Die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland – ein Defizitbefund
Die deutsche Staatsanwaltschaft darf wegen fehlender Unabhängigkeit keine Europäischen Haftbefehle ausstellen. So sieht es der EuGH in seinem Urteil vom 27. Mai 2019 (dazu an dieser Stelle auch schon Klaus Ferdinand Gärditz). Das Urteil sollte Anlass für eine allgemeinere Debatte über die Unabhängigkeit der Justiz sein. Denn die in Deutschland geltenden Regelungen setzen einer politischen Instrumentalisierung der Justiz keine ausreichenden Hindernisse entgegen. Entwicklungen wie in Polen oder Ungarn wären auch in Deutschland rechtlich möglich. Die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz sollte daher Thema der Debatten um constitutional resilience sein.
Verfassungsrecht und Praxis in Deutschland
Über die Berufung der Richter*innen an den obersten Gerichtshöfen des Bundes entscheidet nach Art. 95 Abs. 2 GG der zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss, der je zur Hälfte aus Landesminister*innen und Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden. Zurzeit handelt es sich ausschließlich um Abgeordnete. Diese rein politische Besetzung des Gremiums führt dazu, dass de facto niemand als Bundesrichter*in zum Zuge kommt, der keine Kontakte zu einer der potentiell mehrheitsfähigen Parteien hat. In der Regel werden dafür Personalpakete geschnürt.
Sehr unterschiedlich sind die Regelungen in den Bundesländern. In einigen Ländern gibt es zwar Richterwahlausschüsse. Diese sind aber fast alle mehrheitlich mit Mitgliedern besetzt, die vom Landtag gewählt werden, zum Teil auf Vorschlag aus der Justiz. Lediglich in Baden-Württemberg wird die Mehrheit der Mitglieder von den Richter*innen selbst gewählt, doch hat dieser Ausschuss nur eine sehr eingeschränkte Zuständigkeit in Konfliktfällen. Zudem wird Art. 98 Abs. 4 GG mehrheitlich so interpretiert, dass das jeweilige Landesjustizministerium ein Vetorecht hat.
Zusammengefasst bewirken diese Regelungen, dass alle Richter*innen in Deutschland von parteipolitisch geprägten Gremien bzw. Minister*innen ausgewählt werden. Um nicht missverstanden zu werden: Die hohe Qualität der deutschen Justiz steht insgesamt außer Frage. Es gibt auch keine ernsthaften Bedenken, dass die persönliche Unabhängigkeit, die Art. 97 GG gewährleistet, nicht gewahrt würde. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass jedenfalls der Aufstieg in der Justiz im Rahmen der Spielräume, die bei der Eignungsbeurteilung bestehen, auch politisch geprägt ist. Ein Indiz für das Misstrauen in die Objektivität der Personalentscheidungen ist, dass kaum noch eine Leitungsposition ohne Konkurrentenstreit besetzt werden kann. Spielt man einmal durch, was passieren könnte, wenn z.B. ein AfD-Mitglied ein Justizministerium leiten und nur seine Spezis befördern würde, liegt das Problem auf der Hand.
Der große Einfluss der Exekutive auf die Personalentscheidungen der Justiz folgt nicht nur deutscher Tradition. Seit einem einflussreichen Gutachten von Ernst-Wolfgang Böckenförde (Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974) wird er von der wohl herrschenden Auffassung mit dem Erfordernis der demokratischen Legitimation der Richter*innen gerechtfertigt. Weil Richter*innen verbindliche Entscheidungen fällen dürfen, müsse ihre Auswahl über die Kette Volk – Parlament – Regierung legitimiert werden. Eine Auswahl durch ein mehrheitlich von Richter*innen gewähltes Gremium wird danach als undemokratische Kooptation bewertet.
Empfehlungen des Europarats
Das kann man auch anders sehen. Die institutionelle Dimension der richterlichen Unabhängigkeit ist kein neues Problem des Verfassungsrechts. Viele europäische Verfassungen enthalten Vorschriften über einen Justizrat, der insbesondere bei Personalentscheidungen entweder das letzte Wort hat oder zumindest Empfehlungen ausspricht. Mittlerweile haben auch verschiedene Gremien des Europarats das Thema aufgegriffen und Stellungnahmen verabschiedet, die sich an die Mitgliedstaaten richten.
(1) So hat das Ministerkomitee des Europarats in seiner Empfehlung 2010(12) über Unabhängigkeit, Effizienz und Verantwortlichkeit der Richter unter Nr. 46 festgehalten, dass die Institution, die über die Einstellung und die Karriere von Richter*innen entscheidet, unabhängig von der Exekutive und der Legislative sein und mindestens zur Hälfte mit Richter*innen besetzt sein soll, die von ihresgleichen gewählt werden. Sofern das Verfassungsrecht eines Staates oder andere Rechtsvorschriften vorsehen, dass das Staatsoberhaupt, die Regierung oder das Parlament solche Entscheidungen treffen, soll nach Nr. 47 eine solche unabhängige Institution zumindest Empfehlungen geben dürfen, denen die Stelle, welche für richterbezogene Personalentscheidungen zuständig ist, in der Praxis folgt.
(2) Der Beirat der europäischen Richter beim Europarat hat im Jahr 2010 eine „Magna Charta der Richter“ verabschiedet, die unter Nr. 13 fordert, dass alle Staaten einen Justizverwaltungsrat oder ein ähnliches Gremium einrichten, das gegenüber der Exekutive oder der Legislative völlig unabhängig ist und sich ausschließlich oder mehrheitlich aus Richter*innen zusammensetzt, die von ihresgleichen gewählt werden. Diese Institution soll u.a. mit weitreichenden Befugnissen für alle Fragen im Zusammenhang mit der Rechtsstellung der Richter*innen ausgestattet werden.
(3) Auch die Venedig-Kommission hat sich mehrfach mit dem Thema beschäftigt und etwa in ihrer Stellungnahme Nr. 403/2006 die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Verfahren zur Auswahl von Richter*innen betont. Sie hat zwar festgestellt, dass die in einigen älteren Demokratien vorgesehene Ernennung durch die Exekutive wegen der Rechtskultur und Tradition keine Gefährdung für die Unabhängigkeit mit sich bringe. Die Entwicklung geht aber auch in Westeuropa seither in eine andere Richtung. Inzwischen haben z.B. auch Großbritannien mit der „Judicial Appointments Commission“ und die Niederlande mit dem „Rat für Rechtsprechung“ Institutionen gegründet, mit denen der politische Einfluss auf die Justiz reduziert wurde. In Europa fehlt es also nur noch in Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik an einem Gremium, das die Anforderungen des Europarats erfüllt. Ein Sonderfall ist die Schweiz, wo die Bundesrichter*innen unmittelbar vom Parlament gewählt werden.
Reformoptionen
Die genannten Empfehlungen, die durch viele weitere ergänzt werden, sind für die Mitgliedstaaten des Europarats nicht verbindlich. Sie lassen aber doch zweifeln, ob die exekutive Einflussnahme mit dem Erfordernis einer personellen demokratischen Legitimation der Justiz überzeugend gerechtfertigt werden kann. Man müsste dann viele andere Verfassungen wie auch den Europarat selbst des Verstoßes gegen demokratische Grundsätze zeihen. Doch was ist davon abgesehen das zentrale Gegenargument, woher kommt die ja in der Tat erforderliche Legitimation? Kurz zusammengefasst: Die Tätigkeit der Richter*innen wird durch die korrekte Anwendung des Rechts legitimiert, das seinerseits das Ergebnis demokratischer Entscheidungsprozesse ist. Anders als Regierungsmitgliedern und Beamt*innen stehen Richter*innen keine Gestaltungsspielräume zu, die politisch zu verantworten sind. Deshalb können sie auch nur bei eindeutigen und gravierenden Rechtsverstößen ihres Amtes enthoben werden.
Inzwischen hat auch der EuGH begonnen, aus Art. 19 EUV zusätzliche Dimensionen der richterlichen Unabhängigkeit abzuleiten. Dahinter steht ziemlich offensichtlich die Absicht, jenseits des praktisch nicht funktionsfähigen Verfahrens nach Art. 7 EUV Vorgaben zu entwickeln, an denen die Organisation der Justiz der Mitgliedstaaten gemessen werden kann. Dabei wird es ihm aber schwerfallen, z.B. gegenüber Polen Regelungen zu rügen, die denen gleichen, die in Deutschland gelten. Die polnische Regierung hat die Entscheidung, die richterlichen Mitglieder ihres Landesjustizrates nicht mehr von den Richter*innen, sondern vom Parlament wählen zu lassen, mit einer Stärkung ihrer demokratischen Legitimation begründet.
Wir sehen die abschreckenden Beispiele einer politischen Instrumentalisierung der Justiz nicht nur in Ostmitteleuropa, sondern am deutlichsten in der Türkei, die übrigens auch Mitgliedstaat des Europarats ist. Wir würden wohl zu Recht befinden, dass Deutschland solche Entwicklungen derzeit nicht fürchten muss. Und doch: Sollten die aktuellen Entwicklungen und die internationale Debatte nicht Anlass sein, sie auch in und für Deutschland wieder aufzunehmen?
Dieses Dilemma kann nur dadurch entschärft werden, dass in Deutschland selbst die Reformen durchgeführt werden, die den Empfehlungen des Europarats Geltung verschaffen. Dies ist aus den Reihen der Richter*innenverbände auch schon vielfach gefordert worden. Erste zaghafte Bestrebungen in diese Richtung sind in Hamburg unter der früheren rot-grünen Regierung unternommen worden, dann jedoch steckengeblieben.
Es ist hier nicht der Ort, Details konkreter Reformen zu entwickeln. Wenn man Art. 98 Abs. 4 GG im Sinne der Länderautonomie zurückhaltend interpretiert, haben die Landesgesetzgeber große Spielräume für die Beteiligung von Richterwahlausschüssen. Für den Richterwahlausschuss auf Bundesebene käme eine Variante in Frage, wonach die vom Bundestag zu wählenden Mitglieder von der Justiz vorgeschlagen werden müssen. Weiterreichende Modelle bedürften dagegen einer Verfassungsänderung.
Im Rahmen solcher Reformen wäre dann auch zu entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft einbezogen werden soll. Ihre Unabhängigkeit von der Exekutive gilt z.B. in Italien im Kampf gegen die Mafia als unverzichtbar. In Rumänien und Tschechien finden Demonstrationen gegen politische Behinderungen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen statt. Wenn auch die Staatsanwaltschaft nur das geltende Recht anwendet, spricht nichts dagegen, ihr Unabhängigkeit einzuräumen und diese institutionell abzusichern.
Prof. Groß: „Entwicklungen wie in Polen oder Ungarn wären auch in Deutschland rechtlich möglich.“ Die ist zutreffend, wie der Fall Range belegt.
Für den verstorbenen Generalbundesanwalt Harald Range war es immer klar: Er hatte im Fall „netzpolitik.org“ eine Weisung von Bundesjustizminister Heiko Maas erhalten.
Vor dem Rechtsausschuss des Bundestages wurde Range gefragt: „Wer hat zu Ihnen gesagt: ‚Jetzt geht es um Ihren Kopf – entweder Sie stellen (das Verfahren) ein, oder Sie werden entlassen.‘?“ Range antwortete: „Telefonisch Frau Hubig(Ss im Justizministerium).“
Das Weisungsrecht des Justizministers ist eine Art Anomalie in der Logik der Gewaltenteilung. Der Deutsche Richterbund bemängelt das schon lange.
Die Gewaltenteilung besagt, dass es Legislative, Exekutive und rechtsprechende Gewalt gibt. Da die Staatsanwält(inn)e(n) kein Recht sprechen, sind die Exekutive und somit nach Art. 20 II GG Teil der vollziehenden Gewalt, die der parlamentarisch kontrollierten Regierungsveranwortung unterliegt.
Wo ist da eine Anomalie?
Würden Sie außerdem jedem Staatsanwalt und jeder Staatsanwältin weisungsfreiheit zukommen lassen wollen (so wie bei den Richter/innen)? Typischerweise wird doch wohl nur die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften – wohl also der Behördenleiter/innen – gefordert. Das wäre ein erhebliches Mehr an Entscheidungsmacht einer einzelnen Person, die es so in den Gerichten – wo die Geschäfte auf mehrere Richter/innen bzw. Spruchkörper nach dem Prinzip des gesetzlichen Richters verteilt ist – so nicht gibt.
Die Antwort ist dann aber, dass der Untersuchungsrichter wieder zum Normalfall werden muss.
Lesens- und nachdenkenswert. Auch wenn die „innere Unabhängigkeit“ der Richterinnen und Richter in Deutschland weitgehend gewährleistet ist, und Eingriffe die Ausnahme darstellen, darf die Bedeutung der „Rahmenbedingungen“ nicht verkannt werden. Unsere Justiz ist – so auch der Deutsche Richterbund und die Neue Richtervereinigung – viel zu stark von der Exekutive abhängig. Eine durchaus gefährliche Abweichung von den europäischen Standards ….
Zu E.-W. Böckenförder 1974 – „Weil Richter verbindliche Entscheidungen fällen dürfen, müsse ihre Auswahl über die Kette Volk – Parlament – Regierung legitimiert werden.“ – Nein, falsch. Sie können nicht entscheiden, sondern sind dem Gesetz verpflichtet. Ihr Urteil fußt nicht auf freier Entscheidung, sondern auf Buchstaben oder Geist des Gesetzes.
Mir kommen die praktischen Einwände etwas zu kurz: wenn Richterinnenräte über Beförderungen entscheiden, dann droht eine Politisierung dieser Gremien, wie sie in anderen Staaten schon lange zu beobachten ist. Die Karriere hängt dann nicht mehr (soweit das heute überhaupt flächendeckend der Fall ist) vom Parteibuch ab, sondern von der Mitgliedschaft in jener Richtervereinigung, die im jeweiligen Bundesland majoritär ist (von daher sind die Richtervereinigungen hier auch in eigener Sache tätig, was nicht unproblematisch ist). Im schlimmsten Fall entwickeln sich Kooptationspraxen, die deutlich stabiler sind, als die politische Ausrichtung von Landesregierungen. Zudem droht die Justiz als Kontrolleur von Beförderungsentscheidungen ihre Unabhängigkeit zu verlieren, wenn sie diese Entscheidungen in einem ersten Schritt selbst trifft. Schließlich gibt es prima facie keinen Grund für die Annahme, dass die Justiz in stärkerem Maße immun gegen populistische Strömungen ist als die Politik. Ein AfD-dominierter Richterrat in einem Bundesland ist nicht zwingend unwahrscheinlicher, als eine AfD-dominierte Landesregierung (vielleicht vom Moment einer zeitlichen Verzögerung abgesehen). Ganz grundsätzlich bin ich skeptisch, die Möglichkeiten des Rechts beim Kampf gegen Rechtspopulisten zu überschätzen; dieser Kampf wird in erster Linie politisch gewonnen oder verloren.
Natürlich ist es kaum vermeidbar, dass die Richterverbände in einem solchen Modell größeren Einfluss gewinnen werden, weil die Auswahl der Mitglieder eines Justizrates strukturiert werden muss. Dass dadurch allerdings extreme oder sogar verfassungsfeindliche Kräfte eine Mehrheit erlangen könnten, ist sehr viel weniger wahrscheinlich als in Volkswahlen. Außerdem hat mir noch nie eingeleuchtet, warum Kooptationsverfahren bei Professor*innen verfassungsgeboten und für die Qualitätssicherung unverzichtbar, bei Richter*innen dagegen gefährlich und missbrauchanfällig sein sollen.
Ich hoffe auch, dass Sie mit Ihrem Vertrauen in die Richterschaft Recht behalten; historisch zwingend scheint es mir aber nicht zu sein, dass die Richterinnen weniger extremistisch sind, als die Gesamtbevölkerung. Jedenfalls nicht mittel- bis langfristig.
Mein Punkt was das Selbstverwaltungsmodell betrifft ist vor allem, dass die Richtervereinigungen so tun, als regiere in den Richterinnenräten die pure Vernunft, während die Justizverwaltung ihre Entscheidungen regelmäßig parteipolitisch trifft. Das ist – berücksichtigt man die Erfahrungen anderer Länder – bestenfalls ein frommer Wunsch. Und wenn die NRV die von Ihnen zitierte EuGH-Entscheidung heranzieht um in einer Pressemitteilung zu behaupten, der EuGH fordere ein Justizreform in Deutschland, dann ist das grenzwertig bis unredlich. Dies alles müssen Sie sich natürlich nicht zurechnen lassen. Ich finde nur, dass die Schattenseiten einer richterlichen Selbstverwaltung in der Diskussion ebenfalls zur Sprache kommen sollten, denn so schwarz-weiß wie es vor allem die Verbände zeichnen, scheint mir die Frage nicht zu sein.
Ob ich Ihren Vergleich mit der Wissenschaftsfreiheit mitgehe, da müsste ich länger drüber nachdenken, hätte aber auch hier jedenfalls den praktischen Einwand, dass es zumindest in den großen Fächern deutlich mehr Fakultäten als Bundesländer gibt, was sich pluralitätssichernd auswirken dürfte. Zudem können sich Wissenschaftlerinnen bundesweit bewerben, was bei Beförderungsämtern innerhalb der Landesjustiz quasi ausgeschlossen ist.
Es ist schon erstaunlich, dass in dem Beitrag unerwähnt bleibt, dass die Ernennung und Beförderung der Richter/innen – zumindest in den Ländern – der gerichtlichen kontrollierbaren Bestenauslese unterliegen. Darüber, wie wirksam dies ist, mag man streiten. Aber wenn die Verwaltungsgerichte (also Richter/innen) eine angefochtene Ernennung oder Beförderung für rein politisch und somit rechtswidrig ansehen, können sie diese verhindern. Es wäre insoweit interessant, ob es derartige gerichtliche Kontrolle der Entscheider/innen in Staaten mit Kooptation der Richter/innen durch Richter(innen)gremien überhaupt gibt.
Es kommt auch nicht einmal das Wort „Dienstaufsicht“ vor, obwohl gerade die Dienst- und Fachaufsicht der Ministerien über die Gerichtsleitung und somit über deren – wenn auch beschränkte – Dienstaufsicht über die Richter/innen m.E. derjenige Gesichtspunkt ist, der den EuGH veranlassen könnte, die deutschen Gerichte nicht als hinreichend unabhängig anzusehen. Denn nach der EuGH-Rechtsprechung (z. B. zur portugiesischen Richterbesoldung) dürfen Gerichte keinerlei Hierarchie / Weisungen unterliegen.
Der Nachklapp zur Staatsanwaltschaft lässt unerwähnt, dass nach dem GG die Exekutive der parlamentarisch kontrollierten Regierungsverantwortung unterliegen muss. Da die Staatsanwält(inn)e(n) kein Recht sprechen, sind sie eindeutig Exekutive. Und dass die Staatsanwälte nur das Recht anwenden, unterscheidet sie nicht von Beamt(inn)en in anderen rechtlich gebundenen Bereichen (Finanzamt, ALG II, …), zumal auch staatsanwaltschaftliches Handeln nicht völlig frei von Zweckmäßigkeitserwägungen ist.
Eine weitere Gefahrenstelle wird bisher zu wenig beachtet: Das kaum justiziable Prozedere der Bundesrichterwahlen. Bekanntlich haben (nur) die Mitglieder des Richterwahlausschuses ein Vorschlagsrecht, und es wird „von außen“ munter auf sie eingewirkt. „Richtermacher“ sind einem aktuellen Bericht der SZ zufolge:
„Oberlandesgerichtspräsidenten liefern geeignete Kandidaten aus ihrem Sprengel zu, Bundesgerichtspräsidentinnen weisen ihrerseits auf hoffnungsvollen Nachwuchs hin, oder jemand aus der Partei kennt einen, der einen kennt. Auch so mancher Verfassungsrichter greift gern mal zum Telefon, oder ein Ministerpräsident, der einen verdienten Büroleiter empfiehlt.“
Hier offenbart sich zugleich ein besonderes, individualrechtliches und in der Literatur – soweit ersichtlich – nicht wahrgenommenes Problem („blind spot“):
Wie lassen sich die fehlende Ausschreibung der frei werdenden Bundesrichterstellen und die fehlende Möglichkeit einer Selbstbewerbung – wie in Österreich und der Schweiz selbstverständlich – mit dem Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG vereinbaren?
Vielleicht hilft hier die „Schwarmintelligenz“ der Verfassungsblogger weiter?
Zum Problem des Zugangs zu den Bundesgerichten:
Das Prozedere ist in der Tat nicht besonders überzeugend.Es hat ja in der Vergangenheit manche Versuche oder Ideen gegeben, das Verfahren transparenter zu gestalten, die letztlich politisch im sande erlaufen sind. Denn insoweit gibt es eine ganz große stillschweigende Koalition all derjenigen organisierten gesellschaftlichen Interessen (nicht nur Parteien!), die in der Lage sind, auf die Personalauswahl im Richterwahlausschuss Einfluss zu nehmen.Ich denke allerdings nicht, dass sich daran strukturell in einem Modell einer selbstverwalteten Justiz irgendetwas ändern würde.
Gleichwohl: Im Großen und Ganzen liefern die Bundesgerichte doch trotz der derzeitigen Zugangsbedingungen letztlich keine so schlechten Ergebnisse in der Anwendung des Rechts.
In Nds. wird übrigens seit einiger Zeit vor Besetzungsrunden des RiWA ein „Interessenbekundungsverfahren“ durchgeführt.Dass allerdings auf diesem Wege bereits jemand Zugang gefunden hätte zum Kreis der Kandidat*innen, ist mir nicht bekannt.
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Justiz abgeschottet selbst erneuert. Sprich, ein „Justizrat“ nicht irgendwann ein elitärer Selbstberufungsapparat wird. Mein politisch/historisches Wissen sagt mir, entscheidend ist die politische Kultur und ein Wahlrecht, da
s verhindert, dass eine Partei mit weit unter fünfzig Prozent eine absolute Mehrheit erhält. An der fundamentalen Ausrichtung der Justiz, nämlich, dass sie unabhängig Arbeiten soll, darf niemand rütteln. Ihre Berufung sollte aber schon über demokratisch legitimierte Vertretungen erfolgen, verbunden mit gewissen gesetzlichen festgelegten Anforderungskriterien. Wenn die politische Kultur eines Landes nachhaltig vergiftet ist, kann eine vollständig unabhängige Justiz sicherlich ein Bremsklotz gegen Rechtsbrüche durch die Exekutive sein. Sollte dieser Zustand aber länger anhalten, würde auch eine unabhängige Justiz schnell unter die Räder kommen. Nach meiner Auffassung sollte man in die politische Kultur eines Landes investieren, denn in der Bereitschaft, einigermassen konstruktiv zusammenzuarbeiten, liegt der Schlüssel zum Erfolg und der dann nicht erfolgte Missbrauch der Justiz. Eine noch so gute demokratische Verfassung, lebt nicht vom Text allein.
Zur weitergehenden Forderung der Unabhängigkeit der Justiz möchte ich Heribert Prantl aus seiner SZ-Kolummne vom 31.05.2019 zitieren: „Der Aufhänger muss beseitigt werden. Und diese Aktion sollte auch Anlass sein, die Justizstrukturen in Deutschland zu reformieren. Die Abhängigkeit nicht nur der Staatsanwaltschaft, sondern der gesamten Justiz (hier betrifft sie den laufenden Verwaltungsbetrieb) von der Exekutive widerspricht der Gewaltenteilung. Unabhängigkeit verlangt Selbstverwaltung. Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen nicht vom Ministerium verwaltet werden; das können sie auch selber. Unabhängigkeit verlangt die Entfesselung der Justiz.“; wobei ich die Frage gerechtfertigt finde, die hier so gestellt wird: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Justiz abgeschottet selbst erneuert. Sprich, ein „Justizrat“ nicht irgendwann ein elitärer Selbstberufungsapparat wird. Mein politisch/historisches Wissen sagt mir, entscheidend ist die politische Kultur…“.
Und diese politische Kultur setzt derzeit immer noch auf Effektivität, statt auf Effizienz und Qualität; sprich es geht um Ressourcenknappheit mit dem Ziel die Qualität zu beschränken.
Anders eine (finanziell) unabhängige Justiz.
Eine unabhänigige Justiz, so Prof. Röhl in einem früheren Statement, führe „in erster Linie zur Abwehr ökonomischer Effektivitätszwänge. In einer selbstverwalteten Justiz dient Qualitätskontrolle nicht zuletzt zur Erfüllung einer ungeschriebenen Rechenschaftspflicht.“
„Die Selbstverwaltung der Gerichte ist nach alledem kein Zaubermittel, das alle Probleme löst. Sie bewirkt insbesondere keine wundersame Geldvermehrung. Dennoch erscheint es lohnend, den Versuch zu wagen. Als Lohn ist nicht nur eine Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit zu erhoffen, sondern zugleich auch eine Modernisierung der Justiz.“ Prof. Röhl, a.a.O., S. 29
Ich will diese Forderung um einen Aspekt ergänzen, der in einer prekären Gesellschaft Teile derer abhängt, die finanziell auf einen funktionierenden Sozialstaat angewiesen sind, der seitens des Rechtsstaats seine Funktionskontrolle erfährt. Als aktuelles Beispiel hierfür soll die Situation der Kosten der Wohnung (Angemessenheitsgrenze) dienen, die in einem wirren Durcheinander von Verwaltung und Rechtsprechung, im Zuge nicht einheitlicher Gerichtsentscheidungen der Landessozialgerichte, die sich unabhängig vom Bundessozialgericht zu etablieren, und im Chaos für die Betroffenen zu versinken droht. – Die drei Hauptbausteine eines effizienten Justizsystems – Effizienz: Indikatoren für Verfahrensdauer, Verfahrensabschlussquote und Zahl der anhängigen Verfahren – Qualität: Indikatoren für die Zugänglichkeit der Justiz, wie z. B. Prozesskostenhilfe und Gerichtsgebühren, Schulungen, Überwachung der Tätigkeiten der Gerichte, finanzielle und personelle Ausstattung und Standards für die Qualität der Urteile, sowie – Unabhängigkeit – müssen durch eine finanziell besser ausgestattete Justiz für diejenigen wieder deutlicher zum Vorschein kommen, damit nicht bei der Kontrolle des Sozialstaats durch eine nicht funktionierende Justiz ein weiterer Bereich im Staat ihnen den Eindruck vermittelt, von der Gesellschaft auch hier weiters abgehängt zu werden. Das Grundrecht auf Wohnen benötigt eine funktionierende Justiz mehr denn je in diesem Land.
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Quelle: SZ
https://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-prantl-deutsche-justiz-unabhaengigkeit-europaeischer-gerichtshof-1.4469352
Quelle: Prof. Röhl, Uni Bochum zum 64. DJT (2002)
http://www.ruhr-uni-bochum.de/rsozlog/daten/pdf/Roehl%20-%20Selbstverwaltung%20fuer%20die%20Justiz.pdf
Re StA bin ich da ausnahmsweise entschieden anderer Meinung als der geschätzte Fischer.
Es ist im Gegenteil geradezu gefährlich, die StAen Unabhängig zu machen, sie politischer Kontrolle und Verantwortung zu entziehen und – was ggf. sogar das noch größere Problem ist – sie damit den Richtern noch weiter anzunähern.
„Wo ist da eine Anomalie?“
Eine Staatsanwaltschaft kann durch Einstellung oder Vermeidung von Ermittlungen in einem gewissen Sinne auch Recht sprechen, wenn ein Verfahren gleich gar nicht vor Gericht kommt.
Die Trennung zwischen Exekutive und Judikative ist hier ganz einfach unscharf.
Die Entscheidungsfreiheit von Staatsanwälten wäre zu begrüßen und wären mit der bestehenden Entscheidungsfreiheit von Richtern sowie den Instanzen gut ausbalanciert.
So könnte beispielsweise die historisch einmalige Häufung von Strafanzeigen gegen einen Bundeskanzler in der Folge der Grenzöffnung zu entsprechenden Strafverfahren führen.
Sowohl de jure als auch de facto kann sich der Bundeskanzler gegenwärtig durch Weisungsbefugnis absolut straffrei stellen.
In der Tat. Siehe http://www.amtsmissbrauch.eu
Das ist falsch. Die StA kann nur unter engen, klaren Voraussetzungen ohne Beteiligung des Gerichts einstellen. Das hat mit Rechtsprechung nicht das geringste zu tun. Die StA ist und bleibt vollumfänglich Exekutive – und das soll auch so sein:
Es bietet Kontrolle einerseits und politische Verantwortung des Kontrollierenden andererseits. Es trennt StA sauber vom Gericht, was ganz entscheidend für die Wahrung von Beschuldigtenrechten ist.
Auch historische Häufungen von Strafanzeigen führen übrigens dann nicht zu Hauptverhandlungen, wenn sie schlicht haltlos sind. Da hilft auch keine systemwidrig unabhängige StA.
Und nein, ein Bundeskanzler kann sich jedenfalls de iure nicht straffrei stellen, so ein Humbug. De facto übrigens auch nicht, sind doch weisungsbefugt gegenüber den StAen der Länder die jeweiligen Landesjustizminister, die – de facto – nie alle der Partei des jeweiligen Bundeskanzlers angehören.
Der Seitenhieb auf die AFD hier ist so absurd, wenn man bedenkt, das gerade die AFD einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der die Problematik aufgreift.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw48-de-entpolitisierung-justiz-sicherheitsbehoerden-580090
Lorbeerkränze für Faschisten einfordern, genau mein Humor.
Nun, wer die AfD als „Faschisten“ bezeichnet, der sollte vielleicht erst einmal etwas „nachdenken“, bevor er hier von „Humor“ schwafelt…
Es gibt keine Menschen im luftleeren Raum. Ebenso keine Juristen.
Unabhängigkeit kann daher nur relatives Ideal sein.
Wichtig kann nur bleiben, dass es keine rechtlich unsachliche Einflussnahme geben kann. Je schwerer, direkter und unsachlicher eine Einflussnahme desto weniger.
Wahlausschüsse können immer zu einem Element von Korrumpierbarkeit tendieren.
Je größer Privelegien, umso mehr.
Ein richterliches Privileg kann Amtsdauer auf Lebenszeit sein.
Das muss selbst als hergebrachter Beamtengrundsatz nicht vollkommen unantastbar sein.
Aus Fürsorge kann nur folgen, dass niemand später einfach auf die Straße gesetzt sein kann. Der Staat kann eine Fürsorgeverpflichtung für eine Zeit nach einer Amtszeit haben. Hier kann vom staat für Weiterbeschäftigung beim Staat oder privat vermittelnd mit zu sorgen sein.
Sonst kann regelmäßige Amtszeitbeschränkung etwa auf 10 oder 15 Jahre denkbar sein.
Das kann für Lockerung bei Ämterbesetzung sorgen, indem mehr verschiedene Personen ins Amt gelangen können.
Das kann bewirken, dass mehre Beteiligte aus dem Volk und damit mehr das Volk insgesamt an Machtausübung beteiligt sein können, als nur ein beschränkterer, elitärerer Personenkreis von wenigen.
Qualifikation kann eher nur formal erfolgen, etwa über bestimmte Studiuenabschlüsse.
Von Bedeutung können zudem etwa Berufserfahrung, auch aus in Richteramt fremden Berufen, wie in Anwaltsberufen o.ä., und Zusatzqualifikation sein. Dies etwa ähnlich wie bei einer Fachanwaltqualifikation o.ä.
Eine Richterzusatzqualifkation kann bereits im Studium denkbar sein.
Eine Qualifikation rein über Noten sollte an Bedeutung verlieren.
Eine solche Qualifikation kann eher willkürlich scheinen, und für Korrumpiebarkeit bereits im Studium bei Notenvergabe sorgen usw.
Niemand kann eventuell klar genau sagen, was ein unverrückbar gravierender Unterschied zwischen einem Juristen mit 9 Punkten im Examen zu einem Juristen mit nur 7,5 Punkten im Examen sein kann. Dies in einer Weise, dass er so gewichtig unterschiedliche Behandlung willkürfrei rechtfertigen kann, wie bislang.
Ein Unterschied kann zwischen Kandidaten bestehen, welche kaum Entscheidungen in angemssener Wiese treffen können und solchen welche überwiegend in überwiegend guter Weise Arbeiten erledigen können.
Dafür kann es keine Notenskala in 0,5-Stufen Schritten benötigen etc.
Kandidaten entsprechend vergleichbarer formaler Qualifikation können mit durch Zufall (Losentscheid o.ä,) auswählbar sein. Das kann ehrlicher und chancengerechter scheinen und Korrumpiebarkeit bereits ab Notenvergabe entgegenwirken o.ä.
Eine Richterbesetzung kann also mehr durch Bewerbungs- und Auswahlverfahren nach formaler Qualifikation erfolgen, als über (Wahl-)Ausschüsse.
Letzere können immer zu einem Maß an Korrumpierbarkeit tendieren. Das kann immer einem Amt, seinem Ansehen und dem Vertrauen darin schaden.
Zitat R. Sorge: „Sowohl de jure als auch de facto kann sich der Bundeskanzler gegenwärtig durch Weisungsbefugnis absolut straffrei stellen.“
Kann er nicht. Er hat keine Weisungsbefugnis über die Staatsanwaltschaften der Länder (§ 147 GVG). De jure i.Ü. auch nicht gegenüber dem Generalbundesanwalt.
Das kann er dennoch. Siehe: http://www.amtsmissbrauch.eu
In dem wirren Pamphlet im Link findet sich kein Argument, das Matthias widerlegen würde. Können Sie selbst versuchen, einmal darzulegen (idealiter mit Normzitaten), wie sich ein Bundeskanzler de iure straffrei stellen kann?
Der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs in Deutschland wurde von den Nationalsozialisten 1943 aus dem Strafgesetz gestrichen und kein Deutscher Bundestag hat den Amtsmissbrauch von Beamten und anderen Amtsträgern wieder unter Strafe gestellt.
@jansalterego
Was genau ist wirr und schmähend an der mit Normzitaten unterlegten Veröffentlichung der Tatsache, dass der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs in Deutschland nicht existiert?
Wirr ist daran (u.a.), dass die Nichtexistenz eines bestimmten Straftatbestandes keinerlei Bezug zum Thema hat. Nochmal: Wie kann sich Ihrer Ansicht nach ein BK selbst straffrei stellen? Bitte mit einschlägigen (!) Normzitaten und unter Bezugnahme auf den Ablauf eines Strafverfahrens darlegen.
Damit Sie es einfacher haben, ein Beispielsfall: Bundeskanzlerin Musterfrau haut dem Parteivorsitzenden einer störrischen Regionalpartei, Herrn Teichfarmer nach hitziger Diskussion eine ‚runter. Materiellrechtlich unproblematisch eine Körperverletzung. Teichfarmer erstattet Anzeige, der Bundestag hebt die Immunität von Musterfrau auf. Wie nun soll sie sich Ihrer Ansicht nach nun straffrei stellen können?
Prof. Groß:“Doch was ist davon abgesehen das zentrale Gegenargument, woher kommt die ja in der Tat erforderliche Legitimation? Kurz zusammengefasst: Die Tätigkeit der Richter*innen wird durch die korrekte Anwendung des Rechts legitimiert, das seinerseits das Ergebnis demokratischer Entscheidungsprozesse ist.“
Diese These, bei allem Respekt, scheint mir geradezu hanebüchen falsch zu sein:
Sie ist erstens verfassungsrechtlich und auch logisch falsch. Denn das Erfordernis einer demokratischen Legitimation der Richterschaft ergibt sich – gemäß Art. 79 Abs. 3 GG mit Ewigkeitsgarantie – aus der deutschen Verfassung, nämlich aus Art. 20 Abs. 2 GG. Danach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die richterliche Spruchtätigkeit ist – insoweit im Übrigen doch wohl substantiell anders als die Tätigkeit im Wissenschaftsbereich – unmittelbar ausgeübte Staatsgewalt (Art. 92 GG). Das aber bedeutet verfassungsrechtlich m. E. zwingend, dass der konsentiert erforderliche Legitimationsakt vor (!) der ersten Ausübung der justiziellen Staatsgewalt bereits vollzogen sein muss (nämlich in Form der Berufung in das Richteramt) und sich nicht erst aus einer „korrekten“ Ausübung der Staatsgewalt als solcher ergeben kann.
Zweitens muss man die These, um ihre Richtigkeit zu überprüfen, auch mal in ihr Gegenteil verkehren. Dann aber ergibt sich: Wer als Richter*in das Recht inkorrekt, also falsch anwendet, ist nicht (mehr) legitimiert! Und dann? Was sollen denn daraus für Konsequenzen folgen? Ist das nur formal oder auch inhaltlich gemeint? Soll das auch gelten, wenn eine Entscheidung im Instanzenzug aufgehoben oder abgeändert wird? Und wer entscheidet denn letztverbindlich, was eine „korrekte Anwendung des Rechts“ überhaupt ist? Wenn eine „korrekte Anwendung des Rechts“ erst Legitimation verschafft, darf man als (Instanz-)Richter*in also von der Rechtsprechung eines obersten Bundesgerichts nicht mehr abweichen? Darf ein oberstes Bundesgericht selbst seine Rechtsprechung ändern? Wie soll sich dann Rechtsentwicklung vollziehen können? Ist das mit Art. 97 GG vereinbar? Nein!
Einen zweiten Aspekt möchte ich aufgreifen – die Forderung nach einer „Entfesselung der Justiz“. Dieses Schlagwort ist ja schon viel älter als der Beitrag von Herrn Prantl, aber es kommt immer wieder hoch. Klingt auch schön griffig und einfach – eine echte justizpolitische Kampfparole zur Verbesserung oder gar Vervollkommnung (?) des Gewaltenteilungsprinzips als Grundlage eines idealen demokratischen Staatswesens. Aber ist sie auch richtig?
Sieht das Prinzip der Gewaltenteilung überhaupt eine „entfesselte“ Staatsgewalt vor? Wenn ja, müsste man nicht theoretisch mit demselben Getöse auch eine „Entfesselung“ der Legislative und letztlich konsequenterweise eine „Entfesselung“ der Exekutive fordern? Schließlich sind doch die drei Staatsgewalten theoretisch gleichgewichtig. Die Antwo