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09 Oktober 2012

Das Kölner Beschneidungsurteil und das Judentum, Teil 1: Unbeschnittene Juden?

Seit Monaten ergießt sich auf allen Kanälen eine Flut von Stellungnahmen, Berichten und Aufrufen höchst unterschiedlicher Qualität zum Thema ‚religiöse Beschneidung‘. Erstaunlicherweise – und ich beschränke mich als Fachwissenschaftler hier auf die jüdische Tradition – wird die keineswegs neue, sondern seit gut 200 Jahren immer wiederkehrende Debatte von jüdischer Seite derzeit so geführt, dass der Eindruck entsteht es handle sich beim Judentum um eine fundamentalistische Religion.

Zweifellos besteht gerade hinsichtlich der Beschneidung und ihrer Ausgestaltung zwischen den sonst stark differierenden jüdischen religiösen Denominationen – der beiden großen Reformgruppierungen des liberalen und konservativen Judentums, des kleinen Anteils der Orthodoxie von maximal 10 % (außerhalb des Staates Israel) sowie einiger weiterer, insgesamt etwa gleichgroßer Sondergruppen – ein Schulterschluss. Dies erklärt sich nicht nur dadurch, dass man eine grundlegende gemeinsame Basis erhalten möchte: Auch bei säkularen und zu erheblichen Teilen sogar anti-religiösen Juden ist die Beschneidung immer noch eine Selbstverständlichkeit, da es als Zeichen einer säkularen Volkszugehörigkeit angesehen wird.

Dennoch bestehen auch jenseits privater Bewertungen wirkmächtige und sogar rechtliche Definitionen, die auch unbeschnittene männliche Personen als Juden anerkennen, so beispielsweise das israelische Staatsbürgerrecht. Und selbst wenn man nur die orthodoxe Sichtweise in den Blick nimmt – innerhalb der Reform wurden bereits durchaus weitere Änderungen insbesondere im Hinblick die medizinische Praxis etabliert –, so ist und bleibt der unbeschnittene Sohn einer jüdischen Mutter anders als vielfach gesagt wurde ganz fraglos ein Jude, denn die Beschneidung entscheidet lediglich über die Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft. Sein Judesein bleibt davon unberührt, gleich aus welchen Gründen er nicht beschnitten wurde.

Ganz im Gegensatz zu dem stereotypen Reduzieren der Debatte auf das biblische Gebot der Beschneidung am achten Tag existiert auch in der Orthodoxie bis in ultra-orthodoxe Kreise hinein eine breite Diskussion, die ein ganz anderes Bild vermittelt. So  stellt sich die Beschneidungspflicht auf den geltenden religionsrechtlichen Grundlagen auch der Orthodoxie, die für die überwiegende Mehrzahl der deutschen Gemeinden den maßgeblichen Orientierungspunkt darstellt, durchaus anders dar: Sogar nach der konservativsten Auslegung des Religionsrechts gilt die Pflicht, sich beschneiden zu lassen, für einen männlichen Juden erst mit dem Erreichen der religiösen Mündigkeit, also des 13. Lebensjahrs. Davor obliegt diese Verpflichtung allein dem Vater und bei dessen Fehlen oder Weigerung der jüdischen Gemeinde.

An diesem Punkt treffen sich die religionsgesetzliche und die staatsrechtliche Bewertung tatsächlich: Auch aus religiöser Perspektive bedeutet das Zugeständnis, unmündige Jungen beschneiden zu können, ausschließlich das Recht, eine Körperverletzung an anderen vorzunehmen, woraus sich ein bleibender Rechtskonflikt mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ergibt. Erst nach dem 13. Lebensjahr stellt sich die Frage, ob der Staat Personen, die aus seiner Perspektive weiterhin unmündig sind, eine solche Entscheidung zugestehen möchte. Ob hier aus religiöser Perspektive wirklich wie vielfach angedeutet wurde den Forderungen des staatlichen Rechts nicht nachgegeben werden kann, ist unklar: In zahllosen anderen Fällen verdrängt das staatliche Recht das religiöse. Jenseits der Ultra-Orthodoxie ist kaum zu erwarten, dass man hinsichtlich der elterlichen Beschneidungspflicht Minderjähriger das gefestigte jüdische Verständnis des Verhältnisses von Staat und Religion insgesamt in Frage stellen würde, zumal wenn es lediglich um eine Verschiebung des Termins ginge. Etablierte religionsrechtliche Regelungen hierzu gibt es bislang nicht.

Insofern bleibt die Warnung, dass bei Verbot der Beschneidung jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich sei, unverständlich: Zum einen war sie dies bereits seit Gründung der Bundesrepublik, ohne dass man Einschränkungen hinnehmen musste. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass insbesondere die fast durchgehend a-religiöse jüdische Gemeinschaft in Deutschland eine derart fundamentalistische Position einnehmen würde.

Zumal – und hieran scheitert spätestens auch ein weiteres Argument – die soziale Integration nicht-beschnittener Juden gerade in den deutschen Nachkriegsgemeinden ausgesprochen liberal gehandhabt wird. Dies erklärt sich nicht allein aus dem sehr hohen Anteil religiös gemischter Ehen, welchen nicht nur nicht-jüdische Kinder, sondern auch nicht-beschnittene jüdische Jungen entstammen.

Mit der Immigration von Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion (inzwischen etwa 90 % allein der Gemeindemitglieder, wobei ein überwiegender Teil der männlichen Zuwanderer nicht beschnitten war bzw. ist) wurde diese kaum beschränkte Offenheit sogar zur offiziellen Politik der Gemeinden: So werden diese Kinder in das soziale Leben, den Religionsunterrichten und teilweise sogar in das religiöse Ritual einbezogen, da man hofft, dass eine Stärkung des jüdischen Erbes zu einem vollständigen Bekenntnis zum Judentum, auch zur Beschneidung, führe.

Ein unbeschnittener Erwachsener hat zudem selbst nach orthodoxem Religionsrecht nur den Ausschluss von einigen Ritualen zu befürchten. Am empfindlichsten ist, dass ihm die religiöse Eheschließung untersagt bleibt: Er müsste sich jedoch nur der Beschneidung unterziehen und wäre – anders als etwa ein Konvertit – bereits ein vollgültiges Mitglied der Gemeinschaft.

So sehr das Geschilderte natürlich nicht der eigentlichen religiösen Vorstellung entspricht, stellt sich für die jüdische Gemeinschaft die schon vor gut 150 Jahren diskutierte Frage, weshalb man gegenüber Beschneidungsverweigerern andere Maßstäbe anlegen sollte als bei anderen Häretikern, so all jenen, die nicht koscher essen, die Schabbatregeln oder die Vorschriften zur rituellen Reinheit von Frau und Familie nicht einhalten – heute zweifellos die ganz überwiegende Mehrheit der Mitglieder  der deutschen Gemeinden.

Teil 2 folgt!

Prof. Dr. Andreas Gotzmann ist Professor für Judaistik an der Universität Erfurt.


SUGGESTED CITATION  Gotzmann, Andreas: Das Kölner Beschneidungsurteil und das Judentum, Teil 1: Unbeschnittene Juden?, VerfBlog, 2012/10/09, https://verfassungsblog.de/das-klner-beschneidungsurteil-und-das-judentum-teil-1-unbeschnittene-juden/, DOI: 10.17176/20171117-145512.

88 Comments

  1. […] Beitrag der Debatte um die religiös motivierte Beschneidung von Jungen. Er wirft einen Blick auf den Umgang des Judentums mit unbeschnittenen Juden und beleuchtet kritisch die Beschneidungspraxis sowie die vom Ethikrat zu ihrer Regulierung […]

  2. Elke Midi Mi 10 Okt 2012 at 09:47 - Reply

    Sehr geehrter Herr Gotzmann – vielen Dank für diesen aufklärenden, sehr abgewogenen und differenziert betrachtenden Artikel, der mir auch nochmal einiges klargemacht hat!
    Wenn Sie diesen doch einmal direkt an den Deutschen Bundestag mit all seinen Abgeordneten zukommen lassen könnten… !!!
    Dort fehlt es an allen Ecken und Enden, eine wahrhaft differenziert abgewogene Entscheidung zu einem Beschneidungsgesetz zu fällen, das – bis jetzt – nahezu vollkommen an den Rechten der Kinder und auch an der Einschätzung der Bedeutung von Beschneidungen vorbeischießt.
    Ihr Artikel wäre ein sehr wertvoller Beitrag, die Debatte auf das Niveau zu heben, das dieses Thema verdient!
    Zum WAHREN Wohle unserer, auch jüdischer und muslimischer Kinder!

  3. ThomasRoth Do 11 Okt 2012 at 12:51 - Reply

    Wenn ein unbeschnittener Jude nicht religiös heiraten kann,wer kontrolliert da? Der Rabbiner? In meinem Klosterinternat haben die Mönc he, die ja eine Nachfolgereligion des Judentums betreiben, auch Zipfelkontrolle gemacht. Hat das irgendwas miteinander zu tun? 😉

  4. ClausChuzpe Fr 12 Okt 2012 at 07:02 - Reply

    Interessante Frage, Thomas Roth! Das wüsste ich auch gerne.

    Aber zu dem Unverständnis der anderen bez. Der politischen Entscheidung muss man einfach nur Bedenken, dass unsere führende Partei ein gewisses Interesse daran hat, die religiösen Freiheiten in einem (fast) säkularen Staat so gut wie möglich zu erhalten. Da tut man sich quasi gegenseitig einen Gefallen 🙂

  5. Peter Claudius So 14 Okt 2012 at 09:48 - Reply

    Sehr geehrter Prof. Gotzmann,

    ich finde ihre Äußerung hoch interessant.

    Weshalb vertritt in der Öffentlichkeit keiner sonst diese Behauptung ? Das würde Befürworter und Gegner der Beschneidung sehr helfen.

    „Sogar nach der konservativsten Auslegung des Religionsrechts gilt die Pflicht, sich beschneiden zu lassen, für einen männlichen Juden erst mit dem Erreichen der religiösen Mündigkeit, also des 13. Lebensjahrs.“

  6. Balanus Mi 17 Okt 2012 at 18:53 - Reply

    @Mark Swatek-Evenstein

    »…eher der durch das schlecht begründete Fehlurteil aufgerissene Abgrund an Intoleranz, in den gesellschaftlich nicht ganz unbedeutende Minderheiten blicken, seit die Mehrheitsgesellschaft mal wieder zur “Zivilisierung” der “Barbaren” aufruft. «

    Das ist zwar schön formuliert, geht aber an der Sache vorbei. Gleiches kann man auch von den Befürwortern der weiblichen Beschneidung hören.

    »Da versucht der Gesetzgeber dann eben mit einem juristisch gesehen nicht notwendigen Gesetz sich ein weiteres Mal an der Erziehung des eigenen Staatsvolks zu Toleranz. Minderheitenschutz durch symbolische Gesetzgebung. «

    Ich denke, das ist eine ziemlich steile These. Gibt es dafür einen Beleg? Nicht ohne Grund wurde nach dem Urteil in vielen Kliniken die religiös oder traditionell begründete Beschneidung erst mal eingestellt. Bei einem allgemein anerkannten Fehlurteil hätte dazu keine Veranlassung bestanden. Soweit ich das überblicke, verbietet nach mehrheitlicher juristischer Auffassung die aktuelle Gesetzeslage ausnahmslos medizinisch nicht indizierte chirurgische Manipulationen am kindlichen Genital (das ärztliche Ethos verbietet es sowieso). Erst das geplante Gesetz stellt klar, welche Formen der genitalen Verletzungen bei Säuglingen und Kindern in Zukunft erlaubt sein sollen.

    Im Übrigen sind die Minderheiten, von denen Sie reden, immer noch die Kinder. Und denen hilft das geplante Gesetz kein bisschen.

    In Ihrem Blog-Beitrag, Herr Swatek-Evenstein, stellen Sie die Frage: „Was, wenn einer der Großväter der Verfassung beschnitten war?“

    Gegenfrage: Was, wenn eine der Großmütter der Verfassung beschnitten war? Wären dann etwa milde Formen der weiblichen Beschneidung gesetzlich erlaubt? Ich denke, nicht.

    Die Vorstellungen darüber, was dem Kindeswohl dient, haben sich in unserer Gesellschaft ganz offensichtlich in positiver Richtung weiterentwickelt. Man mag das beklagen. Ich jedoch halte es für einen Fortschritt, wenn der Vollzug blutiger Rituale an wehr- und hilflosen Kindern endlich in Frage gestellt wird. Nicht von ungefähr halten es viele jüdische Mütter für unerträglich, der Beschneidung ihres neugeborenen Sohnes beiwohnen zu sollen.

  7. Christian Boulanger Mi 17 Okt 2012 at 20:43 - Reply

    Es ist ja eigentlich alles gesagt; trotzdem geht die Debatte munter weiter – und das obwohl hier ja schon die objektive Wahrheit gefunden wurde (auch wenn manche Narren ideologisch verblendet in ihrer kognitiven Dissonanz verharren).

    Scherz beiseite, wenn wir schon bei der Wahrheit sind, scheint es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass das Kölner Urteil keineswegs die geltende Rechtslage widerspiegelte, sondern eine neue schuf. Man könnte im Gegenteil sagen, dass das jetzt geplante Gesetz die alte Rechtslage wiederherstellen. Recht wird nicht gefunden, es wird hergestellt. Wenn über 60 Jahre niemand daran denkt, die Beschneidung zu kriminalisieren, dann ist sie nicht rechtswidrig. Die Meinung von Herrn Putzke war und ist eine Mindermeinung in der Rechtswissenschaft, die vor dem Kölner Urteil von keinem anderen Gericht übernommen wurde. Man kann sich darüber unterhalten, ob es durch das Kölner Urteil einen Rechtswandel gegeben hat, und diese Entwicklung gut oder schlecht finden. Aber geltendes Recht war es sicherlich nicht.

  8. Balanus Mi 17 Okt 2012 at 22:25 - Reply

    Meines Wissens schafft ein LG-Urteil, zumal ohne Verurteilung, keine neue Rechtslage. Zumindest keine, die den Gesetzgeber veranlassen müsste, die alte Rechtslage wieder herzustellen. Ein kleines Landgericht, ich bitte Sie…

    Im Übrigen hat auch das LG Frankenthal (14.09.2004 – 4 O 11/02) bezüglich der männlichen Beschneidung befunden, dass die Einwilligung der Eltern „die Widerrechtlichkeit der mit dem Eingriff verbundenen Körperverletzung nicht aus[schließt]“. Und weiter heißt es: „Denn die Einwilligung der Eltern des Klägers in den medizinisch nicht indizierten, von einem Nichtmediziner unter unsterilen Bedingungen durchgeführten körperlichen Eingriff verstößt nach Auffassung der Kammer gegen das Kindeswohl und ist daher nicht mehr von dem elterlichen Sorgerecht gemäß §§ 1626, 1629, 1566 BGB gedeckt. Nach dem Personensorgerecht haben Eltern nicht die Befugnis, unvernünftige Entschlüsse zum Nachteil ihrer Kinder zu treffen, weshalb ihre Entscheidungsfreiheit in aller Regel auf medizinisch indizierte Eingriffe beschränkt ist und Schönheitsoperationen nur ganz ausnahmsweise zulässig sind.“ (Hvm)

    Das Ganze erinnert mich (als juristischen Laien) stark an das Kölner Urteil sieben Jahre später.

  9. Andreas Gotzmann Do 18 Okt 2012 at 09:24 - Reply

    @boulanger
    @balanus

    Anders als in der oeffentlichen Debatte scheint mir eines deutlich zu sein – und hier stimmen mE. entscheidende Fachwissenschaftler auch ueberein – dass (wie oben gesagt) bislang die religioese Beschneidung gesetzlich unerwaehnt war, die nicht-medizinisch indizierte Beschneidung, zumal ohne Zustimmung des zu Beschneidenden, aber fraglos untersagt sein musste, dies zudem auch auf der Grundlage ärztlicher Behandlungsvoraussetzungen.

    Danke sehr fuer den interessanten Hinweis zu dem Urteil des LG Frankenthal, das mir bislang nicht bekannt war. Im Hinblick auf die Begründung des LG Koeln eine klare Analyse von Holm Putzke, Recht und Ritual in: MedR (2012) 30:621-625.

    Es geht – dies zeigt ja auch die Gesetzesinitiative, und hieraus ergibt sich ja die besondere Brisanz der Vorgaenge – ganz klar darum: nun die ausschliesslich religioes induzierte Beschneidung bei nicht entscheidungsfaehigen Personen (dies ist der zentrale Punkt!) erstmals! gesetzlich zu regeln, also zuzulassen.

    Hieraus ergeben sich alle Problematiken hinsichtlich der dadurch bedingten Einschraenkung des Rechts auf koerperliche Unversehrtheit, der vorliegenden GEsetzesvorlage entsprechend dann auch die medizinischen Aspekte (so die weiterhin offene Frage der Betaeubung, der medizinischen Qualifikation von Nichtmedizinern bei einer ‚full-fledged‘ Operation etc pp.).
    es schliessen sich zahllose Einzelprobleme an, die mE. tatsaechlich nicht zu loesen sein werden, ohne dass eine Rechtsposition deutlich zuruecktritt:
    Trotz der fraglos zentralen Bedeutung, die die Beschneidung im Jdtm. und auch im Islam besitzt; mE. kann dies in einem modernen Verfassungsstaat (zumal wenn er eine Trennung von Staat und Religion anerkennt und zudem eine prinzipielle Gleichwertigkeit sowohl von Personen als auch Religionsgemeinschaften voraussetzt), nur lauten, dass weiterhin der staatliche Gesetzgeber Vorrang vor religioesen Normsetzungen hat.
    Dass – wie dies geschieht aktuell – der Gesetzgeber kaum verdeckt und erstaunlicherweise unbesehen und ohne eingehende Debatte religioese normative Vorgaben einfach nachvollzieht, führt zu einem Aufweichen nicht nur von Grundrechten, sondern auch des Verhaeltnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften.

  10. noram Do 18 Okt 2012 at 15:27 - Reply

    Ich hatte mir überlegt, dem Poster balanus ausführlich zu erklären, worum es in dem zivilen Rechtsstreit vor dem LG Frankenthal ging, nehme nun aber davon Abstand. Die Urteilsbegründung ist ja in voller Länge im Internet nachlesbar. Wenn ich nun einzeln alle Punkte aufzählte, die jenes Urteil und den Streitgegenstand von der vom LG Köln entschiedenen Strafsache unterscheiden und darlegte, warum das Urteil aus Frankenthal nichts für ein Verbot von Beschneidungen hergibt, könnte mich das locker eine Stunde Zeit kosten. Und mit welchem Ergebnis? Ich habe in den vergangenen Monaten nicht einmal erlebt, dass ein Beschneidungsgegner von seinem Furor ablässt, wenn er mit Fakten konfrontiert wird. Diese Menschen sind wie Slinkies. Ein Slinky ist eine Stahlfeder in Form eines kopfstehenden „U“, die — einmal angestoßen — eine Treppenstufe nach der anderen abwärts „schreitet“, aber niemals aufwärts. Wird eine Position unhaltbar, springt der Aktivist alsbald zur nächsten, dann zur nächsten… Und anders als in der Realität hört die Treppe der Anti-Beschneidungsaktivisten nie auf, sie windet sich um sich selbst und beginnt wieder von vorne, wie ein Möbiusstreifen oder wie eine Grafik von M.C. Escher.

    Herrn Prof. Gotzmann würde ich die Lektüre des vollständigen Gesetzesentwurfes empfehlen und dass er dann seinen vorliegenden Artikel und seine Postings im Kommentarteil auf Irrtümer überprüft.

  11. Rudi Gems Do 18 Okt 2012 at 19:37 - Reply

    @ noram

    In welcher Welt leben Sie denn? Wir Beschneidungsgegner, haben alle Wissenschaftler auf unserer Seite. Keine einzige ernstzunehmende wissenschaftliche Abhandlung über dieses Thema, ist mir bekannt, wo man zu dem Ergebnis kommt, das Beschneidungen zu befürworten sind. Ausschließlich Abhandlungen von Spinnern, als Beschneidungsbefürworter, sind mir dagegen, zu diesem Thema, bekannt.

    Grüße, Rudi Gems

  12. Christian Boulanger Fr 19 Okt 2012 at 09:21 - Reply

    @Herr Gotzmann

    Ich finde Ihre Überlegungen zur Problematik des jetzt beratenen Gesetzes höchst beachtenswert. Aber Ihre Meinung zur rechtliche Situation teile ich (und die Juristen, die hier bisher geschrieben haben) nicht. Bis zum Kölner Urteil konnte jeder Mediziner, der eine Beschneidung durchführte (und auch die zahlreichen Nichtmediziner) davon ausgehen, dass dies nicht rechtswidrig war. Das hat das Gericht in seiner Argumentation zum Verbotsirtum anerkannt. „Geltendes Recht“ ist nicht, was einzelne Stimmen in der Rechtswissenschaft fordern, sondern das was praktiziert wird. Mit der Kölner Entscheidung hat sich das geltende Recht verändert. Mediziner, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst eine Beschneidung durchführen, müssen Strafverfolgung fürchten, was sie VOR dem Urteil nicht mussten. Das Strafrecht ist ein Teilgebiet des Rechts, selbst wenn (was bisher gar nicht gezeigt wurde) die Rechtswidrigkeit der Beschneidung im Strafrecht selbst Mehrheitsmeinung wäre, ist das für das Verfassungsrecht keinesfalls so, und Verfassungsrecht geht einfachem Recht vor. Aus guten Gründen, denn im Verfassungsrecht kommen noch ganz andere Aspekte wie Grundrechte und rechtspolitische Überlegungen in den Blick. Im Verfassungsrecht muss dann die offensichtlich ja sehr schwierige Abwägung stattfinden. Und dabei hilft die Wissenschaft, auf die manche hier ja hoffen, nur bedingt: da stehen Studien, die die Risiken betonen neben jenen, die Vorteile sehen. Aber das wissen Sie ja, ich will es nur noch einmal wiederholen, for the record, sozusagen. Die meisten, die den vorliegenden Entwurf unterstützen, werden dies nur „mit Bauchschmerzen“ tun, die wenigsten davon sind Anhänger der Beschneidung. Sondern es wird versucht, eine rechtspolitische Frage grundrechtskonform zu regeln, und natürlich wird es da zahlreiche Widersprüche und Probleme geben.

    Und an alle, die in der Wissenschaft oder in der Logik des Rechts eine Antwort suchen: Sorry, da wird man nichts finden, außer Argumente, die die ohnehin vorgefasste Meinung stützen, und das auf beiden Seiten (wer das nicht sieht muss noch etwas mehr lesen). Es geht in der Beschneidungsfrage um einen klassischen Fall eines Werturteils.

  13. Andreas Gotzmann Fr 19 Okt 2012 at 10:32 - Reply

    @Christian Boulanger

    Sie haben natuerlich recht, wenn Sie auf die gerichtliche Wuerdigung der Rechtswidrigkeit der rel. Beschneidung im Bezug auf Mediziner verweisen. Ich kenne die Begruendung und sie scheint mir auch schluessig zu sein: Mein Argument geht einen Schritt zurueck, also vor diese strafrechtliche Diskussion.
    Da die klaren Vorgaben für die aerztliche Praxis, eine Koerperverletzung vornehmen zu duerfen, einerseits die medizinische Indikation, andererseits die Einwilligung des Patienten bzw. dessen rechtlicher Vertreter darstellen, fehlt mit Sicherheit zumindest einer dieser beiden Aspekte: naemlich die medizinische Indikation.

    Aber.. Sie haben recht – letztlich ist dies eine muessige und laengst ueberholte Diskussion.

    Insgesamt stimme ich Ihnen auch weiterhin zu: Es wird hier einen Kompromiss geben muessen – und dieser wird aufgrund der beiderseits zentralen Forderungen kaum zu finden sein.
    Daraus ergibt sich dann letztlich die Frage, ob durch diesen Konflik das Gesamtkonstrukt von Staat und Kirche/Religion mit dem natuerlichen Vorrang der staatlichen Seite hier wirklich in Frage gestellt werden kann. Dies ist etwas weit gegriffen, die Frage verbirgt sich mE. jedoch kaum verschleiert durchaus in der aktuellen Gesetzesvorlage. Gleiches gilt selbstverstaendlich auch fuer die juedische Seite, die sich hierzu noch gar nicht geaeussert hat, naemlich einerseits in wie weit dies das bestehende Konzept des Verhaeltnisses zum Staat beinflusst, andererseits ob nicht innerjuedische Konzepte des Lebens und sogar der Verantwortlichkeiten fuer den Staat, auch einen ’nicht-juedischen‘ bzw saekularen, an diesem Punkt wirklich neu definiert werden sollen, wie die gegenwaertige Haltung dies letztlich vermittelt.

  14. noram Fr 19 Okt 2012 at 14:44 - Reply

    Der Beitrag von Rudi Gems ist mal wieder ein Beispiel für die Ignoranz der Anti-Beschneidungs-Aktivisten. In Wahrheit unterstreicht die wissenschaftliche Literatur zum Thema mehrheitlich die gesundheitlichen Vorteile einer frühzeitigen Zirkumzision (ohne die durchaus vorhandenen Risiken zu vernachlässigen). Das hat zuletzt der Technical Report der Americam Academy of Pediatrics, an dem acht Fachleute sowie mehrere Berater fünf Jahre arbeiteten, unterstrichen. Es wurden über 1000 Arbeiten gesichtet, davon wurden nach objektiven Kriterien an die Qualität der Arbeiten die meisten aussortiert. Es blieben immer noch mehr als 260 Arbeiten übrig, deren gründliche Auswertung ergab: Ja, die Zirkumzision ist unter dem Strich sinnvoll, und die Vorteile überwiegen aus medizinischer Sicht die Risiken. Sollte Ihnen die Existenz des Technical Report bis jetzt unbekannt sein, ist das nur zum Teil Ihre Schuld, denn die deutschen sogenannten Qualitätsmedien haben kaum ein Wort darüber verlauten lassen. So behauptete vor einigen Wochen die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wahrheitswidrig, es gebe nur eine Stellungnahme der AAP von 1 Seite Länge, die überdies keine Zitationen enthalte; in derselben FAS-Ausgabe wurde nur 1 Seite weiter ebenfalls wahrheitswidrig behauptet, die AAP hätte sich zuletzt von einer Befürwortung der Zirkumzision zu einer neutralen Haltung entwickelt. Nur 2 Beispiele für die weiterhin andauernde Anti-Beschneidungs-Kampagne, welche die FAZ seit Monaten fährt.

  15. noram Fr 19 Okt 2012 at 15:13 - Reply

    Zu Professor Gotzmann: Erst einmal ein verspätetes Dankeschön, dass er sich an der Diskussion im Kommentarteil beteiligt.

    Leider krankt seine Argumentation immer noch daran, dass die Prämisse — der Staat habe ein berechtigtes Interesse daran oder gar die Pflicht dazu, die Zirkumzision bei Neugeborenen und Kleinkindern zu verbieten — als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

    Ein weiteres Beispiel für die, mit Verlaub, nachlässige Argumentation ist der Rekurs auf fehlende medizinische Indikation. Ärzte intervenieren tagtäglich ohne medizinische Indikation, auch bei Minderjährigen und mit viel höherem Risiko als bei Zirkumzisionen, denken Sie z.B. an die Anti-Baby-Pille, die jedes Jahr Todesopfer bei jungen Frauen auch unter 18 Jahren fordert (Lungenembolie).

    Die jüdische Gemeinschaft braucht auch keinen Nachhilfeunterricht in Bezug auf ihr Verhältnis zum Staat. Juden in Deutschland waren schon immer eher zu staatstreu als zu wenig, siehe u.a. ihr überproportional hoher Anteil an den Gefallenen im 1. Weltkrieg.

    Jedoch verdient die jüdische Gemeinschaft Kritik in Bezug auf das Versäumnis, die Qualität der Arbeit von Mohels für alle transparent zu machen und die Ärzteschaft in Deutschland einzubeziehen. Insofern noch einmal mein Hinweis auf die Schrift von Bergmann aus dem Jahre 1844: Insbesondere sein Entwurf für Prüfungsfragen an Mohels kann, gemeinsam mit dem in den 168 Jahren seitdem angehäuften Fachwissen, als gute Grundlage für die kommende Zertifizierung dienen.

    Aufgabe des Staates ist es, den Rahmen für eine solche Zertifizierung zu stellen. Die jüdischen Gemeinden und die Ärzte (wenigstens eine von ihnen) werden zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit im Rahmen dieser Zertifizierung finden, soviel Optimismus ist mir trotz der großflächig verbrannten Erde der letzten Monate noch verblieben.

  16. noram Fr 19 Okt 2012 at 17:29 - Reply

    … wenigstens *einige* von Ihnen…

  17. Balanus Fr 19 Okt 2012 at 18:48 - Reply

    @noram

    »Ich hatte mir überlegt, dem Poster balanus ausführlich zu erklären, worum es in dem zivilen Rechtsstreit vor dem LG Frankenthal ging, nehme nun aber davon Abstand. «

    Eine kluge Entscheidung. Wozu jemanden etwas erklären, was der ohnehin schon weiß.

    Aber danke für den Link zum vollständigen Gesetzesentwurf. Nach der Lektüre kam mir Shakespeare in den Sinn — „ist dies schon Tollheit, so hat es doch Methode“.

  18. sol1 Fr 19 Okt 2012 at 19:09 - Reply

    @ noram

    In Wahrheit unterstreicht die wissenschaftliche Literatur zum Thema mehrheitlich die gesundheitlichen Vorteile einer frühzeitigen Zirkumzision (ohne die durchaus vorhandenen Risiken zu vernachlässigen). Das hat zuletzt der Technical Report der Americam Academy of Pediatrics, an dem acht Fachleute sowie mehrere Berater fünf Jahre arbeiteten, unterstrichen.

    Die AAP hat sich damit gegen den Konsens sämtlicher anderer medizinischer Organisationen gestellt, die außerhalb der USA zu diesem Thema Stellung bezogen haben.

    Der Verdacht liegt nahe, daß es hier um kommerzielle Interessen geht, zumal die Beschneidungsrate in den USA vor allen in jenen Staaten gesunken ist, die diesen Eingriff nicht mehr über Medicaid unterstützen, und um persönliche Befindlichkeiten, denn kein einziger dieser „Experten“ hat offenbar selbst eine Vorhaut, und einer bekannte sich sogar dazu, seinen Sohn aus religiösen Gründen auf dem Küchentisch (!) beschnitten zu haben:

    http://www.thejewishweek.com/features/new-york-minute/fleshing-out-change-circumcision

  19. sol1 Fr 19 Okt 2012 at 19:41 - Reply

    Wie schlampig die AAP gearbeitet hat, kann jeder am Abschnitt Sexual Satisfaction and Sensitivity sehen.

    Am meisten Raum wird einer Studie aus Uganda mit völlig absurden Resultaten eingeräumt – demnach sollen dort sowohl bei den beschnittenen wie bei den intakten Männern 98 % und mehr mit ihrem Sexualleben zufrieden sein (das klingt, als ob sich das Gloria „der Schwarze schnackselt gerne“ von Thurn und Taxis ausgedacht hätte).

    Die Studie von Morris L. Sorrells et al. von 2007 wird zwar erwähnt, das wichtigste Resultat, daß bei der Beschneidung die empfindsamsten Teile des Penis entfernt werden, jedoch verschwiegen. Überhaupt nicht erwähnt wird die Studie von Morten Frisch et al. aus dem Jahr 2011, die über Beeinträchtigungen im Sexualleben von Beschnittenen und ihren Partnerinnen berichtet.

    Stattdessen schließz der Abschnitt mit Satz:

    „There is fair evidence from a crosssectional study of Korean men of decreased masturbatory pleasure after adult circumcision.“

    Zu befürchten ist, daß es immer noch genug Leute in den USA gibt, die das wie einst der Cornflakes-Erfinder und Beschneidungspropagandist John Harvey Kellogg für einen Vorteil ansehen…

  20. sol1 Fr 19 Okt 2012 at 19:46 - Reply

    @ Christian Boulanger

    Im Verfassungsrecht muss dann die offensichtlich ja sehr schwierige Abwägung stattfinden. Und dabei hilft die Wissenschaft, auf die manche hier ja hoffen, nur bedingt: da stehen Studien, die die Risiken betonen neben jenen, die Vorteile sehen.

    Es geht aber klar aus den Studien hervor, daß die einzigen potentiellen Vorteile nur Erwachsenen zu Gute kommen würden.

    Und das sollte meiner Ansicht nach bei einem Werturteil berücksichtigt werden, das sich mit der Frage beschäftigt, ob der Eingriff bis in ein Alter verschoben werden kann, in dem der Betroffene diese potentiellen Vorteile selbst abwägen kann.

  21. noram Fr 19 Okt 2012 at 20:11 - Reply

    so1/balanus/zirp/Gems/… : Sehen Sie es ein, Sie haben verloren. Ihre Meinungshoheit im Internet aufgrund enorm hohen Tipp-Pensums entspricht nicht der realen Situation in der Bevölkerung, geschweige denn dem deutschen Grundgesetz. Ihre beiden e-petitions haben jeweils das Quorum weit verfehlt, das den Petitionsausschuss zu einer Befassung veranlassen würde.

    Der Bundestag wird ohne Fraktionszwang das Gesetz verabschieden. Es werden sich nicht genug Abgeordnete für eine Normenkontrollklage finden. Sollte die Zirkumzision auf irgendeinem anderen Weg dennoch nach Karlsruhe finden, wird dort nicht gegen den Gesetzgeber entschieden werden.

    Es bleibt Ihnen natürlich unbenommmen, politische Mehrheiten für eine Veränderung der Gesetzeslage in Ihrem Sinn zu finden. Planen Sie dafür einen Zeitraum von mindestens vier, wenn nicht sechs oder mehr Legislaturperioden ein. Oder kommen Sie doch einfach von Ihrem hohen Ross herunter und reden ganz normal mit uns übrigen Bürgern.

    Im übrigen war der letzte Kommentar von so1 wieder mal ein Beispiel der Slinky-Taktik. Kaum habe ich ein Slinky gestoppt, indem ich die Falschbehauptung von wegen „[k]eine einzige ernstzunehmende wissenschaftliche Abhandlung“ widerlegt habe, kommt schon das nächste Slinky angesproingt und erzählt etwas von fehlenden Vorhäuten bei Experten (das Wort „Experten“ auch noch in Anführungsstriche gesetzt, drollig).

    Das hört nie auf und ist so ermüdend. Genau so ist es, wenn man versucht, sich mit „Truthers“ (das sind die Leute die glauben, die Türme des World Trade Center seien von eingebautem Sprengstoff zum Einsturz gebracht worden) zu unterhalten. Auf jede Widerlegung einer Falschbehauptung folgt gleich der nächste Vorhalt, und so könnte es ewig weitergehen. Allerdings nicht für mich. Irgendwann sage ich mir, das Leben ist zu kurz für so etwas.

  22. sol1 Fr 19 Okt 2012 at 23:45 - Reply

    @ noram

    Es bleibt Ihnen natürlich unbenommmen, politische Mehrheiten für eine Veränderung der Gesetzeslage in Ihrem Sinn zu finden. Planen Sie dafür einen Zeitraum von mindestens vier, wenn nicht sechs oder mehr Legislaturperioden ein.

    Ich bin kein Prophet – aber so wie ich die Entwicklung in unseren Nachbarländern einschätze, wird ein Verbot der männlichen Genitalverstümmelung dort viel schneller kommen, und dann wird sich das nun geplante Gesetz in Deutschland als Irrweg herausstellen, der nur durch die Erpressung religiöser Lobbygruppen zustande kam.

    Oder kommen Sie doch einfach von Ihrem hohen Ross herunter und reden ganz normal mit uns übrigen Bürgern.

    Ich rede mit Ihnen ganz normal.

    Sie allerdings scheinen es vorzuziehen, Ihre Kontrahenten mit absurden Vergleichen („Truthers“) zu beschimpfen.

  23. Rudi Gems Sa 20 Okt 2012 at 06:31 - Reply

    Die Juden haben sich in der Vergangenheit, schon von vielem verabschieden müssen. Zwangsheirat, Vielweiberei, Sklavenhaltung, Bestrafung durch Steinigung, (die Liste ließe sich anhaltend fortsetzen). Da müsste es doch gelacht sein, wenn sie sich nicht auch, von der Beschneidung verabschieden könnten.

    Die Beschneidung, hat medizinisch gesehen, (Schutz vor Phimose) durchaus, jahrhundertelang Sinn gemacht. Seit der modernen Medizin, seit ca. 200 Jahren, macht sie allerdings, nicht mehr den geringsten Sinn. Es wäre schon gelacht, wenn sich Beschneidungsbefürworter, wider aller Umstände, durchsetzen könnten. Temporär ausschließen, kann man es tatsächlich nicht. Es hat schon so manchen Irrweg in der Historie gegeben.

    Und in einem Land wie den USA, wo man 10-jährige Kinder ins Gefängnis steckt, weil sie mit ihrer Schwester angeblich Sexspiele gemacht haben, und wo man homosexuelle Jugendliche, an Elektrochocks angeschlossen hat, um ihnen die Homosexualität abzugewöhnen, von solchen Ländern, akzeptiere ich auch weiterhin, keine „wissenschaftlichen“ Arbeiten bezüglich Sex. Die sollen lieber selber mal, in ihrem Laden aufräumen, bevor sie meinen, die Welt verbessern zu müssen, und anderen vorschreiben zu wollen, wie sie ihren Sex zu handhaben haben.

    Grüße, Rudi Gems

  24. noram Sa 20 Okt 2012 at 07:34 - Reply

    Keine weiteren Fragen an die Zeugen… I rest my case 😀 😀 😀

  25. Balanus Sa 20 Okt 2012 at 14:44 - Reply

    @noram

    »so1/balanus/zirp/Gems/… : Sehen Sie es ein, Sie haben verloren.«

    Nicht wir, die Kinder haben verloren…

  26. Andreas Gotzmann So 21 Okt 2012 at 10:03 - Reply

    @noram v. October 19, 2012

    nur zur Klaerung, da mE. hier sehr viel – in der ganzen Diskussion im blog generell – einiges durcheinander geht bzw. die Argumentationsebenen vertauscht werden.

    zu Norams Reaktion:

    ad 1) danke

    ad 2) faktisch gibt es bislang die Beschneidung im dtsch. Recht nicht – also weder eine Erlaubnis noch ein Verbot. Es soll erst jetzt die Zulaessigkeit der rituellen Beschneidung gewaehrleistet und geregelt werden.

    ad 3) geht die gesamte Evaluierung um den medizinischen Sinn der maennl. Beschneidung fehl, denn die rituelle juedische (u muslimische) Beschneidung ist dezidiert ein Ritual, das nicht aus medizinischen Gruenden stattfindet – im Gegenteil musste man im Judentum Sonderregelungen fuer den Fall einfuehren, die eine medizinische Beschneidung mit der rituellen vereinbar machen.
    Und selbst wenn man die Frage der medizinischen Sinnhaftigkeit stellen mag – was aus Sicht des dtschn. Rechts erst im Hinblick auf die Gefaehrdung (also strafrechtlich in Bezug auf das Kindeswohl) in den Blick geraet, ist klar zu sagen, dass die Gefaehrdungen insbesondere der fruehkindlichen Beschneidung die (mE. sehr fraglichen) moeglichen Vorteile deutlich ueberwiegen: denn die Hinweise auf eine Verringerung von Ansteckungsrisike etc. betreffen Kleinkinder nicht, sondern allenfalls sexuell aktive Personen, zumal die meisten der genannten Ansteckungsgefahren etc. durch sehr viel niedrigschwelligere Massnahmen – von der Koerperhygiene bis zum Gebrauch eines Kondoms – leichter zu vermeiden waeren. Dies waere in jedem Fall unverhaeltnismaessig, zumal in der westlichen Welt.
    Aber wie gesagt – dies ist eine Debatte, die erst entsteht, wenn man diese Art der Beschneidung als einen medizinschen Eingriff missversteht: aus religioeser Perspektive ist er dies gerade nicht. Diesen Aspekt bringt nur die staatliche Seite bzw. buergliche Diskussion ein, um sich die Beschneidung zu erklaeren.

    ad 4) dies ist ein voelliges Missverstaendnis: nicht nur, dass die Frage nach der Staatstreue unangemessen und im 21. Jh. laecherlich waere – sie entstammt dem antijuedischen Diskurs des 19. Jhs. -, es ging hier um etwas ganz anderes: Ebenso wie die staatliche Seite ein Konzept des Zusammenwirkens von Staat und Religions entwickelt hat, besteht dies von juedischer Seite (wie bei vielen anderen Religionen) auch. Durch diese Debatte wuerde sich diese seit dem Mittelalter recht gefestigte Haltung, inwieweit zB die juedische Religion staatlichen Regelungen aus ‚eigener Entscheidungsmacht‘! nachzugeben habe, ganz entscheidend verschoben. Ein weiterer Punkt ist, dass auch das Judentum eine religioese Theorie der Verantwortlichkeit fuer das Gesamtwesen – auch fuer ein nicht-juedisches – entwickelt hat; auch diese jued.-religioesen Grundlagen gesellschaftlichen Lebens werden durch diese Debatte mE. in Frage gestellt.

    ad 5) Bergmanns – und derlei Publikationen des 19. Jhs. gibt es etliche – medizinisch-juedische Perspektive wird hier wenig weiterhelfen: Die Fragestellungen des 19. Jhs u die Verhaeltnisse waren bei aller anfaenglichen Vergleichbarkeit doch so unterschiedlich, dass man dies schwer vergleichen kann: zumal man sich auch hier an normativen Aeusserungen – und dies bedeutet von Rabbinern – orientieren muesste.
    Tatsaechlich ist die allgemeine Praxis in den meisten Gemeinden nach meiner Information derart, dass manche einen Beschneider empfehlen, viele Familien bedienen sich jedoch einfach so eines bekannten Beschneiders: dieser ist jedoch weder von der Gemeinde geprueft, noch ausgebildet – letztlich finden in diesem Sinne die Beschneidungen aehnlich der Fruehen Neuzeit recht ungeregelt statt, mW. gibt es nicht einmal gemeindliche Beschneidungsregister. Die jeweiligen Beschneider – kein Beruf sondern eine rel. Berufung – koennen sicherlich ein rabb. Diplom hierfuer nachweisen; die deutschen Gemeinden und das wenig stabile und kaum einflussreiche Rabbinat hierzulande kontrolliert dies jedoch allenfalls in Ausnahmefaellen.
    Eine bessere Regelung waere hier durchaus im Interesse der juedischen Gemeinschaft, dies nicht nur in medizinischer Hinsicht: durch die grosse Einwanderung ehemals ‚russischer‘ Juden wiederholt sich derzeit hinsichtlich der Bestimmung, wer Jude ist u wenn nach welcher Definition, die Situation in Ansaetzen, die den sich allmaehlich konstituierenden Gemeinden in Deutschland aus der direkten Nachkriegszeit bereits vertraut ist: Schon damals versuchten Rabbiner und Rabbinate zurecht vielfach, die Gemeindeleitungen auf die religioesen Regelungen und natuerlich die alleinige Entscheidungsmacht des Rabbinats einzuschwoeren: Nur das Rabbinat kann letztlich entscheiden, wer Jude ist und wer nicht.
    Damals war dies nach dem Holocaust aus vielerlei Gruenden nahezu unmoeglich, klare Ueberpruefungen vorzunehmen, so dass man pragmatische Kompromisse versuchte… oft jedoch auch jenseits religioeser Zustaendigkeiten entschied.
    Heute geschieht aehnliches: Obwohl inzwischen – mit Zustimmung des Rabbinats (in wie weit ein Rabbinatsgericht hier wie oft in Zweifelsfaellen zugezogen wird, ist nicht dokumentiert) – die Abstammung von juedischen Muettern von der Zentralwohlfahrtsstelle der jued. Gemeinden soweit moeglich ueberprueft wird, ggf. dann ein Giur/Uebertritt (sicherheitshalber) vorgenommen wird, scheint die Praxis bei der Kontrolle der zahlenmaessig eher kleineren Gruppe der bereits beschnittenen Migranten unzureichend; diese Einschaetzung hoere ich auch von Rabbinern aus den USA bzw. Israel. Hier genuegt den deutschen Gemeinden in der Regel ein ‚Augenkontrolle‘, wohingegen sogar eine korrekt ausgefuehrte Operation (also die Art der Beschneidung) nicht ueber die rituelle Gueltigkeit entscheidet, sondern eine Vielzahl einzelner Faktoren – bis hin zu der Frage, ob die Beschneidung wirklich ‚mit der Intention der religioesen Integration‘ geschehen ist. Damit ist zB auch die medizinische Beschneidung – auch wenn sie von der Technik religionsrechtlich korrekt waere – und sogar die Beschneidung durch einen Mohel/Beschneider eines nicht-juedischen Kindes ‚unwirksam‘ trotz Einhaltung aller Rituale: diese Personen werden dadurch dennoch nicht zu Juden.
    Bei der Mehrzahl der bereits beschnittenen Immigranten duerfte aus religionsrechtlicher Sicht aufgrund dieser Praxis hier Zweifel angebracht sein: diese Situation ignoriert man hierzulande einfach – was in krassem Gegensatz zu der jetzt gezeigten Genauigkeit hinsichtlich der fruehkindlichen Beschneidung steht.

    Derlei – zugegeben fuer den Laien recht komplexe religioese Fragestelllungen – ergeben sich aus der aktuellen Debatte zuhauf; die Diskussion muesste daher auch auf juedischer Seite gefuehrt werden.

    ad 6) dass der Staat verpflichtet sei, fuer Religionsgemeinschaften ihre Rituale zu regeln, widerspricht mE dem allgemeinen Rechtsverstaendnis des Verhaeltnisses von Staat u Kirche/Religion.
    Wenn dies in diesem Fall geschehen sollte, so duerfte dies nicht wie aktuell ein recht unbesehener Nachvollzug religioeser Forderungen sein, sondern e