14 January 2022

Das Zauberwort Verfahrensbeschleunigung

Gleich 21-mal findet sich der Begriff „Beschleunigung“ auf den 36 Seiten der am Dienstag vorgestellten Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Der fast inflationäre Gebrauch dieses Zauberworts der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft hilft aber nicht darüber hinweg, dass die Pläne von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck keine echte Beschleunigungswirkung erhoffen lassen und rechtsstaatlich bedenklich sind. Die neue Bundesregierung fällt damit in alte Muster der Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis zurück.

Legalplanung als Lösung?

Doch zurück zum Anfang der Geschichte: Die Forderung nach Verfahrensbeschleunigung ist die Iteration in der deutschen Infrastrukturplanung. Ganze sieben Gesetze trugen seit 1985 den Begriff der „Beschleunigung“ im Namen. 1) Kaum eine andere Idee hält sich so hartnäckig auf den politischen Agenden jedweder Couleur und hat gleichzeitig so wenig praktische Wirksamkeit entfaltet wie diese. Besonders deutlich wurde die Behäbigkeit des aktuellen deutschen Planungsrechts im direkten Vergleich mit Dänemark bei der Zulassung der Fehmarnbelt-Querung. Während das dänische Baugesetz bereits am 28. April 2015 verabschiedet wurde und keinen Rechtsstreit nach sich zog, ließ der deutsche Planfeststellungsbeschluss bis zum 31. Januar 2019 auf sich warten. Die dagegen anhängigen Klagen wies das BVerwG mit Urteilen vom 3. November 2020 ab und erteilte dem Projekt somit rund fünfeinhalb Jahre nach dem dänischen Go auch von deutscher Seite die Freigabe. Naheliegend also, dass deutsche Politiker*innen Dänemark in der Folge als leuchtendes Beispiel stilisierten und die schwarz-rote Bundesregierung Ende 2019 einen Gesetzentwurf für die beschleunigte Zulassung von Infrastrukturgroßprojekten durch Maßnahmengesetz auf den Weg brachte – wie sie in Dänemark schon lange Tradition ist. Statt wie bisher durch Planfeststellungsbeschluss der Fachbehörde, also durch eine Verwaltungsentscheidung am Ende eines von der Behörde durchgeführten Verwaltungsverfahrens, sollen insgesamt 28 Großprojekte aus dem Straßen-, Schienen und Wasserwegebereich nun direkt vom Bundestag per Maßnahmengesetz genehmigt werden. Das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (MgvG) vom 22. März 2020 bietet hierfür inzwischen die entsprechende Grundlage.

Beschleunigung auf Kosten des Umweltrechts

Niemand erwartet Beschleunigungseffekte dadurch, dass die Genehmigungsentscheidung auf den Deutschen Bundestag verlagert wird. Die Beschleunigungswirkung soll vielmehr daraus folgen, dass bei dieser Art der Planung in Gesetzesform Umweltverbandsklagen vollständig unmöglich gemacht werden. Denn gegen Maßnahmengesetze wäre eine Verfassungsbeschwerde die einzig mögliche Verteidigungsform. Umweltverbände würden hier voraussichtlich bereits an den Zulässigkeitsvoraussetzungen scheitern, da sie – uneigennützig – Umweltinteressen vertreten und damit keine für eine Verfassungsbeschwerde nötige individuelle Betroffenheit geltend machen könnten. Gerade um diese Problematik zu überwinden, hatten Umweltverbände über das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in den vergangenen Jahren mehr und mehr Klagebefugnisse zugeschrieben bekommen. Und blockieren – so jedenfalls die Ansicht des bisherigen Verkehrsministers Andreas Scheuer – mit ihren Klagen nun gut gemeinte Projekte.

Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aber keine Anwendung. Noch dazu kontrolliert das Bundesverfassungsgericht nur spezifisches Verfassungsrecht nach dem deutschen Grundgesetz. Nicht aber einfachgesetzliches deutsches Umweltrecht (wie etwa das Bundesnaturschutzgesetz) oder die Europäischen Umweltvorschriften.

Eine Vorgehensweise, die im Gesetzgebungsverfahren zurecht erhebliche Gegenwehr der Grünen auslöste. Denn Deutschland ist sowohl auf völkerrechtlicher Ebene Vertragspartei der Århus-Konvention, die weitgehende Anforderungen an Rechtsschutzmöglichkeiten in umweltrelevanten Planungsverfahren stellt, als auch Mitgliedstaat der EU und damit an Europäisches Umweltrecht, insbesondere an die UVP-Richtlinie, gebunden. Art. 9 Abs. 2 der Århus-Konvention und Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie verlangen für Bürger*innen und Umweltverbände umfangreiche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen umweltrelevante Planungsentscheidungen, mit denen insbesondere die materielle Vereinbarkeit der Entscheidung mit nationalem und europäischem Umweltrecht überprüft werden können muss.

Kurzum: Das MgvG in seiner derzeitigen Form ist völker- und europarechtswidrig. Darüber kann auch die Gesetzesbegründung nicht hinweghelfen, die sich mit der bloßen Feststellung Dieses Gesetz ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.“ in einer neuen Version von „Siehst du mich nicht, seh‘ ich dich nicht“ versucht. Zu deutlich machen dafür das Århus Convention Compliance Committee (ACCC) und der EuGH in ihrer Spruchpraxis, dass es für die Anwendung der Århus-Konvention und der UVP-Richtlinie nicht auf die formelle Einkleidung, sondern auf den funktionellen Charakter einer Zulassungsentscheidung ankommt. Klar also, dass die Grünen nach dem Wahlerfolg bei der Bundestagswahl im September 2021 und der daraus folgenden Regierungsbeteiligung für eine Aufhebung des MgvG sorgen oder es jedenfalls in der Schublade liegen lassen und von der Legalplanung keinen Gebrauch machen würden.

Eröffnungsbilanz Klimaschutz

Wer so dachte, hat weit gefehlt. Entgegen jeder Vermutung stellt der Ampel-Koalitionsvertrag die Legalplanung nach dem MgvG für konkret bezeichnete Projekte nun an prominenter Stelle unter der Überschrift „Moderner Staat und Demokratie“ unmittelbar in Aussicht. Realisiert werden sollen zunächst dreizehn Schienenprojekte aus dem sogenannten „Deutschlandtakt“ sowie fehlende Abschnitte der zentralen Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen SüdLink, SüdOstLink und Ultranet. Und der Rechtsschutz? Den soll ein Zugang zum Bundesverwaltungsgericht(S. 13) retten. Nähere Angaben dazu macht der Koalitionsvertrag nicht.

In der jetzt veröffentlichten Eröffnungsbilanz Klimaschutz ist von einer Aufarbeitung der Rechtsschutzprobleme gar nicht mehr die Rede. Es heißt nur noch Beschleunigung, Beschleunigung, Beschleunigung – und das, so scheint es, um jeden Preis. Allzu schnell ist die teil-grüne Bundesregierung auf die Rhetorik ihrer Vorgänger*innen zurückgefallen. Und macht dieselben Fehler. Es sei zentral, Bürokratie, die die Transformation hemmt, abzubauen sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Klimaschutzvorhaben zu beschleunigen (S. 9) und notwendig, den Ausbau der Erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen (S. 13). So das Papier des Wirtschafts- und Klimaschutzministers. Ohne jedoch eine einzige konkrete Maßnahme in Aussicht zu stellen.

Wie damit die im Koalitionsvertrag versprochene Halbierung der Verfahrensdauern (S. 12) erreicht werden soll? Die Eröffnungsbilanz bleibt die Antwort schuldig. Es scheint fast, als wollten auch die Grünen die Rechtsschutzprobleme nun totschweigen. Erhebliche Beschleunigungseffekte wären wohl nur mit der Beibehaltung des MgvG in seiner jetzigen Form verbunden – aber dann eben um den Preis der Völker- und Europarechtswidrigkeit und des Verlustes der Rechtsstaatlichkeit im Umweltrechtsschutz. Der Schutz der Umweltinteressen ist die satzungsgemäße Aufgabe der Umweltverbände und Voraussetzung für ihre Anerkennung nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Auch das Verwaltungsrecht sah Umweltverbände ursprünglich als „Verwaltungshelfer“ in einem Rechtsschutzsystem, das auf der Idee subjektiver Betroffenheiten basiert und den Schutz der Umwelt um ihrer selbst willen schwer macht. Wenn diese Verbände nun gezielt ausgeschaltet werden, verstößt das gegen die Rechtsstaatlichkeit.

Ein neuer Rechtsweg?

Will man dem grün geführten Wirtschafts- und Klimaministerium nicht unterstellen, über Nacht sämtliche bisherige Prinzipien in Sachen Umweltrechtsschutz über Bord geworfen zu haben, so wäre mit der im Koalitionsvertrag angekündigten Rechtswegeröffnung zum BVerwG jedenfalls ein mittelschweres Erdbeben im deutschen Verwaltungsrecht verbunden. Denn wem an dieser Stelle der von tausenden Jurastudierenden im Rahmen jeder zweiten verfassungsrechtlichen Klausur gebetsmühlenartig rezitierte Satz „Gegen Gesetze steht kein Rechtsweg offen.“ ins Gedächtnis kommt, den täuscht sein verfassungsrechtliches Wissen keineswegs. Gegen Gesetze steht kein Rechtsweg offen. Jedenfalls bisher nicht.

Anders in Dänemark: Hier besteht gegen die Maßnahmengesetze schon immer eine unmittelbare Rechtsschutzmöglichkeit vor dem Østre bzw. Vestre Landsret (den dänischen Oberverwaltungsgerichten) für jedermann mit einem bloßen rechtlichen Interesse, ohne materielle Präklusion.2) Eine Rechtswegeröffnung zum BVerwG gegen die Maßnahmengesetze nach dem MgvG brächte formell also eine vollständige Angleichung an das dänische System mit sich.

Eines wäre sie jedoch sicher nicht: Eine Rechtsänderung mit beschleunigender Wirkung, wie die Eröffnungsbilanz Klimaschutz sie in Aussicht stellt (S. 19). Denn die erstinstanzliche Zuständigkeitszuweisung zum BVerwG gibt es für große Infrastrukturprojekte bereits. So erging die abschließende Entscheidung über den Planfeststellungsbeschluss zur Fehmarnbelt-Querung rund eineinhalb Jahre nach dessen Bekanntmachung – Lichtgeschwindigkeit in der deutschen Justiz, gerade für ein solch komplexes Verfahren. Mit dem „Überspringen“ der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte konnten jahrelange Instanzenzüge vermieden werden, die am Ende doch immer auf die Revision beim BVerwG hinausliefen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine zusätzliche Verfahrensbeschleunigung daraus resultieren kann, dass sich nun die Parlamentarier*innen in Berlin mit Genehmigungsentscheidungen befassen, für die bereits über Jahre aufgebaute spezifische Fachkompetenz bei den Behörden besteht.

Dänische Planungskultur

Statt die Zulassungsentscheidungen nur formell in dänisches Gewand zu kleiden, wären Bundesregierung und Gesetzgeber mit einem genaueren Blick auf die dänische Planungskultur gut beraten. Denn eigentlicher Motor der Beschleunigung ist nicht die formelle Ausgestaltung der Entscheidungsformen und Rechtsschutzmöglichkeiten. Während in Deutschland im Planfeststellungsverfahren zur Fehmarnbelt-Querung 16.000 überwiegend negative Einwendungen eingingen, waren es auf dänischer Seite nur 42 – von denen 40 den Bau des Tunnels ausdrücklich begrüßten. Mit hohen Budgets für die projektbegleitende Öffentlichkeitsarbeit und umfassender Einbindung von Bürger*innen und Verbänden auf sämtlichen Planungsstufen hat es Dänemark in den letzten Jahren geschafft, in der Bevölkerung eine positive Grundstimmung und echte Basis für einen konstruktiven Austausch zu schaffen. Der Schlüssel zum Erfolg: Die Vorhabenträger und die Politik glauben daran, dass von außen konstruktive Ideen kommen können, die das Vorhaben voranbringen.“3)

Die Eröffnungsbilanz Klimaschutz hingegen schweigt auch zu diesem Themenbereich. Lediglich eine bessere personelle und technische Ausstattung der Behörden und Gerichte und eine Modernisierung und Digitalisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren werden wenig konkret angekündigt (S. 14) – ähnlich wie übrigens schon im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung 2017 – 2021 (S. 75).

Beschleunigungsfluch

Mit den großen Worten zur Verfahrensbeschleunigung in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz hat Robert Habeck sich letztlich einen Bärendienst erwiesen. Entweder setzen er und die Bundesregierung sich in diametralen Widerspruch zu den im Wahlkampf und auch noch im Koalitionsvertrag angekündigten Bemühungen um einen effektiven Umweltrechtsschutz und verfolgen den „Beschleunigung um jeden Preis“-Kurs ihrer Vorgänger*innen weiter. Oder sie krempeln mit einer Rechtswegeröffnung gegen Maßnahmengesetze das bestehende System des Verwaltungsrechtsschutzes gänzlich um und sorgen durch die zusätzliche Einbindung des Parlaments eher für eine Verlangsamung der Planungsverfahren. Das „Zauberwort Verfahrensbeschleunigung“ jedenfalls scheint sich für eine weitere Regierung mehr als Fluch denn als Segen zu erweisen.

References

References
1 Groß, ZUR 2021, 75 (75 f.).
2 Siegert, UPR 2019, 468 (472).
3 Siegert, UPR 2019, 468 (473).

SUGGESTED CITATION  Wulff, Julia: Das Zauberwort Verfahrensbeschleunigung, VerfBlog, 2022/1/14, https: