Das Zauberwort Verfahrensbeschleunigung
Gleich 21-mal findet sich der Begriff „Beschleunigung“ auf den 36 Seiten der am Dienstag vorgestellten Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Der fast inflationäre Gebrauch dieses Zauberworts der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft hilft aber nicht darüber hinweg, dass die Pläne von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck keine echte Beschleunigungswirkung erhoffen lassen und rechtsstaatlich bedenklich sind. Die neue Bundesregierung fällt damit in alte Muster der Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis zurück.
Legalplanung als Lösung?
Doch zurück zum Anfang der Geschichte: Die Forderung nach Verfahrensbeschleunigung ist die Iteration in der deutschen Infrastrukturplanung. Ganze sieben Gesetze trugen seit 1985 den Begriff der „Beschleunigung“ im Namen. 1) Kaum eine andere Idee hält sich so hartnäckig auf den politischen Agenden jedweder Couleur und hat gleichzeitig so wenig praktische Wirksamkeit entfaltet wie diese. Besonders deutlich wurde die Behäbigkeit des aktuellen deutschen Planungsrechts im direkten Vergleich mit Dänemark bei der Zulassung der Fehmarnbelt-Querung. Während das dänische Baugesetz bereits am 28. April 2015 verabschiedet wurde und keinen Rechtsstreit nach sich zog, ließ der deutsche Planfeststellungsbeschluss bis zum 31. Januar 2019 auf sich warten. Die dagegen anhängigen Klagen wies das BVerwG mit Urteilen vom 3. November 2020 ab und erteilte dem Projekt somit rund fünfeinhalb Jahre nach dem dänischen Go auch von deutscher Seite die Freigabe. Naheliegend also, dass deutsche Politiker*innen Dänemark in der Folge als leuchtendes Beispiel stilisierten und die schwarz-rote Bundesregierung Ende 2019 einen Gesetzentwurf für die beschleunigte Zulassung von Infrastrukturgroßprojekten durch Maßnahmengesetz auf den Weg brachte – wie sie in Dänemark schon lange Tradition ist. Statt wie bisher durch Planfeststellungsbeschluss der Fachbehörde, also durch eine Verwaltungsentscheidung am Ende eines von der Behörde durchgeführten Verwaltungsverfahrens, sollen insgesamt 28 Großprojekte aus dem Straßen-, Schienen und Wasserwegebereich nun direkt vom Bundestag per Maßnahmengesetz genehmigt werden. Das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG) vom 22. März 2020 bietet hierfür inzwischen die entsprechende Grundlage.
Beschleunigung auf Kosten des Umweltrechts
Niemand erwartet Beschleunigungseffekte dadurch, dass die Genehmigungsentscheidung auf den Deutschen Bundestag verlagert wird. Die Beschleunigungswirkung soll vielmehr daraus folgen, dass bei dieser Art der Planung in Gesetzesform Umweltverbandsklagen vollständig unmöglich gemacht werden. Denn gegen Maßnahmengesetze wäre eine Verfassungsbeschwerde die einzig mögliche Verteidigungsform. Umweltverbände würden hier voraussichtlich bereits an den Zulässigkeitsvoraussetzungen scheitern, da sie – uneigennützig – Umweltinteressen vertreten und damit keine für eine Verfassungsbeschwerde nötige individuelle Betroffenheit geltend machen könnten. Gerade um diese Problematik zu überwinden, hatten Umweltverbände über das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in den vergangenen Jahren mehr und mehr Klagebefugnisse zugeschrieben bekommen. Und blockieren – so jedenfalls die Ansicht des bisherigen Verkehrsministers Andreas Scheuer – mit ihren Klagen nun gut gemeinte Projekte.
Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aber keine Anwendung. Noch dazu kontrolliert das Bundesverfassungsgericht nur spezifisches Verfassungsrecht nach dem deutschen Grundgesetz. Nicht aber einfachgesetzliches deutsches Umweltrecht (wie etwa das Bundesnaturschutzgesetz) oder die Europäischen Umweltvorschriften.
Eine Vorgehensweise, die im Gesetzgebungsverfahren zurecht erhebliche Gegenwehr der Grünen auslöste. Denn Deutschland ist sowohl auf völkerrechtlicher Ebene Vertragspartei der Århus-Konvention, die weitgehende Anforderungen an Rechtsschutzmöglichkeiten in umweltrelevanten Planungsverfahren stellt, als auch Mitgliedstaat der EU und damit an Europäisches Umweltrecht, insbesondere an die UVP-Richtlinie, gebunden. Art. 9 Abs. 2 der Århus-Konvention und Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie verlangen für Bürger*innen und Umweltverbände umfangreiche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen umweltrelevante Planungsentscheidungen, mit denen insbesondere die materielle Vereinbarkeit der Entscheidung mit nationalem und europäischem Umweltrecht überprüft werden können muss.
Kurzum: Das MgvG in seiner derzeitigen Form ist völker- und europarechtswidrig. Darüber kann auch die Gesetzesbegründung nicht hinweghelfen, die sich mit der bloßen Feststellung „Dieses Gesetz ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.“ in einer neuen Version von „Siehst du mich nicht, seh‘ ich dich nicht“ versucht. Zu deutlich machen dafür das Århus Convention Compliance Committee (ACCC) und der EuGH in ihrer Spruchpraxis, dass es für die Anwendung der Århus-Konvention und der UVP-Richtlinie nicht auf die formelle Einkleidung, sondern auf den funktionellen Charakter einer Zulassungsentscheidung ankommt. Klar also, dass die Grünen nach dem Wahlerfolg bei der Bundestagswahl im September 2021 und der daraus folgenden Regierungsbeteiligung für eine Aufhebung des MgvG sorgen oder es jedenfalls in der Schublade liegen lassen und von der Legalplanung keinen Gebrauch machen würden.
Eröffnungsbilanz Klimaschutz
Wer so dachte, hat weit gefehlt. Entgegen jeder Vermutung stellt der Ampel-Koalitionsvertrag die Legalplanung nach dem MgvG für konkret bezeichnete Projekte nun an prominenter Stelle unter der Überschrift „Moderner Staat und Demokratie“ unmittelbar in Aussicht. Realisiert werden sollen zunächst dreizehn Schienenprojekte aus dem sogenannten „Deutschlandtakt“ sowie fehlende Abschnitte der zentralen Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen SüdLink, SüdOstLink und Ultranet. Und der Rechtsschutz? Den soll ein „Zugang zum Bundesverwaltungsgericht“ (S. 13) retten. Nähere Angaben dazu macht der Koalitionsvertrag nicht.
In der jetzt veröffentlichten Eröffnungsbilanz Klimaschutz ist von einer Aufarbeitung der Rechtsschutzprobleme gar nicht mehr die Rede. Es heißt nur noch Beschleunigung, Beschleunigung, Beschleunigung – und das, so scheint es, um jeden Preis. Allzu schnell ist die teil-grüne Bundesregierung auf die Rhetorik ihrer Vorgänger*innen zurückgefallen. Und macht dieselben Fehler. Es sei „zentral, Bürokratie, die die Transformation hemmt, abzubauen sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Klimaschutzvorhaben zu beschleunigen“ (S. 9) und notwendig, „den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“ (S. 13). So das Papier des Wirtschafts- und Klimaschutzministers. Ohne jedoch eine einzige konkrete Maßnahme in Aussicht zu stellen.
Wie damit die im Koalitionsvertrag versprochene Halbierung der Verfahrensdauern (S. 12) erreicht werden soll? Die Eröffnungsbilanz bleibt die Antwort schuldig. Es scheint fast, als wollten auch die Grünen die Rechtsschutzprobleme nun totschweigen. Erhebliche Beschleunigungseffekte wären wohl nur mit der Beibehaltung des MgvG in seiner jetzigen Form verbunden – aber dann eben um den Preis der Völker- und Europarechtswidrigkeit und des Verlustes der Rechtsstaatlichkeit im Umweltrechtsschutz. Der Schutz der Umweltinteressen ist die satzungsgemäße Aufgabe der Umweltverbände und Voraussetzung für ihre Anerkennung nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Auch das Verwaltungsrecht sah Umweltverbände ursprünglich als „Verwaltungshelfer“ in einem Rechtsschutzsystem, das auf der Idee subjektiver Betroffenheiten basiert und den Schutz der Umwelt um ihrer selbst willen schwer macht. Wenn diese Verbände nun gezielt ausgeschaltet werden, verstößt das gegen die Rechtsstaatlichkeit.
Ein neuer Rechtsweg?
Will man dem grün geführten Wirtschafts- und Klimaministerium nicht unterstellen, über Nacht sämtliche bisherige Prinzipien in Sachen Umweltrechtsschutz über Bord geworfen zu haben, so wäre mit der im Koalitionsvertrag angekündigten Rechtswegeröffnung zum BVerwG jedenfalls ein mittelschweres Erdbeben im deutschen Verwaltungsrecht verbunden. Denn wem an dieser Stelle der von tausenden Jurastudierenden im Rahmen jeder zweiten verfassungsrechtlichen Klausur gebetsmühlenartig rezitierte Satz „Gegen Gesetze steht kein Rechtsweg offen.“ ins Gedächtnis kommt, den täuscht sein verfassungsrechtliches Wissen keineswegs. Gegen Gesetze steht kein Rechtsweg offen. Jedenfalls bisher nicht.
Anders in Dänemark: Hier besteht gegen die Maßnahmengesetze schon immer eine unmittelbare Rechtsschutzmöglichkeit vor dem Østre bzw. Vestre Landsret (den dänischen Oberverwaltungsgerichten) für jedermann mit einem bloßen rechtlichen Interesse, ohne materielle Präklusion.2) Eine Rechtswegeröffnung zum BVerwG gegen die Maßnahmengesetze nach dem MgvG brächte formell also eine vollständige Angleichung an das dänische System mit sich.
Eines wäre sie jedoch sicher nicht: Eine Rechtsänderung mit beschleunigender Wirkung, wie die Eröffnungsbilanz Klimaschutz sie in Aussicht stellt (S. 19). Denn die erstinstanzliche Zuständigkeitszuweisung zum BVerwG gibt es für große Infrastrukturprojekte bereits. So erging die abschließende Entscheidung über den Planfeststellungsbeschluss zur Fehmarnbelt-Querung rund eineinhalb Jahre nach dessen Bekanntmachung – Lichtgeschwindigkeit in der deutschen Justiz, gerade für ein solch komplexes Verfahren. Mit dem „Überspringen“ der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte konnten jahrelange Instanzenzüge vermieden werden, die am Ende doch immer auf die Revision beim BVerwG hinausliefen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine zusätzliche Verfahrensbeschleunigung daraus resultieren kann, dass sich nun die Parlamentarier*innen in Berlin mit Genehmigungsentscheidungen befassen, für die bereits über Jahre aufgebaute spezifische Fachkompetenz bei den Behörden besteht.
Dänische Planungskultur
Statt die Zulassungsentscheidungen nur formell in dänisches Gewand zu kleiden, wären Bundesregierung und Gesetzgeber mit einem genaueren Blick auf die dänische Planungskultur gut beraten. Denn eigentlicher Motor der Beschleunigung ist nicht die formelle Ausgestaltung der Entscheidungsformen und Rechtsschutzmöglichkeiten. Während in Deutschland im Planfeststellungsverfahren zur Fehmarnbelt-Querung 16.000 überwiegend negative Einwendungen eingingen, waren es auf dänischer Seite nur 42 – von denen 40 den Bau des Tunnels ausdrücklich begrüßten. Mit hohen Budgets für die projektbegleitende Öffentlichkeitsarbeit und umfassender Einbindung von Bürger*innen und Verbänden auf sämtlichen Planungsstufen hat es Dänemark in den letzten Jahren geschafft, in der Bevölkerung eine positive Grundstimmung und echte Basis für einen konstruktiven Austausch zu schaffen. Der Schlüssel zum Erfolg: „Die Vorhabenträger und die Politik glauben daran, dass von außen konstruktive Ideen kommen können, die das Vorhaben voranbringen.“3)
Die Eröffnungsbilanz Klimaschutz hingegen schweigt auch zu diesem Themenbereich. Lediglich eine bessere personelle und technische Ausstattung der Behörden und Gerichte und eine Modernisierung und Digitalisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren werden wenig konkret angekündigt (S. 14) – ähnlich wie übrigens schon im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung 2017 – 2021 (S. 75).
Beschleunigungsfluch
Mit den großen Worten zur Verfahrensbeschleunigung in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz hat Robert Habeck sich letztlich einen Bärendienst erwiesen. Entweder setzen er und die Bundesregierung sich in diametralen Widerspruch zu den im Wahlkampf und auch noch im Koalitionsvertrag angekündigten Bemühungen um einen effektiven Umweltrechtsschutz und verfolgen den „Beschleunigung um jeden Preis“-Kurs ihrer Vorgänger*innen weiter. Oder sie krempeln mit einer Rechtswegeröffnung gegen Maßnahmengesetze das bestehende System des Verwaltungsrechtsschutzes gänzlich um und sorgen durch die zusätzliche Einbindung des Parlaments eher für eine Verlangsamung der Planungsverfahren. Das „Zauberwort Verfahrensbeschleunigung“ jedenfalls scheint sich für eine weitere Regierung mehr als Fluch denn als Segen zu erweisen.
Ein so hilf- wie lehrreicher Beitrag. Mich interessiert jedoch die Tragfähigkeit einer Analogie zu Dänemark. Geht es wirklich nur um das PR-Budget? Oder haben wir in Deutschland einfach aufgrund einer stärker polarisierten, weniger konsensorientierten politischen Kultur eine höhere Affinität zu förmlichen Rechtsbehelfen? Die auch durch die eminent politische Rolle des BVerfG befeuert wird, für die es keine Entsprechung in Dänemark gibt?
Ein berechtigter Einwand. Natürlich wird es auch im “soften” Bereich der Thematik (Kommunikation, PR, Zusammenarbeit) nicht funktionieren, das dänische Modell einfach zu kopieren und Deutschland überzustülpen. Dafür ist der NIMBY-Effekt (“not in my backyard” = Erneuerung ist ganz toll, solange dafür nichts gebaut werden muss, was vor meinem Wohnzimmerfenster steht – sehr spannendes Thema) vielleicht doch zu ausgeprägt. Aber die Klagen, die wirklich zum Erfolg führen und die Projekte kippen bzw. für Jahre auf Eis legen, sind meist die der Umweltverbände. Würde man sich zumindest mit denen und den Nicht-NIMBY-Bürger*innen mal konstruktiv auseinandersetzen, wäre schon viel gewonnen.
Dem Tenor von Herrn Goldmanns Kommentar will ich mich anschließen.
Vielen Dank für diesen Einblick in eine Materie, die eher nicht alltäglich ist. Ich will noch hinzufügen, dass der tiefgründigere Prozess nicht nur auf diesen Bereich des Umweltrechts beschränkt zu sein scheint. Im gesamten Prozessrecht lassen sich ähnliche Tendenzen beobachten. Statt einer ordentlichen Ausstattung der Gerichte werden die Prozessordnungen “vereinfacht”. Meist steckt dahinter keine Vereinfachung, sondern eine simple Streichung. Dass sich damit das Problem des fehlenden Personals nur verschärft, wird ignoriert. Die Rechtswissenschaft (und auch das BVerfG) ist für diese Problematik leider weitgehend blind.
Eine Frage hat sich mir beim Lesen noch gestellt: Wäre, damit das BVerwG unmittelbar gegen Gesetze angerufen werden kann, nicht eine Verfassungsänderung notwendig? Denn die Verpackung als Maßnahmengesetz macht das Gesetz ja nicht zum Exekutivakt und dann müsste doch Art. 100 I GG gelten.
Interessante Frage. Das hängt natürlich davon ab, ob man Art. 100 I GG als Ausschlussnorm versteht. Denn die konkrete Normenkontrolle über Art. 100 I GG könnte ja parallel bzw. für alle anderen Gesetze sowieso exklusiv bestehen bleiben und wäre auch das Mittel der Wahl, wenn es wirklich um die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes geht. Über die könnte das BVerwG auch bei einer entsprechenden Rechtswegeröffnung ja nicht entscheiden, sondern nur über das materielle, einfachgesetzliche Umweltrecht bzw. entsprechende EU-Vorschriften. Erkennt das BVerwG darüber hinaus eine Verfassungswidrigkeit, müsste es streng genommen selbst dem BVerfG über Art. 100 I GG vorlegen. So jedenfalls meine Vorstellung von dem, was den Grünen da wohl vorschwebt. Ergibt das Sinn?
Um ehrlich zu sein: Nein. Aber ich glaube, dass das nichts mit Ihrer Vorstellung zu tun hat, sondern eher damit, dass diese Idee nicht durchdacht ist.
Wenn in so einem Maßnahmegesetz beispielsweise geregelt wäre, dass ein Tunnel von A nach B mit bestimmten Eigenschaften gebaut wird, so müsste dies doch (jedenfalls) für alle anderen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts lex specialis sein. Alles andere scheint mir im Hinblick auf die Bestimmtheit des Gesetzes unmöglich zu sein. Denn der Gesetzgeber kann seine Gesetze nicht unter die Bedingung stellen, dass das Gesetz nur gelten soll, wenn es mit dem sonstigen (einfachen) Recht in Einklang steht.
Wenn es also z.B. ein anderes (allgemeines) Gesetz geben würde, dass festlegt, dass Tunnel immer in einer bestimmten Tiefe gebaut werden müssen, wäre das allgemeine Gesetz auf den Tunnel A-B nicht anwendbar, weil dafür das Maßnahmengesetz spezieller ist.
DIe Prüfung des BVerwG könnte dann nur noch darauf hinauslaufen, ob a) das Maßnahmengesetz formell ordnungsgemäß ist und b) mit sonstigem Verfassungsrecht in Einklang steht. Wenn das BVerwG eine dieser Vorgaben verneint, müsste aber zwingend vorgelegen, weil das Maßnahmengesetz Anwendungsvorrang genießt und die Nichtigkeit nur vom BVerfG ausgesprochen werden kann. Welchen Sinn eine Konstruktion hätte, in der ein Gericht nur eine Entscheidung (Klageabweisung) selbstständig treffen darf, während es für die andere Entscheidung (Erfolg der Klage) immer die “Hilfe” eines anderen Gerichts anfordern muss, erschließt sich mir nicht. Ob eine solche Konstruktion verfassungsgemäß wäre, erscheint mir sehr zweifelhaft.
Ob dies nun auch für die Vorgaben des Unionsrechts gelten würde, ist natürlich nochmal eine Sonderfrage. Auch hier erscheint es mir aber sehr fraglich, ob der innerstaatliche Gesetzgeber ein Gesetz erlassen kann, bei dem er die Vereinbarkeit mit Unionsrecht quasi offenlässt und die Entscheidung darüber dem BVerwG überlässt. Ich glaube nicht, dass die Kommission und der EuGH davon überzeugt wären.
Mit der Überlegung „Maßnahmengesetz = Gesetz = lex specialis gegenüber anderen Gesetzen auf der gleichen Hierarchiestufe“ beißt sich die Katze meiner Meinung nach in den Schwanz. Was ACCC und EuGH gerade nicht tolerieren (jedenfalls meiner Analyse nach) ist eben, dass man eine Verwaltungsentscheidung einfach in das Gewand eines Gesetzes kleidet, um dann zu sagen: Praktisch, dann gelten ja zahlreiche einfachgesetzliche Vorschriften nicht mehr. Verfassungsrechtlich mag das alles noch gehen, aber das Kernproblem liegt eben im Völker- und Europarecht, das hierarchisch höher steht und sowohl hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten als auch materiell zwingend zu beachtende Anforderungen stellt. Beachtet man die, müsste das BVerwG – so widersinnig das auch sein mag, deswegen ist die Idee ja auch nicht überzeugend – das Maßnahmengesetz am Ende wie einen Planfeststellungsbeschluss materiell überprüfen.
Welche allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG meinen Sie denn? Völkervertragsrecht steht jedenfalls nicht höher in der Hierarchie, das sollte man gelernt haben (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG).
Das ist korrekt, wenn auch die genaue hierarchische Einordnung völkerrechtlicher Normen bekanntlich umstritten ist. Die Arhus-Konvention stellt allerdings auch bereits keine allgemeine Regel des Völkerrechts i.S.d. Art. 25 GG dar, den Sie ansprechen. Vielmehr ist Kern der Sache, dass auch die EU selbst Konventionspartei der Arhus-Konvention ist und (hier vor allem relevant) Art. 9 Abs. 2 AK fast wortgleich in Art. 11 Abs. 1 UVP-RL umgesetzt hat. Eine unmittelbare Geltung dürfte auf diesem Wege – jedenfalls hinsichtlich des verbindlichen Ziels der Richtlinie, dem der EuGH klare Konturen gegeben hat – wohl kaum anzuzweifeln sein.
Ne, ergibt keinen Sinn. Denn wenn die Verfassung nicht der Maßstab ist im neuen Verfahren vor dem BVerwG (Verfassungswidrigkeit kann gem. Art. 100 Abs. 1 GG nur das BVerfG feststellenI), was soll dann der Maßstab sein? Das Maßnahmegesetz ist rechtswidrig, weil es gegen andere Gesetze derselben Hierarchiestufe verstößt?
Das ergibt für mich in der Tat Sinn. Zudem bleibt die Frage, was genau das BVerwG überprüfen können soll. Bisher habe ich den Hinweis darauf, den Rechtsweg zum BVerwG zu eröffnen, so verstanden, dass man den – sich dem MgvG erst anschließenden – eigentlichen Maßnahmengesetzen (als “Ersatz” des PfB) fiktiven VA-Charackter zuweist, um der o.g. Problematik aus dem Weg zu gehen (vgl. etwa die Diskussionen zum StandAG). In diesem Fall erscheint ein Beschleunigungseffekt aber, wie Sie richtig resümieren, ausgeschlossen, weil man weder einen geringeren Prüfungsumfang noch weniger Klagen sehen wird.
Hinzu kommt, dass der neue Koalitionsvertrag die Legalplanung auch auf solche Projekte erstrecken will, die schon seit mehr als zehn Jahren geplant werden und für die mit dem NABEG eigens ein gestuftes Planungsverfahren etabliert wurde (“Stromautobahnen”). Wie in diesem Zusammenhang die nachträgliche “Über-” oder “Neuplanung” durch Gesetz zu einer Beschleunigung führen soll, ist nicht ersichtlich. Der neuen Bundesregierung ist im Bereich des Netzbaus mit Nachdruck zu raten, das Rad nicht (wieder) neu zu erfinden.
Mit der Überlegung “Maßnahmengesetz = Gesetz = lex specialis gegenüber anderen Gesetzen auf der gleichen Hierarchiestufe” beißt sich die Katze meiner Meinung nach in den Schwanz. Was ACCC und EuGH gerade nicht tolerieren (jedenfalls meiner Analyse nach) ist eben, dass man eine Verwaltungsentscheidung einfach in das Gewand eines Gesetzes kleidet, um dann zu sagen: Praktisch, dann gelten ja zahlreiche einfachgesetzliche Vorschriften nicht mehr. Verfassungsrechtlich mag das alles noch gehen, aber das Kernproblem liegt eben im Völker- und Europarecht, das hierarchisch höher steht und sowohl hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten als auch materiell zwingend zu beachtende Anforderungen stellt. Beachtet man die, müsste das BVerwG – so widersinnig das auch sein mag, deswegen ist die Idee ja auch nicht überzeugend – das Maßnahmengesetz am Ende wie einen Planfeststellungsbeschluss materiell überprüfen.
Über eine ähnliche Frage hat das BVerfG bereits entschieden: In Hamburg können Bebauungspläne nach dem Hamburger Bauleitplanfeststellungsgesetz ausnahmsweise als Gesetz erlassen werden. Das BVerfG hielt es für mit Art. 100 I GG vereinbar, dass gegen solche Gesetze nach § 47 I Nr. 1 VwGO vorgegangen werden kann (Beschluss vom 14.05.1985 – 2 BvR 397/82 – allerdings mit ausführlichem Sondervotum). Die Argumentation beruhte allerdings recht stark auf der Gleichbehandlung baurechtlicher Maßnahmen nach unterschiedlichem Landesrecht, ist also vielleicht nicht vollständig übertragbar. Aber es könnte zumindest eine Tendenz zeigen, Art. 100 I GG bei “planerischen” Gesetzen nicht so eng zu lesen.
Sehr interessante Entscheidung, das stimmt. Klar ging es nachher maßgeblich um die Vergleichbarkeit unter den Bundesländern, aber Hintergrund war letztlich auch hier, dass Hamburg Bebauungspläne nun eben in gesetzliches Gewand kleiden wollte und das BVerfG der Ansicht war, dass man so leicht dem funktionalen Charakter der Entscheidung eben nicht entkommt.
Vielen Dank für diesen Beitrag! Ein wirklich spannendes Thema, zu dem in diesem Jahr in der JuS noch eine Übungsklausur von mir erscheinen wird. Die herrschende Literatur und auch die Ausschussempfehlung des Bundesrats (Drs. 579/1/19) gehen davon aus, dass entweder im Wege der Feststellungsklage oder aber als Rechtsschutz gegen die Vollzugsakte weiterhin auch ein Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein muss. So soll u.a. Art. 19 IV GG und auch den Anforderungen des Europa- und Völkerrechts Rechnung getragen werden. Wenn dies entgegen der “Südumfahrung-Stendal-Entscheidung” tatsächlich der Fall wäre, hätte das MGVG sogar eine Rechtswegverlängerung bewirkt, denn bislang ist gegen Planfeststellungsbeschlüsse Eingangsinstanz nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das Bundesverwaltungsgericht. Eingangsinstanz für Feststellungsklagen oder Klagen gegen Vollzugsakte ist nun stattdessen das örtliche VG zuzüglich des gesamten Instanzenzugs geworden. Das BVerfG hat in “Südumfahrung Stendal” anerkannt, dass ein Planungsgesetz den Rechtsweg i.S.d Art. 19 IV GG jedenfalls verkürzt (BVerfGE 95, 1, 22), was aber generell im Einzelfall gerechtfertigt sein kann. Da das Gesetz hier schon nicht geeignet ist, den Zweck der Verfahrensbeschleunigung überhaupt zu fördern, sondern im Gegenteil das Verfahren verlängert, kommt eine Rechtfertigung der mit einem Maßnahmengesetz verbundenen Eingriffe hier auch aus grundgesetzlicher Perspektive m.E. nicht in Betracht. Die Verletzungen von Art. 9 Aarhus-Konvention und RL 96/61/EG kommen dazu noch “on top.”
Guter Einwand. Natürlich ist mit der ganzen Sache eine mindestens ebenso umfangreiche verfassungsrechtliche Problematik verbunden. Und ich teile die Meinung, dass es doch sehr zweifelhaft ist, ob tatsächlich eine vergleichbare historische Ausnahmesituation besteht wie zu Zeiten der Wiedervereinigung (gerade angesichts der Anzahl von 28 Projekten, die sich inzwischen im MgvG finden). Die in der Literatur anderweitig vorgeschlagenen Rechtsschutzmöglichkeiten sind meiner Ansicht nach – mit Verlaub – eher ein sehr schwacher Versuch, die Europarechtswidrigkeit zu umschiffen. Denn im Rahmen einer Feststellungsklage müsste bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit ebenfalls eine Vorlage ans BVerfG erfolgen = auch wieder nur Kontrolle spezifischen Verfassungsrechts. Ein Vorgehen gegen nachfolgende Vollzugsakte bleibt zwar möglich, wird aber die zugrundeliegende Zulassungsentscheidung nicht kippen können.
Vielen Dank für diesen leider allzu treffenden Beitrag! Die Auffassung, dass MgvG sei europarechtswidrig, wird anscheinend von der Europäischen Kommission geteilt, die daher im Juni 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. In der begleitenden Kommunikation (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/DE/INF_21_2743) heißt es:
“Die Kommission fordert Deutschland auf, der Öffentlichkeit bei der Genehmigung von Verkehrsinfrastrukturprojekten, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (Richtlinie 2011/92/EU) erfordern, einen angemessenen Zugang zu Gerichten zu gewähren. Gemäß der Richtlinie können solche Projekte durch einen nationalen Rechtsakt genehmigt werden, sodass sie von den Bestimmungen über die öffentliche Konsultation ausgenommen werden können. In der Richtlinie ist jedoch festgelegt, dass weiterhin die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Projektgenehmigung bestehen muss. Im europäischen Grünen Deal wird unterstrichen, wie wichtig es ist, dass Europa seine Umweltziele weiter verfolgt. Im März 2020 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Gesetz, in dem mehrere Verkehrsinfrastrukturprojekte aufgeführt sind, die nicht im regulären Verwaltungsverfahren, sondern durch ein Bundesgesetz genehmigt werden können. Die Genehmigung von Infrastrukturprojekten nach Bundesrecht schränkt jedoch den Zugang von Einzelpersonen und NRO zu Gerichten erheblich ein, da Bundesgesetze in Deutschland nur durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden können. Einzelpersonen und insbesondere NRO, die von solchen Projekten betroffen sind, haben nur begrenzte Möglichkeiten, Fälle direkt vor das Verfassungsgericht zu bringen. Nach Auffassung der Kommission sind im nationalen Recht keine anderen Regelungen vorgesehen, um zu gewährleisten, dass die betroffene Öffentlichkeit, einschließlich NRO, in jedem Fall eine rechtliche Überprüfung von Projekten beantragen können, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern und per Bundesgesetz genehmigt wurden.”
Vielen Dank für die Verlinkung! Ich denke auch, dass das MgvG ein weiteres Kapitel in Sachen Kommission/Deutschland vor dem EuGH mit nicht positivem Ausgang für die Bundesregierung werden wird. Es bleibt abzuwarten, ob die Grünen gerade angesichts des bereits eingeleiteten Verfahrens die Sache noch irgendwie “retten” oder ob man es erneut auf ein Urteil ankommen lässt.
Vielen Dank für diesen Artikel,
eine Frage die sich mir aufdrängt:
Können die anerkannten Umwelt- und Naturschutzverbände nicht vielleicht doch Verfassungsbeschwerde gegen ein Maßnahmengesetz einleiten?
Gesetzeswortlaut ist: Eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann jedermann erheben gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein.
Fraglich ist hier, ob ein anerkannter Umwelt- und Naturschutzverband, „Jedermann der in seinen Grundrechten verletzt ist“ sein kann.
Nach hm/BVerfG: Grundrechte sind auf juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht anwendbar.
Denn hinter diesen stehen keine natürlichen Personen als personales Substrat, sondern der Staat. Juristische Personen des öffentlichen Rechts nehmen grundsätzlich öffentliche Aufgaben im Rahmen einer (fiktiv) einheitlichen Staatsverwaltung wahr.
Juristische Personen des Privatrechts können sich aber grundsätzlich auf Grundrechte berufen.
Die anerkannten Umwelt- und Naturschutzvereine sind als eingetragene Vereine juristische Personen des Privatrechts und wären somit beschwerdefähig.
(Selbstverständlich müsste zusätzlich noch der Weg zu den Verwaltungsgerichten bzw. BVerwG eröffnet sein, da der Maßstab des BVerfG Verfassungsrecht ist und daher kein Fachrecht (z.B. Umweltrecht) geprüft wird.)
Nun ja, den Verweis Richtung Dänemark sehe ich auf tönernen Füßen. Empirisch nachweisbar ist da ohnehin nichts, denn uns fehlt die Kontrollgruppe: Wir können nicht dasselbe Planungsverfahren – ceteris paribus mit geändertem Partizipationsansatz – noch einmal durchführen.
Ich möchte aber bereits der These widersprechen, die Planungskulturen in DK und D seien grds. unterschiedlich. Dass deutsche Vorhabenträger die frühe Beteiligung scheuen – zumal nach Aufnahme des § 25 III in das VwVfG – entspricht nicht meiner Erfahrung. Geht man nun, wie ich, von ähnlichen institutionellen Rahmenbedingungen in beiden Staaten aus, ist der Grund für die in der Tat sehr unterschiedliche Reaktion der Bevölkerung in der Bevölkerung selbst zu suchen. Meiner Meinung nach gehen die Skepsis ggü der Moderne und ein gewisser Rigorismus – zwei in Deutschland sicher weiter als anderswo verbreitete Phänomene – hier eine enge Verbindung ein. Zu dieser Einschätzung komme ich sowohl mit Blick auf Nimby-Bürger, als auch auf Umweltvereinigungen.