Parlamentskultur und Bundesverfassungsrichterwahl
Warum fachliche Professionalität eine Gelingensbedingung von Richterwahlen zum Bundesverfassungsgericht und Wertepathos ein schlechter Kompass ist
Einen Kommentar zur derzeit schwebenden Wahl eines Richters und zweier Richterinnen an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) abzugeben, fällt mir nicht leicht, weil man sich den Betroffenen fachlich wie menschlich verbunden fühlt. Der beschämende Umgang mit dem Wahlvorgang und zwei fachlich offenkundig hervorragend geeigneten Kolleginnen hat viele empört – auch mich. Empörung ist aber nie ein guter Ratgeber. Die Causa bietet jedoch einen Anlass, sich die rechtliche Funktion des Wahlverfahrens, dessen ungeschriebene Voraussetzungen und damit die Gelingensbedingungen von überzeugenden Richterwahlen näher anzusehen.
Formale Legitimationssicherung
Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) regelt im Wesentlichen nur das Wahlverfahren für die Richterinnen und Richter des BVerfG. Die vom Bundestag zu berufenden Richterinnen und Richter werden nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG auf Vorschlag des Wahlausschusses (§ 6 Abs. 2 BVerfGG) ohne Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln gewählt. Die vom Bundesrat zu berufenden Richterinnen und Richter werden nach § 7 BVerfGG mit zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates gewählt. Thematisiert werden also nur die Mechanismen der Legitimationssicherung, während die vorgelagerte Personalauswahl vom Gesetz nicht adressiert wird und weitgehend opak bleibt. Klar ist aber, dass die entscheidende Personalfindung im Vorfeld stattfinden muss und zugleich zwischen Bundestag und Bundesrat zu koordinieren ist, um eine ausgewogene Gesamtbesetzung des Gerichts zu gewährleisten.
Überzeugende Richterpersönlichkeiten
Welche persönlichen Anforderungen an Richterinnen und Richter zu stellen sind, bleibt weitgehend ungeregelt. Das Gebot der Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG) gilt richtigerweise nicht. Das Wahlverfahren nach Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG ist lex specialis und bindet die wählenden Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat nicht an materielle Auswahlkriterien. § 3 Abs. 1-2 BVerfGG enthält lediglich formale Bedingungen der Wählbarkeit (Mindestalter, Befähigung zum Richteramt). Eine vernünftige Personalauswahl, die den Funktionen und Aufgaben des BVerfG gerecht wird, wird daher den politischen Kräften anvertraut, die einen Wahlvorschlag vorbereiten. Das hat auch in den bald 75 Jahren Geschichte des BVerfG im Großen und Ganzen recht gut funktioniert.
Besetzt werden soll kein politisches Organ, sondern ein Gericht, das auch das BVerfG – bei allen Besonderheiten seiner Entscheidungskompetenzen – bleibt (§ 1 BVerfGG). Der Umgang mit dem Verfassungsrecht erfordert daher zunächst einmal belegte hohe juristische Professionalität. Verfassungsinterpretation ist anspruchsvoll. Obgleich die unhintergehbare Kontingenz bei der Ausdeutung offener Verfassungsbestimmungen nicht werturteilsfrei möglich ist, geht es weniger um – in der Politik gerne beschworene, aber oft nur intellektuelle Hilflosigkeit markierende – „Werte“, sondern vorrangig um solides Handwerk. Einzelne Richterinnen und Richter müssen in der Lage sein, einen heterogenen achtköpfigen Senat fachlich zu überzeugen. Das gelingt nur mit juristischen Argumenten, nicht mit einer politischen Agenda.
Wichtiger als inhaltliche Positionierungen in einzelnen Sachfragen ist daher die zu erwartende Begründungsqualität, also die methodische Stringenz und Überzeugungskraft, sowie die Fähigkeit, juristische Argumente nachvollziehbar (und damit: kritisierbar) zu vermitteln. Nicht weniger wichtig ist die Bereitschaft, andere Positionen ernst zu nehmen und sich mit ihnen seriös auseinanderzusetzen. Ob das geschieht oder nicht, lässt sich gerade bei Professorinnen und Professoren vergleichsweise einfach verifizieren, haben diese doch typischerweise umfangreich veröffentlicht. Diskursfähigkeit hängt weniger von mitunter streitbaren Ausgangspositionen als von der Bereitschaft ab, diese zu reflektieren und entscheidungsorientiert zu überdenken.
Karrieren in der Staatsrechtslehre am Bundesverfassungsgericht
Wenn man ausgezeichnete Staatsrechtslehrerinnen und Staatsrechtslehrer am Gericht haben möchte, muss man auch damit leben, dass diese mitunter eigenwillige Positionen vertreten (haben). Wissenschaftliche Karrieren werden nicht durch Nacherzählen der BVerfG-Rechtsprechung gemacht und wir alle erwarten von einer Wissenschaft, die gerade im Verfassungsrecht kritische Gegenöffentlichkeit zu den Praktiken der staatlichen Organe sein soll, genauer hinzusehen, festgefahrene Dogmen zu hinterfragen und – vielleicht auch einmal provokativ – bessere Begründungen einzufordern.
Konsensbasierte Verfassungsrechtsprechung eines Kollegialgerichts funktioniert zudem anders als die Entfaltung individueller Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG). Die unterschiedlichen Rollenfunktionen von individueller Wissenschaftlerin einerseits und Richterin in einem Kollegialgericht muss man unterscheiden können. Die wissenschaftlich geschulte Fähigkeit, genau hinzusehen und Konflikte präzise zu adressieren, dürfte hingegen unabhängig vom eigenen Ausgangspunkt immer helfen, Entscheidungen noch besser zu machen. Wer hingegen plump politische Passfähigkeit honoriert, schadet nicht nur dem Gericht, sondern verschenkt auch reale Einflusschancen auf die Rechtsprechung. Das BVerfG ist kein verlängerter Biertisch der Nation – oder sollte es jedenfalls nicht werden.
Die Staatsrechtslehre sollte sich wiederum selbstkritisch fragen, ob der Hang einiger Mitglieder, verfassungsrechtliche Positionen in simple politische Botschaften im X-Format umzugießen, nicht genau der Nährboden ist, auf dem Diskurse politisiert eskalieren. Wer 100 Seiten Bundesverfassungsgerichtsbeschluss auf ein paar polemische Kurzbotschaften reduziert, suggeriert ein Niveau von Verfassungsrecht, auf dem dann wirklich jeder nach politischem Gusto mitreden kann.
Anforderungen an die Auswahlentscheidung
Aus den Erwartungen an eine gelungene Personalauswahl ergeben sich Anforderungen an die informale Organisation der Wahlvorbereitung durch die Politik. Die Beurteilung, ob jemand entsprechende Qualitäten mitbringt oder nicht, setzt unvermeidbar akribische Vorbereitungen (durch geeignete Stäbe) voraus, die wissenschaftliche Positionen in ihrer Begründungsqualität, Sorgfalt und Differenziertheit analysieren. Man muss sich sehr genau ansehen, ob vertretene Positionen nachvollziehbar wissenschaftlich begründet sind oder camouflierte politische Statements mit ein paar angeklebten Anstandsfußnoten bleiben. Vertretene Interpretationen sind in den Meinungsstand einzuordnen, der immer breiter sein wird als der verfassungsdogmatische Mainstream.
Gerade weil Verfassungsinterpretation mehr als professionelles Verfassungshandwerk ist, kommt es darauf an, innerhalb eines Korridors des Ernstzunehmenden auf die pluralistische Ausrichtung des Gerichts insgesamt zu achten. Argumentative Qualität und Pluralismus der Positionen sind keine Garantie für ausgewogene Rechtsprechung, aber doch immer noch das beste Sicherheitsnetz gegen Einseitigkeiten, politische Vereinnahmung oder mangelnde epistemische Härte in der Rechtsprechung des Gerichts. Daran sollten eigentlich alle Mitglieder des Deutschen Bundestags ein gemeinsames Interesse haben. Bei Professorinnen und Professoren ist daher eine gründlichere Aufbereitung des wissenschaftlichen Werkes kaum verzichtbar, bei den Berufsrichterinnen und -richtern kommt es vermutlich auf Beurteilungen innerhalb der obersten Bundesgerichte an, wenn man es mit der Rechtsprechungsqualitätssicherung ernst nimmt. Wer hingegen in den wissenschaftlichen Positionen einer zur Wahl vorgeschlagenen Professorin vornehmlich seine eigenen politischen „Werte“ sucht, hat weder die Funktion pluralistischer Personalauswahl noch die Arbeitsmechaniken von Verfassungsrechtsprechung richtig verstanden. Das sollte peinlich sein.
Ein Sündenfall zur Anschauung
Der irrlichternde Umgang mit Frauke Brosius-Gersdorf bietet gleich kumuliertes Anschauungsmaterial, wie Richterwahlen nicht ablaufen sollten. Ursprünglich entzündete sich Streit an Positionen zum Lebensschutz Ungeborener. Das verwundert. Es ist seit Jahrzehnten in der Grundrechtsdogmatik umstritten, ob Lebensschutz untrennbar mit der Zuschreibung von Menschenwürde verbunden ist (so die Linie des BVerfG, die auch ich für richtig halte) oder ob beides entkoppelt werden sollte, was nicht nur Brosius-Gersdorf, sondern viele in der Staatsrechtslehre mit nachvollziehbaren Argumenten vertreten. Hier geht es um einen dogmatischen Meinungsstreit, dessen Folgen vermutlich überschaubar bleiben. Selbst wenn man Embryonen und Föten Menschenwürde zuschreibt, ist damit die Frage der Rechtsfolgen noch nicht beantwortet, die hieraus qua staatlicher Schutzpflicht gezogen werden. Das ist schwierig und wird – wie jeder mehrpolige Grundrechtskonflikt – immer differenzierte Konzepte staatlicher Intervention erfordern. In der Abwägung liegt die Stärke unseres Grundrechtsmodells. In welchem Umfang Kriminalisierung zum wirksamen Schutz Ungeborener notwendig ist, kann man unterschiedlich bewerten. Unterscheidet sich das aus krummem Holz geschnitzte Konzept folgenloser Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, das das BVerfG erfunden hat, wirklich substantiell von dem, was gegenwärtig als „Liberalisierung“ diskutiert wird? Die in der dogmatischen Stringenz verkorkste Rechtsprechung des BVerfG zum Abtreibungsstrafrecht (BVerfGE 39, 1; 88, 203) war – wenig verwunderlich – von Anfang an von Kritik begleitet, und zwar von beiden Seiten. Während einige den Lebensschutz nicht konsequent genug verwirklicht sehen, beklagen andere eine Überdehnung der Schutzpflichten zu Lasten des Persönlichkeitsrechts der Schwangeren. Für beide Perspektiven gibt es gute Argumente. Sollte man darüber nicht verfassungsdogmatisch streiten können?
Demut vor den eigenen Kompetenzgrenzen
Mitglieder des Deutschen Bundestags bilden ein breites Spektrum an Sozialisationen, Lebenserfahrungen und beruflichen Hintergründen ab – ob breit genug, steht auf einem anderen Blatt. Niemand muss jedenfalls Expertin oder Experte der Verfassungsauslegung sein und sich mit den mitunter verästelten Fragen der Verfassungsdogmatik trittsicher auskennen. Das ist für kluge Wahlentscheidungen auch nicht nötig, so wenig wie der Deutsche Bundestag über Steuergesetze abstimmt, deren Regelungsgehalt 630 Abgeordnete verstanden haben.
Es stünde dann aber allen besser zu Gesicht, Zurückhaltung zu üben, wenn es um die Bewertung verfassungsdogmatischer Positionen geht, die wissenschaftlich zu begründen und einzuordnen sind, aber keine politischen Bekenntnisse abbilden sollen. Wertepathos ist ein schlechter Kompass, um durch komplexe Verfassungsdogmatik zu navigieren. Hier gilt wie ganz allgemein die Maxime parlamentarischer Arbeitsteilung im gegenseitigen Vertrauen nach dem Berichterstatterprinzip. Die Freiheit des Mandats (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) ist auch die Freiheit, sich Sacharbeit nach unterschiedlichen Erfahrungen, Fähigkeiten und Arbeitsthemen zu teilen. Aus diesem Grund ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG auch der vorgreifliche Vorschlag des professionalisierten Wahlausschusses konstitutiv für die Plenumswahl. Vertrauen in den dort aggregierten Sachverstand muss man freilich organisieren. Das setzt Führungskompetenz in den Fraktionsspitzen voraus. Wenn hingegen die Wahl der Richterinnen und Richter zu einer rebellischen Bauchentscheidung mit diffusem Wertegrummeln auf der Informationsgrundlage aus dem Kontext gerissener Zitate verkommen sollte, würde der Deutsche Bundestag als fachspezifisches Wahlorgan versagen.
Die Rolle des Wahlverfahrens
In den bisherigen Debatten ist ein weiterer Aspekt unterbelichtet geblieben. Alle drei Vorgeschlagenen wären nach der bis 2015 geltenden Rechtslage gemäß § 6 BVerfGG a. F. bereits gewählt, und zwar durch den Wahlausschuss. Man hatte sich jedoch seinerzeit entschieden, den zwölf Abgeordnete umfassenden Wahlausschuss (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) auf eine (konstitutive) Vorschlagsfunktion zu reduzieren und die Wahl dem Plenum des Deutschen Bundestags zu übertragen. Das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom 24. Juni 2015 (BGBl. I S. 973) schuf die gegenwärtige Regelung des § 6 BVerfGG. Vielleicht ist es gerade jetzt eine gute Zeit, daran zu erinnern: Die Reform der Richterwahl erfolgte durch einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 18/2737), folgte also gemeinsamer demokratischer Verantwortung, keinem Eiertanz um Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Die Gesetzesänderung geschah freilich ohne verfassungsrechtliche Not, denn das BVerfG hatte die lange umstrittene mittelbare Wahl der Richterinnen und Richter nach der früheren Rechtslage für verfassungskonform erachtet (BVerfGE 131, 230, 234 ff.; 142, 1, 3 f.). Tragend waren vielmehr demokratiepolitische Erwägungen.
Ein Blick in die Plenardebatte (Plenarprotokoll 18/106, S. 10193-10197) ist noch immer aufschlussreich: Man wollte – so Matthias Barke (SPD) – „die hohe Legitimität des Bundesverfassungsgerichts“ erhalten und dazu „ein Wahlverfahren für das höchste deutsche Gericht korrigieren, das seit Jahrzehnten verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch hochstrittig war“. Nur eine Wahl im Plenum werde – so Richard Pitterle (Die Linke) – „der Bedeutung dieses Gerichts, das Entscheidungen mit Gesetzeskraft trifft und das auch Entscheidungen des Bundestages revidieren kann, erst wirklich gerecht“. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) betonte das Anliegen, größere Transparenz zu schaffen und wies darauf hin, dass es nicht nur um rechtliche Qualifikation, sondern z. B. auch um Lebenserfahrung, Geschlecht oder regionale Repräsentation gehe. Die Plenarwahl werde „die Legitimation des Bundesverfassungsgerichts […] stärken“. Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) wollte gar „eine Schieflage“ beseitigen, „um dem Verfassungsgericht mehr Würde zu geben“. Sie beklagte, dass die Wahl im Wahlausschuss „doch kurios“ sei, würde dort „mehr Geheimhaltung […] als an manch anderen Orten“ geübt.
Das sind alles redliche und nachvollziehbare demokratiepolitische Erwägungen. Aber von Anfang an gab es auch – wie sich nunmehr zeigt: nicht völlig unberechtigte – Sorgen, dass eine Verlagerung aus dem geschützten Raum des Wahlausschusses in das Plenum zu einer Politisierung der Richterwahl führen könnte, die die vorgeschlagenen Personen und damit mittelbar auch das Gericht beschädigt. Erst recht stieß der heute wohlwollend als naiv zu bezeichnende Wunsch von Renate Künast, sogar öffentliche Anhörungen im Rechtsausschuss durchzuführen, auf (weitsichtige) Skepsis bei Katarina Barley (SPD), die nüchtern erwähnte, dass sich das bisherige Verfahren im Wahlausschuss doch eigentlich bewährt habe und „ein Verfahren, das dem amerikanischen ähnelt, unserer Art, Verfassungsrechtsprechung zu betreiben, nicht gerecht wird“. Legitimationspolitik kann nicht unpolitisch bleiben und die Übertragung der Wahl auf das Plenum erfüllt einen Sinn nur dann, wenn damit die Politizität erhöht wird, was aber gewisse Politisierungsrisiken in Kauf nimmt.
Wir brauchen neue Parlamentspraktiken
Wie mit einem Wahlverfahren praktisch umgegangen wird, lässt sich gesetzlich nur begrenzt steuern. Gefordert ist die Parlamentskultur, um die es seit einiger Zeit nicht nur gut bestellt ist. Ein anderes Verfahren der Richterwahl braucht andere Praktiken der Willensbildung. Nicht zuletzt müssen diese gewährleisten, dass in der Bewertung komplexe Personalentscheidungen, die auf fachlicher Grundlage getroffen werden, nicht durch eine billige Popularisierung auf dem Niveau von Social Media-Halbwissen wieder auf dem Weg zum Plenarbeschluss entwertet werden.
Die hässlichen Umstände im Kontext der nicht gescheiterten, sondern verschobenen Wahl haben dem Deutschen Bundestag erst einmal Zeit verschafft. Die Zeit sollte genutzt werden, die offenbar versäumte Aufklärungsarbeit nachzuholen und offenkundige Missverständnisse über Positionen abzuräumen. Vielleicht sind Vorstellungsrunden in den Fraktionen sogar ein geeigneter Weg, ein differenziertes Bild zu zeichnen, unberechtigte Sorgen zu entkräften und berechtige Nachfragen zufriedenstellend zu beantworten. Der Deutsche Bundestag müsste auch mit Blick in die Zukunft neue Formen erproben, wie mit der 2015 institutionalisierten Plenumsentscheidung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG sensibel und funktionsadäquat in einem stärker polarisierten Parlament umzugehen ist. Gelingt das nicht, beschädigt sich der Deutsche Bundestag vor allem selbst.
“Die Staatsrechtslehre sollte sich wiederum selbstkritisch fragen, ob der Hang einiger Mitglieder, verfassungsrechtliche Positionen in simple politische Botschaften im X-Format umzugießen, nicht genau der Nährboden ist, auf dem Diskurse politisiert eskalieren.”
Das ist im Grunde genommen die wichtigste Botschaft in diesem ganzen Diskurs. Der Drang, bei allem den ersten Kommentar beitragen zu müssen, zerstört nicht nur die juristische Diskussionskultur. Etwas mehr Zeit zum Überlegen einer Antwort würde allgemein das Internet etwas erträglicher machen.
Das ist so. Es gibt ja einige Kollegen aus dem Kreis der Staatsrechtslehrer, die sich häufiger mit knackigen Aussagen und durchaus steilen Thesen bei Bild.de und Co. zu Wort melden. Ich habe mich da immer schon gefragt, ob die fünf Minuten vermeintlicher Prominenz das wirklich wert sind.
Das sehe ich auch so. Ein relativ großer Teil der Professor:innenschaft hat keine Berührungsängste mit dem X-Format. Das wurde auch hier auf dem Verfassungsblog schon des Öfteren sichtbar. Ich erinnere nur an das Pamphlet von Ende letzten Jahres, in dem über 200 Juraprofessor:innen die Reform des NRW-Hochschulrechts für verfassungswidrig erklärten und sie zu einer Frage des Kulturkampfes machten.
https://verfassungsblog.de/ein-hochschulsicherheitsrecht-verstost-gegen-die-verfassungsrechtliche-gewahrleistung-wissenschaftlicher-forschung-und-lehre/
“dass eine Verlagerung aus dem geschützten Raum des Wahlausschusses in das Plenum zu einer Politisierung der Richterwahl führen könnte”
Ist es denn nicht Konsens (zumindest in den Sozialwissenschaften), dass derartige Wahlen selbstverständlich politisch sind, ganz unabhängig davon, ob im kleinen Kreis oder im offenen Plenum? Eine Wahl durch Politiker ist ein politischer Mechanismus.
Dass derartige Entscheidungen in einer demokratischen Republik in einem “geschützten Raum” stattzufinden haben, ist zumindest befremdlich.