Es geht eben doch: Nochmals zur ersten Vorlage des Conseil Constitutionnel an den EuGH
Man muss als nationales Höchstgericht in EU-Angelegenheiten nicht mit Ultra-vires-Knüppeln hantieren oder sich in Zentralbankangelegenheiten einmischen, um die Rechtsgemeinschaft hoch zu halten. Im Gegenteil. Dies bestätigt der vorläufige juristische Schlussakt in Sachen Jeremy F.
Der Reihe nach. Fünfeinhalb Jahre Haft u.a. wegen Kindesentführung verhängte ein Londoner Gericht am 21. Juni 2013 gegen den vormaligen Schullehrer Jeremy F., der im September 2012 mit einer 15-jährigen Schülerin außer Landes geflohen und in Frankreich festgenommen worden war. Der Fall machte europaweit Schlagzeilen. Daneben gab es eine juristische Besonderheit: Im Verlaufe des Falles hatte nämlich der französische Conseil constitutionnel (CC) am 4. April 2013 den EuGH erstmals in seiner Geschichte im Wege des Vorlageverfahrens angerufen. Wir haben darüber im Verfassungsblog berichtet.
Wie ging diese Sache auf der rechtlichen Ebene weiter? Der EuGH (Rs. C-168/13 PPU) entschied im beantragten Eilverfahren (dazu ebd. Rn. 28-32) am 30. Mai 2013. Auf den Tag genau acht Wochen, nachdem der Verfassungsrat sich an ihn gewandt hatte.
In der Sache beantwortete der Gerichtshof die Frage, ob der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl von 2002 in seinen Art. 27 Abs. 4 und 28 Abs. 3 lit. c) durch die Nennung von „30 Tagen“ für die entsprechende Entscheidung Rechtsmittel ausschließe und insofern eine zwingende Vorgabe für den nationalen Umsetzungsgesetzgeber enthalte. Die Antwort war negativ (Rn. 37 f., 55, 75). Aus Gründen der kohärenten Interpretation und Anwendung des Rahmenbeschlusses sowie seines Sinn und Zwecks einer einfacheren und schnelleren justiziellen Zusammenarbeit müssten indes die Fristen von dessen Art. 17 für eine endgültige Entscheidung gewahrt werden (insgesamt bis zu 60, ausnahmsweise max. 90 Tage) (Rn. 56 ff., 64 f., 72 ff.).
Mit dieser Entscheidung aus Luxemburg hatte der CC freie Bahn für die Kontrolle des gerügten Art. 695-46 Abs. 4 der französischen Strafprozessordnung (Code de procédure pénale, CPP) am Maßstab der französischen Verfassung. Am 14. Juni 2013 erklärte er in der Entscheidung n° 2013-314 QPC den in Frage stehenden Ausschluss von Rechtsbehelfen für verfassungswidrig. Für den konkreten Fall bedeutete dies, dass der Ausschluss der Möglichkeit, gegen die Entscheidung der Chambre de l’instruction einen Rechtsbehelf einzulegen, verfassungsrechtlich als ein nichtgerechtfertigter Eingriff die Rechtsweggarantie bzw. das Recht auf effektiven Rechtsschutzes bewertet wurde. Das von Jeremy F. eingelegte Rechtsmittel bei der Cour de cassation gegen die Entscheidung einer Erweiterung des Haftbefehls war damit rechtlich zulässig.
Die Entscheidung selbst ist ebenso schlicht und unkompliziert formuliert wie die Vorlage vom April; auch der Commentaire vertieft sich nicht in etwaige Grundsatzüberlegungen zu einem neuen Verhältnis zwischen nationaler Verfassungsgerichtsbarkeit und EuGH. Einzig findet nochmals Erwähnung, dass es sich um die erstmalige Vorlage in der Geschichte des CC handelt und dass dieser sein Verfahren bis zum Urteil des EuGH ausgesetzt und damit die Drei-Monats-Frist für eine QPC-Entscheidung suspendiert hatte. Dabei ist dies nach dem französischen Verfassungsprozessrecht gar nicht vorgesehen (vgl. dazu Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013).
Und doch geben die positiven Reaktionen im französischen Schrifttum auf die erstmalige Vorlage des CC weiteren Aufschluss darüber, dass sich auch aus Sicht der französischen Kollegen in der eigenen Vorlagebereitschaft namentlich die institutionelle Offenheit gegenüber Europa spiegelt – das, worin sich das Bekenntnis zu einem „europäischen Willen“ manifestiert (vgl. Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013).
Man mag einwenden, dass der CC institutionell schwächer wirkt als das BVerfG und die Vorlage konkret ja auch eine Eilentscheidung erforderte (zurückhaltend vor diesem Hintergrund insofern Gautier, AJDA n° 19, Juni 2013; Levade, La semaine juridique. Édition générale n° 23, Juni 2013). Trotzdem gilt auch aus französischer Sicht, dass der CC mit seiner Entscheidung auf Herrschaftsansprüche verzichtet hat (vgl. Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013; de Béchillon, AJDA n° 15, April 2013). Dass er auch im präventiven Normenkontrollverfahren das Argument zu kurzer Entscheidungsfristen nicht aufrechterhalten und somit auch in anderen Fallgestaltungen vorlegen könnte, wird angesichts des beschrittenen Weges ebenfalls nicht mehr ausgeschlossen (so von Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013). Auch der anzutreffende Gedanke eines gewissen Paradigmenwechsels (Labayle, RFDA n° 3, Juli 2013) deutet darauf hin, dass die Vorlage an den EuGH nicht für eine einmalige Sache gehalten wird.
Richtig wird darauf hingewiesen, dass für eine Vorlage stets auch eine ordentliche Portion guter Willen sowie schlicht eine gewisse Selbstüberwindung erforderlich sind, um den Kooperationsgedanken zwischen den Gerichten in die Tat umzusetzen (de Béchillon, AJDA n° 15, April 2013, vgl. auch Gautier, AJDA n° 19, Juni 2013, sowie Labayle, RFDA n° 3, Juli 2013).
So nüchtern und lakonisch die erstmalige Vorlageentscheidung des CC also wirken mag, sie wird doch als ein ausdrücklich zu begrüßender, ja sogar „bewundernswerter“ Schritt (Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013; de Béchillon, AJDA n° 15, April 2013) und von hervorgehobener Bedeutung für den Dialog der Gerichte (Chaltiel, RUE n° 568, Mai 2013; Labayle, RFDA n° 3, Juli 2013; vgl. Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013) eingeordnet.
Besonders bemerkenswert erscheint schließlich, dass man in Frankreich sogar von einem leisen Vergnügen („délicat plaisir“) darüber spricht, mit der eigenen Vorlage gerade das so oft als Vorbild angesehene BVerfG überholt und unter einen gewissen Druck gesetzt zu haben (Rousseau, Gazette du Palais n° 127, Mai 2013). Das BVerfG hat bekanntlich fast als einziges Höchstgericht noch immer keine Vorlage an den EuGH gerichtet.
In der Tat kontrastiert der zügige, reibungslose und undramatische Ablauf des ersten französischen Vorlageverfahrens mit der Ruppigkeit, mit der der Erste Senat des BVerfG im April 2013 völlig überzogen auf die EuGH-Entscheidung in der Rs. Åkerberg Fransson aus dem Februar 2013 reagiert hat und mit der immer steileren Erregungsspirale, in die sich der Zweite Senat in Sachen Eurokrise begibt, bis hin zu Szenarien einer De-facto-Popularklage gegen Akte europäischer Einrichtungen wie etwa der EZB.
Wo das BVerfG von immer mehr Beobachtern in Europa als Ausdruck deutschen Hegemonieanspruchs in der EU wahrgenommen wird, jetzt auch noch auf rechtlichem Gebiet, dokumentiert der CC aktiv eine positive Grundeinstellung zu Europa.
Von der ersten Vorlage des CC an den EuGH bleibt also vor allem folgender Eindruck: Es geht in Sachen Zusammenarbeit der europäischen Gerichte auch anders als es das BVerfG derzeit vormacht. Es geht eben doch.
EIner Vorlage bedarf es bekanntlich lediglich dann, wenn eine Frage des Unionsrechts nicht nur klärungsbedürftig ist und vom BVerfG selbst nicht hinreichend sicher beantwortet werden kann, sondern wenn sie darüber hinaus entscheidungserheblich ist. Wenn man das BVerfG also wegen seiner (Nicht-)Vorlagepraxis kritisieren will, muss man diese Gesichtspunkte hinsichtlich eines konkreten Falles erörtern, den das BVerfG zu entscheiden hatte, hat oder haben wird. Die Entscheidung des CC mag zwar Ausdruck einer mehr oder weniger großen Unionsfreundlichkeit des CC selbst sein, mit dem BVerfG hat sie aber rein gar nichts zu tun. Wenn man aber schon pauschal argumentieren möchte, dann muss man im Blick behalten, dass das BVerfG mit seiner Rspr. zu Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die Fachgerichte zu einer sehr beachtlichen Zahl von Vorlagen an den EuGH veranlasst hat und weiter veranlasst. Im Hinblick, dass es dabei die Anwendung (primären) Unionsrechts kontrolliert, erscheint dies keineswegs selbstverständlich, jedenfalls aber nicht als Ausdruck eines Hegemoniestrebens. Fazit: Nichts als haltlose Polemik, und zwar sehr durchsichtig vor wichtigen Entscheidungen!
@Hartmut Rensen: Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Herr Professor Mayer dokumentiert einmal mehr seine fast ausschließlich machtpolitische Wahrnehmung (“Hegemoniestreben”) juristischer Zusammenhänge. Dass Gerichte einem geltenden (Verfassungs-)Recht verpflichtet sein sollten, nicht einem Machtkalkül, Kooperationsideen oder modischen Strömungen (“Paradigmenwechsel”), scheint ihn nicht anzufechten – wen interessieren schon “Grundsatzüberlegungen zu einem neuen Verhältnis zwischen nationaler Verfassungsgerichtsbarkeit und EuGH”? Herrn Professor Mayer jedenfalls nicht.
Falls Studenten hier mitlesen: Man darf wirklich nur Fragen vorlegen, die für die Entscheidung im Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich
sind. Solange Professor Mayer eine verfassungsrechtliche Frage, deren Beantwortung von einer Auslegung des Unionsrechts abhängt, nicht formuliert, sollte man seine Parolen als das betrachten, was sie sind: neben der Sache.
“Ruppigkeit”, “völlig überzogen”, “immer steilere Erregungsspirale”: Das ist argumentfreie Pöbelei. Der Autor dokumentiert sein eigenes Vorverständnis, trägt aber zu einer sachlichen Debatte nichts bei.
Nebenbei: “Europa” ist nicht dasselbe wie die EU. Die verlangte “positive Grundeinstellung zu Europa” und eine Abneigung gegen jeden Nationalismus haben häufig auch Gegner der (wenig demokratischen/rechtsstaatlichen/sozialstaatlichen) EU – obwohl EU-Apologeten wie Herr Mayer das nicht wahrhaben wollen.
Wenn das BVerfG als wichtiges nationales Gericht das einzige Verfassungsgericht in der EU ist, das sich beharrlich einer Vorlage (auch in eher technischen Angelegenheiten) verweigert, stimmt das nicht bedenklich? Das BVerfG ist im europäischen Integrationsprozess zu einem Störfaktor geworden (was es nicht immer war). Auch der Umgang mit dem Präsidenten des EuGH, wie am letzten Juristentag in München zu sehen war, ist nicht gerade von Höflichkeit und Respekt geprägt. Es geht um die schwindende Macht eines Gerichts, das eben nicht mehr Ersatz für Politik sein kann. Das sollten die Kommentare des Beitrags von Mayer/Walter bedenken.
@Claudio Franzius: Ich darf nochmals in Erinerung rufen, dass das BVerfG nur dann zu Vorlagen gehalten ist, wenn es dem EuGH vorbehaltene Fragen für entscheidungserheblich hält. Solange das nicht der Fall ist, besteht nicht nur keine Veranlassung zur Vorlage – und erst recht keine Pflicht -, sondern “wildert” das BVerfG auch unter keinen Umständen in einem dem EuGH vorbehaltenen Bereich. Die Frage, ob das BVerfG “Störfaktor” ist oder nicht, hat sich das BVerfG nur insofern zu stellen, als es Bestimmungen des GG einerseits iSd. Integrationsfreundlichkeit und andererseits identitätswahrend auszulegen und anzuwenden hat. Dass es für die Unionsfreundlichkeit hier Grenzen gibt, die bei zunehmender Integration mehr und mehr in den Vordergrund rücken, versteht sich von selbst und ist Folge des GG. Dem verfassungsändernden und verfassungsgebenden Gesetzgeber (79 III, 146) steht es selbstverständlich frei, den Weg freizumachen. Vor diesem Hintergrund ist die von Mayer/Walter gepflegte einseitige Polemik peinlich schlicht, zumal es natürlich andererseits auch um die Macht des EuGH geht und das teilweise sehr schroffe und unwirsche Verhalten des EuGH-Präsidenten ebenfalls Ausdruck dieses Hintergrundes ist. Mir scheint, hier kämpfen – auch wissenschaftliche – Gruppen um die Macht und aus Sicht jeder Seite muss die andere Seite als Störfaktor erscheinen. Entsprechende Würdigungen sind daher gänzlich sinnlos und lenken von den zu beantwortenden Fragen des Unions- und des nationalen Verfassungsrechts sowie der zugehörigen Zuständigkeitsdifferenzierung ab. Man durfte von Mayer/Walter erwarten, dass dieser Hintergrund nicht auf einem “Stammtischniveau” erörtert wird.
Trollalarm auf dem Verfassungsblog!
Zu den Argumenten gerne noch etwas Nachhilfe:
Es kommt für die Vorlage an den Gerichtshof im Kern auf Auslegungs- bzw. Gültigkeitszweifel und auf die Entscheidungserheblichkeit im Hinblick auf eine europarechtliche Frage an. Da gibt es aber durchaus Spielräume. Natürlich kann man wie in der Vergangenheit gerade in Frankreich (Conseil d’Etat) unternommen mit einem angeblichen „acte clair“ versuchen, die Vorlage zu vermeiden: wenn man behauptet, man bekomme die Auslegung auch selber hin. Dazu hat der EuGH aber in der Rs. CILFIT, deren Maßstäbe nach wie vor gelten, strenge Kriterien formuliert, von denen das BVerfG nicht spricht.
Dass es Spielräume gibt, das zeigen wir mit dem französischen Beispiel: Es wäre für den Conseil constitutionnel ein leichtes gewesen, sich auf die Sonderstellung, auf die kurzen Verfahrensabläufe und auf die fachgerichtliche Vorlagepflicht und -praxis zurückzuziehen. Der CC hat es nicht getan, das wird von uns und von der weit überwiegenden Zahl der französischen Kommentatoren, über die unser Beitrag informiert, als verfassungspolitische Aussage gedeutet. Und genauso lässt sich die bisher auf der Ebene von Absichtsbekundungen verharrende Vorlage(un)willigkeit des BVerfG bewerten: als verfassungspolitische Aussage.
Die aktuelleren konkreten Anlässe für mögliche Vorlagen des BVerfG liegen auf der Hand: Vorratsdaten, EP-Wahl, Terrordatei, EZB.
Man hätte die Vorratsdaten-RL dem EuGH vorlegen können, schon um die Reichweite der eigenen Jurisdiktion klären zu lassen. Dass Zweifel an der Grundrechtskonformität der RL bestehen, hat sich ja hinreichend gezeigt.
Auch die Entscheidung über die 5%-Sperrklausel bei EP-Wahlen hätte man zum Anlass nehmen können, um sich über den Charakter der EP-Wahlen und des EP zu vergewissern, anstatt dazu eigene Theorien aufzustellen.
Bei der Terrordatei-Entscheidung hätte es besonders nahe gelegen, statt – die Ultra vires-Keule schwingend – Mutmaßungen über die Reichweite von Åkerberg Fransson anzustellen schlicht vorzulegen, mit der Frage: „Meint Ihr das wirklich ernst?“
Besonders bedenklich erscheinen uns übrigens Hinweise aus dem ESM/EZB-Verfahren, denen zufolge das BVerfG zwar bei der sog. Ultra-vires-Kontrolle nach wie vor eine eigene Vorlage an den EuGH für erforderlich hält, nicht aber bei der sog. Identitätskontrolle. Hier besteht womöglich ein Missverständnis über die Bedeutung des Art. 4 EUV als Grundlage, Ermächtigungsrahmen und damit Begrenzung einer solchen „Identitätskontrolle“. Wir erinnern an Art. 344 AEUV: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Verträge nicht anders als hierin vorgesehen zu regeln.“ Damit sind unilaterale Gerichtsentscheidungen, die die Anwendung des Unionsrechts beschädigen, nicht vereinbar, sie können zu Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik führen. Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten.
Es gibt also schon in der Vergangenheit für das BVerfG Beispiele für mögliche Vorlagekonstellationen. Man muss es eben wollen, und bis auf weiteres scheint es daran dann doch beim BVerfG zu fehlen. Man will nicht oder schafft es nicht, zu wollen – auch wenn die Vorlagebereitschaft in Urteilen wie in Interviews behauptet wird. Das ist auch deswegen ein Fehler, weil man damit die Chance versäumt, auf die Rspr. des EuGH Einfluss zu nehmen.
Der größte Teil unseres Beitrages besteht darin, die französische Sicht auf die erste Vorlage des Conseil constitutionnel mitzuteilen. Wenn namhafte französische Verfassungsrechtler wie D. Rousseau das in Bezug zum BVerfG und seiner Nichtvorlagepraxis setzen, dann ist das ein Aspekt der Außenansicht, den man zur Kenntnis nehmen kann. Aus Sicht unserer Nachbarn „nervt“ das BVerfG, wir denken uns das nicht aus. Man sieht es andernorts vielfach als weiteren Ausdruck einer deutschen Übermacht, nach der Ökonomie (Euro) und der Popkultur (Champions League). Das sollte man wissen, und über diese Wahrnehmung im Ausland unterrichtet unser Beitrag auch.
Und im übrigen, an alle Trolle:
http://www.youtube.com/watch?v=gznDOMKeWkA
@Mayer/Walter: Wir sind uns doch sicher einig, dass es für eine zu treffende Entscheidung nicht darauf ankommt, ob das BVerfG nervt oder nicht. Auch dürfte feststehen, dass aus Sicht des BVerfG die Grenzen der Kompetenzübertragung an die Union im Grundgesetz und nirgendwo sonst zu suchen sind. Ferner steht fest, dass man Gerichten und darunter auch dem EuGH nicht Fragen vorlegt, die darauf hinauslaufen, dass zuvor gefällte Entscheidungen des empfangenden Gerichts nicht ernst gemeint gewesen sein könnten. Vielmehr ist die Ernsthaftigkeit eines jeden Judikats, ob aus eigener Sicht überzeugend oder nicht, zu unterstellen. Außerdem scheiden Vorlagen dann aus, wenn der Fall ohne diese und ausgehend nur von verfassungsrechtlichen Fragen sowie von bereits geklärten Fragen des Unionsrechts entscheidungsreif ist. Das ist z.B. auch dann der Fall, wenn es auf eine genauere Auslegug des Unionsrechts nicht ankommt, sondern es ausreicht die nach dt. Verfassungsrecht bestehenden Grenzen klarzustellen, zumal auch mögliche Rechtsprechungsänderungen des EuGH aus der Sicht des nationalen Verfassungsrechts in die Betrachtung einzubeziehen sind. Bei Entscheidungsreife ist dann zu entscheiden, nicht hingegen vorzulegen, weil man aus irgendwelchen, mehr oder weniger wünschenswerten Gründen einen anderen Argumentationsweg bevorzugt. Schließlich ist die Außenperspektive für eine zu treffende Entscheidung in keiner Weise von Bedeutung. Die referierte Sichtweise unbeteiligter Dritter mag eingebildet sein oder auch nicht. Sie ist jedenfalls irrelevant.
“Pacta sunt servanda” hat, wie die Autoren sicher wissen, dort Grenzen, wo eine Verpflichtung nicht begründet werden kann. Wie das BVerfG die Frage nach dieser Grenze beantwortet, ist bekannt (z.B. Art.79 Abs.3 GG, Identität). Das mag im Sinne der Integration nicht optimal sein, gilt aber ausgehend vom nationalen Verfassungsrecht gleichwohl.
Ob “Troll” oder nicht – so einfach kann man sich das also machen! -, wird es dabei bleiben, dass das BVerfG ungeachtet polemischer Beiträge und merkwürdiger Vergleiche nur dann vorlegen wird, wenn dies im o.g. Sinne unbedingt erforderlich ist, anderenfalls aber wegen Entscheidungsreife entscheidet.
Dass das BVerfG sich “in Zentralbankangelegenheiten einmischt” stünde ja erst mal noch aus. Ginge der Vorwurf eigentlich auch an den EuGH für den Fall, dass das BVerfG vorlegt? Zur Debatte steht resp. stünde ja immerhin, ob es sich nach dem AEUV überhaupt um “Zentralbankangelegenheiten” handelt; falls nicht, würde es auch mit einer “Einmischung” schwierig. Ansonsten interessanter Beitrag und sehr aufschlussreiche Replik in Richtung der (wirklichen oder vermeintlichen) Trolle. Schade, dass letztere in Gestalt des letzten Satzes dann fast wieder auf befürchtetes Niveau absinkt.
Sehr geehrter, lieber Herr Professor Mayer,
Sie sollten sich nicht beleidigt fühlen. Was dem einen sein Staatsrechtslehrer, ist dem anderen sein Troll. Jedenfalls der ausgewiesene Prozessualist Dr. Rensen hat es nicht verdient, hier in die Nähe der Trollerei gerückt zu werden.
Zurück zur Sache: Nennen Sie doch ganz einfach eine verfassungsrechtliche Frage (möglichst konkret, damit wir das verstehen können) und eine dazugehörige europarechtliche Vorfrage (die wir als entscheidungserheblich verstehen können. Dann könnten wir uns hier die Folklore sparen.
Zwei Ergänzungen noch: 1) Der Verweis auf C.I.L.F.I.T. und die nachfolgende Rspr. ist zwar nicht ganz unzutreffend. Indes weist schon C.I.L.F.I.T. die Frage der Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich den nationalen Gerichten zur Beurteilung zu (Tz. 10). Ohne Entscheidungserheblichkeit aber kommt es auf die – zu Recht restriktiv gefassten – Beschränkungen der Vorlagepflicht nicht (mehr) an. 2) Art. 4 EUV mag aus unionsrechtlicher Perspektive als „Grundlage, Ermächtigungsrahmen und damit Begrenzung einer … ‚Identitätskontrolle‘“ herhalten müssen. Aus Perspektive des Lissabon-Urteils gehen die unions- und verfassungsrechtlichen Maßstäbe hier lediglich „Hand in Hand“ (Ls. 4, Tz. 240). Die Verfassungsidentität ist „durch Art. 79 Abs. 3 GG unverfügbar“ sowie „auch durch das europäische Vertragsrecht, namentlich Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV, geachtet“ (Tz. 339). In dieser Perspektive ist Art. 4 EUV somit „vertraglicher Ausdruck der staatsverfassungsrechtlichen Grundlegung der Unionsgewalt“ (Tz. 234).
wenn ziel des beitrags tatsächlich war, über die reaktionen des französischen schrifttums auf die vorlage zu informieren, hätten dann nicht pöbeleien wie “Ruppigkeit”, “völlig überzogen” und “immer steilere Erregungsspirale” einfach weggelassen werden können? anders gefragt: trollt nicht selbst, wer erst so rumpoltert, und dann auf kritik mit “nachhilfe” und beschimpfungen meint antworten zu sollen, statt auf argumente und fragen sachlich einzugehen?
Es ist einmal wieder typisch deutsch. Es wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, wie das einst so bewunderte BVerfG im Ausland inzwischen wahrgenommen wird. Ich empfehle denen, die sich hinter Dogmatik verstecken, einmal nach Paris zu fahren. Hier wird vermutet, dass sich die Bundeskanzlerin hinter dem Gericht versteckt. Man würde ja gerne in allen Streitfragen gerne mit den anderen mitziehen, wenn es denn nicht Karlsruhe verbieten würde. Zugegeben, es sind dann vielleicht verfassungspolitische Argumente, ob vorgelegt wird oder nicht. Mit einer Vorlage an den EuGH würde das BVerfG aber beweisen, dass es in Europafragen nicht im 19. Jahrhundert (Kompetenz-Kompetenz und der ganze Zauber aus dem Kaiserreich, der schon damals nicht überzeugt hat) verharrt. Ehrlich gesagt, ich verstehe die Reaktionen auf Mayer/Walter nicht. Es ist doch klar, dass der Zweite Senat in Sachen EZB vorlegen müsste, sollte er das OMT-Programm für problematisch halten. Dass dies wohl nicht geschehen wird, hat mit seiner eigenen Rechtsprechung zu tun, die einer Vorlage ausweicht, europarechtlich aber alles andere als unbedenklich ist. Art. 4 Abs. 2 EUV relativiert den unbedingten Vorrang des Europarechts, kann die Vorlageverpflichtung (mit der Chance, auf die Rechtsprechung des EuGH Einfluss zu nehmen, wie Mayer/Walter zu Recht hervorheben) aber nicht aushebeln.
@claudio Franzis: verfassungsrechtliche Frage & europarechtliche Frage bitte. Danke.
“Franzius”, entschuldigen Sie, meine Autokorrekur war schuld. Und: europarechtliche “Vorfrage”.
Nur eine Ergänzung: Es geht nicht darum, sich hinter Dogmatik zu verstecken. Das Beharren auf entscheidungserheblichen (Vor-)Fragen hat damit zu tun, dass der Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht – wie anderen Gerichten auch – nur die Kompetenz zur Beantwortung eben solcher Fragen zugewiesen hat, nicht hingegen zur Beantwortung selbst gewählter und vom Fall nicht aufgeworfener Fragen.
Im konkreten ESM-/EZB-Fall mag eine Vorlage in der Tat nicht fernliegen, aus vielerlei Gründen. Aber dann doch sicher schon oder eher, weil die EZB mit dem OMT-Programm womöglich ultra vires unterwegs ist? Diese Option haben wir verfassungsrechtlich ja spätestens seit Honeywell und unionsrechtlich immer schon. Eine Lösung für den Fall der europarechtlichen Bedenklichkeit der Vorlagepraxis des BVerfG haben Mayer/Walter dabei bereits zutreffend präsentiert: Die Kommission kann ein Vertragsverletzungsverfahren anstrengen. Ob das dann verfassungspolitisch geglückt wäre, steht auf einem anderen Blatt. An Art. 344 AEUV als tauglichem Anknüpfungspunkt hätte ich auch manchen Zweifel, aber das tut nichts zur Sache. Aus Sicht des BVerfG – Unionsrecht ist abgeleitetes Recht – stellen sich manche Fragen vielleicht einfach grundsätzlich anders. Wie man das findet, hängt von der eigenen Positionierung ab. Aber bis jetzt sind eigentlich alle Beteiligten mit den unterschiedlichen Sichtweisen von EuGH und BVerfG so schlecht gar nicht gefahren? Das verdient ja vielleicht auch einmal Erwähnung.
Freilich müsste hier wohl nur dann vorgelegt werden, wenn man schon von einem Verstoß ausginge. Einer Vorlage bedürfte es hingegen dann nicht, wenn das BVerfG ausschließlich mit Blick auf das GG eine für den ESM-/EZB-Fall bestehende Grenze festschriebe und diese der Union und ihren Organen nur für die Zukunft zur Beachtung vorgäbe. Vielleicht bietet sich gerade in dem genannten Verfahren ein solches Vorgehen an, weil es ohnehin in gewissem Sinne vorbeugender Natur ist.
Um einen etwas anderen Aspekt anzubringen: Kann es wirklich ein Kriterium für die rechtskonforme (ich lege mich bewusst nicht auf die Konformität mit einer bestimmten Rechtsordnung fest) Arbeit eines Verfassungsgerichts sein, ob es das erste, zweite oder letzte seiner Art ist, das eine Vorlagefrage formuliert. Ist es wirklich ein Manko, dabei “überholt” zu werden, wie der Beitrag formuliert? Wenn ja: Weshalb eigentlich? Ich finde es auf den ersten Blick gar nicht so falsch, wenn ein Gericht möglichst wenig darauf schielt, was “Beobachter” (um auch das bewusst vage zu halten) denken, denn “Beobachtern” ist ein Gericht nicht verpflichtet.
Formulierungen wie “Dokumentation einer aktiven positiven Grundeinstellung” (was ist damit eigentlich gemeint?) sind mir in einem juristischen Kontext deutlich zu lyrisch. Zumal der Nachweis fehlt, dass eine solche Dokumentation zu den Aufgaben eines Verfassungsgerichts gehört. Natürlich kann man sich Gedanken über (Rechts-)Politik machen, aber bitte doch unter klarer Trennung zum geltenden Recht. Und natürlich kann man Fragen der Höflichkeit im Umgang oberster Gerichte untereinander diskutieren, aber auch das hat dann wohl eher nichts damit zu tun, ob ein nationales Verfassungsgericht eine Vorlagefrage formuliert – das soll es ja vermutlich nicht aus Höflichkeit tun.
[…] waren: Pringle, Melloni, Bressol & Chaverot, Test Achats, Digital Rights & Seitlinger, Jeremy F. Alles Urteile, die seit 2010 ergangen sind. Dazu dieses Jahr die Vorlage des […]
[…] ruling: Pringle, Melloni, Bressol & Chaverot, Test Achats, Digital Rights & Seitlinger, Jeremy F. All decisions that were rendered since 2010. Moreover, the German Federal Constitutional Court […]