Das Gegenteil von Integration
Die Umsetzung der Vereinbarung im Koalitionsvertrag, dass Ausländer in Deutschland leichter eine deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können (S. 94), wird derzeit von Innenministerin Faeser vorangetrieben und wurde am Donnerstag in einer aktuellen Stunde im Bundestag diskutiert. Getragen von Integrationserwägungen soll insbesondere die für die Einbürgerung erforderliche Aufenthaltsdauer von acht auf fünf Jahre und beim Vorliegen besonderer Integrationsleistungen von sechs auf drei Jahre verkürzt werden. Außerdem soll es leichter werden, neben der deutschen auch eine andere Staatsangehörigkeit zu haben. Zuletzt sollen für Menschen über 67 die Anforderungen erleichtert werden, um die Lebensleistung der sogenannten Gastarbeitergeneration zu würdigen. Die anhaltende und auch in der Bundestagsdebatte vorgebrachte Kritik ist von Ressentiments und längt überwundenen Vorstellungen geprägt, die das gemeinsame Anliegen Integration ins Gegenteil verkehren. Um der Integrationsverantwortung des Staates angemessen Rechnung zu tragen, ist zu einer sachlichen und differenzierten Debatte zurückzukehren.
Statusrechtliches Integrationsinstrument
Die Staatsangehörigkeit fungiert in zweierlei Hinsicht als statusrechtliches Integrationsinstrument. Einerseits findet mit dem Erwerb der Staatsangehörigkeit der Integrationsprozess einen formalen Abschluss und andererseits wird durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit eine eigenständige Integrationswirkung ausgelöst. Tatbestandlich setzt die Einbürgerung eine bereits erfolgte Integration voraus, indem die Beherrschung der deutschen Sprache sowie Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung, die fehlende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die fehlende Abhängigkeit von Sozialleistungen, ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse verlangt werden. Im System des Integrationsrechts ist die Integration damit ein Instrument der Integrationsförderung, soweit der Einbürgerungsanspruch aus einer Steuerungsperspektive als Integrationsanreiz wirkt. Durch die Honorierung besonderer Integrationsleistungen wird diese Anreizwirkung zusätzlich verstärkt.
Eine eigenständige Integrationswirkung entfaltet die Einbürgerung, indem sie jede formale Differenzierung überwindet und sämtliche staatsbürgerlichen Rechte einschließlich des Wahlrechts mit sich bringt. Soweit man mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass das Wahlrecht nach dem grundgesetzlichen Volksbegriff deutschen Staatsangehörigen vorbehalten ist (BVerfGE 83, 37, 51; 83, 60, 71), kann die vollumfängliche politische Integration ausschließlich durch eine Einbürgerung erfolgen und auf diese Weise dem demokratietheoretisch problematischen Auseinanderfallen von Staatsvolk und Wohnbevölkerung entgegenwirken. Diese politische Integration erscheint gerade in Hinblick auf Menschen ab 67 geboten, die seit Jahrzehnten ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben und damit dem deutschen Recht unterworfen sind, ohne dieses selbst mitgestalten zu können. Dass für eben diese Gruppe der Test zur Überprüfung der ausreichenden Deutschkenntnisse durch eine mündliche Prüfung ersetzt werden und der Einbürgerungstest entfallen soll, trägt – wenngleich man sich die Staatsangehörigkeit nicht besonders verdienen muss – einerseits ihrer Lebensleistung Rechnung, gleicht aber vor allem aus, dass der Staat seinem Integrationsauftrag lange Zeit nicht nachgekommen ist, sondern stattdessen von einer – vielfach nicht erfolgten – Rotation im Sinne einer Rückkehr in das Heimatland ausgegangen ist.
Die Vorstellung einer Integration durch Einbürgerung prägte bereits die im Jahr 1993 erfolgte Ergänzung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsortsprinzip. Die Staatsangehörigkeit kann also auch am Anfang des Integrationsprozesses stehen. Seitdem wird Doppel- oder Mehrstaatigkeit hingenommen und durch den Wegfall der Optionspflicht bekräftigt. Auch Unionsbürger dürfen ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten. Statt Loyalitätskonflikte zu befürchten, erkennt das Staatsangehörigkeitsrecht damit implizit die Möglichkeit einer Mehrfachintegration an.
Verantwortung im Integrationsrecht
Integration ist eine Staatsaufgabe, die sich zu einem Staatsziel konkretisiert hat und in dem sich fortentwickelnden Integrationsrecht seinen Niederschlag gefunden hat. Eine wesentliche Aufgabe des Integrationsrechts liegt in der Beseitigung von Integrationshemmnissen, um die Voraussetzungen für die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte zu schaffen. Hierzu gehört auch die Formulierung von Integrationserwartungen im Kontext der Einbürgerung. Diese Integrationserwartungen sind in Abgrenzung zur Assimilation nicht auf einseitige Anpassung, sondern auf die Aneignung des Symbolsystems der Gesellschaft als Voraussetzung für den Mitgliedschaftserwerb auszurichten und werden durch ein staatliches Integrationsangebot in Gestalt der Integrationskurse gefördert. In diesem durch Ordnung und Steuerung geprägten migrationsrechtlichen Integrationsrecht können sich staatliche Maßnahmen allerdings nicht erschöpfen.
Um Integrationshemmnisse zu adressieren, müssen vielmehr nicht nur Menschen mit Migrationsgeschichte in den Blick genommen werden, sondern auch der Staat und die Gesellschaft als Ganzes. Angesichts der Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses kann Integration nur gelingen, wenn die Verantwortung der jeweiligen Integrationsbeiträge entsprechend verteilt und in der Rechtsordnung abgebildet wird. Hier findet das partizipatorische Integrationsrecht seinen Ausgangspunkt. Mit der geplanten Erleichterung der Einbürgerung wird der Staat zum Akteur, ohne dass seine Integrationsverantwortung damit endet. Denn die durch die Einbürgerung bewirkte Vollintegration ist zunächst rein formaler Natur. Während die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte bei der Einbürgerung tatbestandlich festgestellt wird, findet die tatsächliche Integrationsbereitschaft von Staat und Gesellschaft keinerlei Berücksichtigung. Auch insoweit kommt aber dem Staat eine Integrationsverantwortung zu. Soweit nicht bereits bereichsspezifische Grundrechte auf Integration konkrete Ansprüche begründen und eine besondere Schutzverantwortung hervorrufen, ergibt sich hinsichtlich der konkreten Mittel, die sowohl auf der staatlich-institutionellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene ansetzen und Wirkung entfalten können, aus dem Staatsziel Integration ein weiter Gestaltungsspielraum, den es im seinerseits integrationsrelevanten demokratischen Prozess auszufüllen gilt.
Integrationshemmende Symbolik
Deshalb entspricht es den Grundsätzen demokratischer Willensbildung, dass über die Reformpläne zur Einbürgerung diskutiert wird. Das gilt umso mehr, als über das Staatsangehörigkeitsrecht eine Definition der Zugehörigkeit erfolgt, die der demokratischen Legitimation bedarf. Denn der demokratische Prozess entfaltet seinerseits eine Integrationswirkung gerade dadurch, dass verschiedene, gegebenenfalls konfligierende Auffassungen Raum bekommen und miteinander in Ausgleich gebracht werden. Eine von Ressentiments, überkommenen Vorstellungen und polemischen Begrifflichkeiten geprägte Debatte entfaltet allerdings eine integrationshemmende Symbolkraft und wird damit dem Integrationsanspruch des demokratischen Prozesses gerade nicht gerecht.
Zusätzlich symbolisch aufgeladen und wenig zielführend sind die Debatten, wenn Fragen miteinander vermischt werden, die überhaupt nicht zusammengehören. Das gilt etwa für den Einwand, es müssten zunächst Fortschritte bei der Rückführung und Bekämpfung der illegalen Migration gemacht werden. Zwar ist es über den verfassungsrechtlich vorgegebenen Integrationsrahmen hinaus eine politische Entscheidung, welche Reformbestrebungen zuerst angegangen werden. Angesichts der wechselseitigen Integrationsverantwortung sollte aber hinreichend deutlich werden, dass das Migrations- und Integrationsrecht in Statusfragen sowie den daraus abzuleitenden Folgen klar ausdifferenziert ist und dies weiterhin bleiben soll. Diejenigen, die mangels Aufenthaltsstatus zum Verlassen der Bundesrepublik verpflichtet sind, haben weder gegenwärtig noch nach den Reformplänen Aussichten auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit. Denn die Einbürgerung setzt vor allem einen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik voraus.
Fazit
Die Reformpläne zur Erleichterung der Einbürgerung bewirken keine grundlegenden Neuerungen, sondern setzten lediglich die stetige Entwicklung des Integrationsrechts fort und dienen der Integrationsverantwortung des Staates im Kontext des Staatsangehörigkeitsrechts. Als demokratische Definition der Zugehörigkeit sind sie zur Diskussion zu stellen. Statt integrationshemmende Ressentiments zu schüren und sich in überkommenen Vorstellungen zu verlieren, sollten die rechtspolitischen Debatten allerdings verstärkt an der Integrationsverantwortung des Staates ansetzen, um das zunächst abstrakte Staatsziel Integration durch konkrete Maßnahmen fruchtbar zu machen.
Sehr schön geschrieben und zum Denken angeregt, als Person mit Migrationshintergrund kann ich vielen Aspekten zustimmen. Leider macht sich der Staat nicht so viele Gedanken um die Würdigung der Lebensleistung der Gastarbeitergeneration. 50 Jahre aber die Gesellschaft spielt . Ein Austausch über Migration und Gastarbeitergeschichte gibt es im Schulunterricht kaum. Ich denke dann kann man von der heranwachsenden Jugendlichen auch nicht erwarten, dass sie tolerant und offen gegenüber dieser Gruppen verhalten. Die Parallelgesellschaft von Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund ist in Schulen und Universitäten heute sichtbar.