Der biologische Essentialismus hinter „lediglich empfundener Intersexualität“
Das Recht lebt von Kategorisierungen. Kategorisierungen wiederum implizieren Begrenzungen, sogar gewaltsame Begrenzungen. Der aktuelle Beschluss des Bundesgerichtshofs zur „lediglich empfundenen Intersexualität“ bringt dies besonders deutlich zum Vorschein: Die scheinbar rechtstechnische Frage nach der anwendbaren Norm für die Änderung oder Löschung eines personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags entpuppt sich als zutiefst politisch. An ihr kristallisieren sich grundlegende Fragen zu Geschlechterverständnissen, zu Körperlichkeit, und zu Selbst- und Fremdbestimmung.
Die Auslegungsfrage und ihre verfassungsrechtlichen Bezüge
Zunächst ein wenig Kontext (ausführlicher hier). Im viel diskutierten Beschluss zur „Dritten Option“ aus dem Jahr 2017 hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) auch die geschlechtliche Identität von Personen schützt, „deren Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist und die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“. Es müsse daher, sofern die Angabe des Geschlechts im Personenstandsrecht beibehalten werden solle, ein „positiver Geschlechtseintrag“ jenseits der Kategorien „männlich“ und „weiblich“ geschaffen werden.
Der Gesetzgeber reagierte spät und äußerst minimalistisch, obwohl mehrere Vorlagen und holistischere Gegenansätze existierten. Nach § 22 III PStG kann nun bei Geburt eines Kindes, das „weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden“ kann, auf eine Geschlechtsangabe verzichtet werden oder die Angabe „divers“ eingetragen werden. Durch den neu eingefügten § 45b PStG wird die Möglichkeit für „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ geschaffen, auch nachträglich durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung (oder ausnahmsweise durch Versicherung an Eides statt) das personenstandsrechtliche Geschlecht zu ersetzen oder zu streichen.
Eine der Fragen, die sich im Lichte dieser Gesetzesreform stellen, betrifft die Auslegung der Formulierung „Personen mit Varianten Geschlechtsentwicklung“: Daran entscheidet sich, wer von der neuen Regelung Gebrauch machen und über § 45b PStG den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag ändern oder löschen lassen kann. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wird ganz überwiegend so verstanden, dass er das selbstidentifizierte Geschlecht in den Mittelpunkt stellt (z.B. hier, hier, hier und hier). In Anknüpfung daran wird vielfach argumentiert, dass § 45b PStG verfassungskonform bzw. verfassungsakzessorisch ausgelegt werden müsse: Der Begriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ wäre dann ebenfalls mit Blick auf selbst bestimmte Geschlechtsidentität, nicht unter Bezug auf somatische Zustände zu bestimmen.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs
Anders jetzt der Bundesgerichtshof. Unter Berufung auf die klassischen Auslegungsmethoden kommt er zu dem Schluss, dass § 45b PStG an „das Fehlen einer eindeutig weiblichen oder männlichen körperlichen Geschlechtszuordnung“ anknüpft (Rz. 18, meine Hervorhebung). Fälle der „nur empfundenen Abweichung des eigenen vom eingetragenen Geschlecht“ sollen somit gerade nicht umfasst sein (Rz. 23). Auf Basis dieses Ansatzes können Personen, denen – wie der antragstellenden Person – körperlich das männliche oder weibliche Geschlecht zugeschrieben wird, nicht über § 45b PStG die Streichung ihrer Geschlechtsangabe oder die Eintragung „divers“ erreichen.
Die Verfassungswidrigkeit dieser Konsequenz versucht der Bundesgerichtshof zu umgehen, indem er eine Analogie zum sog. „Transsexuellengesetz“ bildet. Nach § 8 TSG kann durch ein Gerichtsverfahren nach Vorlage von zwei Gutachten von „Sachverständigen“ (§ 4 III TSG) eine Änderung des Geschlechtseintrags erwirkt werden. Die binär-geschlechtliche Formulierung von § 8 TSG wird durch die Analogie überwunden – dem Gerichtshof zufolge eine sachgerechte Lösung, da es darum geht, „dass die von einer Person empfundene Geschlechtsidentität nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt“ (Rz. 40).
Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dadurch, dass „Personen mit lediglich empfundener Intersexualität demnach auf ein Vorgehen nach dem Transsexuellengesetz verwiesen“ werden (Rz. 41), sieht der Bundesgerichtshof nicht. Das Gutachtenerfordernis stelle ein zulässiges „objektiviertes“ Kriterium dar, um den Nachweis eines dauerhaften und existentiell bedeutungsvollen Geschlechtsempfindens zu führen. Der Unterschied zu Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung – im somatischen Verständnis des Gerichtshofs – sei durch „gänzlich unterschiedliche Ausgangspositionen“ aufgrund der körperlichen Unterschiede gerechtfertigt (Rz. 48).
Geschlecht und Körperlichkeit
Es gibt viel zu kritisieren am Beschluss des Bundesgerichtshofs, doch gerade dieser letzte Aspekt springt mir besonders ins Auge. Worin genau sollen die „gänzlich unterschiedlichen Ausgangspositionen“ liegen?
Für § 45b PStG scheint der Bundesgerichtshof den Fall vor Augen zu haben, dass eine Person, der körperlich weder das weibliche noch das männliche Geschlecht zugeschrieben wird, ihren Geschlechtseintrag zu „divers“ ändern oder streichen lassen möchte. Der umgekehrte Fall, dass also z.B. eine intergeschlechtliche Person die Eintragung als männlich oder weiblich anstrebt, wird schlicht ausgeblendet. § 45b PStG würde dann nicht nur der Anpassung der personenstandsrechtlichen Angabe an die Geschlechtsidentität dienen, sondern auch und gerade der Anpassung an somatische Zustände. Das Verfahren nach § 8 TSG hingegen soll Fälle betreffen, in denen die Geschlechtsidentität „ausnahmsweise“ (Rz. 48) vom anhand des Körpers zugeschriebenen Geschlecht abweicht: Deswegen seien an den Nachweis der abweichenden Geschlechtsentwicklung erhöhte Anforderungen zu stellen.
Diese Zweiteilung des Bundesgerichtshofs offenbart ein äußerst konservatives Verständnis von Geschlecht. Die Ratio der Anpassung an somatische Zustände beruht auf einer Überbetonung der Körperlichkeit im Sinne eines biologischen Essentialismus, wie er in weitreichenderer und aggressiverer Form beispielsweise auch von anti-trans* Aktionismus in Großbritannien und der breiteren (auch in Deutschland vertretenen) „gender-ideology“-Bewegung bekannt ist. Denn anhand des Körpers wird differenziert, ob die Geschlechtsidentität sich auf eine für den Bundesgerichtshof verständliche Weise entwickelt oder als „Ausnahme“ in das Sonderrecht für Transsexuelle abgedrängt werden muss.
Schon der Begriff der „lediglich empfundenen Intersexualität“, den der Bundesgerichtshof wiederholt benutzt, bringt dieses Verständnis auf bizarre Weise zum Ausdruck. Gemeint sind wohl nicht-binäre Personen, denen körperlich aber das männliche oder weibliche Geschlecht zugeschrieben wird. Dass die nicht-binäre Geschlechtsidentität über den primär körperlich konnotierten Begriff der Intersexualität beschrieben und dann im Vergleich dazu abgewertet wird („lediglich“), offenbart die Prioritäten des Gerichtshofs.
Solche biologisch-essentialistische Ansätze blenden aus, dass (auch) somatische Verständnisse von Geschlecht keineswegs naturgegeben sind, sondern medizinisch und gesellschaftlich erst performativ konstruiert werden. Dennoch sind sie leider nach wie vor weit verbreitet. Der Bezug zu einer vermeintlich eindeutigen Körperlichkeit scheint vielen cis-Personen eine Form von Objektivität und Sicherheit zu bieten; der Einklang der so zugeschriebenen Körperlichkeit mit der Geschlechtsidentität wird dann als harmonisch, kohärent und letztlich „natürlich“ empfunden.
Trans* Personen werden demgegenüber als gefährliche Anomalie konstruiert, die durch Gutachtenerfordernisse und ähnliches eingehegt werden muss, um – wie der Bundesgerichtshof es jetzt formuliert – „einen beliebigen Personenstandswechsel auszuschließen“ (Rz. 48). Dabei bleibt durch den schwammigen Bezug auf Abstracta wie „staatliche Ordnungsinteressen“ oder „die Zuweisung von Rechten und Pflichten“ (Rz. 43) im Unklaren, weshalb solche Wechsel überhaupt ein Problem darstellen würden: Die reine Möglichkeit reicht als Bedrohungsszenario aus. Es zeigt sich hier paradigmatisch das von Sven Lehmann schon im Gesetzgebungsverfahren zu § 45b PStG zu Recht kritisierte Misstrauen gegenüber trans* Personen.
Der Beschluss im Kontext eines cisnormativen Rechtssystems
Dass der Bundesgerichtshof auch ein anderes Geschlechtsverständnis zugrunde legen und zugunsten der antragstellenden Person hätte entscheiden können, zeigen beispielsweise ein ausführliches Rechtsgutachten von Anna Katharina Mangold, Maya Markwald und Cara Röhner sowie einige unterinstanzliche Gerichtsentscheidungen. Allerdings würde eine Kritik, die ausschließlich am konkreten Beschluss des Bundesgerichtshofs ansetzt, zu kurz greifen; vielmehr muss der Beschluss im Kontext eines insgesamt cisnormativ geprägten Rechtssystems verortet werden.
Dazu gehört auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Fokus liegt dort weniger auf der Körperlichkeit, sondern wesentlich deutlicher als beim Bundesgerichtshof auf der Geschlechtsidentität. Es ist daher gut möglich, dass das Bundesverfassungsgericht einer etwaigen Verfassungsbeschwerde in diesem Fall, insbesondere unter dem Blickwinkel von Art. 3 III 1 GG, stattgeben wird.
Allerdings finden sich auch Kontinuitätslinien zwischen dem beiden Gerichten. Der Bundesgerichthof sieht das Erfordernis der Gutachten nach § 4 III TSG als verfassungsgemäß an und kann sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen (obiter dictum schon 2011; bestätigt 2017, genau eine Woche nach dem Beschluss zur „Dritten Option“). Diese lässt die Gutachten als „prozessrechtliches Mittel des objektiven Nachweises der rechtlichen Voraussetzungen des Geschlechtswechsels“ zu: Auch hier wieder das Ringen um eine vermeintliche Objektivität. Das Bundesverfassungsgericht verortet die ersehnte Objektivität zwar nicht primär im Körper, hält ein Selbstzeugnis von trans* Personen aber offenbar ebenfalls nicht für hinreichend, sondern billigt die Abhängigkeit von „Sachverständigen“.
Jenseits der Objektivität
Der biologische Essentialismus des Bundesgerichtshofs stellt also ein besonders deutliches Beispiel für den Kategorisierungsdrang des Personenstandsrechts anhand einer vermeintlichen Objektivität dar; ein Sonderfall ist er aber nicht. Ein grundsätzliches Umdenken, weg von Regulierung, Pathologisierung und Fremdbestimmung, muss daher erst noch erstritten werden. Jedenfalls solange Geschlecht als eine anhand „objektiver“ oder „objektivierter“ Nachweise belegbare und nach cisnormativen Maßstäben verständliche Tatsache aufgefasst wird, kann der Kategorisierungsdrang des Personenstandsrechts nicht überwunden werden.
Zwei Punkte:
1. Zitiert der Autor bei seiner Darlegung, das Geschlechtsverständnis des BVerfG werde „überwiegend“ im Sinne einer Selbstidentifikation verstanden, sich selber, einen anderen Blogeintrag und das später wieder verwendete Gutachten sowie eine externe Quelle. Das ist meiner Ansicht nach nicht hinreichend.
2. Ist alles Objektive in einer Gesellschaft performativ durch sie bestimmt. Das wird insbesondere in den Definitionen des Rechts deutlich. Nur aber, weil etwas nicht essentiell „wahr“ ist, heißt das nicht, dass das Recht nicht „objektivieren“ soll. Die Ehe ist beispielsweise ebenfalls nichts „objektives“, kann trotzdem berechtigterweise als rechtliche Institution gesehen werden.
Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag, der bei mir auch eine grundrechtsdogmatische Frage aufgeworfen hat. Mir ist nicht ganz klar, ob das BVerfG von einem Eingriff in das APR erst ausgeht, wenn eine Person in die „falsche“ Geschlechterkategorie eingeordnet wird oder ob bereits der Zwang, sich überhaupt einer staatlich festgelegten Kategorie zuordnen lassen zu müssen, einen Eingriff darstellt? Nimmt man die Ausführungen das Gerichts ernst, dass zum APR auch „das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung“ (BVerfGE 128, 109 (124)) gehört, dann frage ich mich, ob dazu nicht auch konsequenterweise eine Art „negative Geschlechtsfreiheit“ gehört, also nicht nur der Anspruch, das „richtige“ Geschlecht zugesprochen zu bekommen, sondern evtl. auch gar kein Geschlecht zugesprochen zu bekommen oder eben eines, das nicht in den Dreiklang m/w/d passt. Das BVerfG dagegen betont in seinen Entscheidungen zwar immer wieder den starken Freiheitsaspekt des APR in diesem Kontext, verfällt dann aber trotzdem wieder in begrenzende Geschlechterkategorien. Das hat der Autor mit seiner Kritik an der „Objektivität“ ja bereits sehr gut herausgearbeitet.
Ein entscheidender Aspekt, der den BGH mMn. zu seiner Entscheidung bewogen hat, ist, dass die Gewaltenteilung bei der Auslegung von Gesetzen zu respektieren ist. Richter legen Gesetze aus, sie kreieren sie nicht. Dies spiegelt sich in der Auslegungsmethodik wieder, welche bei aller Liebe zu der höheren Causa (telos) ihre Grenzen im Wortlaut findet.
§ 22 Abs. 3 PStG ist passiv formuliert und setzt voraus, dass das Kind „nicht zugeordnet werden kann“, sprich der Arzt bei Geburt anhand objektiver Kriterien keine Zuordnung treffen kann (und gerade nicht subjektiv nach dem Willen des Kindes).
§ 8 TSG stellt demgegenüber deutlich auf das innere Empfinden der Person ab und ist aktiv formuliert („sich nicht mehr empfindet“).
Der BGH sieht sich gezwungen, die Wortlautgrenze des passiv formulierten § 22 III PStG zu respektieren und den Begriff der geschlechtlichen Zuordnung einem subjektiven Verständnis zu entziehen.
Dass dies als konservativ und nicht mehr zeitgemäß verstanden werden mag, kann für die juristische Auslegungsmethodik dahinstehen. Wie der BGH eingangs lehrbuchartig darlegt, ist es Aufgabe der Richter dem objektivierten Willen des Gesetzgebers zur Geltung zu verhelfen.
Dementsprechend ist es Aufgabe des Gesetzgebers dem möglicherweise veralteten Verständnis geschlechtlicher Zuordnung, nur anhand biologischer Merkmale, Abhilfe zu verschaffen.
Das Erstreiten eines grundsätzlichen Umdenkens, wie es der Verfasser in seinem Schlusswort fordert muss meines Erachtens im Bundestag stattfinden und nicht durch das Hintertürchen der Gerichte.
Die wesentliche Frage, die sich stellt, ist doch die: Sollte das Recht anknüpfen an dem ursprünglichen, eher biologisch-teleologisch geprägten, Verständnis des „Geschlechts“ oder an dem neueren Verständnis, das auf konstruktivistisch-sozialwissenschaftlichen Erwägungen beruht.
Nach herkömmlicher Definition ist Geschlecht die „Gesamtheit der Merkmale, wonach ein Lebewesen in Bezug auf seine Funktion bei der Fortpflanzung meist eindeutig als männlich oder weiblich zu bestimmen ist“ (Duden). Darum gibt es in dieser Hinsicht gar kein „Drittes Geschlecht“, weil die sich so bezeichnenden Personen an der Fortpflanzung entweder als Samenzellenspender (also männlich) noch als Eizellenspender (also weiblich) oder gar nicht beteiligt sind. Sie stellen aber jedenfalls keine neue Variante der Fortpflanzung dar.
Der neuere Begriff bezieht sich mehr auf die soziale Darstellung von Geschlechtlichkeit bzw. auf die individuell empfundenen Geschlechtlichkeit. Wenn es aber nur darauf ankommt, dann gibt es letztlich keinerlei Begrenzung mehr, wie der Einzelne sich darstellen möchte und wie die Gesellschaft mit der Darstellung des Einzelnen umgeht. Dann kann es konsequent gedacht nur noch „divers“ oder keine festgelegte Geschlechtlichkeit mehr geben, weil jeder ja jederzeit seine Darstellung ändern kann (dass die Empfindung durchaus fluide ist – gerade in der Pubertät – sollte bekannt sein).
Mit anderen Worten: Die Konstruktion des „Dritten Geschlechts“ stellt einen Mittelweg dar, zwischen den verschiedenen Anknüpfungspunkten. Im Ausgangspunkt wird der (auch empirische) „Normalfall“ angenommen, also die biologisch-teleologische Anknüpfung. Durch die Berücksichtigung von Transsexualität (also ein letztlich auf Empfindungen beruhendes Phänomen) wird eine Brücke zum „neueren“ Verständnis geschlagen, weil transsexuell empfindende Personen in der Tat in ihrem Empfinden – sollte es von Erheblichkeit und Dauer sein – ernst genommen werden müssen. Insofern ergibt aber ein gewisse Objektivierung im Sinne eines Gutachtens Sinn. Denn die staatliche Anerkennung hat erhebliche Auswirkungen auf die gesellschaftliche Situation, etwa auf die Ansprache der betroffenen Person. Ist das Empfinden nicht von Dauer, wird die prekäre Situation durch das Erfordernis der Rückabwicklung verlängert und vertieft. Dies erst Recht, wenn ein operativer Eingriff erfolgt ist (der zumeist irreversibel ist). Daher kann die gesetzgeberische Konzeption insoweit überzeugen.
Demgegenüber basiert die Intersexualität auf biologischen Besonderheiten (vgl. Intersexuelle Menschen e.V.: https://www.im-ev.de/intersexualitaet/), hat aber selbstredend Auswirkungen auf die persönliche Empfindung und das gesellschaftliche Leben. Darum überzeugt der Ansatz des BGH, der als Voraussetzungen tatsächlich bestehende biologische Besonderheiten verlangt. Einer Differenzierung nach körperlich-biologischen Gegebenheiten steht Art. 3 GG grundsätzlich nicht entgegen – so ist es doch z.B. gerade erforderlich, dass Behörden mit einem blinden Menschen auf anderen Wegen kommunizieren,als mit einem nicht-blinden Menschen.
Alles in Allem haben Rechtsprechung und Gesetzgeber einen stringenten und m.E. überzeugenden Ansatz gefunden, wie die verschiedenen Anknüpfungspunkte in einen praktikablen und vertretbaren Ausgleich gebracht werden können. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass hinter den Anknüpfungspunkten durchaus verschiedene, letztlich metaphysische Überzeugungen stehen können (wenn es einen objektiven Sinn des Lebens gibt – sei es rein evolutionär auf die Erhaltung der Art gerichtet oder religiös gefärbt – dann ka