Die Mär von den Männerquoten
Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellt ein: Weil bei ihr männliche Staatsanwälte unterrepräsentiert sind, will sie Männer „bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorrangig berücksichtigen“. So sieht es das Hamburgische Gleichstellungsgesetz vor, das sich – vermeintlich egalitär gerecht – explizit an das „unterrepräsentierte Geschlecht“ richtet. Dieses ist in Stellenausschreibungen anzusprechen und bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auch vorrangig einzustellen, jedenfalls bis die Unterrepräsentation im Sinne von Unterzahl beseitigt ist. „Unterrepräsentanz“ definiert das Gesetz in der Tat als männliche oder weibliche Unterzahl: sie soll gegeben sein, wenn der Anteil eines Geschlechts in einem Bereich einer Dienststelle unter 40 Prozent liegt. Vergleichbare Definitionen existieren in anderen Landesgleichstellungsgesetzen (z. B. in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern) und auch im Bundesgleichstellungsgesetz. Praxisrelevant werden solche Definitionen erst, wenn sie einhergehen mit einer Quotenregelung im Sinne von: Bei gleicher Eignung wird die oder der Angehörige des unterrepräsentierten Geschlechts eingestellt, be- oder gefördert. Eine solche Ausrichtung der Gleichstellungsgesetze auf Frauen und Männer gleichermaßen ist ein Paradigmenwechsel, der erhebliche rechtliche Probleme aufwirft. Denn dürfen Quoten bei einem sogenannten Leistungspatt wirklich für Männer angewendet werden? Wie verhält sich dies zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung wegen des Geschlechts aus Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG?
Frauenquoten zur Durchsetzung von Gleichberechtigung
Eine frauenfördernde Maßnahme bei Einstellung oder Beförderung schließt Männer aus und stellt somit für sich genommen eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts dar. Dass die letzten Jahrzehnte hierüber kontrovers und teilweise in erbitterter Schärfe diskutiert wurde, beruht darauf, dass Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG es grundsätzlich verbieten, das Geschlecht als Anknüpfungspunkt für eine begünstigende oder belastende Maßnahme zu nehmen. Die Rechtfertigung solcher Maßnahmen ist nur innerhalb enger Grenzen möglich, sofern sie einem verfassungslegitimen Zweck dienen und verhältnismäßig sind. Der legitime Zweck frauenfördernder Maßnahmen ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG, der den Staat dazu verpflichtet, die Gleichberechtigung von Mann und Frau durchzusetzen. Diese Pflicht bezieht sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche, fraglos auch auf das Erwerbsleben und damit auch auf den öffentlichen Dienst, um den es in den Gleichstellungsgesetzen im Wesentlichen geht. Der Grundgesetzgeber des Jahres 1994 hat in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG anerkannt, dass Frauen in Staat und Gesellschaft strukturell benachteiligt sind. Er hat dem Staat deshalb aufgegeben, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Damit wurde vor allem die Rechtsprechung des BVerfG aufgenommen: „Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden“. Dementsprechend ist es inzwischen juristischer Mainstream, dass eine Bevorzugung von Frauen im Rahmen der durch Art. 3 Abs. 2 GG vorgegebenen legitimen Zwecke gerechtfertigt sein kann, ggf. auch über eine Quotenregelung (Vorzugsregel). Auf der Grundlage europäischen Rechts ist eine solche Quote weiterhin davon abhängig, dass nicht im Einzelfall in der Person des Mannes liegende Gründe überwiegen und die dabei angelegten Kriterien nicht ihrerseits für Frauen diskriminierend sind (Härteklausel: EuGHE I 1995, 3051 – C-450/93 – Kalanke; 1997, 6363 ff. – C-409/95 – Marschall).
Jegliche Quotenregelung bei einer Einstellungs- oder Beförderungsentscheidung ist nur dann verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, wenn sie den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt. Sie kann gegenüber weniger verpflichtenden Zielformulierungen oder allgemeinen Fördermaßnahmen geeignet und erforderlich sein, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen zu fördern. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung verlangt die Rechtsprechung, dass es nur um Vorzugsregeln zugunsten von BewerberInnen gehen darf, die im direkten Vergleich im Wesentlichen leistungsgleich sind (also nicht um die Bevorzugung weniger qualifizierter Bewerberinnen, wie fälschlicherweise gerne behauptet wird).
Strukturelle Benachteiligung
Eine Männerquote hält einer solchen Grundrechtsprüfung nicht stand. Denn es fehlt bereits ein verfassungslegitimer Grund für eine begünstigende Regelung. Dafür genügt es nicht, dass möglicherweise auch einzelne Männer Benachteiligungen erleiden. Das würde auch bei Frauen nicht ausreichen. Anknüpfungspunkt sind vielmehr „faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen“. Ernst Benda konstatierte insoweit 1986 eine „strukturelle Benachteiligung“ von Frauen als ein Problem nicht von einzelnen Frauen, sondern als ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dabei ging und geht es vor allem um Geschlechterstereotype und Rollenbilder. Arbeitgeber in der Privatwirtschaft lassen sich in ihrem Einstellungsverhalten durch die Furcht vor Ausfallzeiten aufgrund von Schwangerschaften und – immer noch vorwiegend von Frauen in Anspruch genommenen – Elternzeiten bestimmen. Frauen und Müttern wird geringere Leistungsbereitschaft zugeschrieben oder diese für die Zukunft in möglichen Familienphasen antizipiert. Dies führt immer noch zu einer Bevorzugung von Männern.
Das Bundesgleichstellungsgesetz hat bei seiner Männerquote das Problem immerhin erkannt. Sie soll nur dann greifen, wenn Männer strukturell benachteiligt und in dem jeweiligen Bereich unterrepräsentiert sind (§ 8 Abs. 1 Satz 5)! Das löst das verfassungsrechtliche Problem zumindest formal, auch wenn sich selbst mit dem größtmöglichen Wohlwollen eine gesamtgesellschaftlich wirksame strukturelle Benachteiligung von Männern nicht behaupten lässt. Deshalb fehlt der Männerquote im Bundesgleichstellungsgesetz bei verfassungskonformer Anwendung tatsächlich ein Anwendungsbereich. Eine andere Lösung hat Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Es definiert in seinem Landesgleichstellungsgesetz wie folgt (§ 3 Nr. 2): „Strukturelle Benachteiligung: Ist das Ergebnis einer Diskriminierung von Frauen oder Männern aufgrund von vorherrschenden Strukturen der Gesamtgesellschaft und damit einhergehenden Rollenbildern und Vorurteilen gegenüber Beschäftigten des unterrepräsentierten Geschlechts.“ Das ließe sich noch als ehrenvoller Definitionsversuch akzeptieren. Verfassungsrechtlich unhaltbar ist indessen die Vermutungsregel, die der mecklenburg-vorpommersche Gesetzgeber anfügt: „Ist in einer Beschäftigungsgruppe der Anteil des einen Geschlechts in den Eingangsämtern deutlich höher als in der entsprechenden Führungsebene, so kann auf eine strukturelle Benachteiligung dieses Geschlechts rückgeschlossen werden.“ Das kommt der hamburgischen Regel, die das Erfordernis einer strukturellen Diskriminierung gleich ganz unterschlägt, denn doch sehr nahe (§§ 3 Abs. 1, 5 LGG).
Beide Varianten der Männerförderung sind verfassungsrechtlich nicht zulässig. Männer sind nicht schon dann strukturell diskriminiert, wenn in einer Beschäftigungsgruppe der Anteil von Männern in den Eingangsämtern deutlich höher ist als in der entsprechenden Führungsebene. Solches findet sich gelegentlich, wenn auch nur vereinzelt, in den unterschiedlichen Beschäftigtengruppen des öffentlichen Dienstes. Sucht man nach Begründungen dafür, so ist zu berücksichtigen: Angesichts der relativ schlechten Vergütung im öffentlichen Dienst – im Verhältnis zur Privatwirtschaft – ist dieser für männliche Spitzenkräfte deutlich weniger attraktiv als für Frauen. Männlichen Bewerbern mit entsprechenden Qualifikationen stehen im Bereich der Großkanzleien oder sonstigen Bereichen der Privatwirtschaft deutlich besser bezahlte Alternativen zum Öffentlichen Dienst zur Verfügung. Für Frauen, die immer noch die Hauptlast der unbezahlten Arbeit und der Sorge für Kinder und Angehörige schultern, sind die familienfreundlichen Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst häufig von höherer Bedeutung. In Hamburg wie in anderen Ländern liegt der inzwischen niedrige Männeranteil in der Staatsanwaltschaft unbestreitbar daran, dass sich zu wenige Männer mit Prädikatsexamina als Staatsanwalt bewerben, und nicht etwa daran, dass sie auf der Grundlage struktureller Diskriminierung geringere Einstellungschancen bei einer Bewerbung hätten.
Wenn Gesetze zugunsten von Frauen an deren zahlenmäßige Unterrepräsentanz anknüpfen, folgen sie hierin dem EuGH, der diesen – den üblichen juristischen Methoden widersprechenden – „statistical approach“ als einfachen indiziellen Nachweis von Frauenbenachteiligung ausdrücklich (und nur deshalb) gebilligt hat, weil die Diskriminierungsgeschichte von Frauen offen zu Tage lag und die Statistiken kaum anders zu interpretieren waren – unabhängig davon, ob dies in der einzelnen Dienststelle anders ist. Männerförderung ließe sich europarechtlich nicht vergleichbar begründen. Es fehlt jeder Hinweis auf eine geschlechtsspezifische Diskriminierungsgeschichte. Der Begriff der strukturellen Benachteiligung lässt sich jedenfalls nicht allein auf Einzelphänomene wie Unterrepräsentanz und auch nicht auf eine einzelne Dienststelle herunterbrechen. Eine Unterrepräsentanz, die nicht aus struktureller Benachteiligung resultiert, entspricht nicht den Anforderungen des Art. 3 Abs. 2 GG. „Soweit ein deutliches Missverhältnis zwischen dem Frauenanteil in den Eingangsämtern und dem Frauenanteil der dazugehörigen Führungsebene besteht, ist eine solche faktische Benachteiligung anzunehmen“, argumentiert auch das Gutachten von Hans-Jürgen Papier und Martin Heidebach zu Zielquoten im Öffentlichen Dienst für das Land NRW. Diese Vermutung wird damit begründet, dass die deutliche Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen entweder in durchschnittlich niedriger Qualifikation liege (was angesichts exzellenter Examina von Juristinnen abwegig ist) oder aber in strukturellen Nachteilen.
Fazit
Männerquoten antworten derzeit nicht auf eine geschlechtsspezifische strukturelle Benachteiligung. Allein aus der Unterrepräsentanz eines Geschlechts auf eine strukturelle Benachteiligung zu schließen, ist realitätsblind und vermag die Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht zu rechtfertigen.
In der Justiz wird zum Teil eine „Feminisierung“ beklagt, die negative Auswirkungen auf die Akzeptanz, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung haben werde. In den 1980er Jahren haben Heide Pfarr und Klaus Bertelsmann in ihrem Werk „Diskriminierung im Erwerbsleben“ zahlreiche informelle – keineswegs geheime – Männerquoten offengelegt, gegen die qualifizierte und geeignete Frauen chancenlos blieben. Im Jahr 2018 hat sich das Blatt offenbar nicht substantiell gewendet. Das Ziel von Gleichstellungsgesetzen ist Chancengleichheit und nicht Ergebnisgleichheit. Wenn eine nach dem Prinzip der Bestenauswahl unter den aktuellen Marktbedingungen erfolgte Einstellungspolitik zu einer Unterrepräsentanz von Männern in einem Bereich führt, kann das nicht mit Diskriminierung verwechselt werden. Eine Männerquote – unabhängig davon, ob sie vergleichbar wenig Anwendungsfälle hat wie die entsprechende Frauenquote – ist auf jeden Fall die falsche Antwort. Wir wollen keine Gesellschaft, in denen noch die nächsten 100 Jahre die Vergabe aller Positionen vom Geschlecht abhängt. Auch Frauen wollen, dass sich dieses Thema endlich erledigt. Aufgrund der fortbestehenden strukturellen Diskriminierung von Frauen ist dies derzeit aber noch nicht möglich. Für eine geschlechtergerechte Gesellschaft brauchen wir verstärkte Anstrengungen für gute Arbeitsbedingungen, eine geschlechtergerechte Auswahl von Führungskräften im Öffentlichen Dienst, sowie einen Paradigmenwechsel in der Privatwirtschaft.
Der Artikel geht schon von falschen Voraussetzungen aus. Es gibt keine „Männerquote“ bei der Staatsanwaltschaft Hamburg, wie dieser Beitrag suggeriert. Männer sollen bei gleicher Eignung lediglich bevorzugt werden. Dies ist m.E. durchaus legitim, wenn man bedenkt, dass in den letzten Jahren zu 70% Frauen eingestellt wurden und diese – erwiesenermaßen – ohnehin die besseren Examina machen. Mit einer „Quote“ hat dies rein gar nichts zu tun.
Auch wenn das BVerfG 1985 noch eine strukturelle Benachteiligung von Frauen gesehen hat, heißt dies keineswegs, dass es dies im Jahr 2018 (mehr als 30 Jahre später!) immer noch so sehen würde.
Im Ergebnis kann es so falsch nicht sein, in einem Arbeitsumfeld, wo Frauen deutlich überrepräsentiert sind, darauf zu achten, dass es ein ausgewogenes Verhältnis bei Neueinstellungen gibt – oder – zumindest für einen kurzen Zeitraum, bis dieses Verhältnis wiederhergestellt ist, Männer bei der Einstellung bevorzugt werden, und zwar gerade dann, wenn Männer tatsächlich notentechnisch benachteiligt sind.
Weil Frauen bessere Examina machen, sind Männer notentechnisch benachteiligt? Empirische Studien ergeben anderes … http://www.towfigh.net/emanuel/deutsch/neue-studie-zu-geschlechts-und-herkunftseffekten-in-juristischen-examina.html
Glücklicherweise gibt es mit Art. 33 GG eine starke Schranke für die Bestrebungen zur “Gleichstellung” im Öffentlichen Dienst (auch wenn einige Gleichstellungsgesetze das Gebot der Bestenauslese leider durch Formulierungen à la “im Wesentlichen leistungsgleich” aufzuweichen versuchen).
Ebenso glücklicherweise stellt Art. 3 mitnichten grundgesetzlich fest, dass “Frauen in Staat und Gesellschaft strukturell benachteiligt” seien. Der eingefügte Satz handelt immerhin geschlechtsneutral von der “Gleichberechtigung von Frauen und Männern” und der “Beseitigung bestehender Nachteile”. Leider wird diese Formulierung mittlerweile, entgegen der ursprünglichen Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers, als Rechtfertigung für feste Quoten (-> Aufsichtsräte) gesehen und die Politik zeigt bis heute äußerst wenig Interesse, bestehende Nachteile von Männern in unserer Gesellschaft zu beseitigen.
In diesem speziellen Fall will ich ohne genaue Kenntnis gar nicht behaupten, dass Männer auf dem Wege zu einer Karriere bei der Staatsanwaltschaft Hamburg