungsfern ist, können letztlich nur die Religionsgemeinschaften sagen. Und bei Heilung und Pflege fällt mir als theologischem Laien immerhin der barmherzige Samariter ein, so dass ich die Verkündigungsnähe durchaus auch gegeben sehe. Behaupten auf der einen und „abkaufen“ auf der anderen Seite reicht jedenfalls nicht. Bei Zweifeln muss eine Religionsgemeinschaft das darlegen.
Dass die Kirche bei den verschiedenen Tätigkeiten durchaus differenziert, ist den Links in meinem Beitrag zu den zeitlich unterschiedlichen Fassungen der Grundordnung zu entnehmen. Diese Entwicklung geht aktuell weiter: Eine neue Grundordnung ist gerade im Werden.
Zwei Einwände will ich noch hinzufügen. Wenn wir schon auf der Ebene des sachlichen Schutzbereichs Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften herausfiltern, machen wir etwas, was nach dem Stand der Technik erst auf der Ebene der Rechtfertigung zu erfolgen hätte. Dort würde in einem weichen Verfahren entschieden, welche Gesichtspunkte schwerer und welche leichter wiegen. Das ist ein relationelles Verfahren, weil Interessen von Personen in eine Beziehung zueinander gesetzt werden. Machen wir das schon auf der Schutzbereichsebene, sagen wir hart, dass das, was aus dem Schutzbereich rausgeflogen ist, einer Abwägung überhaupt nicht standhalten kann. Wir verabsolutieren also etwas. Wir würden zu einem Beteiligten in unseren juristischen Worten sagen: Das ist Quatsch. Ob wir damit Akzeptanz finden, bezweifle ich.
An Versuchen, zu präziseren Schutzbereichsbestimmungen zu kommen, hat es in den vergangenen Jahrzehnten wahrlich nicht gefehlt. Böckenförde und Rusteberg wurden schon genannt. Classen, Pieroth/Schlink und Schoch könnte man speziell zu Art. 4 I, II GG hinzufügen. Bei Art. 2 I GG ist es etwa die Persönlichkeitstheorie statt der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie das Sondervotum von Grimm zum „Reiten im Walde“, bei Art. 5 III 1 GG ist es der Streit um den Kunstbegriff. Weitergekommen sind wir aber, wie ich finde, dennoch nicht.
Der zweite Einwand lautet schlicht: Es hat ein Weilchen gedauert, das Staatskirchenrecht in die allgemeine Verfassungsdogmatik einzufügen. Fangen wir doch jetzt nicht an, wieder eine Sonderdogmatik zu entwickeln! Dann könnte ganz generell auch der Eindruck vermieden werden, dass die Inanspruchnahme von Grundrechten wohl nur etwas für Schönwetterperioden ist, und wenn’s duster wird, spannen wir den Abwehrschirm der Schutzbereichsbeschränkung auf.
Um Bestandsschutz und Aufgabe aller Rechtsbindungen kann es angesichts des einfachen Gesetzesvorbehalts des Art. 137 III 1 WRV natürlich nicht gehen. Für falsch halte ich im Übrigen, dass das BVerfG das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften auch auf der Schrankenebene berücksichtigt („ein besonderes Gewicht beizumessen“, Rz. 125). Das macht das Gericht in ständiger Rechtsprechung (Nachweise ebd.) falsch. Der sachliche Schutzbereich wird von den Religionsgemeinschaften bestimmt, die Schranken bestimmt der Staat!
Vollauf Recht gebe ich Katharina Mangold in Folgendem: In einer Kirche, die ihrem Auftrag und dem Mitmenschen verpflichtet und zugewandt ist, darf es keine Lohn- und Arbeitsbedingungen geben, die diesem Leitbild nicht entsprechen. Das ist eine Frage von Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit, von Vertrauenswürdigkeit und Glaubwürdigkeit. Sonst delegitimiert sich die Kirche selbst.
Ich fürchte, das ist nun nicht mehr kurz und knackig geworden. Entschuldigung.
“Zunächst gilt ganz allgemein: Der Staat hat bei der Daseinsvorsorge die Entscheidung getroffen, nicht alles selbst zu machen, sondern einem Konzept pluraler Trägerschaft zu folgen. Das heißt: Er fördert die unterschiedlichen Einrichtungen nicht, damit diese es so machen, wie er es selbst machen könnte, sondern um deren Verschiedenheit willen.”
Also ein kurzer Blick auf reale staatliche Entscheidungsprozesse zeigt meiner Meinung nach klar dass das so nicht haltbar ist. Der Staat muss zwar bei der Vergabe nicht auf Uniformitaet bestehen, kann also in diesem Fall kirchlichen Traegern erlauben dass deren Bestimmungen zur Geltung kommen, ist aber auf keinen Fall dazu verpflichtet, und kann wenn man will auf Uniformitaet bestehen.
Ich habe ja immer noch gewisse Bauchschmerzen und glaube (ohne das allerdings substantiiert darlegen zu können), dass der Religionsfreiheit von Religionsgemeinschaften ein weit stärkeres Gewicht zugesprochen wird als es andere Grundrechtsträger für sich in Anspruch nehmen dürfen.
Bei der (bzw einigen) Religion(en) sagt die Mehrheitsmeinung: Was der Religionsfreiheit unterfällt entscheidet die entsprechende Religionsgemeinschaft selbst. Und alles, wo das Etikett “Religionsausübung” draufklebt, ist dann der weltlichen Gerichtsbarkeit weitgehend entzogen.
Bei anderen Grundrechten wird diese Position dann eher selten bezogen. Und schon bei Religionsgemeinschaften, die nicht zu den hergebrachten in Deutschland gehören scheint man sich eher ein Urteil zu erlauben.
Nähme man das religiöse Selbstbestimmungsrecht ernst, so müssten doch auch etwa eine Hanfplantage kein Problem sein, wenn sie von einigen (nach Selbsteinschätzung) Rastafaris zu (nach Selbsteinschätzung) religiös motivierten Zwecken betrieben wird.