Die AfD, ihre Stiftung und das Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht hat am 25. Oktober in Sachen „Desiderius-Erasmus-Stiftung“ (DES) verhandelt. Gegenstand des seit 2019 anhängigen Verfahren ist die Frage, ob die AfD durch die bislang fehlende staatliche Förderung der ihr nahestehenden Stiftung in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt ist. Bereits in der mündlichen Verhandlung zeichnete sich ab, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner noch ausstehenden Entscheidung neue Maßstäbe für die seit Jahrzehnten umstrittene Stiftungsfinanzierung schaffen könnte – zugunsten der AfD.
Die Kritik an der Stiftungsfinanzierung ist nicht neu
Auch wenn die AfD den Streit um die Stiftungsfinanzierung geschickt für ihre eigenen Zwecke nutzt, ist er keineswegs neu. Die Finanzierungspraxis wird seit Jahrzehnten kritisiert. Das Vergabeverfahren sei intransparent und willkürlich und benachteilige die kleinen, noch nicht etablierten Parteien. Hauptkritikpunkt war seit jeher, dass es keine spezialgesetzliche Grundlage für die Stiftungsfinanzierung gibt. Als Rechtsgrundlage dient lediglich der mit dem Haushaltsgesetz beschlossene Bundeshaushaltsplan. Aber auch die Idee, die Stiftungsfinanzierung könnte die Chancengleichheit der Parteien betreffen, ist nicht neu.
Häufig wird dann, wenn eine neue Akteurin die politische Bühne betritt, die Stiftungsfinanzierung wieder zum Gegenstand politischer und rechtswissenschaftlicher Debatten. So strengten Die Grünen nach ihrem Einzug in den Bundestag ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht an, das 1986 in das sogenannte Stiftungsurteil mündete (BVerfGE 73, 1.). Es ging dabei um die Frage, ob es sich bei der Finanzierung parteinaher Stiftungen um verdeckte Parteienfinanzierung handelt, die die Bundespartei Die Grünen in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Das Bundesverfassungsgericht verneinte dies und stellte gleichzeitig zwei Voraussetzungen für eine verfassungsrechtlich zulässige Stiftungsfinanzierung auf: Die parteinahen Stiftungen müssen von den politischen Parteien rechtlich und tatsächlich unabhängig sein und es müssen alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen gefördert werden. Die Frage, ob die Finanzierung parteinaher Stiftungen einer spezialgesetzlichen Grundlage bedarf, wurde offengelassen. Die Grünen hatten damals noch keine anerkannte parteinahe Stiftung und hätten deswegen keine Rechte aus einem solchen Gesetz ableiten können.
Nach diesem Grundsatzurteil beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht nicht mehr materiell-rechtlich mit der Stiftungsfinanzierung, obwohl noch mehrfach eine Verletzung der Chancengleichheit gerügt wurde. Mehrere Verfahren der PDS in den 90er-Jahren wurden liegen gelassen, bis sie sich durch Rücknahme 1999 erledigt hatten. Ein Antrag der ÖDP wurde 2015 als unzulässig zurückgewiesen, weil die Partei nichts habe vortragen können, was eine vom Stiftungsurteil abweichende Beurteilung gebiete (BVerfGE 140, 1).
Wenig überraschend griff auch die AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag das Thema Stiftungsfinanzierung auf. Zunächst erhob die ihr nahestehende DES selbst Verfassungsbeschwerde dagegen, bei der Stiftungsfinanzierung nicht berücksichtigt worden zu sein. Diese scheiterte jedoch an ihrer (offensichtlichen) Unzulässigkeit (BVerfG, Beschl. v. 20.05.2019 – 2 BvR 649/19). Daneben strengte die AfD ein Organstreitverfahren gegen verschiedene Antragsgegner wegen Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit an, das nun verhandelt wurde. In diesem Zusammenhang stellte sie auch zwei Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz, die aber beide wegen (offensichtlicher) Unzulässigkeit scheiterten (BVerfG, Beschl. v. 22.07.2020 und Beschl. v. 28.07.2022 – 2 BvE 3/19). Auch die Mehrzahl der in der Hauptsache gestellten Anträge ist wohl unzulässig. Dies betrifft insbesondere zwei Anträge, die sich auf das Haushaltsjahr 2022 beziehen und die Verfassungsmäßigkeit eines neu eingefügten Haushaltsvermerks, der die DES faktisch von der Finanzierung ausschließt, infrage stellen. (Man könnte sich die Frage stellen, ob AfD und DES einfach nur schlecht beraten werden oder ob sie das wiederholte Scheitern gerne in Kauf nehmen, um sich als „Opfer des Establishments“ darstellen zu können).
Das Bundesverfassungsgericht wird in seiner Entscheidung voraussichtlich nur auf Nichtfinanzierung der DES in den Haushaltsjahren vor 2022 eingehen, als die nahestehende AfD erst einmal im Bundestag vertreten war. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht die Frage nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben der Stiftungsfinanzierung sowie das Erfordernis einer spezialgesetzlichen Grundlage („Stiftungsgesetz“).
Die Stiftungsfinanzierung betrifft die Chancengleichheit der Parteien
Entscheidungserheblich wird sein, ob aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG ein „Recht auf gleichheitsgerechte Stiftungsförderung“ abgeleitet werden kann. Das Bundesverfassungsgericht scheint dies zumindest für möglich zu halten, schließlich hat es die gesamte mündliche Verhandlung an dieser Frage aufgehängt. Ein solches Recht war im Stiftungsurteil 1986 kein Thema. Zu dieser Zeit ging man aber noch davon aus, dass die Stiftung unter den Parteibegriff des Art. 21 Abs. 1 GG fallen müsste, damit der Anwendungsbereich des Art. 21 Abs. 1 eröffnet ist. Das Gericht sah die Stiftungen aber als tatsächlich und rechtlich unabhängige Institutionen. Im zweiten Parteienfinanzierungsurteil 1992 stellte das Bundesverfassungsgericht dann fest, dass sich auch die staatliche Finanzierung Dritter auf die Chancengleichheit der Parteien auswirken kann (BVerfGE 85, 264, 283). Ab diesem Zeitpunkt war also Raum für die Annahme, dass Art. 21 Abs. 1 Satz 1 im Kontext der Stiftungsfinanzierung eine Rolle spielt – auch wenn die Stiftungen nicht unter den Parteibegriff des Grundgesetzes gefasst werden. Diese Idee wurde nicht erst von der AfD aufgegriffen. Sie wurde schon zuvor in der Literatur diskutiert und findet sich im Jahr 2013 in einer Entscheidung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs zur Stiftungsfinanzierung (SaarlVerfGH, NWvZ-RR, 537, 538 f).
Ob die Finanzierung der parteinahen Stiftungen tatsächlich Einfluss auf den Wettbewerb der Parteien hat, muss nun vom Bundesverfassungsgericht bewertet werden. Es spricht einiges dafür. Parteinahe Stiftungen nehmen im Rahmen ihrer Bildungsarbeit Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess des Volkes. Dass dieser in eine Wahlentscheidung für oder gegen die nahestehende Partei mündet, kann jedoch empirisch nicht nachgewiesen werden. Andersherum kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die nahestehende Partei einen größeren Vorteil aus der Arbeit “ihrer“ Stiftung zieht als die anderen Parteien. Das wurde vom Bundesverfassungsgericht im Stiftungsurteil selbst festgestellt, wenn auch mit Blick auf den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfGE 73, 1, 38). Nach Auskunft der Sachverständigen gibt es aus politik- und sozialwissenschaftlicher Sicht zumindest einen mittelbaren Nutzen für die Parteien, wenn ihre parteinahe Stiftung staatlich gefördert wird. Das ist plausibel. Schließlich sind nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sowohl die parteinahe Stiftung als auch die ihr nahestehende Partei Teil derselben politischen Grundströmung. Auch wenn die Stiftung keinen Wahlkampf für die Partei betreibt, stärkt sie doch durch ihre wertebasierte politische Bildungsarbeit die entsprechende Grundströmung. Innerhalb dieser Grundströmung findet die Partei wiederum ihre meisten Wähler:innen.
Die Stiftungen sind für ihre Arbeit auf öffentliche Mittel angewiesen (sie machen 90-99 % der jährlichen Einnahmen aus). Keine staatlichen Zuwendungen bedeuten also keine oder wenig politische Bildungsarbeit, die der nahestehenden Partei – in welchem Ausmaß und in welcher Form auch immer – zugutekommt. Es ist deshalb plausibel, wenn man in der Stiftungsfinanzierung eine maßgebliche Beeinflussung des politischen Wettbewerbs der Parteien sieht. So sah dies auch Verfassungsgerichtshof des Saarlandes in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2013 (SaarlVerfGH, NVwZ-RR 2013, 537, 538 f.). Unter diesen Gesichtspunkten ließe sich also ein „Recht auf gleichheitsgerechte Stiftungsförderung“ konstruieren. Ob das Bundesverfassungsgericht dies tut, bleibt abzuwarten.
Sicherlich muss dieses Recht im Falle der AfD nicht zwangsläufig verletzt sein. Die Nichtfinanzierung der DES könnte – zumindest bis einschließlich 2021 – damit gerechtfertigt werden, dass die AfD nicht wiederholt im Bundestag vertreten war und somit (noch) keine dauerhafte, ins Gewicht fallende politische Grundströmung darstellt. Ob man diese tatsächlich nur am Wahlerfolg bei zwei Bundestagswahlen festmachen kann, sei hier einmal dahingestellt. Auch das wird das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Verfahren entscheiden müssen. Als weiteres Differenzierungskriterium für die Stiftungsfinanzierung wurde vor allem in jüngerer Zeit die Verfassungstreue gehandelt. Der “Grundsatz der wehrhaften Demokratie“ gebiete es, dass nur Stiftungen finanziert werden, deren Arbeit im Einklang mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Da gegen die DES selbst bislang kein Vorwurf der fehlenden Verfassungstreue erhoben werden kann, kann allenfalls auf eine fehlende Verfassungstreue der AfD abgestellt werden. Die wird schließlich vom Verfassungsschutz beobachtet. Ob das ausreicht, um die DES von der Finanzierung auszuschließen, kann aber bezweifelt werden.
Ein „Stiftungsgesetz“ ist nach wie vor erforderlich
Es besteht die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Chancengleichheit der AfD allein deswegen als verletzt ansieht, weil der Bundestag die Ungleichbehandlung der DES nicht auf die erforderliche spezialgesetzliche Grundlage stützen kann. Das wäre besonders ärgerlich, schließlich wird im Schrifttum seit Jahrzehnten unter Verweis auf den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und die dazu entwickelte Wesentlichkeitstheorie ein solches Gesetz gefordert. In der Politik wurde auch schon mehrfach über den Erlass eines solchen Gesetzes nachgedacht, zuletzt in der Ampel-Koalition. Geregelt ist die Stiftungsfinanzierung aber nach wie vor lediglich im Bundeshaushaltsplan. Das reicht nicht aus. Der Gesetzgeber muss jedes staatliche Handeln durch ein Parlamentsgesetz legitimieren und alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Zwar ist für die Leistungsverwaltung anerkannt, dass grundsätzlich das Haushaltsgesetz als Rechtsgrundlage für staatliche Zuwendungen ausreicht. Eine Ausnahme muss aber für diejenigen Leistungen gelten, die ihrerseits nach den Kriterien der Wesentlichkeitstheorie als wesentlich anzusehen sind. Das ist bei den Zuwendungen an die Stiftungen der Fall. Die Tätigkeit der Stiftungen allgemein fällt in den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG). Außerdem agieren sie im Rahmen der politischen Bildungsarbeit im grundrechtssensiblen Bereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Die staatliche Finanzierung ist grundlegende Voraussetzung für die Arbeit der Stiftungen. Gewährt der Staat nun einzelnen Stiftungen Zuschüsse und anderen wiederum nicht, nimmt er nicht nur erheblichen Einfluss auf den Wettbewerb der Stiftungen, sondern entscheidet maßgeblich darüber, welche Stiftungen überhaupt in hohem Maße aktiv sein können. Die Nichtfinanzierung einzelner Stiftungen kommt in diesem Zusammenhang einem klassischen Eingriff gleich. Die Grundrechtsrelevanz der Materie ist also hoch.
Für das Erfordernis eines „Stiftungsgesetzes“ spricht außerdem die hohe Bedeutung der Stiftungsfinanzierung für die Allgemeinheit. Es handelt sich bei den Zuschüssen für die parteinahen Stiftungen nicht nur um Mittel in erheblicher Höhe (2022 sind es über 600 Millionen Euro). Vielmehr entscheidet die staatliche Finanzierung darüber, wer auf die Willensbildung des Volkes Einfluss nehmen kann. Deswegen war in der Zivilbevölkerung und unter politischen Akteur:innen die Angst so groß, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung Geld erhalten könnte.
Nicht zuletzt kann das Erfordernis einer speziellen Rechtsgrundlage auch aus einer besonderen Neutralitätspflicht des Staates hergeleitet werden. Nimmt man wie oben dargestellt an, dass die Stiftungsfinanzierung den politischen Wettbewerb der Parteien maßgeblich beeinflusst, ergibt sich diese aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien. Eine solche Neutralitätspflicht macht es erforderlich, alle Modalitäten der Stiftungsfinanzierung in einem speziellen Gesetz geregelt werden, an dem sich alle parteinahen Stiftungen messen lassen müssen.
Es ist davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht das Erfordernis einer spezialgesetzlichen Grundlage anmahnt. Unter Umständen führt es auch dazu, dass die AfD im Ergebnis als Siegerin aus dem Verfahren geht. Das wäre in der Sache richtig. Man hätte der AfD aber von Anfang den Wind aus den Segeln nehmen können, wäre die Stiftungsfinanzierung rechtzeitig und hinreichend geregelt worden. Dieses Versäumnis lässt sich zwar nicht mit Wirkung für das anhängige Verfahren nachholen. Man könnte aber zumindest vermeiden, dass im Haushaltsjahr 2023 derselbe Fehler nochmal begangen wird.
Abgesehen von der Einkleidung als politischer Kommentar, ein toller rechtsstaatlicher Blick auf die nackte Tatsache unserer Problematik mit der schwindenden bzw. mangelnden Gewaltenteilung.
Wir (er)leben eine Kapitalisierung des Rechts; eine weitere Formalisierung vom Geldfluss unseres finanzrechtlichen Ökosystems ist natürlich wünschenswert?
Letztlich und