27 September 2023
Verwaltung ohne Verantwortung
Mit Urteil vom 6. September 2023 hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) in erster Instanz erstmalig über eine Schadensersatzklage geflüchteter Personen gegen die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) entschieden und die Klage abgewiesen. Politische und zivilgesellschaftliche Vereinigungen sowie die Wissenschaft weisen schon länger auf systemische Mängel bei der Geltendmachung von Rechtsverletzungen gegenüber Frontex hin. Die Entscheidung des EuG perpetuiert diese Mängel, weil sie Bewertungsmaßstäbe nicht berücksichtigt, die aus menschenrechtlicher Sicht geboten sind. Eine dogmatisch überzeugende Integration dieser Maßstäbe in das Unionsrecht würde die Rechte geflüchteter Personen wahren und so das unionale Recht auf effektiven Rechtsschutz stärken. Continue reading >>
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18 November 2022
Worth Waiting For
Am 10. November 2022 hat der Bundestag endlich beschlossen, das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) zu ratifizieren, das ein Individualbeschwerdeverfahren bei Menschenrechtsverletzungen ermöglicht. Dies war lange überfällig. Inwiefern sich dieser Schritt aber auch tatsächlich auf die individuellen Rechte auswirkt, steht und fällt mit der zukünftigen Praxis der nationalen Gerichte, die eine Prüfung häufig ablehnen. Diese Haltung reflektiert (auch) eine grundsätzliche Einstellung der Rechtswissenschaft zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (wsk-Rechte), die sich dringend ändern muss. Continue reading >>14 Januar 2022
Das Zauberwort Verfahrensbeschleunigung
Gleich 21-mal findet sich der Begriff „Beschleunigung“ auf den 36 Seiten der am Dienstag vorgestellten Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Der fast inflationäre Gebrauch dieses Zauberworts der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft hilft aber nicht darüber hinweg, dass die Pläne von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck keine echte Beschleunigungswirkung erhoffen lassen und rechtsstaatlich bedenklich sind. Die neue Bundesregierung fällt damit in alte Muster der Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis zurück. Continue reading >>19 April 2021
Ein bürgerlich-rechtlicher Mietendeckel für den Bund?
Ein bürgerlich-rechtlicher Mietendeckel auf Bundesebene ist möglich. So lässt sich eine der vielen Folgen des Mietendeckel-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen. Die Regelungen zur Mietenhöhe im freifinanzierten Wohnungsraum, so das Gericht, gehören allein zum sozialen Mietrecht und seien damit dem bürgerlichen Recht zuzuordnen. Für den Schutz von Mieter:innen ist das jedoch keine gute Nachricht – denn eine Steuerung des Mietpreises durch einen bürgerlich-rechtlichen Mietendeckel ist erheblich weniger effektiv als die hoheitliche Normdurchsetzung von Preisvorschriften. Continue reading >>09 März 2021
Eine Gebühr für Stammgäste?
Am Freitag hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf Hessens abgelehnt, der den Zugang zu sozialgerichtlichen Verfahren in bestimmten Fällen erschweren sollte. Der gescheiterte Gesetzesentwurf ist der vorläufige Höhepunkt einer Diskussion, die schon seit längerem und immer wieder im Sozialrecht geführt wird und auch jetzt noch nicht vom Tisch sein dürfte. Continue reading >>
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05 Mai 2020
Schutzlos in Karlsruhe
In einer kürzlich veröffentlichten Eilentscheidung zum Digitale-Versorgung-Gesetz stecken zwei grundlegende Maßstabsverschiebungen, die weit über das konkrete Verfahren hinausweisen: In prozessualer Sicht hat das BVerfG den Prüfungsmaßstab für Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz massiv zu Lasten des Antragstellers verschoben - und in materieller Hinsicht erschüttert es das Datenschutzrecht in seinen Grundfesten. Continue reading >>
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13 April 2020
Im „Kreuzfeuer“ des Zweiten Senats
Die Entscheidungen des Ersten Senats, mit denen sich das BVerfG zum Garanten der Unionsgrundrechte aufschwang, waren nicht weniger als ein Paukenschlag. Im Schrifttum stieß die Neuausrichtung des Prüfungsmaßstabs der Verfassungsbeschwerde überwiegend auf Wohlwollen. Unbemerkt blieb dabei bislang, dass der Zweite Senat nicht geneigt scheint, dem zu folgen. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist der am 8. April 2020 veröffentlichte Beschluss zu Blankettstrafvorschriften im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Continue reading >>09 Dezember 2019
Exekutiver Freestyle im Mittelmeer
„Wir brauchen den Schutz der Verfassung, weil damit Menschenrechte, Freiheit und Demokratie gesichert werden“, heißt es auf der Webseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die Praxis der pre-screenings von Schutzsuchenden auf Malta und in Italien wird diesem Anspruch kaum gerecht. Kompetenzrechtlich steht sie auf wackligen Füßen. Es entsteht der Eindruck, dass es sich hier um einen exekutiven Freestyle handelt, um in Abwesenheit einer europäischen Regelung migrationspolitische Zielsetzungen zu fördern. Ob sie rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt, kann man ernsthaft bezweifeln. Continue reading >>14 August 2019
Braucht ein „kranker“ Wahlrechtsschutz neue Therapien?
An diesem Freitag wird die Hauptsacheentscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs in Sachen Landesliste der AfD Sachsen erwartet. Im einstweiligen Rechtsschutz hatte der Gerichtshof der Partei teilweise Recht gegeben. Diese Entscheidung hat nicht nur eine bemerkenswerte Vorgeschichte, sie markiert zugleich einen fundamentalen Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung in Wahlsachen. Das kann man im Grundsatz mit Blick auf die Rechtsschutzeffektivität begrüßen, die Langzeitwirkungen, die damit einhergehen, sind aber kaum vorhersehbar. Continue reading >>01 August 2019