05 September 2012

Asylrecht schützt nicht nur “Kernbereich” der Religionsfreiheit

Wegen seines Glaubens verfolgt wird nicht nur, wem verboten ist zu glauben. Sondern auch, wem verboten ist, seinen Glauben öffentlich zu praktizieren.

Daran hat heute der EuGH die deutsche Asylpraxis erinnert. Die fand nämlich bisher, dass Asylbewerber dann getrost nach Hause abgeschoben werden können, wenn dort die öffentliche Ausübung ihrer Religion unter Strafe steht. Sollen sie halt daheim im Kämmerlein ihren sonderbaren Riten nachgehen und sich ansonsten schön still verhalten, dann kann ihnen nichts passieren.

Dem lag die Sichtweise zugrunde, dass im Asylkontext der Schutzbereich der Religionsfreiheit viel enger gezogen ist als sonst: Nur ein “Kernbereich” sei geschützt, nämlich die Freiheit, einen Glauben zu haben und im Kreise von Gleichgesinnten auszuüben. Das ganze äußerliche Brimborium dagegen nicht.

Dem widerspricht der EuGH energisch: Eine solche Unterscheidung zwischen “forum internum” und “forum externum” sei “nicht angebracht”. Auch der Ritus gehöre zur Religion, und selbst wenn er nicht objektiv zur Religion gehöre und nur subjektiv für den Gläubigen wichtig sei, müsse das bei der Frage, ob der Asylbewerber in seiner Heimat in Gefahr schwebe oder nicht, berücksichtigt werden. Wenn ihm gravierende Verfolgung drohe, dann habe er ein Recht auf Asyl. Und dass er die Verfolgung vermeiden könne, wenn er sich still und brav verhalte, sei schlicht kein valides Argument in diesem Zusammenhang.

Die Entscheidung zeigt, dass der EuGH mittlerweile durchaus ein Sensorium für klassischen Grundrechtsschutz besitzt. Die Zeiten, da er unter Freiheit nur Kapital- und Warenverkehrsfreiheit verstand, sind längst vorbei.

Foto: Juan L. Vélazquez (dCinématica), Flickr Creative Commons


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Asylrecht schützt nicht nur “Kernbereich” der Religionsfreiheit, VerfBlog, 2012/9/05, https://verfassungsblog.de/asylrecht-schtzt-nicht-nur-kernbereich-der-religionsfreiheit/, DOI: 10.17176/20181005-183431-0.

5 Comments

  1. Pascal Thu 6 Sep 2012 at 02:08 - Reply

    Die gleiche Argumentation gibt es doch auch bei homosexuellen Verfolgten.

    “Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt die Bestrafung irreversibler,
    schicksalhafter Homosexualität grundsätzlich politische Verfolgung im Sinne des Art. 16
    Abs. 1 GG dar, wenn … der Asylbewerber bei einer Rückkehr in sein
    Heimatland in die Gefahr gerät, mit schweren Leibesstrafen sowie der Todesstrafe belegt zu
    werden, und mit deren Verhängung und Vollstreckung auch seine homosexuelle
    Veranlagung getroffen werden soll.

    Das iranische Strafgesetzbuch sieht für sexuelle Handlungen zwischen Männern die
    Todesstrafe vor (Art. 110 iStGB). Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden laut
    Art. 127 – 134 iStGB in den ersten drei Fällen mit 100 Peitschenhieben, erst bei der vierten
    Verurteilung mit der Todesstrafe geahndet.

    Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Klägerin den Iran unverfolgt verlassen hat. Bei
    einer Rückkehr hat sie bei entsprechend zurückhaltendem Lebenswandel, den alle
    Homosexuellen im Iran praktizieren, die unbehelligt leben wollen, auch bei einer irreversiblen
    Veranlagung keine im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevanten Verfolgungsmaßnahmen
    zu befürchten.
    Dass die Klägerin an einem freien und friedlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland
    festhalten will, mag menschlich nachvollziehbar sein, liegt jedoch außerhalb der Reichweite
    des Asylrechts.
    VG Bayreuth, B 3 K 11.30113
    http://www.vgh.bayern.de/VGBayreuth/documents/documents/3k11.30113_web.pdf

    http://www.sueddeutsche.de/bayern/verzweifelter-kampf-um-asyl-im-schatten-der-scharia-1.1361800

  2. […] unterwerfen zu müssen. "Vielleicht begreifen auch die deutschen Behörden das jetzt." Max Steinbeis (Verfassungsblog) kommentiert, dass der EuGH mittlerweile "durchaus ein Sensorium für klassischen […]

  3. Alexandra Kemmerer Fri 7 Sep 2012 at 03:50 - Reply

    In der Tat eine bemerkenswerte Entscheidung. Zum Klassiker taugt die Feststellung “Die Religionsfreiheit ist eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft und stellt ein grundlegendes Menschenrecht dar.” (Rn. 57), und auch die explizite Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR ist aufschlußreich.
    Etwas missverständlich ist Deine Überschrift, Max. Denn offenkundig hält der EuGH die Verwendung des Begriffs “Kernbereich” in der konkreten Fallkonstellation von vornherein für unangebracht (Rn. 62 und 63); auf die Ablehnung einer solchen Differenzierung durch das Gericht weist Du ja in Deinem Beitrag auch deutlich hin.
    Ein “Sensorium für klassischen Grundrechtsschutz” besitzt der EuGH übrigens seit einer ganzen Weile. Mit der Religionsfreiheit hat sich Luxemburg zum ersten Mal in einer inzwischen auch schon klassischen Entscheidung vom 27. Oktober 1976 beschäftigt (“Prais”, Rs. 130/75). Damals ging es um die Religionsfreiheit der britischen Staatsbürgerin Vivien Prais, die eine Verschiebung des Termins der Einstellungsprüfung für Übersetzer des Rates einklagte, weil dieser auf den ersten Tag des jüdischen Festes Schawuot fiel, an dem ihr als gläubiger Jüdin das Reisen und Schreiben verboten sei. Der Gerichtshof wies die Klage von Frau Prais damals ab. Das Wiederlesen der Entscheidung lohnt sich im aktuellen Zusammenhang aber unbedingt.

  4. Nora Markard Fri 7 Sep 2012 at 20:13 - Reply

    @Pascal, diese Rechtsprechung verläuft tatsächlich parallel.

    Der britische Supreme Court hat bereits 2010 entschieden, dass diese “Diskretion”-Rechtsprechung nicht mit einer menschenrechtlichen Auslegung vereinbar ist. Die Entscheidung, HJ (Iran), ist zur Lektüre sehr zu empfehlen (und wurde von Laura Adamietz und mir in der KJ 2011 kommentiert).

    Eine deutsche Vorlage an den EuGH, die sich an der seutschen Rechtsprechung zur Religion orientierte, musste zurückgezogen werden – der EuGH hatte, wie immer, den Fall unter dem vollen Namen des Klägers auf seiner Website gelistet, da hatte es sich mit der “Diskretion” erledigt.

    Es steht aber zu hoffen, dass die deutschen Asylgerichte nun allein die Konsequenz ziehen. Denn auch bei der Verfolgung wegen der politischen Überzeugung wird ja nicht verlangt, dass man sie nur haben, aber nicht öffentlich äußern kann – denn dann würde ja gerade der Schutz der Flüchtlingskonvention ausgehebelt. Nichts anderes kann bei der sexuellen Orientierung gelten.

    Klar ist aber auch: Verfolgung ist eine Menschenrechtsverletzung von gewisser Schwere, und nicht jeder Nachteil, der wegen der Religion(sausübung), (Äußerung der) politischen Überzeugung oder der (praktizierten) sexuellen Orientierung zu befürchten ist, ist bereits Verfolgung. Diese Unterscheidung zwischen Verfolgung und Verfolgungsgrund wird nicht immer sauber getroffen.

    @Max: Eine andere Entscheidung war nicht zu erwarten, da stimme ich Alexandra zu – allerdings schon deswegen, weil die der Entscheidung zugrunde liegende Richtlinie 2004/83/EG eine menschenrechtlich orientierte Auslegung erfordert. Und im Bereich der Menschenrechte spricht nichts für die deutsche Kernbereichstheorie zur Religion.

  5. […] entsprechende Frage zum religiösen Glauben hatte der EuGH schon im September 2012 zu beantworten, und auf dieser Entscheidung baut das heutige Urteil auf. Wer aus Glaubensgründen […]

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