Demnächst in Karlsruhe: die EZB vor Gericht
Im Fußball hat Karlsruhe nach einer tollen Siegesserie derzeit gute Chancen für einen Aufstieg in die Zweitklassigkeit. Unter den Verfassungsgerichten spielt Karlsruhe längst in der Königsklasse. Karlsruher Urteile zur EU-Integration werden auf dem ganzen Kontinent gelesen. Aus diesem Grund dürfte auch die Pressemitteilung vom Freitag in vielen Hauptstädten registriert worden sein. Vor allem jedoch die EZB dürfte aufgehorcht haben. Nach der Verhandlungsgliederung, die das BVerfG veröffentlichte, wird nämlich das Verhalten der scheuen Zentralbanker im Zentrum der mündlichen Verhandlung zur Euro-Rettung stehen. Dies wird weltweit Beachtung finden, zumal Karlsruhe gewiss Platz für die internationalen Medien vorhalten wird (auch wenn die „Akkreditierungsbedingungen“ erst noch bekannt gegeben werden sollen).
Die nächste Runde
Manch einer mag sich wundern: Schon wieder eine Verhandlung in Karlsruhe? Das hatten wir doch gerade erst? Stimmt, aber im vergangenen Sommer ging es nur um den einstweiligen Rechtsschutz gegen ESM-Vertrag und Fiskalpakt. Herr Gauweiler und seine Kollegen verloren damals zwar recht eindeutig, aber das Gericht erweckte jedenfalls den Anschein eines Teilsiegs, indem es die Bundesregierung zu einer völkerrechtlichen Klarstellung verpflichtete, dass eine Ausweitung des ESM-Finanzvolumens nur mit Zustimmung des Bundestags erfolgen darf. All dies wird nunmehr in der Hauptsache einer endgültigen Lösung zugeführt werden müssen.
Vor allem jedoch hatte der Zweite Senat damals entschieden, die erweiterte Beschwerde des Herrn Gauweiler gegen das kurz vor der Urteilsverkündung angekündigte OMT-Programm der EZB auf die Entscheidung zur Hauptsache zu verlagern. Eben dies wird nun umgesetzt – und die Verhandlungsgliederung vom Freitag macht deutlich, dass es Karlsruhe mit einer sorgsamen Prüfung des EZB-Handelns ernst meint. Die meisten Gliederungspunkte betreffen die Maßnahmen des Eurosystems unter Führung der EZB. Fünf Schlussfolgerungen können aus der Gliederung bereits heute gezogen werden.
Fünf Folgerungen für das Hauptsacheverfahren
Erstens: das Verfassungsgericht lässt sich Zeit. Bei der mündlichen Verhandlung am 11. und 12. Juni 2013 wird beinahe ein Jahr vergangen sein, seit das Gericht über den einstweiligen Rechtsschutz mündlich verhandelte. Dies ist für sich genommen bemerkenswert, weil Karlsruhe offenbar erkannt hat, dass seine Funktion nicht so sehr die zukunftsgewandte Gestaltung der Europapolitik ist, sondern die nachträgliche Prüfung von politischen Entscheidungen, die von der Bundesregierung, den EU-Institutionen und dem Bundestag zu initiieren und inhaltlich auszurichten sind. Karlsruhe möchte nicht in die Schnelllebigkeit der politischen Entscheidungen hineingezogen werden (auch nicht im Fall der Zypern-Hilfe), sondern in aller Ruhe nachträglich prüfen, was andere entschieden. So jedenfalls beschreibt Andreas Voßkuhle die Aufgabe des Gerichts. Zu dieser Einsicht passt die großzügige Zeitplanung des Zweiten Senats.
Zweitens verdeutlicht die Pressemitteilung, dass sich die zweitägige mündliche Verhandlung überaus sorgsam mit dem EZB-Handeln beschäftigen wird. Im Zentrum wird das OMT-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank stehen. Hingegen werden die umstrittenen Target 2-Bilanzen vorrangig im Rahmen der Zulässigkeit angesprochen werden, was die plausible Vermutung nahe legt, dass die Verfassungsbeschwerden insoweit unzulässig sein dürften. Im Rahmen der Begründetheit soll sodann das OMT-Prgoramm ausführlichst geprüft werden – mit Blick auf die Unabhängigkeit der EZB ebenso wie auf die Vereinbarkeit mit Art. 123 AEUV.
Drittens wird Karlsruhe sein verfassungsrechtlichen Kontrollarsenal öffnen und das EZB-Handeln einer kombinierten Ultra-vires- und Identitätskontrolle unterziehen. Dies beinhaltet die doppelte Frage, ob der Kompetenzrahmen der EU-Verträge beachtet wurde und die deutsche Verfassungsidentität in Form der parlamentarischen Haushaltsverantwortung gewahrt bleibt. Dieser doppelter Prüfungsmaßstab ist attraktiv, weil eine Ultra-vires-Kontrolle nach dem Honeywell-Beschluss hohen Anforderungen unterliegt und eine ausführliche Prüfung des Europarechts verlangt. Dies ist bei der Verfassungsidentität anders, weil sich deren Umfang in erster Linie aus dem Grundgesetz ergibt und mithin von Karlsruhe besser kontrolliert werden kann.
Viertens lässt die Verhandlungsgliederung ein Dilemma des BVerfG offenbar werden, weil das deutsche Verfassungsgericht direkt nur das Handeln der deutschen Staatsorgane kontrollier. Unterstellt das BVerfG hielte das EZB-Handeln für grundgesetzwidrig: Was sollte es anordnen? Dieser Gedanke erklärt die Gliederungspunkte zur Rolle der Bundesbank sowie den Reaktionsmöglichkeiten von Bundestag und Bundesregierung. Offenbar ist Karlsruhe bemüht, den deutschen und damit auch seine eigenen Einflussmöglichkeiten auszuloten. Dessen ungeachtet droht dem Verfahren eine rechtsstaatliche Schieflage, weil speziell die EZB, die EU-Organe und alle betroffenen Mitgliedstaaten wohl allenfalls als Zaungäste dabei sein werden. Speziell die EZB sollte in der mündlichen Verhandlung prominent beteiligt werden (so sie dies wünscht) und auch Schriftsätze einreichen können.
Fünftens fehlt jeder Hinweis, dass eine Vorlage an den EuGH angedacht wäre, obwohl das BVerfG eben dies für die Ultra-vires-Beschwerde und die Identitätskontrolle eigentlich angekündigt hatte. Speziell die Identitätskontrolle war einst mit der beinahe romantischen Ankündigung ins Leben gerufen worden, dass die verfassungs- und die unionsrechtliche Gewährleistung insoweit „Hand in Hand“ gingen. Dem sollte Karlsruhe endlich Taten folgen lassen. Für die Kontrolle des EU-Organs EZB ist nach Art. 267 AEUV in erster Linie der EuGH berufen, zumal Luxemburg im Pringle-Urteil bewiesen hat, dass es mit den EU-Vorgaben zur Währungspolitik durchaus verantwortungsbewusst umzugehen vermag. Wenn es Karlsruhe mit der nachträglichen Kontrolle im Dienste des Rechts ernst meint und keine zukunftsgewandte Gestaltung der Politik bezweckte, sollte es den EuGH als Verbündeten ins Boot holen. Der Glaube an die Rechtsstaatlichkeit nimmt Schaden, wenn zentrale Fragen des Unionsrechts dem zuständigen Gericht vorenthalten werden.
Das BVerfG legt aus wie das Grundgesetz zu verstehen ist, ob mit Gesetzen und rechtlichem Handeln dessen „Verfassungsidentität“ gewahrt ist.
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. (aus Artikel 267 AEUV)
Für diese Auslegungen gibt es keine Verfassung für die Europäische Union. Die Auslegungen des EuGH haben also keine verfassungsrechtliche Grundlage.
Dass für dieses Auslegen der EuGH zuständig ist – die Kompetenz dafür besitzt – resultiert aus den Verträgen, welche die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschlossen haben.
Doch sie konnten mit diesen Verträgen nicht bestimmen, dass der EuGH fähig ist – die Kompetenz dazu besitzt – zu wissen, was die Vertragsschließenden gewollt haben. Sie haben sicher nicht gewollt, dass ihre Vertragsbestimmungen beliebig verstanden werden können.
Nun könnten ja die Unterzeichner des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken aufgefordert werden, öffentlich zu erklären, was sie unter „Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank“ verstanden haben (wollten) und ob die EZB danach gehandelt hat und handelt.
Gibt es ein übereinstimmendes Verständnis der Vertragsunterzeichner zu diesem Verbot, was darunter zu verstehen ist, dann muss dann weder das BVerfG dazu entscheiden noch der EuGH „auslegen“, wenn die EZB entsprechend diesem übereinstimmenden Verständnis der Vertragsunterzeichner gehandelt hat und handelt.
Andernfalls wird weder mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken ein wesentliches Element „verfassungsrechtlicher Anforderungen“ unionsrechtlich abgesichert noch kann dann – in diesem anderen Fall – dieser Vertrag Rechtsgrundlage für das Handeln der EZB sein.
Das BVerfG sollte also nicht nur die Bundesbank zur Stellungnahme auffordern. Der Vertragsunterzeichner für die Bundesrepublik Deutschland sollte öffentlich erklären, was er unter „Verbot monetärer Haushaltfinanzierung durch die Europäische Zentralbank “ verstanden haben wollte und will.
Das BVerfG müsste dann nicht einen willkürlichen Maßstab wählen, sondern als Maßstab das, was verständlich verstanden werden sollte, was die Vertragsschließenden verstehen wollen.
Das BVerfG kann und muss, sowohl wenn kein übereinstimmendes Verständnis zum “Verbot monetärer Haushaltfinanzierung durch die Europäische Zentralbank” besteht als auch wenn die EZB nicht entsprechend einem einheitlichen Verständnis der Vertragsschließenden gehandelt hat, erklären, dass ein solches Handeln der EZB nicht „verfassungsrechtlichen Anforderungen“ entspricht, diese Anforderungen nicht „unionsrechtlich abgesichert“ sind.