Die EU schlägt zurück
Zur Anti-SLAPP-Initiative der EU-Kommission
Am 27. April 2022 hat die EU-Kommission ihre Initiative zur Bekämpfung missbräuchlicher Klagen gegen öffentliche Beteiligung (sog. SLAPPs – Strategic Lawsuits Against Public Participation) vorgestellt. Die Initiative umfasst einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie gegen SLAPPs in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug (im Folgenden: Anti-SLAPP-RL) und eine ergänzende Empfehlung, mit der die Kommission die Mitgliedstaaten auffordert, die Richtlinie überschießend, das heißt auch auf innerstaatliche Sachverhalte und sämtliche Verfahrensarten, umzusetzen und Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen zu SLAPPs zu ergreifen.
Das Konzept von SLAPPs ist im US-amerikanischen Rechtsraum seit den 1980er Jahren bekannt, in der EU ist es erst in den vergangenen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Kommission reagiert mit ihrem Vorschlag auf den Befund mehrerer jüngerer Studien (u.a. hier, hier, hier und hier) sowie ihrer eigenen Rechtsstaatlichkeitsberichte aus den Jahren 2020 und 2021, die einhellig zu dem Ergebnis kommen, dass die Zahl von SLAPPs in der EU zunimmt. Von diesen geht eine gravierende Gefahr für Journalist*innen, Aktivist*innen, NGOs und Wissenschaftler*innen aus.
Ziel von SLAPPs ist die Einschüchterung
SLAPPs in der EU betreffen das gesamte Spektrum zivilgesellschaftlichen Protests. Kritische Berichterstattung in der Presse, öffentliche Äußerungen, die Teilnahme an friedlichen Versammlungen, die Verteilung von Flugblättern oder legitime juristische Interventionen werden gleichermaßen Ziel von SLAPPs (vgl. etwa hier). Ziel der SLAPPs ist nicht primär, vor Gericht zu siegen – die Betroffenen sollen durch die finanziellen, zeitlichen und emotionalen Risiken einer gerichtlichen Auseinandersetzung eingeschüchtert werden. Die Drohkulisse jahrelanger Rechtsstreite und die damit einhergehenden Belastungen führen über das einzelne Verfahren hinaus zu „chilling effects“, die Betroffene von der Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten abhalten.
Systematische SLAPPs engen zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume ein und können dazu führen, dass bestimmte Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs gedrängt werden. SLAPP-Verfahren werden von Unternehmen, Lobbyverbänden, wohlhabenden Einzelpersonen oder staatlichen Akteuren eingesetzt und sind somit häufig von einem Machtungleichgewicht gekennzeichnet. So reproduzieren SLAPPs strukturelle Ungleichheiten mit Mitteln des Rechts; die wirtschaftliche Überlegenheit der Kläger*innen bedroht die prozessuale Waffengleichheit.
Deutsche Debatte hinkt hinterher
In der Bundesrepublik hat das Konzept von SLAPPs bislang kaum öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, es gibt weder belastbare Untersuchungen zur Prävalenz missbräuchlicher Klagen gegen öffentliche Beteiligung in Deutschland, noch eine rechtswissenschaftliche Debatte über die Möglichkeitsbedingungen für SLAPPs im (Prozess-)Recht. Doch jüngst häufen sich auch hierzulande die Berichte über mutmaßliche SLAPPs, etwa über das Strafverfahren gegen den Umweltaktivisten Karl Bär, horrende Schadensersatzforderungen von RWE gegen Klimaaktivist*innen, die Unterlassungsklage eines Energiekonzerns gegen den Verein Rettet den Regenwald wegen kritischer Flyer oder das systematische Vorgehen der Hohenzollern gegen missliebige Berichterstattung. Diese und vergleichbare Fälle werden meist nur anekdotisch berichtet, anstatt mittels des Konzepts der SLAPPs zu beleuchten, ob es sich um ein strukturelles Phänomen handelt.
Durch die Initiative der Kommission könnte sich nun nicht nur die öffentliche Wahrnehmung dieser Fälle verschieben, sondern auch ganz erhebliche Änderungen auf das Zivilprozessrecht der Bundesrepublik zukommen – und zwar trotz des insoweit begrenzten Anwendungsbereichs der Richtlinie nicht nur für grenzüberschreitende SLAPPs. Denn bei der Umsetzung der Richtlinie ist der deutsche Gesetzgeber an den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebunden. Die Kommission schlägt in Art. 4 Abs. 1 einen sehr weiten Begriff des grenzüberschreitenden Bezugs vor, der auch innerstaatliche Sachverhalte einschließt, soweit der Gegenstand der öffentlichen Beteiligung mehr als einen Mitgliedstaat betrifft. Daher spricht viel dafür, dass eine Umsetzung, die Betroffene von SLAPPs abhängig vom Wohnsitz des Klägers oder des Gegenstands der öffentlichen Beteiligung schlechter stellt, nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar wäre.
Vorzeitige Einstellung, Rechtsbehelfe, Sanktionen
Um der Bedrohung durch SLAPPs zu begegnen sieht die Richtlinie eine ganze Reihe von Verfahrensgarantien vor, die die verfahrensrechtliche Stellung von Betroffenen stärken, die wegen ihrer öffentlichen Beteiligung Ziel einer missbräuchlichen Klage geworden sind. Die Verfahrensgarantien können grob in drei Gruppen unterteilt werden: einen Mechanismus zur vorzeitigen Einstellung offensichtlich unbegründeter Gerichtsverfahren, verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen für Betroffene und Sanktionen gegen SLAPP-Kläger*innen.
Kernstück des Vorschlags ist der Mechanismus zur vorzeitigen Einstellung missbräuchlicher Gerichtsverfahren. Bei offensichtlich unbegründeten Klagen sollen die Betroffenen in einem „Zwischenverfahren“ eine vorzeitige Klageabweisung erreichen können. Dabei müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das Hauptverfahren ab dem Zeitpunkt der Antragstellung ausgesetzt wird und das Gericht zunächst in einem beschleunigten Verfahren über die vorzeitige Einstellung entscheidet (Art. 9 – 11 der RL). In diesem „Zwischenverfahren“ kommt es zu einer Beweislastumkehr: Die Kläger*innen müssen beweisen, dass die Klage nicht offensichtlich unbegründet ist (Art. 11 der RL).
Verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen flankieren die vorzeitige Einstellung. Bei missbräuchlichen Gerichtsverfahren müssen die Mitgliedstaaten einen Anspruch auf vollständige Erstattung der Verfahrenskosten für die Betroffenen vorsehen (Art. 14 der RL). Dies geht deutlich über die Regelungen der §§ 91 ff. ZPO hinaus, erstattungsfähig sind nicht allein die Kosten in gesetzlich festgelegter Höhe (etwa die Vergütungssätze nach dem RVG), sondern die tatsächlich angefallenen Kosten, also auch vorgerichtliche Anwaltskosten und Anwaltshonorare, die die gesetzlich festgelegte Vergütung übersteigen. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten einen Schadensersatzanspruch für Betroffene schaffen, der materielle und immaterielle Schäden, etwa für psychische Belastungen, vollständig abdeckt (Art. 15 der RL).
Schließlich müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 der RL vorsehen, dass die Gerichte die Möglichkeit haben, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gegen die Kläger*innen zu verhängen. Künftig sollen damit nicht die Betroffenen durch „chilling effects“ von der Ausübung ihrer Grundrechte, sondern die Kläger*innen von der Einleitung missbräuchlicher Gerichtsverfahren abgeschreckt werden.
Wo verläuft die Grenze zwischen Rechtsmissbrauch und legitimer Rechtsverfolgung?
Die Abgrenzung missbräuchlicher Klagen von legitimer Rechtsverfolgung ist eine der zentralen Herausforderungen bei der Bekämpfung von SLAPPs. Eine Definition von SLAPPs muss sicherstellen, dass der Schutz der Betroffenen nicht zu Lasten des effektiven Rechtsschutzes der Kläger*innen geht – wobei eine Abgrenzung oftmals kaum möglich sein wird, zu unterschiedlich können Motive und Umstände im Einzelfall sein.
Nach dem Vorschlag der Kommission müssen Klagen kumulativ zwei Kriterien erfüllen, um als SLAPP qualifiziert zu werden (Art. 3 Abs. 3 der RL): Die Klage muss ganz oder teilweise unbegründet sein und ihr Hauptzweck muss darin liegen, öffentliche Beteiligung zu verhindern. Letzteres Kriterium konkretisiert die Kommission anhand von Regelbeispielen, etwa der Unverhältnismäßigkeit der Klage, die Anstrengung mehrerer Verfahren in ähnlichen Angelegenheiten oder Einschüchterungen und Bedrohungen durch die Kläger*innen. Diese Definition erscheint zunächst sehr weit, kombiniert mit den Schutzmechanismen der Richtlinie könnte sie aber zu durchaus sachgerechten Ergebnissen führen. Denn eine vorzeitige Verfahrenseinstellung gem. Art. 9 ff. der RL ist nur bei offensichtlich unbegründeten Klagen möglich. Kommt hinzu, dass diese Klagen darauf abzielen öffentliche Beteiligung zu verhindern, sind die Kläger*innen nicht schutzwürdig, sodass weitgehende Erleichterungen für die Betroffenen gerechtfertigt sind. Andernfalls ist eine vorzeitige Verfahrenseinstellung nicht möglich. Hier tragen weiterhin die Betroffenen die Aktionslast. Sie müssen nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen im Hauptsacheverfahren darlegen und beweisen, dass eine Klage missbräuchlich ist. Daher darf die begriffliche Offenheit der Definition nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Richtlinie die weitreichenden Schutzmechanismen an durchaus hohe Hürden für die Betroffenen knüpft. Den Betroffenen könnte dabei ein neues Beteiligungsrecht für NGOs am Gerichtsverfahren auf Seiten der Betroffenen gemäß Art. 7 der RL zugutekommen.
Eine verantwortungsvolle Abgrenzung zwischen Rechtsmissbrauch und legitimer Rechtsverfolgung wird daher zunächst Aufgabe der nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie und letztlich der mitgliedstaatlichen Gerichte bleiben. Angesichts der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und der grundsätzlichen Offenheit der Definition könnten sich hier zahlreiche Auslegungsfragen stellen, die abschließend erst durch den EuGH geklärt werden können.
Grenzüberschreitender Bezug auch bei innerstaatlichen Sachverhalten
Die Kommission stützt die Gesetzgebungskompetenz der EU für die Richtlinie auf Art. 81 Abs. 2 AEUV, die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Entsprechend legt Art. 1 der RL fest, dass die RL nur für grenzüberschreitende Zivil- und Handelssachen gilt. Laut einer Studie des CASE-Bündnisses hatten nur 11 % der erfassten SLAPPs einen grenzüberschreitenden Bezug. Wegen der begrenzten Gesetzgebungskompetenz der EU könnte daher die weit überwiegende Anzahl von SLAPPs aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.
Daher fordert die Kommission die Mitgliedstaaten in den begleitenden Empfehlungen zum einen auf, die Richtlinie auch für innerstaatliche Sachverhalte umzusetzen. Zum anderen entwickelt sie für die Zwecke der Richtlinie ein Verständnis des „grenzüberschreitenden Bezugs“, das über eine rein formalistische Anknüpfung hinausgeht. Ein grenzüberschreitender Bezug liegt gem. Art. 4 Abs. 1 der RL dann vor, wenn eine der Parteien ihren Sitz nicht in dem Land des angerufenen Gerichts hat. Art. 4 Abs. 2 der RL sieht jedoch zwei Ausnahmen von dieser formalen Betrachtungsweise vor. Auch wenn beide Parteien ihren Sitz im selben Mitgliedstaat wie das angerufene Gericht haben, soll eine Angelegenheit als grenzüberschreitend gelten, wenn es um öffentliche Beteiligung oder eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse geht, die für mehr als einen Mitgliedstaat von Bedeutung ist (Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 der RL) oder die Kläger*innen denselben Beklagten parallel oder bereits zu einem früheren Zeitpunkt in einem anderen Mitgliedstaat verklagt haben (Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 der RL).
Ein grenzüberschreitender Bezug des Gegenstands der öffentlichen Beteiligung ist, gerade in einer vernetzten und globalisierten Welt, vielen Themen inhärent: Kritik an multinationalen Konzernen, Umweltverschmutzung, klimaschädliche Praktiken oder globalen Lieferketten – um nur einige Beispiele zu nennen. Ein grenzüberschreitender Bezug könnte daher auch dann gegeben sein, wenn RWE in Deutschland Aktivist*innen wegen einer Protestaktion gegen den Kohleabbau verklagt, oder wenn Tönnies gegen Aktivist*innen wegen der Kritik an den Arbeitsbedingungen von Leiharbeiter*innen in den Schlachthöfen vorgeht. Die Anknüpfung des grenzüberschreitenden Bezugs an den Gegenstand der öffentlichen Beteiligung wird somit der Realität zivilgesellschaftlicher Teilhabe gerecht und schließt Schutzlücken, die bei einer rein formalistischen Anknüpfung an einen Drittstaatenbezug entstünden.
Ungleicher Schutz für Betroffene
Die damit einhergehenden Abgrenzungsfragen stellen sich nur für den Fall, dass die Mitgliedstaaten die Richtlinie, entgegen der Empfehlung der Kommission, nicht für alle Sachverhalte umsetzen. Für den deutschen Gesetzgeber könnte sich diese Frage gar nicht erst stellen, da er wegen der Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu einer überschießenden Umsetzung verfassungsrechtlich verpflichtet wäre.
Die Anti-SLAPP-RL vermittelt den Betroffenen innerhalb ihres Anwendungsbereichs einen weitreichenden Schutz, der keine Entsprechung in den nationalen Verfahrensvorschriften hat. Das Schutzniveau vor missbräuchlichen Klagen hängt daher maßgeblich von der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie ab. Ein Aktivist mit Wohnsitz in Deutschland, der von einem Unternehmen aus Belgien vor einem deutschen Gericht verklagt wird, wäre also deutlich besser vor den Konsequenzen einer missbräuchlichen Klage geschützt, als wenn das Unternehmen seinen Sitz in Deutschland hätte. Diese Ungleichbehandlung setzt sich auch in Abhängigkeit des Gegenstands der öffentlichen Beteiligung fort: Eine Aktivistin, die wegen der Blockade eines Schlachthofs verklagt wird, wäre geschützt, wenn sich der Protest gegen die Arbeitsbedingungen von Leiharbeiter*innen aus anderen Mitgliedstaaten richtet (Bezug zu mehr als einem Mitgliedstaat); wenn die Blockade auf die Bedingungen in der Massentierhaltung aufmerksam machen soll (Bezug nur zu einem Mitgliedstaat), wäre sie nicht geschützt.
Ein Umsetzungsgesetz, das aufgrund der begrenzten Gesetzgebungskompetenz der EU zu derartig unterschiedlichen Schutzniveaus führt, wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Wie bereits in Bezug auf die Whistleblowing-Richtlinie überzeugend dargelegt wurde, gilt das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG auch bei unionsrechtlich induzierten Ungleichbehandlungen, sodass es für eine Ungleichbehandlung stets eines sachlichen Differenzierungsgrundes bedarf. Dies ist bei den oben geschilderten Konstellationen nicht der Fall.
Fazit
Die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová ist mit der Anti-SLAPP-Initiative angetreten, „SLAPPs im Keim zu ersticken und ihre Wirkung zu neutralisieren“. Die zahlreichen Instrumente und die realitätsnahe Ausgestaltung des kompetenzbegründenden grenzüberschreitenden Bezugs zeigen, dass die Kommission dieses Ziel ernst nimmt. Der Vorschlag für eine Anti-SLAPP-Richtlinie würde die Position der Betroffenen deutlich stärken, ohne die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes unverhältnismäßig einzuschränken. Nun ist es zunächst an Europaparlament und Rat, den Kommissionsvorschlag nicht zu verwässern. Besonders aus dem Rat droht Widerstand, da die Mitgliedstaaten durch den Vorschlag zu weitreichenden Anpassungen des Zivilverfahrensrechts verpflichtet werden könnten – und zwar auch für innerstaatliche Sachverhalte. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, europaweite Maßnahmen gegen SLAPPs zu unterstützen. Nun muss sie im Rat zeigen, dass sie es damit ernst meint.
Im zpoblog habe ich mir kurz angesehen, was sich prozessrechtlich ändern würde. Die Umsetzung des Richtlinien-Entwurfs würde einige fundamentale Abweichungen vom hergebrachten Verständnis des Zivilprozesses mit sich bringen: https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/zpoblog/eu-richtlinienentwurf-zu-missbraeuchlichen-klagen-gegen-journalisten-ein-prozessrecht-fuer-slapps
Ein sehr interessantes Thema.
Dass über Art. 3 I GG die RL auch auf Inlandsachverhalte angewandt werden müsse, halte ich für nicht naheliegend. Mit dieser Auffassung wäre der Anwendungsbereich des Unionsrechts faktisch endlos.
Im Übrigen wäre es wirklich spannend, würde es zum Auftreten solcher Klagen in Deutschland quantitative Untersuchungen geben. Die genannten Bespiele sind nur teilweise passend: Strafverfahren dürften allgemein kein Fall solcher SLAPP-Klagen sein. Hier dürfte auch rechtspolitisch kein Umsetzungsbedarf bestehen, weil die Rechtsordnung bereits Vorkehrungen dagegen trifft. Bei den Schadenersatzforderungen von RWE wird mir aus der Berichterstattung nicht klar, ob diese Forderungen unbegründet sind. Begründete Forderungen sollen ja gerade nicht erfasst sein.
Was sonstige Umsetzungsmaßnahmen angeht, so bleibt zu hoffen, dass genau untersucht wird, wie solche Klage tatsächlich ablaufen (könnten).
Die deutsche Rechtsordnung dürfte bereits sehr robust gegen solche Klage sein. Zwar gibt es kein (förmliches) “Zwischenverfahren” zur frühzeitigen Klageabweisung. Es gibt aber die Schlüssigkeitsprüfung. Damit dürfte eine Vielzahl solcher Klage bereits ausscheiden. Das Erheben einer schlüssigen Klage, die trotzdem das Kriterium der offensichtlichen Unbegründetheit erfüllt, dürfte demgegenüber fast immer einen versuchten Prozessbetrug darstellen.
Ob es deshalb sinnvoll ist, ein derartiges Zwischenverfahren (mit Suspensiveffekt und Kontrollmöglichkeit) einzuführen, ist sehr zweifelhaft. In der Praxis wird dies nur zur Verzögerung führen. Insbesondere muss der Fall in den Blick genommen werden, dass eine Klage “knapp” keine Slapp-Suit sein soll. Dann scheitert das Zwischenverfahren, es geht aber in der Hauptsache weiter. Scheitert dann am Ende die Hauptsache, wird ein solches Zwischenverfahren die Klageabweisung um 1-2 Jahre hinausgezögert haben.
Ähnlich vorsichtig sollten Änderungen am Kostenrecht sein. Eine Slapp-Suit dürfte in Deutschland gerade deshalb so ungewöhnlich sein, weil es das geltende Kostenrecht gibt. Es lohnt sich schlicht nicht. Es dürfte aktuelle in Deutschland kein ernsthaftes Problem sein, einen RA zu finden, der gegen solche Klage vertritt. Kaum ein Rechtsanwalt wird bei solchen Klagen auf eine Stundensatzvergütung beharren, weil das RVG für solche Klagen absolut ausreichend ist. Beispiel: Für eine Klage über 5.000.000 Euro gibt es in den ersten beiden Instanzen je rund 60000 Euro an Anwaltsgebühren für den Gegner. Bei einer offensichtlich unbegründeten Klage sind diese 60000 Euro mit je einem Satz verdient. Wer hier hingegen eine Ersatz auch nach Stundensatz fordert, der fördert letztlich nur eine Klage- und Verteidigungsindustrie, weil sich so viel Geld durch unnötige Arbeit verdienen lässt. Das dürfte die Slapp-Suit für die gelebte Meinungsfreiheit im Ergebnis nur gefährlicher machen, als sie heute ist. Denn wer sich als Beklagter einmal auf eine Stundensatzvergütung einlässt, schuldet diese auch dann, wenn die Klage dann doch einmal durchgeht. Dieser Zusammenhang scheint (soweit ich das US-Recht verstehen) gerade das Hauptproblem der Slapp-Suits in den USA zu sein.
In den Blick genommen werden sollten in Deutschland eher die Praxis des einstweiligen Rechtsschutz in Zivilsachen. Der Antrag auf Erlass einer eV wirkt eher wie das Mittel der Wahl, um in Deutschland eine unliebsame Meinung jedenfalls für eine gewisse Zeit mundtot zu machen.